Zwei neue Bücher über Olaf Scholz schreiben ihm hanseatische Tugenden zu und empfehlen ihn als Verwalter des neoliberalen Status Quo. Was wirklich über Scholz zu sagen wäre, fällt in dieser staatsjournalistischen Imagepflege unter den Tisch.
In der repräsentativen bürgerlichen Demokratie erfüllen politische Eliten immer auch eine symbolische Funktion. Sie sollen den Staat beziehungsweise „das Volk“ repräsentieren, den Bürger:innen ein Bild ihres Gemeinwesens verkörpern. Im Gegensatz zum königlichen Körper, der im Ancien Régime qua Geburt und göttlicher Auserwähltheit unfraglich die Einheit des Staates symbolisierte, müssen die wechselnden demokratischen Repräsentant:innen sich dem anpassen, was die Bevölkerung sich wünscht und was sie zu akzeptieren bereit ist. Sie müssen, zumal in der hochgradig medialisierten Demokratie der Gegenwart, ihr Image herstellen als Projektionsfläche für staatstragende Tugenden.
Angesichts der zunehmenden Personalisierung von Parteipolitik ist solche Imagepflege ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil der Herstellung von politischer Hegemonie, also der Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung. Journalisten staatsnaher Medien versuchen von dieser Notwendigkeit zu profitieren und übernehmen dabei unaufgefordert diese Imagepflege, indem sie die vermeintlich bedeutsame „Persönlichkeit“ führender Politiker:innen in den Fokus rücken und ihre positiven Qualitäten beschreiben bzw. eben erfinden.
Eben so ist es im Fall Olaf Scholz. Zwar eignet Scholz sich denkbar schlecht für Imagepflege, verkörpert er doch der allgemeinen Wahrnehmung nach vor allem Langeweile. Aber das hindert Journalist:innen nicht, die es ja gewohnt sind, aus wenig Material viel leicht verdaulichen Text zu machen. Und nun, da er Kanzler ist, lässt sich so etwas auch verkaufen.
Beispiele dieser Art von kostenloser PR sind die beiden bisher über Olaf Scholz erschienenen Bücher: „Olaf Scholz: Der Weg zur Macht. Das Porträt“ (Klartext, Dezember 2021) vom Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, Lars Haider, und „Olaf Scholz – Wer ist unser Kanzler?“ (S. Fischer, Februar 2022) von Mark Schieritz, wirtschaftspolitischer Korrespondent im Haupststadt-Büro der ZEIT.
Natürlich können auch Haider und Schieritz zu Scholz nichts wirklich Interessantes berichten. Beide Bücher sind bürgerliche bundesdeutsche Hofberichterstattung ohne jede Gesellschaftskritik. Neben Langeweile können sie höchstens schaudern lassen, etwa, wenn Haider anbiedernd erzählt, wie oft er Scholz schon in Hintergrundgesprächen oder zu Interviews getroffen habe. Kurz: Sie gehören zu denen, die selbst in 7 langen Leben keinen Platz auf der Leseliste verdient hätten. Aber es ist interessant, welche Qualitäten sie Scholz im Sinne der genannten staatstragenden Imagepflege anzudichten versuchen.
Bei Haider sind Scholz‘ hanseatische Qualitäten, ins Politische gewendet, im Kern eine Affirmation des gegenwärtigen neoliberalen Regimes. Was die Bürger:innen in Scholz sehen sollen, ist „Kompetenz“, „Nüchternheit“ und „Erfahrung“ – also Politik unter dem Diktat des tristen Realismus, streng an den Sachzwängen orientiert, ohne verderbliche Utopie, Visionen (Helmut Schmidt ist für Scholz nicht ohne Grund ein „Gigant“) oder auch nur ein erkennbares Programm. Sicher, hier darf es auch mal Zugeständnisse geben – aber was nötig und möglich ist und was nicht, das entscheidet das Kapital. Er habe „das Geld zusammengehalten“ und in Hamburg „gut und solide“ regiert. Natürlich ist er ein „Machtmensch“ – denn anders geht es schließlich in den Kommandohöhen des Staates nicht. Haider stellt sich die Beziehung zu den Wähler:innen so vor: Sie bestellen „Führungsleistung“ und Scholz liefert sie.
Solch markige Management-Macherrhetorik soll beruhigen, suggeriert sie doch, dass der_die Einzelne noch etwas ausrichten kann. Dabei vernebelt sie natürlich, dass das politökonomische Wohl oder Verderben in kapitalistischen Staaten kaum von einzelnen Politiker:innen abhängt, selbst von Kanzlern nicht. Bei Scholz wird nun diese Personalisierung der Politik auf einen Kanzler gepresst, der sie mangels nennenswerter Persönlichkeit beinahe schon ad absurdum führt. Wer das schlucken kann, hofft wohl kaum noch, dass irgendwer den Irrsinn dieser Gesellschaft doch noch richten könnte. Haider offenbart genau den capitalist realism, den Mark Fisher beschrieb: Es ist nichts Anderes vorstellbar als ein ewiges „weiter so“, also ist es doch besser, jemandem die Sache zu überlassen, der genau das und auch nicht mehr will.
Die Person Scholz beschreibt Haider als „frei von Empathie“ und „ohne jedes Charisma“. Das ist nicht negativ gemeint, sondern soll wohl Sachkenntnis und Kompetenz noch einmal unterstreichen: Scholz hat keine Gefühle, er hat Ahnung. Über sein Leben gibt Scholz wenig preis, aber was man wissen kann, lässt ahnen: Er ist genauso langweilig und durchschnittlich, wie er erscheint. Geboren in Osnabrück in eine Mittelschichtsfamilie, politische Sozialisierung bei den Jusos, Jurastudium, Selbstständigkeit als Anwalt für Arbeitsrecht, SPD-Parteikarriere.
Haiders Scholz „arbeitet hart“, ist „ehrgeizig“, man kann ihm vertrauen, denn „er kann was“. Er ist hart im Nehmen – aber auch hart zu sich selbst. Er studiert tagelang Akten, ohne zu ermüden. Er ist von sich überzeugt, aber auch zu Recht. Er hat zwar kein Charisma, aber denkt analytisch und ist ein „Arbeitstier“. Er ist höflich und nicht arrogant.
Schließlich auch noch ein Schuss Sozialdemokratie: Er ist ein „Aufsteiger, der an soziale Gerechtigkeit glaubt“, ja, ein „Außenseiter“. Haider widmet gar sein Buch „allen Außenseitern“. Was einen sozialdemokratischen Juristen mit jahrzehntelanger erfolgreicher Politkarriere zum Außenseiter macht, bleibt freilich Haiders Geheimnis. Vielleicht die Kindheit in Rahlstedt? Ähnlich dünn ist der Versuch, Scholz als „Feministen“ dazustellen. Er hätte sich schon immer für Gleichberechtigung eingesetzt, etwa in der Auswahl seiner Senator:innen und Minister:innen, und sei allergisch, wenn in Interviews die Berufstätigkeit seiner Frau in Frage gestellt wird. Fair enough – aber das ist genau die Art Staatsfeminismus, mit dem man heute wirklich nirgendswo mehr Widerspruch hervorruft.
Schieritz’ Buch ordnet anders als Haiders Machwerk Scholz auch politisch ein. Dass er schon unter Gerhard Schröder als Generalsekretär an der Neoliberalisierung der SPD mitgearbeitet hat und die Agenda 2010 fleißig verteidigte, wird hier zumindest nicht verschwiegen. Ebenso, dass Scholz damals den Begriff „demokratischen Sozialismus“ aus dem Parteiprogramm der SPD streichen lassen wollte.
Aber für Schieritz begründet das keinen Vorwurf, sondern für ihn zeigt es, wie „geerdet“ Scholz heute im Vergleich zu seiner linksradikalen Zeit in den 1970ern ist. Vor allem der Anwaltsberuf habe ihn zu einem „Mann der Mitte“ gemacht. Auch der von Scholz verantwortete Brechmitteleinsatz, der 2001 Achidi John das Leben kostete, kann diesem Bild nichts anhaben. Schieritz verhandelt den Skandal unter ferner liefen, bei Haider taucht er erst gar nicht auf. Scholz ist für Schieritz „den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen“, denn er ist kein Ideologe, sondern „je nach den Umständen ausgerichtet“. Er ist ein Verhandler, „will alle Meinungen hören“, umgibt sich mit „Leuten die etwas bewegen wollen“.
Sogar ein bisschen weniger Neoliberalismus will er neuerdings. Denn statt Leistungsgerechtigkeit wie in der Sozialdemokratie des Dritten Weges à la Blair und Schröder stellt Scholz die „Beitragsgerechtigkeit“ in den Mittelpunkt. Der Sermon vom „Respekt“ ist wohl allen noch aus dem letzten Bundestagswahlkampf im Ohr. „Respekt“ soll für notwendige Lohnhierarchien entschädigen. „Respekt“ soll es für Erwerbsarbeit jeder Art geben, egal ob hoch- oder niedrig qualifiziert. Das aber hat natürlich nur wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Denn „Respekt“, man ahnt es, ist, was von der Sozialdemokratie übrigbleibt, wenn sie nicht umverteilen will. Mit Scholz soll der neoliberale Wahnsinn des Bestehenden humanisiert werden. Wie eng begrenzt diese rhetorischen Zugeständnisse sind, zeigt schon jetzt, wie wenig wir uns davon versprechen dürfen. Wer Scholz’ Weg in Hamburg verfolgt hat, weiß, dass er Ansprüche auf mehr als „Respekt“ auch abzuwehren weiß: die Law&Order-Rhetorik im Wahlkampf gegen Schill, die Brechmitteleinsätze, sein Einsatz gegen die Rekommunalisierung der Energienetze und für Olympia, die Gefahrengebiete, seine absurde Verleugnung polizeilicher Gewalt beim G20-Treffen und jüngst sein beunruhigend schlechtes Gedächtnis bezüglich Korruption mit der Warburg-Bank zeigen, wozu ein ideologisch flexibler Parteisoldat wie Scholz fähig ist. Scholz ist kein wirklicher Bösewicht, autoritäre Ressentiments und persönliche Bereicherung sind ihm sicher fremd. Aber er ist eben ein typischer Sozialdemokrat des neoliberalen Zeitalters. James Jackson hat das im Jacobin Magazin schön zusammengefasst: Scholz verbindet höhere Mindestlöhne mit kapitalfreundlicher Klimapolitik, Law & Order-Maßnahmen mit dem Kampf gegen Rechtspopulismus. Er steht für „Stabilität statt Vision, Management statt Transformation, und wahrt die Interessen der Mächtigen – während er gerade genug reformiert, um den Kohle-getriebenen Koloss deutsche Industrie am Laufen zu halten.“ Auf Bundesebene setzt Scholz somit fort, was seine Politik als Erster Bürgermeister Hamburgs auszeichnete – und was ihn populär machte. Und wer weiß, vielleicht räumt die ZEIT ihm nach der nächsten Bundestagswahl ja Helmut Schmidts altes Büro frei.
Der Investor des Holstenareals ist finanziell stark angeschlagen und steht zudem unter Betrugsverdacht. Jetzt hat die Stadt den Planungsstopp verkündet. Für die Entwicklung des Quartiers auf dem ehemaligen Brauerei-Gelände in Altona-Nord ist das eine unverhoffte Chance. Sie muss unbedingt ergriffen werden.
»Ist das Kind in den Brunnen gefallen?«, wurde Theo Bruns, Teil der Initiative Knallt am dollsten, Anfang Februar im Hamburg1-Gespräch gefragt. Bruns weigerte sich, diese Frage mit ›Ja‹ zu beantworten, und bekundete, weiter für die Kommunalisierung des Holstenareals zu kämpfen. Doch blickte man damals, vor vier Monaten, auf die Faktenlage, schien dieser Kampf nahezu aussichtslos zu sein. Im April oder Mai, so der damalige Stand, wollte der Bezirk den städtebaulichen Vertrag mit dem Investor, der zur Adler Group gehörigen Consus Real Estate, unterzeichnen; Einwendungen gegen den Vertrag wurden pauschal zurückgewiesen; und dass der Bezirk Altona es als Erfolg verkaufte, für 100 der ca. 1200 geplanten Wohnungen »preisgedämpfte« Nettokaltmieten in Höhe von 12,90 bzw. 14,90 Euro pro m² ausgehandelt zu haben, offenbarte den Unwillen und die Unfähigkeit der politisch Verantwortlichen, gegenüber dem Investor ernsthaft Stellung zu beziehen.
Immobilienspekulant in Schieflage
Doch nun scheint sich die Hartnäckigkeit des Protests von Initiativen wie Knallt am dollsten bezahlt zu machen. Der Mai liegt hinter uns und der städtebauliche Vertrag ist immer noch nicht unterzeichnet. Und dazu wird es wohl so bald auch nicht kommen, denn der Bezirk Altona hat erklärt, alle Planungen auf Eis zu legen. Grund dafür: Die wirtschaftliche Lage des in der Presse gerne als »umstritten« bezeichneten Investors, der ca. 30.000 Wohnungen besitzt, ist so undurchsichtig, dass er die für eine Unterzeichnung geforderte Finanzierungszusage einer Bank für das riesige Projekt nicht vorlegen konnte. Der Konzern ist schon länger unter Druck, vor allem nachdem der Investor Fraser Perring, der bereits den systematischen Betrug bei Wirecard aufdeckte, im vergangenen Herbst ähnliche Vorwürfe gegen die Adler Group erhob.
Weiter zugespitzt hat sich die Situation, nachdem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG Ende April ein entlastendes Testat für den Jahresabschluss des Konzerns verweigerte, woraufhin die Adler-Aktie abstürzte und mehrere Mitglieder des Managements zurücktraten. Das Handelsblatt berichtete Ende Mai zudem von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt und davon, dass der Finanzaufsichts-Chef Mark Branson den Finanzausschuss des Bundestags am 18. Mai eigens in streng geheimer Sitzung über die Vorwürfe gegen Adler informierte.
Wenn nun neues Leben in die Angelegenheit Holstenquartier kommt, ist das also keineswegs das Verdienst der Politik. Der Bezirk Altona nämlich hat lange immer noch auf Consus/Adler gesetzt und auf der einmal getroffenen Entscheidung beharrt – trotz der immer größeren Vorwürfe gegen den Investor. Anstatt das Scheitern des bisherigen Plans einzubekennen, erklärte die Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg noch vor zwei Wochen gegenüber dem Hamburger Abendblatt, die Verhandlungen lägen »auf Eis«, bis eine Finanzierungszusage vorliege: »Wir haben dazu auch keine Frist gesetzt, sondern warten ab.«
Dass nicht alle in der Stadtpolitik so geduldig sind, zeigte sich aber Anfang Mai, als der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) die Consus angeschrieben und um Verkaufsverhandlungen bat. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hier um bloße Symbolpolitik handelt. Die Nachricht führte zu markigen Schlagzeilen wie »Hamburg macht Ernst: Stadt will Holsten-Quartier kaufen« (Abendblatt). Im ›Kleingedruckten‹ erfuhr man dann aber: Die Stadt würde die Fläche nur »zu einem angemessenen Preis« erwerben und nur dann, wenn der Investor überhaupt verkaufen will. Noch am 1. Juni, also nach dem offiziellen Planungsstopp, verkündete Stefanie von Berg: Wenn die Adler Group das Grundstück nicht zum Verkauf anbiete, »kann auch die Stadt nichts machen«.1Das Hamburger Abendblatt schreibt trotzdem und entgegen aller Fakten von einem »harten Kurs« der Stadt »gegen die Adler Group«.
Kurz: Die Krise bei Adler/Consus hat die Chance eröffnet, doch noch eine ökologische und soziale Entwicklung des Quartiers zu ermöglichen, – aber die Hamburger Politik macht den Eindruck, damit so gar nicht glücklich zu sein. Davon könnte man überrascht sein, hätte man die Slogans von Grünen (»Für Mieten ohne Wahnsinn«) und SPD (»Wachstum ja, aber nicht bei den Mieten«) zu den Bürgerschaftswahlen 2020 für bare Münze genommen. Blickt man allerdings auf das Vorgehen des SPD-geführten Senats und des unter grünem Vorsitz stehenden Bezirks Altona in Sachen Holstenareal, wird deutlich: Hier wurde von Beginn an alles unterlassen, was diesen Slogans auch nur ein klein wenig Substanz verliehen hätte.
Hamburger Investorenmonopoly
Das begann schon 2015. Damals entschied die Holsten-Brauerei, ihren bisherigen Standort an der Holstenstraße aufzugeben. Der Senat unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz hätte sein Vorkaufsrecht nutzen und das Gelände für ca. 55 Millionen Euro kaufen können – doch er hat es unterlassen (was inzwischen selbst die CDU anprangert). Stattdessen wurde das Gelände höchstbietend verkauft, womit ein kaum fassbares Investorenmonopoly in Gang gesetzt wurde. 150 Millionen Euro betrug der anfängliche Kaufpreis der Düsseldorfer Gerch-Gruppe. Seither wurde das Grundstück viermal in sogenannten share deals mit Gewinn weiterverkauft – bis Consus es schließlich 2019 für 320 Millionen Euro übernahm.
Angesichts dieses horrenden Kaufpreises war klar: Um die von einem börsennotierten Immobilienkonzern erwarteten Profite zu erwirtschaften, müsste hier extrem dicht bebaut und extrem teuer verkauft bzw. vermietet werden. Zur Verdeutlichung: Nicht-profitorientierte Genossenschaften hatten der Kampagne »So geht Stadt« zufolge für den Erwerb des Grundstücks maximal 50 Millionen Euro geboten, weil sie bei einem höheren Preis keine sozialverträglichen Mietpreise mehr möglich sahen. Dementsprechend hoch fallen die nun erwarteten Mieten – sowohl für Gewerbe als auch für Wohnen – aus: Für die frei vermieteten zwei Drittel der Wohnungen sei mit einer Nettokaltmiete von 23 Euro pro m² zu rechnen, schätzte die Initiative Knallt am dollsten im Dezember 2021.
Adler: Immobilienspekulation als Geschäftsmodell
Das Holstenareal ist bei weitem nicht das einzige Projekt der Adler Group. Insgesamt 47 sogenannte ›Entwicklungsprojekte‹, fünf davon in Hamburg, hat der Investor aktuell am Laufen – oder eben nicht. Denn bei der Mehrzahl der Projekte gibt es aktuell keine Baufortschritte. Wie beim Holstenareal, wo kürzlich zumindest langsam mit den Abrissarbeiten begonnen wurde, eigentlich aber schon längst hätte gebaut werden sollen, sieht es auch woanders aus. In Berlin etwa tut sich beim Hochhaus Steglitzer Kreisel schon seit Monaten nichts – der Rohbau wirkt wie eine sizilianische Bauruine (und gibt so einen Vorgeschmack davon, was mit dem Elbtower passieren könnte). Das brachliegende Neuländer Quarree in Harburg hatte Adler letztes Jahr an eine dubiose Fondsgesellschaft mit Sitz auf Guernsey verkauft – und nun vor wenigen Wochen wieder zurückgekauft. Der Verdacht, dass es sich hierbei um einen Scheinverkauf handelte, um die Bilanzen aufzubessern, liegt nahe.
Daran, die erworbenen Grundstücke tatsächlich zu bebauen, zeigt der Investor jedenfalls gar kein Interesse. Und warum auch: Die Grundstücke steigen angesichts der immer noch wachsenden Immobilienblase sukzessive im Wert, und die zuletzt stark gestiegenen Baukosten machen das Bauen weniger rentabel. Es überrascht nicht, dass auch Vonovia, Deutschlands größter Wohn-Immobilienkonzern und Enteignungskandidat Nummer eins, mit mehr als 20% an der Adler Group beteiligt ist, und dass ihr Verwaltungsratsvorsitzende Stefan Kirsten vorher CFO bei Vonovia war.
Viele offene Fragen
Doch wie kann es nun weitergehen? Die Initiative Knallt am dollsten fordert die Kommunalisierung des Areals, denn sie wäre die Grundvoraussetzung dafür, dass dort ein soziales, inklusives, ökologisches Quartier entstehen kann. Damit das möglich ist, müsste die Stadt nun eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach § 165 Baugesetzbuch für das Holstenareal beschließen. »Sie ist das wichtigste Instrument, mit dem effektiver Druck auf den Investor ausgeübt werden kann. Als ultima ratio schließt sie sogar eine Enteignung nicht aus«, erklärte Theo Bruns gegenüber Untiefen. Nur so könnte verhindert werden, dass das Areal einfach an den nächsten Investor verkauft wird.
Dass das gangbar ist, zeigen andere Beispiele: In Düsseldorf etwa hat die regierende Mehrheit aus CDU und Grünen einen Antrag auf Einleitung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme beschlossen – mit Zustimmung der Linkspartei und selbst der FDP. In Harburg sind vorbereitende Untersuchungen für die beiden Adler/Consus-Projekte (neben dem Neuländer Quarree noch die New York-Hamburger Gummiwaarenfabrik) eingeleitet worden. Der Bezirk Altona lehnt dasselbe mit der abstrusen Begründung ab, es handele sich beim Holstenareal nicht um einen »Stadtteil mit herausgehobener Bedeutung«. Theo Bruns vermutet andere Gründe: Neben dem fehlenden politischen Interesse und der Weigerung, Fehler einzugestehen, vor allem »Mangel an Courage und Gestaltungswillen«. Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wäre für die Bezirksverwaltung nämlich eine äußerst zeit- und arbeitsaufwendige Angelegenheit. Aber selbst wenn die in Bezirk und Stadt maßgeblichen rot-grünen Mehrheiten sich trotzdem (und d.h. vor allem wegen des öffentlichen Drucks) für solch ein Vorgehen entschieden, blieben noch einige offene Fragen.
Die größte wäre natürlich der Preis: Das Grundstück steht mittlerweile mit einem Wert von 364 Millionen Euro in den Bilanzen der Adler Group – ein völlig unrealistischer, durch Spekulation in die Höhe getriebener Preis. Knallt am dollsten fordert dagegen, die Kalkulation umzudrehen und einen »sozial verträglichen Verkehrswert« für den Rückkauf anzulegen. Das heißt, nicht der Grundstückspreis soll die Mieten bestimmen, sondern umgekehrt: Ausgehend von einer angestrebten (Maximal-)Miete soll der Grundstückspreis berechnet werden.
Aber auch die Frage, wie viel Zeit für all das noch bleibt, ist ungeklärt. Adler hat eine Insolvenz der Consus Real Estate zwar noch Mitte Mai offiziell ausgeschlossen, aber es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass bald ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wäre es dann wohl zu spät – als Teil der Insolvenzmasse müsste das Holstenareal höchstbietend weiterverkauft werden.
Für einen radikalen Neuanfang
Derweil hat Knallt am dollsten gemeinsam mit anderen Initiativen aber schon demonstrativ einen Neustart eingeläutet. Am 25. Mai versammelten sich dutzende Teilnehmer:innen vor dem Altonaer Rathaus zu einer »Bezirksversammlung von unten«. »Adler ist Geschichte, darüber muss man jetzt nicht mehr reden. Wir können jetzt einen Schritt weiter gehen«, sagte Theo Bruns in einem Redebeitrag. Es gehe jetzt darum, das Quartier neu zu denken und die Bürger:innen an der Planung zu beteiligen, so wie das im Falle der Esso-Häuser in St. Pauli mit der Planbude praktiziert wurde und wird.2Freilich sind die Esso-Häuser alles andere als ein gutes Beispiel für einen gelungenen Planungsprozess. An ›zu viel Bürger:innenbeteiligung‹ liegt das aber nicht – und es ist eine interessierte Falschbehauptung, wenn die Welt das in einem jüngst erschienenen Artikel so darstellt. Zu den Forderungen, die am offenen Mikrofon und an den aufgestellten Pinnwänden gesammelt wurden, zählen: geringere Verdichtung und Versiegelung, bezahlbare Mieten, mehr barrierefreie Wohnungen (die aktuelle Planung sieht sechs (!) rollstuhlgerechte Wohnungen im gesamten Holstenquartier vor), Raum für neue Wohnformen und die Verwendung ökologischer Baumaterialien.
Während die ›Bezirksversammlung von unten‹ vor dem Altonaer Rathaus Druck auf die Entscheider:innen aufbaute und Ideen für ein lebenswertes Quartier entwickelte, unternahm die zeitgleich stattfindende Bezirksversammlung im Rathaus – nichts. Da sich die Situation nicht verändert habe, gebe es auch nichts zu entscheiden. Man scheint dort auf weitere Winke des ›Schicksals‹ (d.h. des Marktes) zu warten. Dabei gälte es, jetzt umgehend zu handeln: den »Chaosinvestor« Adler/Consus enteignen, das Holstenareal vergesellschaften und es anschließend von gemeinwohlorientierten Genossenschaften und Baugemeinschaften bebauen lassen. Die Bewohner:innen Altonas hätten dafür jedenfalls schon einige Ideen.
Lukas Betzler
Der Autor ist Teil der Untiefen-Redaktion und schrieb hier bereits über das als Stadtmagazin firmierende Anzeigenblatt SZENE Hamburg.
1
Das Hamburger Abendblatt schreibt trotzdem und entgegen aller Fakten von einem »harten Kurs« der Stadt »gegen die Adler Group«.
2
Freilich sind die Esso-Häuser alles andere als ein gutes Beispiel für einen gelungenen Planungsprozess. An ›zu viel Bürger:innenbeteiligung‹ liegt das aber nicht – und es ist eine interessierte Falschbehauptung, wenn die Welt das in einem jüngst erschienenen Artikel so darstellt.
Für nur ein Wochenende im März war in Hamburg eine Ausstellung des Künstlers Gerrit Frohne-Brinkmann zu sehen. Seine Installationen waren der Vacanti-Maus gewidmet. Hätte man diesem skurrilen Hybridwesen nur besser gelauscht: Während nur wenige Meter entfernt die Impfgegner:innen marschierten, ließ sich von den Mäusen etwas von falscher Wissenschaftsfeindschaft erfahren.
Detail aus Gerrit Frohne-Brinkmanns Ausstellung »Earmouse«, März 2022. Foto: Heinrich Holtgreve
1997 veröffentlichte eine Forschungsgruppe aus Massachusetts um den Mediziner Joseph P. Vacanti die Ergebnisse ihrer mehrjährigen Forschung. Dem Team war es gelungen, auf dem Rücken von Mäusen Knorpelgewebe in Form einer menschlichen Ohrmuschel zu züchten. Das war eine wissenschaftliche, vor allem aber auch eine öffentliche Sensation: Denn die Earmouse, auch unter dem Namen Vacanti-Maus bekannt (es war wohl eine ganze Schar solcher Mäuse vonnöten, deshalb hat die Maus keinen Eigennamen wie das Klonschaf Dolly), bot einen bizarren, ja verstörenden Anblick.
Unheimlich und verstörend war diese Maus, weil da ein normal großes menschliches Ohr auf dem Rücken einer kleinen, nackten, rotäugigen Maus ›wuchs‹. Dieses Gewächs, über dem sich die dünne Mausehaut spannte, konnte nicht hören, war aber unverkennbar eine hochartifiziell geformte menschliche Ohrmuschel. Die Maus fungierte als Bioreaktor für dieses nichthörende Ohr – ein lebendes Medium, das ein ›Ersatzteil‹ bis zu seiner Entnahme spazieren trägt. Die Entnahme des gezüchteten Knorpelgewebes ließe sich zwar auch ohne eine Tötung des Mediums durchführen, doch ging es der Vacanti-Maus wie allen anderen Labormäusen auch: Sie wurde verbraucht bzw. »geopfert«, wie es in einem Paper der Forschungsgruppe hieß.[1]
Die Earmice und das an ihnen erstmals erfolgreich angewandte Verfahren bevölkern seitdem das kollektive Imaginäre auf der ganzen Welt. So ließ etwa Stelarc, ein zypriotisch-australischer Künstler, ab 2006 über zehn Jahre lang, von einigen Operationen begleitet, ein linkes menschliches Ohr auf seinem Arm wachsen. Stelarcs Absicht war es, das Ohr mit dem Internet zu verbinden und es so weltweit ›senden‹ zu lassen, was es an dem Ort ›hört‹, an dem sich sein Medium – der Künstler Stelarc – aufhält. Auch dieses knorpelige künstliche Ohr konnte natürlich nicht eigenständig hören, aber es war mit einem technischen Aufnahmegerät ausgestattet. Das Ohr darum herum war ›nur‹ Kunst.
Der Künstler Stelarc 2011 mit seinem künstlichen ›dritten Ohr‹. Foto: AltSylt Lizenz: CC BY-SA 2.0
Ohrmäuse aus Keramik
25 Jahre nachdem die Vacanti-Maus zur weltweiten Sensation wurde, widmete der Hamburger Künstler Gerrit Frohne-Brinkmann ihr nun eine Ausstellung im Projektraum ABC. Benannt nach der gleichnamigen Straße in der Neustadt, ist der Ort ABC – wie so viele Projekträume – eine Zwischenraumnutzung. Das Gebäude, ein Commerzbank-Investment-Piece aus den Neunzigern, passt zeitlich gut zur Vacanti-Maus. Am 12. und 13. März tummelte sich dort eine große Familie keramischer Mäuse auf dem Fußboden. Sie sind haarlos und rosa wie die nackten Vacanti-Mäuse. Und wie die Vacanti-Mäuse tragen sie alle ein menschliches Ohr auf dem Körper. Es scheint sie nicht zu stören.
Drei der Mäuse sitzen in übergroßen Muscheln, keramischen Fantasien von Meeresschneckengehäusen, an der Wand. Von dort tönt ein weißes Rauschen. Es sind jedoch nicht die Muscheln, die hier rauschen, sondern die Mäuse, besser wohl: die menschlichen Ohrmuscheln auf ihren Rücken. Die Mäuse sind verkabelt, so dass sie entgegen ihrer üblichen Aufgabe – und in entgegengesetzter Richtung zum ›Ohr‹ auf Stelarcs Arm – Schall senden. Sie empfangen nichts. Mit derlei Gangart- und Richtungswechseln ist bei Ausstellungen des 1990 geborenen Frohne-Brinkmann, der an der HFBK studierte, stets zu rechnen.
Keramische Formen, die stark unterschnittig sind, also negativ, konkav nach innen gewölbt, lassen sich nur mit großem Geschick modellieren. Das menschliche Ohr ist eine maximal komplizierte Form, sei es als Skulptur oder als gezüchtetes Ersatzohr (Ohren werden, weil sie so kompliziert zu modellieren sind, mittlerweile tatsächlich wie bei Stelarc an unauffälliger Stelle am Körper der Patient:innen nachwachsen gelassen, nachdem sie zuvor im Labor initial angezüchtet wurden).
Genauso wie das nachgezüchtete gehörlose Ohr ist auch die Form einer Meeresschnecke nur mühevoll zu modellieren, eben wegen ihrer Unterschnittigkeiten. Als keramischer Hohlkörper erzeugt die Form dann aber zweifellos auch ohne Verkabelung und künstliche Schallquelle das bekannte ›Meeresrauschen‹, das man hört, wenn man ein Meeresschneckengehäuse oder eine Muschel an sein Ohr legt. Dieses Rauschen ist allerdings weder die eingefangene Aufnahme eines Südseeurlaubs noch das akustisch verstärkte Fließgeräusch des eigenen Bluts, wie häufig angenommen wird. Vielmehr entsteht es, weil die Muschel die Umgebungsgeräusche aufnimmt, verstärkt und als undifferenziertes Rauschen wieder nach draußen sendet (also wieder in umgekehrter Richtung zur menschlichen Ohrmuschel, die den Schall aufnimmt und ihn, wenn sie denn hören kann, über das Trommelfell nach innen ans Gehirn weitergibt).
Die Maus als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur
Die keramischen Ohrmäuse, die in den Meeresschnecken sitzen und das weiße Rauschen versenden, sind über ihre sehr langen Schwänze an die Kabelage hinter der Fußleiste angeschlossen. Auch die anderen Mäuse haben einen Kabel-Schwanz, bei ihnen ist er allerdings in normaler Mäuselänge abgeschnitten. Damit erinnern die Mäuse an eine der wohl wichtigsten Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine seit der Erfindung des Personal Computer: die Computermaus. Zu Earmouse-Zeiten hatte sich die heute auf beinahe jedem Schreibtisch zu findende Funktechnologie noch nicht durchgesetzt. Die meiste Zeit seit ihrer Erfindung in den 1960er Jahren hatten alle Mäuse einen ›Kabelschwanz‹, und so haben schon die Erfinder:innen der »X‑Y-Positionsanzeige für ein Anzeigesystem« (so die Bezeichnung der Patentanmeldung 1963) sie »Maus« getauft. Wäre sie damals bereits durch eine Funkverbindung ohne Schwanz ausgekommen, hätte man sie vermutlich Hamster genannt.
Während die Computermaus als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine dient, bewegen sich medizinische Forschungen mit Labortieren an einer Schnittstelle zwischen Mensch und Tier. Seit Jahrzehnten forscht die Transplantationsmedizin an den Möglichkeiten, wie Tiere zu Bioreaktoren für funktionierende Organe werden können, also wie sie mehr sein können als Träger tauber Ohren aus Knorpelzellen. So tragen inzwischen spezielle, genetisch manipulierte Schweine transplantierbare Herzen spazieren – mit dem im Vergleich zur Ohrmaus entscheidenden Unterschied, dass dieses Herz zuerst für das Schwein arbeitet und nicht irgendwo auf seinem Rücken als Extraposten wächst.
Die mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgte Transplantation eines Schweineherzens in einen menschlichen Patienten am 7. Januar 2022 schien zuerst geglückt zu sein. Zwei Monate nach dem Eingriff jedoch starb der Mann, der das Implantat erhalten hatte. Vorerst ist das Experiment also gescheitert. Dennoch werfen derartige Xenotransplantationen für die Forschenden und für die Patient:innen schon jetzt die irrsten Fragen auf. Nicht zuletzt: Was bedeutet es, den Tod eines Säugetiers zu billigen, um selbst weiterleben zu können? Anders als bei Menschen, die einen Organspendeausweis besitzen, sich im Fall ihres Todes also bereiterklären Organe abzugeben, werden diese Schweine dezidiert als Organspender gezüchtet. Die an menschlichen Zwecken ausgerichtete Schweinezüchtung ist dabei kein Skandal, sie dient seit Jahrhunderten der Kotelett- und Wurstproduktion. Bemerkenswert ist aber der Transfer lebendiger Organe vom Tier zum Menschen – nicht als Nahrung, sondern als funktionale Inkorporation eines lebenswichtigen Organs. In Vorbereitung der Xenotransplantation vom Januar 2022 wurden etliche Gespräche mit religiösen Oberhäuptern diverser Konfessionen geführt. Sie alle stellten das gerettete Menschenleben über das Tierwohl.
Aufklärungsfeindschaft gestern und heute
Die Earmouse des Jahres 1997 brachte viele erbitterte Wissenschaftsgegner:innen auf den Plan, die »Gottes Schöpfung« in Gefahr sahen. Eine große Anzeige des Turning Point Project, eines Zusammenschlusses von mehr als 60 NGOs, warnte mit einem Foto der Earmouse vor (roter) Gentechnik und titelte: »Who plays God in the 21st Century?« Sie suggerierte fälschlicherweise, dass die abgebildete Maus genetisch modifiziert sei, und setzte ganz auf den schockierenden Effekt ihres Frankenstein-haften Aussehens. In einem menschlichen Ohr auf dem Rücken einer Maus meinte man den Inbegriff der zombification, der monströsen Selbstüberschätzung der Medizin erkennen zu können. Auch ohne großformatige Anzeigen verbreitete sich das Bild der Earmouse daher wahnsinnig schnell – dank ihrer verkabelten Verwandten, der Computermaus. Internetnutzer:innen verschickten das Bild massenhaft und häufig gänzlich dekontextualisiert per E‑Mail.
Eine verzerrte Spiegelung durch die Jahrzehnte zeigt uns eben diese Menschen heute als sogenannte »Impfgegner:innen«. Ihnen erscheint das (weiße) Rauschen des Internets als Rauschen ihres Bluts, ihres eigenen, heiligen, gesunden Körpers. Diese Überzeugung versenden sie, mit einer mittlerweile kabellosen Computermaus im WWW herumklickend, gerne nach außen – nur noch selten via E‑Mail, umso öfter aber in den Echokammern von Telegram-Gruppen und Youtube-Kanälen. Sie tun das im Glauben, es sei ihr eigener Gedanke, der da tönt, dabei sind sie nur eine die Außengeräusche verstärkende Hohlform – leere Muscheln (oder einfach Hohlköpfe).
Die Impfung wird von diesen Menschen abgelehnt, weil sie in die einzelnen Körper eindringt. In dieser Hinsicht gleicht die Impfgegnerschaft der Ablehnung von Xenotransplantationen oder eben der Transplantation eines auf dem Rücken einer Maus gezüchteten Ohrs. Dabei lässt sich beobachten, dass der Widerstand gegen derartige Operationen nicht aus ethischen Überlegungen, aus Sorge um das Tierwohl erwächst, sondern aus Angst um die Integrität des eigenen Körpers; im Fall der Impfungen obendrein abgemischt mit Sorgen um Selbstbestimmung, Misstrauen gegenüber Behörden und der Sehnsucht nach einer soliden Volks‑, also Infektionsgemeinschaft, die, so die Wunschvorstellung, als Herde insgesamt immun werden möge. Wir halten uns da lieber an die Mäuse: Sie sind zwar durchaus gesellig, aber Herdentiere sind sie nicht – ob mit oder ohne Ohr auf dem Rücken.
Nora Sdun, April 2022
Die Autorin gründete vor 18 Jahren zusammen mit Gustav Mechlenburg den Textem Verlag. Im Dezember 2016 erschien dort der Band All in, der eine Auswahl performativer Arbeiten Gerrit Frohne-Brinkmanns dokumentiert.
[1] In Nowosibirsk wurde 2013 ein Denkmal enthüllt, das den Labormäusen und ‑ratten, diesen so unsichtbaren wie unermüdlichen Streiter:innen für Aufklärung und wissenschaftlichen Fortschritt, gewidmet ist.
Die Bornplatzsynagoge im Grindelviertel soll wieder aufgebaut werden. Das beschloss die Bürgerschaft im Januar 2020. Über die genaue Umsetzung allerdings wird seither heftig gestritten. Das für Mitte des Jahres angekündigten Ergebnis einer Machbarkeitsstudie wird die nächste Runde der Debatte einläuten. Aber was steht hier eigentlich zur Diskussion?
Die Bornplatzsynagoge im Hamburger Grindelviertel wurde 1906 vom orthodoxen Synagogenverband in einer Zeit zunehmender politischer und juristischer Partizipation von Jüdinnen und Juden als Hauptsynagoge eröffnet. 1939, als die systematische Vertreibung der deutschen Juden einsetzte, erzwangen die Nazis ihren Abriss. Seit bald drei Jahren wird nun über die Form, den Ort und mögliche Folgen eines Wiederaufbaus diskutiert. Dabei geht es um weit mehr als Architektur: Zur Debatte steht die deutsche Shoa-Erinnerungskultur, die Repräsentation heterogener, jüdischer Gemeinden und letztlich die gesellschaftliche Teilhabe des deutschen Judentums am Hamburger Stadtbild.
Bürokratische Zerstörung…
1938 versuchten Hamburger Nazis die Bornplatzsynagoge während der Novemberpogrome durch einen Brandanschlag zu zerstören, was ihnen zunächst nicht gelang. Ihr momentanes Überleben verdankte die Synagoge aber nicht etwa Skrupeln oder Rücksichtnahme, sondern dem Willen, nicht-jüdische Kulturgüter zu retten, die unweit von ihr in Holzscheunen aufbewahrt wurden. Dieser Aufschub lenkte die Zerstörung in bürokratische Bahnen: Im Frühjahr 1939 ließen die Nazis die beschädigte Synagoge auf Kosten des jüdischen Religionsverbands Hamburg abreißen. Im April 1940 vermerkte das Amtsgericht Hamburg die Auflassung des Synagogengrundstücks, das Gelände ging in den Besitz der Stadt über. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde an dem nun leeren Platz ein Hochbunker errichtet.
1949 erhob die neu gegründete Jüdische Gemeinde in Hamburg (JGHH) Anspruch auf Rückgabe des Grundstücks. Allerdings führte faktisch die Jewish Trust Corporation (JTC) die jahrelangen Verhandlungen. Denn bei der Hamburger Gemeinde handelte es sich zu dieser Zeit um eine sogenannte »Liquidierungsgemeinde«. Ihr Ziel war nicht der Wiederaufbau jüdischer Kulturstätten in Deutschland, sondern die Koordination der Ausreise deutsch-jüdischer Personen. Für die JTC stand daher im Fokus, rückerstattetes Vermögen für den Aufbau des jüdischen Staates zu organisieren. Aufseiten der Hamburger Liegenschaftsabteilung verhandelte unter anderen Hans-Joachim Richter. Er war in seiner Position bereits vor dem Krieg für den Zwangsverkauf von Grundstücken der hamburgischen jüdischen Gemeinden verantwortlich gewesen.
… und bürokratische Restituierung
Auf diese personelle Kontinuität und die Tatsache, dass die Stadt das Gelände nicht direkt an die jüdische Gemeinde zurückgab, sondern mit einer ausländischen Organisation verhandelte, wird in der aktuellen Debatte wieder referiert. Der heutige Vorsitzende der JGHH, Philipp Stricharz, betrachtet das damalige Entschädigungsverfahren als eine zweite Enteignung. Miriam Rürup, Direktorin des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums und ehemalige Leiterin des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ), sieht das anders. Sie betont das damalige Motiv der JTC, für die Enteignung des Geländes zügig, wenn auch unzureichend, entschädigt zu werden.
In der Debatte um einen Synagogenbau am heutigen Joseph-Carlebach-Platz nehmen Stricharz und Rürup oft entgegengesetzte Positionen ein. Stricharz vertritt dabei die Interessen der JGHH und fordert mehr Sichtbarkeit für das jüdische Leben, besonders im Grindelviertel. Rürup teilt den Wunsch nach mehr Sichtbarkeit, spricht aber als Historikerin, Mitglied des Vereins Tempelforum e.V. und Teil der deutlich kleineren Liberalen Jüdischen Gemeinde Hamburgs (LJGH).
Deutsches Geschichtsbewusstsein: Bis in die 1980er Jahre hinein wurde der Platz der ehemaligen Synagoge als Parkplatz genutzt, Foto: Denkmäler und Baudenkmale der Jüdischen Gemeinde in Hamburg – Kulturbehörde, Denkmalschutzamt1Die Rechteinhaber:innen konnten trotz intensiver Nachforschung nicht ermittelt werden. Diese haben die Möglichkeit, sich an uns zu wenden.
Die Verhandlungen zwischen dem Hamburger Senat und der JTC um das Grundstück mündeten 1953 in eines von mehreren sogenannten »Pauschalabkommen«. Neben dem Bornplatz betraf es elf weitere Hamburger Grundstücke. Die Vergleichssummen der gut gelegenen Immobilien lagen weit unter ihrem Wert. In den 1960er Jahren wurde das gesamte Areal am Grindelhof von der Universität genutzt. Der Bornplatz war bis in die 1980er Jahre ein schlammiger Parkplatz. Planungsrechtlich war das Gelände noch bis 1985 für eine Erweiterung der Universität vorgesehen. Parallel wurde es seit Ende der 70er auch als möglicher Ort für eine erinnerungskulturelle Nutzung entdeckt. Die Universität entschied sich schlussendlich gegen eine Erweiterung auf dem Bornplatz. Die Finanzierungsmittel konnten nicht aufgebracht werden, hieß es in einer entsprechenden Eingabe der Kultursenatorin Anfang der 1980er Jahre.
Aufbereitung der Lücke
Ende der 1970er Jahre sollte eine archäologische Grabung am Bornplatz die Grundlage für eine Erinnerungsstätte ergeben. Durchgeführt wurde sie vom Fachbereich Archäologie der Uni Hamburg, der noch heute im Hochbunker angesiedelt ist. Die Grabung offenbarte, dass das Fundament der Bornplatzsynagoge größtenteils erhalten ist. Allerdings bat die Jüdische Gemeinde aus Rücksichtnahme auf jüdisches Recht darum, es nicht offenzulegen. Stattdessen beauftragte die Kulturbehörde 1983 die Hamburger Künstlerin Margrit Kahl, Visualisierungsvorschläge für die Aufbereitung der Lücke anzufertigen. Über die Vorschläge stimmten auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde ab. Das Synagogegenmonument sollte die Leerstelle sichtbar machen und damit der politischen Forderung nach Erinnerungskultur in der postfaschistischen BRD nachkommen. Am 50. Jahrestag der Novemberpogrome, dem 9. November 1988, wurde Kahls Mosaik auf dem heutigen Joseph-Carlebach-Platz eingeweiht. Es befindet sich dort bis heute.
Die Stadt verstand die Instandhaltung des Monuments bis 2019 nicht als ihre Aufgabe. Gedenkinitiativen nutzten den Ort, um sich an Jahrestagen dort zusammenzufinden, und Schulklassen kümmerten sich um die Denkmalpflege. Stadttouren halten hier, Menschen aus dem Viertel und der Universität passieren den Platz täglich. Manche betonen die bemerkenswerte Wirkung der subtilen Aufbereitung zu einem Raum, der sie zur Reflektion über die Shoa anhält. Die israelische Kunsthistorikerin Galit Noga-Banai bezeichnete das Synagogenmounument am Bornplatz auf einem Symposium im September 2021 als eines von drei Gegendenkmalen, die zukunftsweisend für die deutsche Gedenkkultur gewesen seien. Andere nehmen das Mosaik kaum wahr oder bezweifeln seine mahnende Wirkung.
»Nein zu Antisemitismus, ja zur Bornplatzsynagoge«
Am 9. Oktober 2019 verübte der rechte Terrorist Stephan B. einen Anschlag auf die Synagoge von Halle. Neben verharmlosenden Deutungen, demnach man es mit einem psychisch kranken Einzeltäter zu tun habe, folgten darauf auch politische Versprechungen, Antisemitismus stärker zu bekämpfen. In der Hamburger Bürgerschaft brachte ein fraktionsübergreifender Antrag die Unterstützung des Wiederaufbaus als eine mögliche politische Antwort auf den Anschlag ins Spiel. Der Kampf gegen Antisemitismus, so die im Antrag vorgebrachte Argumentation, müsse mit einer Sichtbarmachung der positiven Aspekte jüdischen Lebens kombiniert werden. Am 28. Januar 2020 beschloss die Hamburger Bürgerschaft einstimmig, das Bauvorhaben mit dem Antrag für eine Machbarkeitsstudie vom Bund zu unterstützen.2Siehe dazu auch: https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/wird-hamburgs-einst-groesste-synagoge-wieder-aufgebaut/
Der Wunsch, auf dem Joseph-Carlebach-Platz wieder eine Synagoge zu errichten, ist allerdings deutlich älter. Zuletzt wurde er 2010 von Ruben Herzberg, dem damaligen Vorsitzenden der JGHH, anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums der Synagoge Hohe Weide formuliert: »Die Einweihung der Synagoge Hohe Weide war ein weithin sichtbares klares Zeichen, dass jüdisches Leben nicht vernichtet werden konnte. Das Herz des jüdischen Hamburg aber schlägt im Grindelviertel, dort neben der Talmud-Tora-Schule, unserem heutigen Gemeindezentrum mit der Joseph-Carlebach-Schule […]. Wir wünschen uns die Rückkehr an unseren alten Ort, denn der leere Platz ist eine Wunde in unserem Leben.« Dieser Wunsch fand damals keine politische Unterstützung.
Zehn Jahre später, nach dem Terroranschlag von Halle, finanziert der Bund nun die Machbarkeitsstudie für den Wiederaufbau mit 600.000€. Zuvor startete unter dem Slogan »Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge« eine medienwirksame Unterstützungskampagne für den Bau einer neuen Synagoge am alten Platz. Unter den circa 107.000 Unterzeichner:innen finden sich namhafte Persönlichkeiten vor allem aus Hamburg, aber auch aus der Bundespolitik und aus Israel. Neben lokalen Unternehmer:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen warb etwa auch Olaf Scholz per Videobotschaft für das Vorhaben.
Kritik am historisierenden Wiederaufbau
Bereits zu Beginn dieser Kampagne wurden öffentlich Stimmen hörbar, die befürchteten, dass das Bodenmosaik der Realisierung weichen müsse. Resümierendsagte Miriam Rürup im März 2021, das Synagogenmonument »war eine Avantgarde-Bewegung von Juden und Nichtjuden. Darauf sollte man sehr stolz sein. […] Dürfen wir uns davon schon abwenden?« Mit dem Mosaik würde ein wichtiger Ort der Erinnerungskultur in Hamburg verschwinden. Das Gegenargument lautet: Das Bodenmosaik habe seinen Zweck erfüllt, denn für wen und auf wessen Kosten solle die schmerzhafte Lücke beibehalten werden? Sie sei besetzt worden, bis wieder eine Synagoge auf den Platz zurückkehren könne. Philipp Stricharz drückte es schon im November 2019 gegenüber der taz so aus: »Jeden Tag, an dem ich da vorbeikomme, empfinde ich eine große und weiter bestehende historische Ungerechtigkeit. […] Da steht einerseits ein Platz leer – da sollte aber eine Synagoge stehen. Stattdessen steht da dieser sogenannte Hochbunker«. Das Areal »wieder jüdisch zu machen, das mag pathetisch klingen, wäre ein später Sieg«.
Als das Areal am Grindelhof noch jüdisch war: Blick auf das Ensemble von Talmud-Tora-Schule und Synagoge, 1914. Quelle: Hamburg und seine Bauten, Band 1. Dölling und Galitz, Hamburg 1914.
Gegen eben dieses Pathos verwehren sich Rürup und andere Hamburger:innen. Das dokumentierte etwa eine Veranstaltung der Körber Stiftung vom Februar 2021. Zu Beginn der Debatte schürte besonders die Rede von »Wiederaufbau« und »Rekonstruktion« die Sorge, der Bau könne zu historischem Revisionismus führen. Rürup warnte im Rahmen einer von der Patriotischen Gesellschaft organisierten Diskussionsveranstaltung: »Wenn wir historisierend bauen, fantasieren wir uns in eine gute alte Zeit«. Sie fragte, welche ungewollte Wirkung der Wiederaufbau noch haben könnte und befürchtete eine »moralische Elbphilharmonie«.
Ein Prestigeprojekt wie die Elbphilharmonie?
In Analogie zur Elbphilharmonie waren die ersten Debattenbeiträge von der Kritik geprägt, Hamburg verfolge nun auch im Kampf gegen den Antisemitismus ein Prestigeprojekt. Mit dem Slogan »Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge« würde jede Kritik am Bauvorhaben als antisemitisch diskreditiert. Dabei gäbe es gute Gründe, kritisch nachzufragen, weshalb die neu gewonnene Unterstützung der Öffentlichkeit und Politik sich so auf den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge konzentriere. Der Unmut über die Missachtung anderer jüdischer Kulturstätten in Hamburg überschattete die Freude über die politische Unterstützung des Synagogenbauprojekts.
So hatte die Initiative Tempel Poolstraße bereits vor dem antisemitischen Anschlag in Halle für das Jahr 2019 eine Kampagne zur Rettung und kulturellen Aufbereitung der Tempelruine in der Hamburger Neustadt geplant. Nach dem Anschlag fand sich der dafür gegründete Verein Tempelforum e.V. in der ungewollten Lage, dass sein Anliegen in Konkurrenz zu den Forderungen nach einer neuen Bornplatzsynagoge gesehen wurde. Als Mitglied des Vereins sprach Miriam Rürup sich in der ersten Runde der Debatte im Dezember 2019 für eine Öffnung der geplanten Machbarkeitsstudie aus. Das Ziel sei, viele verschiedene Orte in die Wideraufbaupläne einzubeziehen. Harald Schmid von der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten äußerte auf einem Symposium im September 2021 rückblickend, dass die frühzeitige Festlegung der politischen Förderung auf den rekonstruierenden Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge für die Kontroverse mitverantwortlich gewesen sein könnte.
»Für einen breiten, offenen Diskurs«
Im Dezember 2020 wurde über die Patriotische Gesellschaft eine öffentliche Stellungnahme mit dem Titel »Für einen breiten, offenen Diskurs über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge« veröffentlicht. Zu den Erstunterzeichnenden zählten neben Miriam Rürup der Historiker und ehemalige Direktor des Richard-Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem Moshe Zimmermann sowie Ingrid Nümann-Seidewinkel, ehemalige Eimsbütteler Bezirksamtsleiterin.
Das von Margrit Kahl gestaltete Bodenmosaik liegt im Schatten des Hochbunkers, Foto: Privat.
Die mit der Stellungnahme als ein auch internationaler Standpunkt in der Debatte etablierte Kritik richtete sich gegen die Idee eines historisierenden Wiederaufbaus. Die Stellungnahme kritisierte die Rekonstruktion kriegerisch zerstörter Bauten im Allgemeinen und die der Bornplatzsynagoge im Besonderen. Der Vorwurf lautete, mit dieser Idee würde – wenn auch nicht intendiert – ein historischer Revisionismus der antisemitischen Zerstörung im Stadtbild betrieben. Zugleich werde mit dem Synagogenmonument von Margrit Kahl ein zentraler Erinnerungsort und Teil des kulturellen Erbes der Stadt zerstört. Die Unterzeichnenden forderten stattdessen »eine breite Diskussion darüber, wie jüdisches Leben im Grindelviertel neu gedacht und in zeitgemäßer, zukunftsgerichteter Form gestaltet werden kann unter Einbeziehung der vorhandenen Gegebenheiten«. Denn Städtebau sei »das Ergebnis der Integration vieler gesellschaftlicher Interessen und Sichtweisen«.
Zynismus deutscher Erinnerungspolitik
Der Ton spitzte sich zu, als Nümann-Seidewinkel die Ansicht äußerte, ein historisierender Wiederaufbau »hätte für mich etwas von Disneyland«.3Der entsprechende NDR-Artikel ist nur noch in einer archivierten Fassung erreichbar. Sie war in ihrer Zeit als Leiterin des Bezirksamts Eimsbüttel an der Umsetzung des Synagogenmonuments beteiligt und sah nun die lokale Erinnerungspolitik in Gefahr. Für die Verfechter:innen einer Rekonstruktion wies Stricharz diese Kritik als akademisiert zurück. Er betonte, dass sie zwar bereit seien »sich einiges anzuschauen«, wenn es um die architektonischen Umsetzungsmöglichkeiten geht. Den Wunsch jedoch, den Platz komplett leer zu belassen, lehnte er ab.
Schon 2019 hatte der World Jewish Congress 2019 entsprechende Ideen als »zynisch« kritisiert: »Stimmen, die fordern, dass der Bornplatz leer bleiben müsse, um zu zeigen, was der Jüdischen Gemeinde angetan wurde, erteilen wir eine klare Absage. Unrecht gegen die Jüdische Gemeinde zu perpetuieren, nur um zu zeigen, dass es stattfand, würde die Hamburger Jüdische Gemeinde ein weiteres Mal zum Objekt äußerer Interessen machen«.
Die Rede von ›äußeren Interessen‹ knüpft an den Vorwurf an, die kritischen Stimmen kämen in erster Linie von nicht-jüdischen Akteur:innen. Dieser Ansicht wurde und wird unter anderen von Miriam Rürup vehement widersprochen. Philipp Stricharz hob jedoch hervor, dass die Gestaltung des Platzes in letzter Konsequenz die Entscheidung der jüdischen Gemeinde sei. Den Wunsch der Gemeinde nach einem historisierenden Synagogenbau begründete er auf dem AIT-ArchitekturSalon im Mai 2021 folgendermaßen: »Wir leben jetzt in einer Zeit, in der Juden wirklich Bedenken haben, sich öffentlich auf der Straße zu zeigen. Öffentliche Verkehrsmittel, ein Fußweg von nach kann problematisch sein und in dieser Zeit sehnt man sich ein bisschen nach einem Gebäude, das nicht nur ausdrückt: Wir sind da und ihr müsst es akzeptieren. Sondern: Wir sind auf eine ganz imposante Art und Weise da und wir sind hier nicht irgendwer und wir sind hier nicht gerade erst mit dem Ufo gelandet«.
Integration durch Homogenisierung?
Ob ein originalgetreuer Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge diesen Effekt für alle jüdischen Konfessionsgruppen in Hamburg haben kann, zweifelt Miriam Rürup allerdings an. Was in der Debatte fehle, ist ihr zufolge die Anerkennung eines heterogenen Judentums und seiner kulturellen Erzeugnisse in Hamburg. Sie kritisierte Anfang des Jahres, dass durch die gedachte Trennung zwischen »Hamburger Stadtgesellschaft« und »jüdischer Einheitsgemeinde« das Jüdischsein an die Gemeindemitgliedschaft gekoppelt wird. Diese Aufteilung werde weder den Positionen in der Debatte, noch dem jüdischen Kulturerbe in Hamburg gerecht.
Dass jüdische Gebets- und Kulturstätten erst nach einem Terroranschlag politische Unterstützung erhalten und dass diese Unterstützung zu Streit zwischen heterogenen jüdischen Traditionen um Teilhabe am Stadtbild führt, zeigt: Den jüdischen Gemeinden wird heute die Rolle zugewiesen, sich in eine als nicht-jüdisch verstandene Stadtgesellschaft zu integrieren. Das ist schon für sich genommen problematisch. Dazu kommt, dass viele nicht-jüdische Hamburger:innen sowie Mitglieder der Bürgerschaft nur die jüdische Einheitsgemeinde kennen. Dabei ist Hamburg international auch als die Wiege des liberalen Judentums bekannt.
In dieser Situation lässt sich die Kritik am Fokus auf den Wiederaufbau einer imposanten Synagoge, die für ein orthodoxes Judentum stand4Vgl. Ina Lorenz/Jörg Berkemann, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39. Band 1 – Monografie, Göttingen 2016, S. 136. Online unter: http://www.igdj-hh.de/files/IGDJ/pdf/hamburger-beitraege/lorenz-berkemann_hamburger-juden-im-ns-staat‑1.pdf, auch als die Sorge verstehen, dass Hamburg sich zum Zweck der Integration eine homogene jüdische Lokalgeschichte und ‑kultur imaginiert. Während die gewonnene politische Unterstützung zu begrüßen ist, darf sie die Vernachlässigung jüdischen Kulturerbes in Hamburg nicht vergessen machen. Die Befürchtung, dass eine zu heterogen auftretende jüdische Interessensvertretung dem gemeinsamen Wunsch nach urbaner Teilhabe schaden könnte, zeugt von einem besorgniserregenden deutschen Selbstverständnis.
Abkehr von der Idee eines originalgetreuen Wiederaufbaus
Spätestens 2021 änderte sich der Ton, als unter anderem Daniel Sheffer, Initiator der Kampagne »Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge«, die Idee eines originalgetreuen Wiederaufbaus relativierte. Mittlerweile bestreitet er gar, dass es sie in der Form jemals gab. Für Philipp Stricharz bleibt nichtsdestoweniger die Frage offen, weshalb eine Vollrekonstruktion nur im Falle eines Synagogenwiederaufbaus von vornherein ausgeschlossen sein soll. Er zieht eine historische Linie von der Shoa bis dahin, dass jüdische Bauten von der Tendenz, urbane Architektur originalgetreu zu rekonstruieren, bislang ausgeschlossen wurden. In Hamburg erhielten der Michel oder auch das Haus der Patriotischen Gesellschaft in den 1950er Jahren städtische Unterstützung für ihren Wiederaufbau. Für die Bornplatzsynagoge hingegen gab es, wie oben beschrieben, lediglich ein Pauschalabkommen ohne Einbeziehung der Hamburger Gemeinde.
Für Stricharz perpetuiert sich darin das Unrecht der Nazis: »Hätte man sich damals den Juden gegenüber genauso verhalten wie man sich der sonstigen Gesellschaft gegenüber verhalten hat, hätte man die Synagoge [bereits in den 50er Jahren] wieder aufgebaut«, sagte er im Rahmen des AIT-ArchitekturSalons. Es sei verkürzt, sich jüdische Rekonstruktion als eine schlichte Kopie vorzustellen oder sie gar mit Disneyland zu assoziieren: »Meine Meinung ist, dass ein nicht-historisierender Aufbau undenkbar ist.« Ein gelungener Entwurf für die Synagoge müsse dem Anspruch der jüdischen Gemeinde Rechnung tragen, zu »zeigen, wo man herkommt«. Und er müsse sich auf die Sicht der jüdischen Gemeinde als jenen, »die außen vor gelassen wurden bei diesem Wiederaufbau«, einlassen. Stricharz betonte aber auch: Eine einfache Replikation sei aufgrund praktischer Sicherheitsanforderungen gar nicht möglich. Außerdem würde die alte Raumaufteilung im Inneren der Synagoge den gegenwärtigen Bedürfnissen der »jüdischen Gemeinden Hamburgs« nicht mehr entsprechen. Der von Stricharz hier verwendete Plural deutet darauf hin, dass die jüdischen Gemeinden den Neubau nun als Möglichkeit sehen, sich urbanen Raum gemeinsam neu anzueignen.
Zeichen der Annäherung
Sheffer bezeichnete es Anfang des Jahres entsprechend als kleinsten gemeinsamen Nenner, »einen Ort lebendigen jüdischen Lebens zu schaffen, der Raum gibt für dessen Vielfalt, also Gebetsräume für das liberale und orthodoxe Judentum gleichberechtigter Weise«. Dieser Vision konnte Rürup sich anschließen, forderte allerdings eine Reflexion über die Schwerpunktsetzung innerhalb dieser Vielfalt: Welches jüdische Erbe würde der Neubau aktualisieren, welche Identifikationsmöglichkeiten würde er ausklammern?
Neben dem Bodenmosaik und der Tempelruine in der Poolstraße nennt Rürup den Tempelbau in der Oberstraße, der von den Nazis enteignet wurde und bis heute ein NDR-Studio beherbergt: »Wenn wir nun den Joseph-Carlebach-Platz zum zentralen Ort für jüdisches Leben auswählen, müssen wir anerkennen, was es bereits gibt und auch direkt an dem Ort existiert«. Bliebe dies aus, ließen sich die vernachlässigten architektonischen Zeugnisse jüdischer Vergangenheit nicht mit dem hegemonialen Judentum der Gegenwart in Verbindung bringen. Sie als Jüdin fühle sich dann durch die gewonnene Repräsentanz nicht adressiert. Ein starkes Signal für das Judentum müsse dessen Vielfalt berücksichtigen.
Ein weiteres Anzeichen der Annäherung der unterschiedlichen Positionen ist die Tatsache, dass die JGHH das Architekturbüro Wandel Lorch Götze Wach mit der Erstellung der Machbarkeitsstudie beauftragt hat. Das spricht gegen eine ungebrochene Rekonstruktion, denn das Büro hat sowohl Erfahrungen mit modernem Synagogenbau (Neue Synagoge Dresden, Jüdisches Zentrum München) als auch mit Restaurationsprojekten (Bayreuther Synagoge), die eine Symbiose historisierender Bauart und zukunftsgewandter Gestaltung versuchen. Mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie ist Mitte des Jahres zu rechnen.
Von den Täter:innen keine Rede: Der am Hochbunker angebrachten Gedenktafel zufolge wurde die Synagoge nicht von Hamburger Nazis, sondern »durch einen Willkürakt« zerstört, Foto: privat.
Erinnerungskultur im Wandel
Die Debatte der letzten drei Jahre zeugt somit von weitreichenden Aushandlungen: In den Bezügen auf das Synagogenmonument wird nicht nur die genaue Form des Wiederaufbaus verhandelt, sondern auch die Frage, an wen sich die deutsche Erinnerungskultur eigentlich richtet und wer an die Shoa erinnern soll bzw. muss. Ebenso stehen ihre Strategien der Erinnerung auf dem Prüfstand. Damit sind sogenannte authentische Orte des Grauens, wie KZ-Gedenkstätten, aber eben auch Orte der zerstörten Repräsentationen gemeint.
Die Debatte um den Bau einer Synagoge am Joseph-Carlebach-Platz stellt in dieser Hinsicht und durch seine Reichweite ein Novum dar: Wie geht eine Stadtgesellschaft damit um, wenn sich die Strategien der Erinnerung mit den Wünschen jüdischer Repräsentanz um ein- und denselben Platz streiten? Für Philipp Stricharz kann das Synagogenmonument, wenn die deutsche Erinnerungskultur die Verdrängung jüdischer Repräsentanz nicht perpetuieren wolle, nur als Platzhalter verstanden werden. Denn sonst blockiere das Bedürfnis der Hamburger Stadtgesellschaft, sich noch einmal zur deutschen Schuld zu bekennen, den einmal antisemitisch enteigneten Ort ein weiteres Mal – wenn auch mit guten Absichten: »Das ist dann sozusagen mein innerer Impuls: Ja dann macht das doch, aber doch nicht auf unserem Grund und Boden. Und das ist glaube ich auch eine Erklärung für diese Aufgebrachtheit die vielleicht in der Diskussion ein Stück weit vorhanden war. Von allen Seiten wollte man sozusagen das Richtige, aber es fühlt sich halt wirklich anders an«.
Die gesellschaftliche Debatte führte neben solchen Erkenntnissen auch zu Blüten, die noch eine ganz andere Art des historischen Revisionismus fürchten lassen. So präsentierten Architekturabsolvent:innen der BTU Cottbus-Senftenberg im Juni 2021 Entwürfe für mögliche Synagogenbauten am Joseph-Carlebach-Platz. Darunter fand sich auch der Vorschlag, die Synagoge auf den Hochbunker zu platzieren, um die bisherige Entwicklung des Areals in den Neubau zu integrieren. Der Entwurf imaginiert den Hochbunker, gebaut zum Schutz »arischer« Bürger:innen, versöhnlich als Fundament aktueller jüdischer Repräsentanz. Stattdessen sollte die Reflexion historischer Bezüge auf lokale Täterbauten erweitert werden. Darin treffen sich die sonst widerstreitenden Positionen innerhalb der Debatte: Würde der Bunker weichen, wäre mehr Platz. Den bislang wenig beachteten, denkmalgeschützten Hochbunker in Frage zu stellen, könnte die Debatte zwischen Erinnern und neuer jüdischer Repräsentanz um eine wesentliche Perspektive erweitern. Ein Abriss des Bunkers würde den Handlungsspielraum vergrößern und einen neuen Fokus darauf schaffen, woran erinnert und angeknüpft werden soll.
Grace Vierling, März 2022
Die Autorin verfolgt die Debatte beruflich und aus politischem Interesse. Dabei gilt ihre Aufmerksamkeit vor allem den deutschen Zuständen und denen, die unter ihnen zu leiden haben.
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Die Rechteinhaber:innen konnten trotz intensiver Nachforschung nicht ermittelt werden. Diese haben die Möglichkeit, sich an uns zu wenden.
Vgl. Ina Lorenz/Jörg Berkemann, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39. Band 1 – Monografie, Göttingen 2016, S. 136. Online unter: http://www.igdj-hh.de/files/IGDJ/pdf/hamburger-beitraege/lorenz-berkemann_hamburger-juden-im-ns-staat‑1.pdf
Vor gut zwei Wochen begann die Invasion der russischen Armee in die Ukraine. Die Sach- und Informationslage ist unübersichtlich und verändert sich ständig, doch jeder Tag bringt neue Schreckensmeldungen. Millionen Menschen fliehen nach Westen. Wie reagiert Hamburgs Linke?
Die aktuelle konkret, erschienen am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, Screenshot: www.konkret-magazin.de
»Go East!«, prangt groß auf dem Titel der Märzausgabe von konkret, darunter: »Die Nato-Aggression gegen Russland«. Ausgeliefert wurde das Heft am selben Tag, an dem Russland seinen Einmarsch in die Ukraine begann. Auf Facebook und der konkret-Website veröffentlichte die Redaktion sogleich eine kurze Stellungnahme, die den Eiertanz zu vollführen versucht, zähneknirschend die Unangemessenheit dieses Titels einzugestehen und sich trotzdem nicht vom Inhalt zu distanzieren. »So war das mit dem Kreml nicht abgesprochen« gewesen, verlautbart man beschämt-ironisch, um dann die eigene Fehlanalyse – denn wie sicher musste man sich sein, dass Putin keinen Krieg beginnt, um so einen Titel zu veröffentlichen?! – als kritische Äquidistanz darzustellen: konkret hege weder Verständnis für den Angriffskrieg und »Moskaus machtpolitische Ambitionen« noch sei man bereit, ein »Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Weltordnung des Westens« abzulegen. Am 7. März veröffentlichte konkret dann noch eine Podcastfolge, die wegen des Kriegs, mit dem man nicht gerechnet hatte, neu aufgenommen wurde (»um uns nicht komplett zu blamieren«). Darin versuchen die Herausgeberin Friederike Gremliza und der auf die strategisch-geopolitische Vogelperspektive spezialisierte Autor Jörg Kronauer, der in konkret lange das »Erfolgsmodell Putin« pries, zu erläutern, warum sie nun derart falsch lagen. Kronauers kleinlaut-uneinsichtige Erklärung: Der Überfall auf die Ukraine sei ein ihm noch unerklärlicher vollständiger Bruch mit der zuvor »völlig rational kalkulierten« und im Vergleich zur westlichen Politik »viel enger am Völkerrecht« orientierten russischen Außenpolitik. Keine Rede davon, dass sich spätestens im Lichte des jetzigen Kriegs auch derlei apologetische Haltungen gegenüber der putinistischen Außenpolitik der letzten Jahre blamieren.
Die alte Friedensbewegung in der Krise
Das Hamburger Magazin befindet sich mit dieser Einschätzung in fragwürdiger Gesellschaft. Die Nachricht von der russischen Invasion fuhr insbesondere der traditionell antiimperialistischen und oftmals antiamerikanischen Friedensbewegung massiv in die Parade. Die Hamburger DKP etwa hatte einen Krieg im Gegensatz zu konkret zwar offenbar für realistisch gehalten, dabei aber in völliger Verkennung der Fakten die russische Kriegspropaganda reproduziert. In der Mitte Februar erschienenen Ausgabe 1/2022 der Zeitung des Landesverbands, Hamburger Utsichten, verkündet der Landesvorsitzende Michael Götze: »Es ist unglaublich, wie ein Krieg um die Ukraine geradezu herbeigeredet und ‑geschrieben wird. Tausende ukrainische Soldaten marschierten zuerst an die in Minsk vereinbarte Grenze zu den Provinzen Donezk und Lugansk. Die Ukraine wird von den Nato-Staaten mit Waffen vollgepumpt. Aber der Russe ist schuld. Man wartet geradezu auf die Meldung; ›Seit 5 Uhr früh wird zurückgeschossen.‹ « Vom unsäglichen NS-Vergleich ganz abgesehen: Ein Eingeständnis, dass man mit dieser Warnung vor einer Nato-Invasion in Russland völlig falsch lag, sucht man auf der Hamburger DKP-Seite vergeblich. Stattdessen findet sich dort eine Erklärung des Parteivorstands, die den von Russland seit 2014 unterstützten Bürgerkrieg in der Ostukraine als einen vom »nationalistische[n] Regime der Ukraine« geführten »achtjährige[n] Krieg gegen den Donbass« bezeichnet.
Noch eklatanter war die Fehleinschätzung der Volksinitiative gegen Rüstungsexporte. Am 21. Februar, drei Tage vor der russischen Invasion, veröffentlichte sie einen Aufruf zu einer »Friedenskundgebung« am 26. Februar mit dem Motto »Keine Waffenexporte in die Ukraine«. In dem Aufruf heißt es: »Das Säbelrasseln, die Feindbildpropaganda und Panikmache um einen vermeintlichen Einmarsch Russlands in die Ukraine müssen aufhören. Jetzt müssen Dialog und die ernsthafte Diskussion über Sicherheitsgarantien für alle Seiten auf der Tagesordnung stehen. Mit dem Abzug der Manövertruppen aus der Grenznähe zur Ukraine hat die russische Regierung erneut die Hand dazu ausgestreckt.« Geteilt wurde dieser Aufruf unter anderem vom Hamburger Forum und vom frisch aus der Linken ausgetretenen Bürgerschaftsabgeordneten und Querfrontler Mehmet Yildiz. Die Kundgebung fand, unter völlig neuen Bedingungen, am 26. Februar statt – doch von Einsicht oder gar einem Eingeständnis der eklatanten Fehleinschätzung über Russlands zur Versöhnung ›ausgestreckte Hand‹ war den Redner:innen (unter ihnen Yildiz und der notorische Norman Paech) nichts anzumerken.
Unstimmigkeiten in der Linkspartei
Ähnlich wie konkret und DKP kompromittierte sich die Bundestagsabgeordnete und Landessprecherin der Hamburger Linken Żaklin Nastić mit einseitigen Schuldzuweisungen an den Westen kurz vor Kriegsbeginn. In einer Pressemitteilung vom 20. Februar zur Münchner Sicherheitskonferenz beklagte sie, dass »der Westen« nicht »auf russische Forderungen nach Sicherheitsgarantien« eingegangen sei und dass »Russland […] als Aggressor und die Ukraine als Opfer dargestellt« worden seien. Nachdem sich das vermeintliche Zerrbild Russlands als Aggressor in bittere Realität verwandelt hatte, verschob sich Nastićs Argumentation in Richtung ›it takes two to tango‹: Zusammen mit Sahra Wagenknecht und einigen anderen Abgeordneten der Partei Die Linke verfasste sie eine Erklärung zum Angriff Russlands auf die Ukraine, in welcher der »von den USA in den letzten Jahren betriebenen Politik« eine »maßgebliche Mitverantwortung« für den jetzigen Krieg zugeschrieben wird.
Der Landesverband und die Bürgerschaftsfraktion der Linken hingegen haben deutlich gemacht, dass sie einem solchen äquidistanten Antiimperialismus äußerst kritisch gegenüberstehen. Die Partei rief zur Teilnahme an der von Fridays for Future initiierten Friedensdemonstration in der Hamburger Innenstadt am 3. März auf und mobilisierte selbst zu einer anschließenden Kundgebung vor dem russischen Konsulat – unter anderem mit dem unmissverständlichen Hashtag #fckptn. Mediale Aufmerksamkeit erlangte die Partei vor allem mit ihrer Forderung, die in Hamburger Werften liegenden Luxusjachten russischer Oligarchen festzusetzen: Man müsse den »Oligarchen in die Suppe spucken, damit sie sich gegen Putin wenden«, zitiert die Mopo den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Linken Fabio de Masi. Gleichzeitig wendete sich Die Linke Hamburg aber auch gegen den geplanten 100-Milliarden-Euro-Sonderetat für die Bundeswehr und forderte, Maßnahmen zur Kompensation der massiven Preissteigerungen bei Gas, Strom und Kraftstoffen zu ergreifen, von denen vor allem die Armen betroffen seien.
Die radikale Linke zwischen Solidarität und Kritik
Der linksradikale antimilitaristische Block ging am 5. März im blau-gelben Fahnenmeer unter, Foto: privat
Auch große Teile der postautonomen und Bewegungslinken in Hamburg ergreifen Partei gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Interventionistische Linke war mit einem Redebeitrag auf der Kundgebung der Linkspartei vor dem russischen Konsulat vertreten. Die Gruppe Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) verfasste einen Aufruf zu einem antimilitaristischen Block auf der Demo am Samstag – gegen den Krieg und gegen die deutschen Aufrüstungsabsichten –, dem sich mehrere Gruppen anschlossen. Die auf den Transpis sichtbaren Forderungen aus dem Reservoir der linken Antikriegsbewegung (von »Wir wollen eure Kriege nicht« bis »Der Hauptfeind steht im eigenen Land«) wirkten eher hilflos und der konkreten Situation nicht wirklich angemessen. Doch immerhin artikulierte dieser Block den aktuell dringend notwendigen Einspruch gegen Aufrüstung und Nationalismus. Im blau-gelben Fahnenmeer ging der ziemlich in der Mitte der Demo gelegene Block allerdings weitgehend unter. Ein symptomatisches Bild für die aktuelle Situation der Linken: Jedweder Versuch der Differenzierung wird laut übertönt. Das gilt nicht nur für die Kritik an der deutschen Aufrüstung und am aggressiven ukrainischen Nationalismus, sondern auch für die Warnung vor dem Einfluss rechtsextremer Gruppierungen in der ukrainischen Armee und Gesellschaft (der sich nicht zuletzt in der staatlichen Ehrung des Faschistenführers Stepan Bandera ausdrückt), für die Anprangerung der rassistischen und antiziganistischen Doppelmoral, die sich in der aktuellen Flüchtlingspolitik zeigt, und für Kritik an der deutschen Öffentlichkeit, die von all dem nichts wissen will und der deutschen Militarisierung sekundiert.1 Etwa wenn in einem MDR-Beitrag vom 6. März die Entscheidung zum Dienst in der Bundeswehr als patriotischer Akt bejubelt wird.
Die Freiheit, die sie meinen: FDP-Block »für eine freie Ukraine« am 5. März, Foto: privat
In dieser schwierigen Lage bieten die 14 Punkte, mit denen der Twitter-Account Antifa Info Hamburg am 2. März eine mögliche antifaschistische Antwort auf die aktuelle Situation skizzierte, eine gute erste Orientierung. Einer der Punkte lautet: »Widersprüche aushalten«. Denn durch die blau-gelbe Brille, die nahezu alle (vermeintlichen) Friedensfreund:innen gerade aufhaben, sind Nuancen kaum zu erkennen – im Gegenteil, taucht sie doch auch so manchen braunen Gegenstand in leuchtende Farben. Zu den Widersprüchen, auf die eine radikale Linke in dieser Situation aufmerksam machen muss, gehört auch, dass sich unter den Parteigängern beider Konfliktseiten Rechtsextreme und Nazis befinden: Das Hamburger Bündnis gegen Rechts macht vor allem auf den Putinismus der Hamburger AfD aufmerksam – die Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen etwa war im September 2021 als »Wahlbeobachterin« in Russland, wo sie die »Transparenz« der Duma-Wahl lobte. Antifa Info Hamburg wiederum weist auf die Symboliken hin, an denen man die auch in der hiesigen Ukraine-Solidarität mitmischenden rechtsextremen Kräfte wie den Rechten Sektor und Asow erkennt. Darauf, dass sich in der Ukraine aber auch sich als links verstehende Gruppen für einen bewaffneten Kampf gegen die russische Armee entscheiden, verweist der Account @anarchyinHH. Andere autonome Gruppen wie die Antifa Norderelbe teilen Aufrufe, die anarchistische Initiative Operation Solidarity zu unterstützen, die »networks of mutual aid within Ukraine« aufbauen möchte.
Praktische Solidarität
Derlei Netzwerke praktischer Hilfe haben sich derweil auch schon in Hamburg gegründet. Aus der Black Community Hamburgs – maßgeblich waren hier die Aktivistin Asmara und die SPD-Bezirksabgeordnete Irene Appiah – wurden Busse organisiert, mit denen an der ukrainisch-polnischen Grenze rassistisch diskriminierte Schwarze Flüchtende nach Hamburg gebracht wurden.2Auch über den Hauptbahnhof kamen Afrorukrainer:innen nach Hamburg. Ein auf Facebook zu sehendes (leider akustisch sehr schlecht zu verstehendes) Video von Twi Radio Germany vom 7. März etwa zeigt ein Interview mit einem siebzehnjährigen Schüler und Nachwuchsfußballer aus Nigeria, der aus Kiew geflohen ist und von rassistischer Diskriminierung während der Flucht berichtet. Es zirkulierten Aufrufe zu Geld- und Sachspenden (Powerbanks, Benzinkanister, Taschenwärmer) für den Einsatz an der ukrainischen Grenze und natürlich Aufrufe, Flüchtende vor Ort mit Sachspenden und Unterbringung zu unterstützen. Der Berliner Verein quarteera e.V., in dem sich russischsprachige LGBT* in Deutschland organisieren, ruft zur Unterstützung queerer Geflüchteter auf und vermittelt Unterkünfte – auch in Hamburg. Über Telegramgruppen, etwa die »autonom unter antinationalem Kontext gegründet[e]« Gruppe Ukraine Support Hamburg und Umgebung werden Informationen weitergegeben und wird effizient und solidarisch Hilfe organisiert. Ähnliche Messengergruppen für einzelne Viertel bilden sich gerade nahezu täglich. Die Hilfe, die hier organisiert wird, ist wie schon 2015 angesichts der katastrophal schlecht vorbereiteten öffentlichen Anlaufstellen dringend nötig.
Vor allem über russischsprachige Telegram-Gruppen hat sich schon länger ein ehrenamtliches Unterstützungsnetzwerk am Hauptbahnhof gebildet. Seit Anfang März werden dort ankommende Flüchtende in Empfang genommen und bei ihrer Ankunft unterstützt. Da sie seit dem 6. März auch durch den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) unterstützt werden, gibt es am Hauptbahnhof gerade häufig mehr freiwillige Helfer:innen als nötig. Ob das aber weiterhin so bleibt, ist fraglich – die Erfahrungen von 2015 haben gezeigt, dass derlei Ausbrüche von Hilfsbereitschaft in Hamburg meist nur von kurzer Dauer sind.
Redaktion Untiefen, März 2022
Die Mitglieder der Redaktion hoffen, dass ihnen der Spagat zwischen Vaterlandsverrat und praktischer Solidarität gelingt, ohne dass sie sich schwere Zerrungen zuziehen.
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Etwa wenn in einem MDR-Beitrag vom 6. März die Entscheidung zum Dienst in der Bundeswehr als patriotischer Akt bejubelt wird.
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Auch über den Hauptbahnhof kamen Afrorukrainer:innen nach Hamburg. Ein auf Facebook zu sehendes (leider akustisch sehr schlecht zu verstehendes) Video von Twi Radio Germany vom 7. März etwa zeigt ein Interview mit einem siebzehnjährigen Schüler und Nachwuchsfußballer aus Nigeria, der aus Kiew geflohen ist und von rassistischer Diskriminierung während der Flucht berichtet.
Erst im Januar 2022 kam Corona so richtig in den Hamburger Knästen an. Die Pandemiemaßnahmen der Justiz verschlechtern die Haftbedingungen noch, die seit der Ära Schillohnehin auf einem niedrigen Niveau sind. Die Pandemie brachte aber auch überraschende Verbesserungen mit sich – die indes wohl nur vorübergehend waren.
Es ist schon erstaunlich, dass es so lange gedauert hat: Erst mit der Omikron-Welle Anfang dieses Jahres infizierten sich zahlreiche Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel. Zuvor hatte es seit Beginn der Covid-19-Pandemie nur wenige einzelne Infektionen in den Hamburger Knästen gegeben, die meisten davon im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Als sogenannte Gemeinschaftseinrichtungen sind Knäste anfällig für die schnelle Verbreitung von Infektionen und ihre Insass:innen gelten als besonders vulnerable Gruppe. Dennoch ist fraglich, welche Maßnahmen zum Schutz der Inhaftierten notwendig sind und bei welchen es sich die Justiz zu einfach macht.
Gleich zu Beginn der Pandemie bildete die Justiz eine teilweise mehrmals wöchentlich tagende Pandemiekommission, um einer schnellen Durchseuchung der Knäste entgegenzuwirken. Für Außenstehende war dennoch während der vergangenen zwei Jahre kaum ersichtlich, welche Regeln in welcher JVA genau galten. Für die etwa 1.800 Inhaftiertenin Hamburgs sieben Justizvollzugsanstalten bedeuteten die Coronamaßnahmen eine erhebliche Einschränkung. Betroffen sind weiterhin vor allem jene Angebote, die der Resozialisierung dienen sollen.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 schränkte die Justiz fast alles ein. Besuche von Angehörigen wurden untersagt, externe Sozialarbeiter:innen, etwa von Suchtberatungen, erhielten nur noch in Ausnahmefällen Zutritt und selbst bei diesen Ausnahmen blieb zwischen ihnen und den Inhaftierten eine Trennscheibe. Die Pandemie verschlechterte im Knast noch einmal die Lebensumstände. Doch es gab auch einige wenige kurzfristige Verbesserungen. Überraschend erlaubte die Hamburger Justiz einigen Inhaftierten Handys, um einen Ausgleich zu schaffen. Dies wurde von der Straffälligenhilfe schon seit Jahren gefordert, doch vor der Covid-19-Pandemie war eine Realisierung undenkbar.
Positive Pandemieeffekte?
470 Inhaftierte erhielten nicht-internetfähige Prepaidhandys, mit denen sie zuvor freigeschaltete Nummern anwählen konnten, beispielsweise die ihrer Partner:innen und Familie oder auch die der Drogenhilfe. Gegen die Aufforderung, die Handys Ende September 2020 wieder abzugeben, als die Justiz das strikte Besuchsverbot aufgehoben hatte, legten fast alle Betroffenen Widerspruch ein. Letztlich jedoch ohne Erfolg: Die Justizbehörde beklagte einen angeblich erheblichen Missbrauch. In 180 Fällen habe es eine Ermahnung gegeben oder das Handy sei eingezogen worden – allerdings seien nur in zwei Fällen strafrechtliche Konsequenzen gezogen worden. So schlimm kann der Missbrauch also kaum gewesen sein.
Nicht nur die Inhaftierten selbst, auch das externe Helfersystem bemerkte, dass die Handys den Gefangenen ermöglichten, sich proaktiver um ihre Entlassung zu kümmern. Teilweise stieg die Häufigkeit an Kontakten zu einigen Inhaftierten sogar trotz der isolierenden Umstände an. Die Passivität und Unselbständigkeit, die der Vollzug lehrt, sind für das Leben draußen ungeeignet. Die Möglichkeit, selbstständig freigegebene Nummern anzurufen, setzte dieser erzwungenen Untätigkeit etwas entgegen.
JVA Fuhlsbüttel, Foto: privat
Auch im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen, die dann zum Tragen kommen, wenn jemand eine Geldstrafe nicht bezahlt, machte Corona möglich, was progressive Strafrechtler:innen seit Jahren fordern. Diese Art der Strafe ist die reinste Ausprägung von Klassenjustiz. Sie wurde zwar nicht abgeschafft. Jedoch wurde sie in diesem und dem vorigen Winter ausgesetzt, um den Durchlauf in den Anstalten zu verringern. 70 Inhaftierte kamen Ende Dezember 2021 frei, ab April sollen sie sich dann zurückmelden. Wie bereits im vergangenen Winter dürfte dadurch die Kriminalitätsrate in Hamburg kaum steigen. Möglicherweise wird der eine oder die andere ihre Strafe doch noch abbezahlen oder abarbeiten.
Ab Sommer 2021 konnten Besucher:innen die Haftanstalten erneut wieder betreten. In den meisten Fällen blieb es jedoch bei der Trennscheibe zwischen ihnen und den Inhaftierten. Das schränkt die Akustik erheblich ein. Viele Gefangene wollten ihren Familien und vor allem kleinen Kindern diese Situation nicht zumuten und verzichteten auf Besuche. Dazu fiel ein Großteil der Maßnahmen aus, zu denen der Vollzug aufgrund seines Resozialisierungsauftrags verpflichtet ist. Aus- und Fortbildungen fanden häufig nicht statt. Die meisten Lockerungen wie Ausführungen zur Wohnungssuche oder andere begleitete oder unbegleitete Ausgänge fielen aus. Freizeitangebote durch Ehrenamtliche entfielen gänzlich. Viele Gefangene verstanden aufgrund von Sprachbarrieren kaum, was draußen los war, die Gebote des Maskentragens setzte der Allgemeine Vollzugsdienst (AVD) gegenüber den Inhaftierten deutlich konsequenter um als im Kolleg:innenkreis.
Endlich Impfen
In der Impfpriorisierung standen Inhaftierte und Angestellte der Justizvollzugsanstalten ziemlich weit oben, zum anfänglichen Unmut der Polizei, die sich umgehend eine Hochstufung erquengelte. Im Mai 2021 ging es dann endlich los. Im Spätsommer waren etwas über 700 der 1.800 Inhaftierten geimpft. Vom AVD sollen bis heute fast neunzig Prozent geimpft sein, behauptet die Justizsenatorin Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen). Während Angehörige und externe Besucher:innen bis heute als Gefahr gelten, fällt der AVD nicht unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter im Justizvollzug kennt ihre Pappenheimer:innen und fordert die Ausweitung auf die Strafvollzugseinrichtungen.
Die Knastbevölkerung ist viel kränker und damit vulnerabler als die Allgemeinbevölkerung. Neben Sucht, Hepatitis C und schlechter Allgemeinverfassung rauchen fast alle Inhaftierten. Viele haben COPD – für sie kann Corona ein Todesurteil sein. Außerdem ist der Bildungsstand gering, das Verständnis für Krankheiten ebenfalls. Ebenso gering ist die Bereitschaft, den Vorgaben des Vollzugs zu folgen – selbst bei objektiv vernünftigen Regeln. Dazu kommt nun, dass alle Inhaftierten bei Haftantritt seit Pandemiebeginn zunächst im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis quarantänisiert werden. Quarantäne im Knast bedeutet völlige Isolation, nur minimale Rechte wie ein täglicher Hofgang werden gewährleistet. Die Justiz stellt »zum Ausgleich« kostenlos Fernseher und Radio – sonst müssen Gefangene Miete für derlei Geräte entrichten.
Dennoch brachten sich in den Jahren 2020/2021 insgesamt sechs Menschen in der Untersuchungshaftanstalt um, 13 weitere versuchten es. 2019 töteten sich zum Vergleich zwei, 2018 drei Menschen in Haft (2017 waren es jedoch acht). Diese Zahlen veröffentlicht die Justiz nicht mehr auf ihrer Website wie noch vor einigen Jahren, sondern nur noch auf Nachfrage. Das habe den Zweck, einen Werther-Effekt, also Nachahmung in einem weiteren Sinne, zu vermeiden. Wer sich auskennt, weiß, dass es dabei nicht um die allgemeine Veröffentlichung von Suizidzahlen geht.
Diese Zahlen sind kein Wunder angesichts enorm hoher Raten psychischer Erkrankung. 44 Prozent der Inhaftierten weisen einen problematischen Drogenkonsum auf, 40 bis 70 Prozent andere psychische Störungen. Dafür gibt es nur wenige Psycholog:innenstellen. In der JVA Billwerder betreut ein:e Psycholog:in 172 Inhaftierte. Wie die Justiz den im Strafvollzugsgesetz festgehaltenen Auftrag, »die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen«, erfüllen soll, bleibt ihr Geheimnis. Denn viele Gefangene werden aufgrund ihrer psychischen Störungen und Sucht straffällig. Infizierte Gefangene, die nicht arbeiten können, haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung für den Verdienstausfall. Der ist auch nicht besonders hoch. Inhaftierte verdienen etwa 1,50 bis 2,80 Euro pro Stunde, bei einer 34-Stunden-Woche.
Grüne Justizpolitik
Trotz einiger überraschender Maßnahmen wie der kurzzeitigen Handyeinführung und der Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafen ist die Justizpolitik in Hamburg wenig progressiv. Die Umstrukturierung Anfang der Nullerjahre durch den damaligen Justizsenator Roger Kusch (damals CDU) und den damaligen Innensenator Ronald Schill ging weg von kleinen spezialisierten und auf die Freiheit ausgerichteten Haftanstalten hin zu riesigen geschlossenen Großanstalten. Die JVA Billwerder-Moorfleet war als Ersatz für die recht offenen Anstalten auf dem ehemaligen KZ-Gelände Neuengamme geplant, die 2006 nach jahrelangem Protest endlich geschlossen wurden. Es sollte eine offene JVA werden, doch Schill änderte das Konzept und fügte eine hohe Mauer, einen Zaun und einen Graben hinzu. Heute erhalten Insass:innen nur ausnahmsweise Lockerungsausgänge. Der Frauenvollzug auf der Elbinsel Hahnöfersand wechselte ebenfalls nach Billwerder und ist baulich kaum von den Männern abgetrennt. 2025 kommt noch der Jugendvollzug hinzu, der derzeit ebenfalls auf Hahnöfersand ist.
Falls Corona dann doch endlich bald vorbei sein sollte, kehrt die Gesellschaft erleichtert zurück zur schlechten Normalität und mit ihr der Justizvollzug. Trotz der vielgelobten aber zeitlich befristeten Experimente mit der Aussetzung von Ersatzfreiheitsstrafen oder der Einführung von Mobiltelefonen wird der Hamburger Vollzug sich erleichtert zurücklehnen und nichts daraus lernen wollen. Mit der Erinnerung an die Lockdowns wird das kurzfristig gestiegene öffentliche Interesse an den tatsächlich Eingesperrten versanden, denen man sich plötzlich so nahe fühlte durch die Restriktion auf die eigenen 90 Quadratmeter. Wer in dieser Zeit im Knast war, wird noch weiter weg von der gemeinschaftlichen Erinnerung an leere Straßen und selbstgenähte Masken sein.
Wie es den Inhaftierten so genau geht, weiß niemand – erhoben oder erfragt wird das nicht. Hamburg präsentiert nicht einmal Rückfallzahlen. Die gibt es zwar für alle Bundesländer, sie werden aber in vielen Fällen, so auch Hamburg, nicht veröffentlicht. Auch sonst weiß man wenig über die da drinnen. Abgesehen von Alter, Geschlecht und Nationalität erhebt die Justiz nicht einmal, wie viele Menschen beispielsweise jährlich eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Genauere Daten könnten ja zeigen, dass da überwiegend die ungebildete, arme und kranke Unterschicht im Knast sitzt und kaum besser raus- als reinkommt. Diese Probleme sind nicht nur einzelnen verbohrten Knastleitern oder ahnungslosen Justizsenatorinnen anzulasten, sondern einer Gesellschaft, die für Kriminelle kein Geld ausgeben will. Bessere Gesundheitsversorgung oder Bildungsmaßnahmen für Knackis? Wer sitzt, sei selbst schuld.
Das scheint auch für Linke zu gelten, die sich nur dann für diese geschlossene Institution interessieren, wenn ihre eigenen Leute hineingeraten (RAF/G 20) oder wenn es um Transgendermenschen hinter Gittern geht. Mit den gewöhnlichen inhaftierten Männern und Frauen, die mit Gendersternchen und Ähnlichem nichts anfangen können, wollen Linke nichts zu tun haben. Denn diese Ausgeschlossenen sind ganz überwiegend weder achtsam noch linksprogressiv, zwar mit Migrationshintergrund, aber rassistisch, nehmen zwar auch Drogen, aber aus Verzweiflung und nicht aus Hedonismus, sind gewalttätig, weil selbst von Gewalt betroffen. Und wer überall mehr Regeln fordert, wird auch keinen Begriff dafür haben, wie Gesellschaft, Recht, Gesetz und Freiheitsstrafen zusammenhängen und sich dafür auch nicht interessieren.
Hannah Hennings, Februar 2022
Die Autorin hadert mit ihrem Job als Sozialarbeiterin genauso wie mit ihrem Wohnort Hamburg.
Paulihaus, Schilleroper und Sternbrücke sind Hamburgs umstrittenste Abriss- und Bauvorhaben. In der Tat sind sie nicht zu befürworten. Trotzdem überzeugt der Protest dagegen nicht. Denn: Was spricht gegen den Abriss maroder Bauten? Ein kleiner Spaziergang wirft die große Frage auf: Wo sind die stadtplanerischen Utopien der Moderne geblieben? (Teil I)
Antiabrisstische Aktion. Im Hintergrund: die Überreste der Schilleroper. Foto: privat
Am Neuen Pferdemarkt, Ecke Neuer Kamp, stand im Sommer noch ein backsteinerner Flachbau – die ehemalige Kantine der Rindermarkthalle. Das Gebäude beherbergte zuletzt ein indisches Restaurant und eine Autowerkstatt. Der Ende Juni erfolgte Abriss soll Platz schaffen für ein mehrstöckiges Bürogebäude: das sogenannte Paulihaus. Würde es schon stehen, so ließen sich von den oberen Stockwerken aus die kläglichen Überreste der Schilleroper erblicken. Sie liegt nur einige Gehminuten entfernt. Im Gegensatz zur Kantine steht ihr stählernes Gerüst unter Denkmalschutz. Nach Vorstellung der Investorin soll hier ein dreiteiliger Gebäudekomplex entstehen. Wer nun von der Schilleroper aus der Stresemannstraße gen Altona folgt, findet sich bald an der Sternbrücke wieder. Eine in die Jahre gekommene Stahlkonstruktion, die ein Hauch von Bronx in Hamburg umweht und unter der eine Reihe von Clubs beherbergt sind. Sie soll, man ahnt es, in ihrer bisherigen Form abgerissen werden und einer neuen, überdimensionierten Brücke weichen.
Die nur wenige Gehminuten voneinander entfernt liegenden Gebäude weisen noch eine weitere Gemeinsamkeit auf: Sie bilden die Hauptachse städtebaulichen Protests in der Hansestadt. Um alle Bauten haben sich Initiativen gegründet, die für ihren Erhalt einstehen, oder – im Falle der Rindermarktkantine – Einspruch gegen die Neubaupläne erheben. Im Fokus der Kritik steht, aller Unterschiede zum Trotz, der Abriss alter Bausubstanz und ein Plädoyer für den Erhalt gewachsener Strukturen. So heißt es in einer 2020 verfassten Pressemitteilung der Initiative St. Pauli Code JETZT!: Die Inhaberin des vom Abriss bedrohten Restaurants an der Rindermarkthalle kämpfe »für die Erhaltung des Ortes, der so wichtig für den Stadtteil St. Pauli ist«. Im selben Jahr schrieb die Anwohner-Initiative Schiller-Oper: »Kämpft mit uns weiter für den Erhalt dieses wichtigen Stück [sic] St. Pauli! Was wäre unser Viertel ohne solche prägenden Gebäude?« Die Initiative Sternbrücke schreibt, dass die Neubauplanung der Eisenbahnbrücke das »kulturelle Herz der Schanze« zerstören würde – vorbei wäre es dann mit der »lebendigen, kleinen und historisch gewachsenen Kreuzung im Herzen von Altona Nord«.
Konservieren als Widerstand?
In der Tat: Alle geplanten Neubauten an besagten Orten trügen sicher kaum zur Lebensqualität der Bewohner:innen der betroffenen Stadtviertel bei. Sie dienten vor allem den wenigen Profiteur:innen einer Stadtplanung, die Hamburg seit über 20 Jahren als Marke begreift und Kapitalinteressen allzu gern den Vorzug lässt. Insbesondere den Neubauplänen an Rindermarkthalle und Schilleroper gilt es entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen. Nicht zuletzt, weil die an Astroturfing – die Simulation einer Bürger:innenbewegung – grenzenden Kampagnen der Investor:innen, etwa der Schilleroper Objekt GmbH, nur allzu gut zeigen, was es bedeuten könnte, in einer vollends zur Ware gewordenen Stadt zu leben. Wohnraum ist darin nicht mehr primär ein zu befriedigendes Grundbedürfnis, sondern ein für viele unbezahlbares Lifestyleobjekt.
Die Frage ist nur: Ist das Bewahren des Alten die richtige Form des Widerstands? Ist das »historisch Gewachsene« dem rational Geplanten immer vorzuziehen? Warum sollte, um bei diesem Gebäude zu bleiben, das, was von der Schilleroper übriggeblieben ist, nicht abgerissen werden und Neuem – etwa bezahlbarem Wohnraum – weichen? Die Anwohner-Ini verweist auf die »einzigartige Stahlkonstruktion« und damit den historischen Wert des »letzten festen Zirkusbau[s] aus dem 19. Jahrhundert in Deutschland«. Die Schilleroper sei ein »für den Stadtteil prägendes« und »identitätsstiftendes Gebäude«, »ein einmaliges Stück St. Pauli«. Sie sei Teil des »kulturellen Erbes der Stadt« und müsse daher erhalten werden. Etwas anders verhält es sich mit der Kantine an der Rindermarkthalle: In jüngster Zeit richtete sich der Appell des Erhaltens, nachdem die Kantine nun abgerissen wurde, auf die mittlerweile ebenfalls gefällten 21 Bäume auf dem Gelände des projektierten Bürogebäudes. Aber könnte nicht auch hier etwas Neues entstehen, das dem Stadtteil dienlicher ist als alte Flachbauten oder ein Bürogebäude – und für das ein paar gefällte Bäume womöglich kein zu großer Preis wären?
Ist also eine Kritik, die darin aufgeht, nicht abzureißen, und dadurch von der Argumentation des Denkmalvereins nicht mehr zu unterscheiden ist, die richtige Antwort auf die bestehenden Verhältnisse? Und wieso konzentrieren sich linke stadtpolitische Bewegungen derart auf das Erhalten alter Bausubstanz? Eine Antwort lässt sich womöglich finden, wenn die lokalen Hamburger Protestherde verlassen werden und ein Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts geworfen wird: In den 1970er Jahren rückte die Linke nach und nach ab von modernen Visionen großangelegter Stadtplanung und besetzte dem Verfall preisgegebene innerstädtische Bauten. Instandbesetzen und Bewahren wurden zur widerständigen Praxis. Aus der Rückschau ist dies ein Kipppunkt, der genauere Betrachtung verdient. Er kann womöglich nicht nur den heutigen Hang zum Konservieren erklären, sondern auch, warum die einstigen verkommenen Stadtviertel mittlerweile im Zentrum der Kapitalverwertung stehen.
Könnte hier nicht etwas gänzlich Neues entstehen? Foto: privat
Als die Linke in den Altbau zog
Die 1970er Jahre gelten in den Geschichts- und Sozialwissenschaften mittlerweile aus vielerlei Hinsicht als Kulminationspunkt einer Entwicklung, die nach wie vor prägend für die Gegenwart ist. Sie waren eine Übergangsphase von der klassischen Moderne zur sogenannten Post- oder auch Spätmoderne. Sie zeichnen sich durch ökonomische und kulturelle Transformationen aus, die sich in wenigen skizzenhaften Strichen mit den Schlagwörtern Deindustrialisierung, strauchelnde Wohlfahrtsstaaten und neoliberale Wende sowie ökologische Krise beschreiben lassen. Die Moderne wurde, so hat es der Soziologe Ulrich Beck formuliert, reflexiv: Nicht mehr ungebrochener Fortschritt, sondern Erkenntnis und Bewältigung der negativen Folgen des Modernisierungsprozesses selbst rückten in den Vordergrund. In der Linken zeigte sich bisweilen Skepsis an den einst gehegten revolutionären Hoffnungen und eine Hinwendung zur Innerlichkeit – so manche Mitglieder ehemaliger K‑Gruppen fanden ihren inneren Frieden bald in einer Bhagwan-Kommune.
Aus städtebaulicher Sicht drückt sich dieser Bruch im 20. Jahrhundert auch im Phänomen der Hausbesetzungen aus, die insbesondere ab den 1970er und 1980er Jahren in vielen westeuropäischen Ländern auszumachen sind. Denn während sich der Wohnungsbau auf große Siedlungen am Stadtrand konzentrierte, verfielen Altbauwohnungen in den Innenstädten und sollten oftmals Neubauplänen weichen. Die moderne, geschichtsvergessene Planungseuphorie schuf jenen Raum, innerhalb dessen sich das Bewahren alter Bausubstanz als widerständige Praxis gegen eine Baupolitik nach den Maßgaben von Staat und Kapital formierte.
Diese Baupolitik war auch verkümmertes Produkt jener in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts progressiven Idee, den beengten innerstädtischen Wohnverhältnissen proletarischer Viertel qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Wohnraum entgegenzusetzen. Die planerischen Visionen und Utopien der Moderne waren auch eine Antwort auf jene Verwerfungen, die die Industrialisierung und der Siegeszug der neuen Produktionsweise insbesondere in den Städten hinterließen. Die Antwort bestand in der rational entworfenen Stadt, die der noch zu begründenden egalitären Massengesellschaft Raum geben sollte. In den Bauten der Nachkriegsmoderne, für die der Architekturhistoriker Heinrich Klotz den Begriff des »Bauwirtschaftsfunktionalismus« prägte, war davon nicht mehr allzu viel übrig. Zu uniform erschienen die Wohnsilos wie die Großwohnsiedlung im Hamburger Stadtteil Steilshoop oder das Neue Zentrum Kreuzberg in Berlin, die in den 1970er Jahren entstanden. Zudem lagen die meisten dieser Bauten – entgegen den ursprünglichen Intentionen moderner Stadtplanung – an den Stadtgrenzen. Hausbesetzungen waren insofern immer auch mehr als nur pragmatische Politik, um günstigen innerstädtischen Wohnraum zu erhalten. Sie waren ein Labor alternativer Lebensformen, die sich der Normierung und Regulation durch Staat und Kapital widersetzten.
Das Allgemeine und das Besondere
Die ökonomischen und kulturellen Transformationen der 1970er Jahre hat der Soziologe Andreas Reckwitz jüngst als Wendung vom Allgemeinen zum Besonderen beschrieben. Die sich ab dem 18. Jahrhundert formierende klassische Moderne sei geprägt durch eine soziale Logik des Allgemeinen: Formalisierung, Generalisierung und Standardisierung. Die Spätmoderne hingegen folge einer entgegengesetzten Logik des Besonderen: Singularisierung. Diese Analyse ist nicht nur eine weitere Erklärung für jene Prozesse der 1970er Jahre und damit auch für die Praxis des Besetzens und Bewahrens. Sie vermag auch zu zeigen, warum die einst widerständige Praxis heute Gefahr läuft, sich in ihr Gegenteil zu verkehren.
Denn was einst auch als Protest gegen die Logik des Allgemeinen begann, steht heute längst im Zentrum der Verwertung. Um wieder auf den lokalen Protest um die Schilleroper zu kommen: Sowohl die Investor:innen als auch der sich gegen deren Pläne formierende Protest operieren, aller Unterschiede in der Zielsetzung zum Trotz, im selben strategischen Feld. Die Schilleroper Objekt GmbH spricht von der »besondere[n] Bedeutung im Quartier des Stadtteils St. Pauli« und von einem »traditionelle[n] Areal«. Die GmbH imitiert hier nicht nur den Sound der Anwohner:innen-Ini: Vielmehr stehen das Singuläre und Einzigartige des Ortes im Zentrum von dessen Vermarktung und Verkauf. Und auf der anderen Seite unterscheidet sich der vom Architekten Dirk Anders gemeinsam mit der Schilleroper-Ini vorgelegte Alternativentwurf kaum von ähnlichen städtebaulichen Strategien, historische Bausubstanz als dekoratives Element zu bewahren, um dem Neuen ein »historisches Flair« zu verschaffen. Ein flüchtiger Blick in die Exposés von Immobilienfirmen reicht aus: Das »andere Leben«, die »gewachsenen Viertel«, Subkultur und alternative Urbanität sind offenbar gute Argumente, um überteuerte Eigentumswohnungen zu verkaufen.
Auch das Paulihaus – oder besser: das Areal, auf dem es gebaut werden soll – weist in diese Richtung. Bis zum Jahr 2010 beherbergte die heutige Rindermarkthalle noch die Filiale einer großen Supermarktkette. Das Backsteingebäude war weitgehend mit weißem Trapezblech verkleidet. Es hätte in dieser Form auch an jeder anderen Ecke dieser oder in einer beliebigen Stadt stehen können. Es war, wie sein Inhalt, austauschbar. Nach dem Auszug des Supermarktes entstand eine Debatte um die Nutzung der Fläche. Gegen die Abrisspläne der Stadt – es sollte eine Konzerthallte entstehen – entstand so großer Widerstand, dass man sie schließlich verwarf. Das Trapezblech wurde entfernt, das Backsteingebäude saniert, die alten Reliefs wiederhergestellt. Nun war es nicht mehr irgendein beliebiges Gebäude, sondern es hatte Wiedererkennungswert. Die Rindermarkthalle St. Pauli ist nun ›einzigartig‹, mit ›Tradition‹ und ›Geschichte‹. So werden sie und die sich in ihr mittlerweile zu findenden Geschäfte auch vermarktet. Die »ganze Vielfalt St. Paulis auf einem Fleck«, heißt es auf der Webseite. Gemeint sind Einkaufsmöglichkeiten.
Bis 2011 mit Trapezblech verhüllt: die historische Fassade der Rindermarkthalle. Foto: GeorgDerReisende / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY 4.0
Das Besondere, das Erhalten des historisch Gewachsenen, die Betonung von Identität, sind zu den Koordinaten eines kulturellen Systems geworden, das nicht mehr das Andere kapitalistischer Verwertung sucht, sondern mittlerweile in ihrem Zentrum steht. Jene Räume, in denen auch eine widerständige, sich nicht fügen wollende Subkultur entstand, verlieren nach und nach jegliches Moment von Nichtidentität und werden sowohl zur Bühne als auch zum konsumierbaren Beifang des Erwerbs von Eigentumswohnungen – oder handgemachter Backwaren. Und nun? Zurück zu Trapezblech und Beton?
Womöglich wäre es ein Weg, einen Teil der nichteingelösten Versprechen der Moderne, auch in Stadtplanung und Architektur, freizulegen und sie auf den Trümmern abgerissener Stahlkonstruktionen und Flachbauten entstehen zu lassen. -Fortsetzung folgt-
Johannes Radczinski, Januar 2022
Der Autor plädierte auf Untiefen bereits für den Abriss (oder zumindest die Umgestaltung) des Bismarckdenkmals und dafür, das Heiligengeistfeld ganzjährig als Freifläche den Bewohner:innen dieser Stadt zur Verfügung zu stellen.
In den letzten Wochen des Jahres 2021 erhielt der Hamburger »Querdenken«-Ableger Auftrieb und organisierte zeitweise die größten Proteste der Bundesrepublik. Lokalpresse und manch antifaschistische Gruppe sprechen der Bewegung ab, bürgerlich zu sein – womöglich sollten Kritik und Gegenprotest jedoch genau das fokussieren.
Nicht zu fassen – eine merkwürdige Melange aus Karneval, Neonazis, Hippies, Esoterikmesse und Evangelikalen. Foto: privat
Die stetig steigende Zahl der Teilnehmer:innen bei den sogenannten Querdenken-Demonstrationen im vorweihnachtlichen Hamburg hat bei der Lokalpresse Verunsicherung ausgelöst. Samstag für Samstag formierte sich ein immer größer werdender Protestzug. Am 18. Dezember waren es dann laut Polizei 11.500 Menschen, die dem Aufruf zum »Marsch durch Hamburg« unter dem Motto »Frei sein« folgten. Das Abendblatt berichtete und zitierte eine »Einschätzung der Behörden«, derzufolge der Protest einen »insgesamt ›bürgerlichen‹ Charakter« habe. »Tatsächlich«, wie es mit einigem Erstaunen im Artikel weiter hieß, sahen die Protestierenden auch wirklich so aus. Für die Hamburger Morgenpost passte die schmerzhafte Erkenntnis, dass »ausgerechnet Hamburg, die Stadt des nüchternen Pragmatismus, jetzt zur Hauptstadt der deutschen Corona-Proteste« geworden sei, »kein Stück ins Bild«. Während das Abendblatt hinter die Fassade blickte und meinte, dass die Parolen alles »andere als bürgerlich« seien, ließ die Mopo einen Hirnforscher zu Wort kommen. So als sei die auf die Straße getragene Irrationalität nicht Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern tief in die Natur des Menschen eingeschrieben.
Verunsichert ist offensichtlich auch die linksradikale Szene der Hansestadt: Der Gegenprotest fällt bislang nicht nur überraschend klein aus, sondern hat scheinbar auch nur die gegen tatsächliche Naziaufmärsche erprobten Aktionsformen und Parolen parat.
In der Tat ist es verunsichernd, was dort Samstag für Samstag in einem immer größer werdenden Umzug durch die Straßen der Hamburger Innenstadt zieht. Eine merkwürdige Melange aus Karneval und Esoterikmesse, aus Neonazis und Hippies, Evangelikalen und Kleinunternehmer:innen. Die noch größere Merkwürdigkeit besteht jedoch darin, dass der Protest gerade auch das ist, was er nach Ansicht der Hamburger Lokalpresse und Teilen der antifaschistischen Gruppierungen nicht sein soll: bürgerlich. Der Soziologe Oliver Nachtwey hat mit Kolleg:innen im Jahr 2020 eine Studie zu den Coronaprotesten in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht. Demnach ordneten sich die Teilnehmer:innen zu einem Großteil der Mittelschicht zu, sind berufstätig und weisen überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse auf. Einem Beobachter des Hamburger Querdenker:innenmilieus zufolge, den die Redaktion Untiefen befragte, lassen sich diese Ergebnisse recht gut auf die hiesigen Proteste übertragen. Wer selbst einmal am Rand besagter Protestumzüge gestanden hat, wird das bestätigen können. So waren Untiefen-Redaktionsmitglieder, die seit mehr als einem Jahr die Coronaproteste beobachten (und gegen sie demonstrieren), überrascht, dass die Selbstbezeichnung des Protestes als »bunt« nicht nur eine Worthülse war.
Am 18. Dezember folgten laut Polizei 11.500 Menschen dem Aufruf zum »Marsch durch Hamburg« unter dem Motto »Frei sein«. Foto: privat
Es sind also durchaus Teile der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft, die sich hier im »Widerstand« wähnen – als »rote Linie« gegen die »Corona-Diktatur«. Der Kritik und dem Gegenprotest ist somit offenbar wenig geholfen, wenn die Proteste ohne Weiteres als rechtsextremes Phänomen verstanden werden. Skurril wurde es etwa am 18. Dezember, als nicht nur wieder einmal Querdenker:innen den antifaschistischen Gegendemonstrant:innen ihr »Nazis raus!« zurückgaben, sondern vom Lautsprecherwagen dröhnte, dass die Antifa durch ihren Vergleich die NS-Verbrechen relativiere. Die Querdenker:innen grundsätzlich als »Nazis« oder »Faschos« anzusprechen trifft weder sie selber noch die Sache.
Die Bezeichnung »bürgerlich« hingegen verharmlost die Proteste nicht zwangsläufig. Richtig verstanden weist sie auf ihren Kern hin: autoritäre Ideologien, die in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet sind. Entgegen der politischen Idealisierung der »Mitte« als Stabilitätsanker der Demokratie ist es angezeigt, immer wieder den »Rechtsextremismus der Mitte« (Oliver Decker) zu benennen, der sich anlässlich der staatlichen Corona-Politik nun neu formiert. Dass die allermeisten Teilnehmer:innen nicht rechtsextrem organisiert sind und das wohl auch nicht mit sich vereinbaren könnten, hindert sie nicht daran, ominöse Weltregierungen, Pharmalobbys oder bestimmte Milliardäre kryptoantisemitisch für die Pandemie, Bevölkerungskontrolle und gar gezielten Massenmord verantwortlich zu machen. Der Mobilisierung hilft es vielmehr, dass für die Hamburger Querdenker:innen nicht anstößige rassistische oder nationalistische Thesen zentral sind.
Querdenkendemos am 18.12.2021…
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…und 15.8.2020.Fotos: privat
Stattdessen steht neben Kritik an den Einschränkungen für Ungeimpfte und der sich abzeichnenden Impfpflicht (»Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung«) der Schutz von Kindern vor der vermeintlich unsicheren Corona-Impfung im Vordergrund (»Hände weg von unseren Kindern«). Dafür sind laut unserem Beobachter unter anderem Gruppen des verschwörungstheoretischen Netzwerkes »Eltern stehen auf« verantwortlich, die schon 2020 gegen die Maskenpflicht an Schulen mobilisierten, teilweise mit haarsträubenden Gruselgeschichten von Atemnot und Erstickungstod. Kinderschutz ist in der BRD schon lange ein Thema, mit dem autoritäre Strafbedürfnisse mobilisiert werden können (»Todesstrafe für Kinderschänder«; gegen »Frühsexualisierung«). So überrascht es nicht, dass auch bei »Eltern stehen auf« aus diskutablen Bedenken gegenüber den staatlichen Corona-Maßnahmen schnell ein allgemeiner Vorwurf der »Kindesmisshandlung« wird, die auf satanische und pädophile Eliten oder gleich einen »neuen Faschismus« hindeute – gegen dessen Schergen natürlich auch handgreiflicher Widerstand als legitim gilt. Die begleitenden konservativen Vorstellungen von unschuldiger Kindheit, natürlichen Geschlechterrollen, Mutterinstinkten und männlichen Beschützern können weit über das klassische rechte Publikum hinaus mobilisieren, wie Larissa Denk vom Beratungsnetzwerk Hamburg in einer jüngst erschienenen Expertise (S. 26) herausarbeitet.
Die sichtbare Kritik an den staatlichen Corona-Maßnahmen wird so an vielen Stellen mit altbekannten und weit verbreiteten autoritären Ideologien artikuliert. Das ist nicht allein die Folge des linken Versagens, eine überzeugende Kritik der staatlichen Pandemiepolitik zu entwickeln. Vielmehr begünstigt das ideologische Feld selbst die Regression. Den Corona-Protesten gelingt etwas, das emanzipatorischer Organisation grundsätzlich verwehrt ist. Mit ihren Verschwörungsmythen sprechen sie antimoderne und antiaufklärerische Bedürfnisse an und bringen so Menschen zusammen, die objektiv verschiedene Interessen und oft sogar auch konträre politische Ansichten haben. Diese ermutigende Erfahrung, Teil einer wachsenden Bewegung zu sein, öffnet politisch unerfahrene und unorganisierte Kleinbürger:innen für die Mobilisierung durch rechte Strukturen (Telegram-Gruppen, Verschwörungsideologie-Netzwerke, AfD).
Das kann womöglich auch den nur verhaltenen Gegenprotest erklären. Denn dass von den Querdenken-Demonstrationen ähnlich unmittelbare Gefahr wie von Nazi-Aufmärschen ausgeht, glauben wohl nur wenige. Gegen die überraschend heterogenen Milieus, in denen sich das Autoritäre derzeit formiert, sind jedoch noch keine überzeugenden politischen Strategien zur Hand. Dazu kommt die mittlerweile empirische Gewissheit, dass die Querdenker:innen mit ihrer Leugnung der Pandemie und der Gegnerschaft zur Impfung eine absolute Minderheit darstellen und man also mit der Mehrheitsgesellschaft im Rücken demonstriert. Das wird manche dazu führen, gegen den geschlagenen Gegner gar nicht erst loszuziehen – anderen mag die faktische Gemeinsamkeit mit dem Staat unbequem sein.
Teilt man die Einschätzung, dass die Corona-Pandemie nur als Kristallisationspunkt für autoritäre Ideologie fungiert, könnte eine antifaschistische Antwort sein, diese Ideologien und die entsprechenden Netzwerke – von »Eltern stehen auf«, über die »Ärzte für Aufklärung« bis hin zu »QAnon« – stärker in den Blick zu nehmen. Es hieße, die Kritik näher an das beobachtbare Phänomen heranzurücken und den Gegenprotest nicht mit den althergebrachten Parolen und Transparenten zu gestalten. Im gleichen Atemzug müsste diese Kritik den bürgerlichen Stimmen, wie sie in Mopo und Abendblatt zu finden sind, vorführen, dass die Externalisierung des Protests als unbürgerlich, pathologisch oder Ähnliches wiederum ein identitäres Ticket darstellt. Es gibt nicht nur das trügerische Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, sondern verschleiert darüber hinaus vor allem jene Verhältnisse, die den Protesten zugrunde liegen – die autoritären Sehnsüchte der sogenannten bürgerlichen Mitte.
Der Hamburger Dom ist beliebtes Ausflugsziel für kurzzeitiges Vergnügen. Der Spaß hat jedoch seinen Preis, und den zahlen nicht zuletzt Saisonarbeiter:innen aus dem Ausland. Die Lokalpresse verbreitet hingegen das Glücksversprechen des größten Volksfestes im Norden. Gäbe es nicht bessere Verwendungsmöglichkeiten für eine Freifläche mitten in der Stadt?
Was hinter den glitzernden Fassaden des Hamburger Doms liegt, bleibt zumeist im Dunkeln. Foto: privat
Im Frühjahr und Sommer des Jahres 2021 – wie auch bereits im Jahr zuvor – wurde das Heiligengeistfeld zum tatsächlichen Herz von St. Pauli. Waren die Kneipen und Clubs noch pandemiebedingt geschlossen, so fanden sich des Nachts feierwütige Hamburger:innen mit Flaschenbier und Soundsystem auf dem Platz ein – zumindest solange der Stadtstaat nicht seine Muskeln spielen ließ und Wasserwerfer schickte. Tagsüber drohte das nicht und so war das Feld häufig schon mittags Freifläche für spielende Kinder, Skater:innen und Sonnenbadende. Im Juli begannen dann die ersten Schausteller:innen den Platz mit ihren Fahrgeschäften für sich zu reklamieren. Aus der für viele unkommerziell nutzbaren Freifläche wurde die Gated Community einiger weniger, die den öffentlichen Raum kapitalisierten. »Juhu«, freute sich die BILD, »Freitag startet endlich wieder der Dom!«
Der jenseits pandemischer Lagen dreimal jährlich stattfindende Riesenrummel verspreche, so der Artikel weiter, »Sommer, Sonne und viel Spaß«. Für alle, die diese Dreifaltigkeit der Vergnügungskultur schon zuvor auf dem Feld genossen hatten, waren die anrückenden Schausteller:innen jedoch weniger Grund zur Freude. Zwischen den nach und nach zusammengehämmerten Karussells fanden sich immer wieder die vormaligen Nutzer:innen des Heiligengeistfeldes ein – bis der Platz Ende Juli endgültig umzäunt und der Zugang streng kontrolliert wurde. Für viele bot sich so in diesen Juliwochen, quasi als kleiner Ausgleich für die genommene Fläche, die Möglichkeit ethnografischer Studien über das Schausteller:innenleben.
Nicht nur in Sommernächten begehrt – eine Freifläche mitten in der Stadt. Während des Coronasommers 2021 zog das Heiligengeistfeld gar so viele Menschen an, dass die Polizei regelmäßig die Party unterbrach. Fotos: privat
Amusement und Ausbeutung
Den neugierigen Blicken offenbarte sich jedoch nicht jener weit verbreitete Mythos des Familienbetriebs im Wohnwagen. Oder wie es nach wie vor im Volksmund und in der Presseberichterstattung heißt: des »fahrenden Volkes« (dessen Romantisierung gerade in diesem Land mit seiner Geschichte einige Fragen aufwirft). Der real existierende Kapitalismus, dessen Fassade auf dem Hamburger Dom nicht nur metaphorisch glitzert, zeigte hinter den Karussellkulissen seine nur allzu gern verschwiegenen Widersprüche. Um es einmal zuzuspitzen: Das Ticket für den Eintritt ins Schausteller:innenleben ist offenbar ein Mercedes-SUV; Modellreihe irgendetwas mit »G«. Den hohen Anschaffungspreis dieser Statussymbole erwirtschaften auch jene Saisonarbeiter:innen, deren Rumänisch bei Sommerhitze von den halbfertigen Achterbahnen über den Platz schallte. Schätzungsweise 90 Prozent der Hilfsarbeiter:innen, die auf deutschen Jahrmärkten und Volksfesten als »billige Arbeitskräfte« schuften, kommen aus Rumänien.
Der „Shaker“ – rumänische Hilfsarbeiter:innen und Mercedes SUV. Foto: privat
»Jede Menge Spaß auf St. Pauli«, wie es zum nun auslaufenden Winterdom auf der offiziellen Seite der Stadt Hamburg heißt, beruht eben auch auf der Ausbeutung importierter Arbeitskraft aus Niedriglohnländern. Das ist an sich wenig verwunderlich. Auch Amusement muss unter kapitalistischen Verhältnissen produziert werden. Was beim Hamburger Dom auffällt: Gesprochen wird über diese Verhältnisse höchst ungern.
Mindestlöhne…
Denn wer die Beobachtungen zu teuren Autos und Saisonarbeiter:innen – sie sind in der Tat nur Beobachtungen – belegen will, der findet nicht viel. In der hiesigen Presse und seitens der Stadt wird der Dom zumeist bejubelt und seine glitzernde Fassade, der Schein im wahrsten Sinne des Wortes, als Wahrheit eingekauft. Zur Frage nach der Unterkunft der Saisonarbeiter:innen findet sich indes ein mittlerweile fast 20 Jahre alter Artikel. Der hat es allerdings in sich. Das Hamburger Arbeitsamt war nach der Beschwerde eines rumänischen Arbeiters aktiv geworden. Der Arbeiter hatte weniger Lohn als vereinbart erhalten – musste dafür jedoch mehr Arbeitszeit ableisten (105 Stunden) als vertraglich vereinbart (40 Stunden).
Das Amt rückte zur Großkontrolle aus: Dabei konnten zwar nur wenige der erwarteten Verstöße festgestellt werden, doch sei eine ganz andere Sache schockierend gewesen. Die Unterkünfte der Arbeiter erinnerten die Kontrolleur:innen an die »Haltung von Tieren«. Die mit dieser Tatsache konfrontierten Schausteller:innen nahmen zur Sache keine Stellung. Empört war man jedoch, dass das Arbeitsamt kurz vor der Eröffnung des Volksfestes offenbar ihren Ruf ruinieren wolle. Und wieviel verdienen Saisonarbeiter:innen nun? Wenn sie Glück haben, wird ihnen offenbar der Mindestlohn ausgezahlt – einem Sprecher des Zolls zufolge gibt es hier nur wenige Verstöße.
Viel mehr findet sich dann allerdings auch nicht über die Arbeitsverhältnisse auf dem Hamburger Dom. Aber auch ein Nichtbefund ist ein Befund – die Saisonarbeiter:innen bleiben unsichtbar. Dies steht erstens im Gegensatz zu jenen Lebewesen, die Tierhaltung im Wortsinne erleiden: Für die Dom-Ponys, die dort auf engstem Raum trist ihre kleinen Kreise ziehen, konnten viele ihr Herz erwärmen – sie schafften es etwa ins Wahlprogramm der Grünen (S. 133/143) für die Bürgerschaftswahl 2020. Das Pony-Karussell sorge »für Unbehagen bei den Besucher*innen«, heißt es dort, man wolle die Tierhaltung bei Volksfestens abschaffen. Zweitens steht die Unsichtbarkeit der Arbeiter:innen im krassen Gegensatz zur Medienpräsenz ihrer Vorgesetzten. Gerade in Zeiten der Pandemie, der Branche ging es ja in der Tat nicht gut, erfuhren die Schausteller:innen viel Aufmerksamkeit. Das dabei in Dauerschleife gespielte Lamento existenzieller Nöte erinnert bisweilen an die Pressearbeit deutscher Polizeigewerkschaften. Wie schlecht es um die Branche tatsächlich bestellt ist, ist dabei schwer zu sagen. Konkrete Zahlen werden nicht genannt.
… und Millionenumsätze
Was verdienen also Schausteller:innen? Genau beziffern lässt sich dies nicht. Aber: Der Umsatz auf Volksfestplätzen, so eine Studie des Deutschen Schaustellerbundes aus dem Jahr 2018, lag bei 4,75 Milliarden Euro. Wenn nun, wie es besagter Studie zu entnehmen ist, der Winterdom rund zwei und der Sommerdom rund zweieinhalb Millionen Besucher:innen anzog – wohlgemerkt: vor Corona – und diese im Schnitt 25 Euro ausgaben, so lag der Umsatz der Fahrgeschäfte und Buden des Doms zwischen 50 und 62,5 Millionen Euro. Was davon tatsächlich als Gewinn bei den Betrieben hängenbleibt, ist ebenfalls unklar. Der ethnografische Blick und der sich ihm zeigende Fuhrpark der Schausteller:innen – die Mercedes-SUVs – lassen jedoch vermuten, dass es zum Leben reicht.
Derzeit neigt sich der Winterdom dem Ende zu. Folgt man der Hamburger Morgenpost, dann war diese Ausgabe des Volksfestes die »wichtigste aller Zeiten«. Denn »selbst im Krieg« hätten die Schausteller:innen mehr verdient als während der Corona-Lockdowns. Es geht also – mal wieder – um die Existenz. Während Mopo und Co. ihre Leser:innen dazu aufrufen, mit ihrem solidarischen Besuch das Bestehen des Doms zu sichern, hätte so manche:r Anwohner:in womöglich nichts dagegen, wenn es der letzte Dom wäre. Die dann ganzjährig freie Fläche (von Events wie dem »Schlagermove« einmal abgesehen, der doch bitte noch dringender der Pandemie zum Opfer fallen soll) haben die Hamburger:innen ja schon für sich zu nutzen gelernt.
Johannes Radczinski, Dezember 2021
Der ethnografische Blick auf das Leben von Schausteller:innen offenbarte sich dem Autor, der das Heiligengeistfeld im Sommer 2021 fast täglich nutzte, eher unfreiwillig. Zuletzt schrieb er auf Untiefen über das nur einen Steinwurf vom Dom entfernte Bismarckdenkmal.
Die Szene Hamburg ist in dieser Stadt eine Institution. Seit bald 50 Jahren erscheint das Stadtmagazin monatlich. Es verstand sich nie als Teil einer Gegenöffentlichkeit, lieferte aber dennoch mitunter kritischen Journalismus. Heute, eine Insolvenz und mehrere Eigentümerwechsel später, ist es kaum mehr als ein Anzeigenblatt. Wir haben uns das November-Heft angeschaut.
Dickie war noch ein Kind, als er die Szene »quasi im Alleingang erfunden« hat. Foto: Youtube-Screenshot
Aus dem seit 2013 in einigen Hamburger Programmkinos laufenden Werbespot zum vierzigsten Jubiläum der Szene Hamburg wissen wir: Die Idee für diese Zeitschrift hatte Dickie Schubert, Betreiber des Internetcafés Surf n’ Schlurf im Schanzenviertel und einer der Gründer der Band Fraktus. Dickie hatte sich auf »so ’nem kleinen Schmierzettel« seine genialen Einfälle notiert: »verschiedene Rubriken wie zum Beispiel, was ich gut finde – Mode, Musik, Essen und so«. Dann aber entwendeten »die Leute von der Szene« den Zettel – und bauten auf ihm das Konzept ihres Stadtmagazins auf. So jedenfalls geht der von Rocko Schamoni und Regisseur Christian Hornung (»Manche hatten Krokodile«) präsentierte Mythos.
Tatsächlich wurde die Szene Hamburg 1973 von Klaus Heidorn gegründet, der zuvor als Texter in einer Werbeagentur gearbeitet hatte. Ziel war ein Kultur- und Veranstaltungsblatt, das den bis dahin vernachlässigten Bereich zwischen etabliertem Kulturbetrieb und linker Subkultur abdeckt. Er wolle »alle Unternehmungslustigen zwischen 14 und 40, in Anzug und Jeans« erreichen, wird Heidorn 1974 vom Spiegel zitiert. Damit unterscheidet sich die Szene Hamburg von den allermeisten anderen Stadtmagazinen in der BRD, die sich häufig auch als »Stattzeitungen« bezeichneten. Denn egal ob Tip und Zitty in Berlin, der Pflasterstrand in Frankfurt oder die Stadtrevue in Köln, all diese Magazine gründeten sich in den siebziger Jahren als Organe der Gegenöffentlichkeit. Sie verstanden sich – jedenfalls in ihren Anfangszeiten – als nicht-kommerzielle Freiräume für kritischen Journalismus und alternative Kultur und waren unter anderem für ihre wilden Kleinanzeigen-Seiten bekannt.1Eine Sammlung der kuriosesten Kleinanzeigen aus diesen und anderen Magazinen findet sich in Franz-Maria Sonner (Hg.): Werktätiger sucht üppige Partnerin. Die Szene der 70er Jahre in Kleinanzeigen, Antje Kunstmann Verlag: München 2005.
Die Szene Hamburg hingegen verhehlte nie, dass sie vor allem ein lukratives Segment des Anzeigenmarkts erschließen wollte. Das schloss journalistische Qualität nicht unbedingt aus: Heidorn bezeichnete die Zeitschrift gerne als »den Spiegel unter den Stadtmagazinen«. In einer Forschungsarbeit von 1994 wurde der Szene attestiert, sie gehöre »zu den intellektuellsten und geistreichsten Stadtmagazinen Deutschlands«.2 Christian Seidenabel: Der Wandel von Stadtzeitungen. ›Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert‹. Roderer: Regensburg 1994, S. 58. René Martens, zeitweilig Redaktionsleiter der Szene schrieb 2015 in der taz: »Was die Szene schrieb, hatte Gewicht im (Sub-)Kulturbetrieb, und das Blatt stand für eine politische Haltung, die sich abhob von der der etablierten Medien in der Stadt.« Und Christoph Twickel, von 2000 bis 2003 Chefredakteur der Szene, meinte: »Die Szene Hamburg war für viele, die sich nicht nur für Mainstreamkultur interessierten, überlebenswichtig.«
Überleben durch Anpassung
Zu diesem Zeitpunkt, im März 2015, stand die Szene Hamburg allerdings kurz vorm Aus, nachdem sie bereits lange von Krise zu Krise gehangelt war: Im Jahr 2000 hatte der laut Twickel »dauerbetrunkene« Heidorn, kurz vor dem Konkurs stehend, die Zeitschrift verkauft und sich das Leben genommen. 2004 wurde bekannt, dass die Szene systematisch die Auflagezahlen geschönt hatte, und sie wurde an eine Consulting-Firma verkauft. 2015 kam dann die zuvor mehrfach soeben noch verhinderte Insolvenz. Die Szene war damit aber noch nicht Geschichte: Die Vermarktungsgesellschaft VKM sicherte sich die Namensrechte und konnte die Szene auf diese Weise »vor dem scheinbar sicheren Tod […] retten«, wie es auf der Unternehmenshomepage heißt. Inzwischen verzeichnet das Stadtmagazin eine vergleichsweise stabile Auflagenzahl in Höhe von ca. 15.000 verkauften Exemplaren, darüber hinaus gibt es ein gutes Dutzend Sonderhefte, vom »Uni-Extra« bis zum »Summer Guide«.
Mit der Übernahme durch VKM wurde eine Entwicklung zum Abschluss gebracht, die Twickel zufolge schon länger im Gange gewesen war. Auf der organisatorischen Ebene lautete sie: weniger Lohn, weniger feste Mitarbeiter:innen, mehr unbezahlte Praktikant:innen.3Die im Impressum der Ausgabe 11/2021 genannte Praktikantin hat tatsächlich einen beträchtlichen Teil der Beiträge verfasst. Und dass das Schlusslektorat, wie Twickel berichtet, schon vor einiger Zeit gestrichen wurde, macht sich auch bemerkbar: Ein Beitrag zu den Hamburger Weihnachtsmärkten bricht mitten im Satz ab. Die Entwicklung auf der inhaltlichen Ebene wird von Twickel mit einer Anekdote beschrieben: »Nachdem ein Verriss des Musicals König der Löwen erschienen war, stand die klagende Anzeigenverkaufsleiterin vor meinem Schreibtisch: ›Du setzt unsere Arbeitsplätze aufs Spiel!‹ Die Musicalbetreiber hatten nach dem Verriss sämtliche Anzeigen storniert.«4Tatsächlich wurde Christoph Twickel 2003 wohl vor allem wegen seiner unbequemen, nicht zu Kompromissen zugunsten von Anzeigenkund:innen bereiten Haltung als Chefredakteur gefeuert. Darüber berichtete damals unter anderem Tino Hanekamp (Link).
Großspurig und unscharf: Das Novemberheft der SZENE Hamburg. Foto: privat
Ein positives Anzeigenumfeld
Der Verriss eines Musicals der Stage Entertainment GmbH wäre in der Szene heute undenkbar. Das zeigt auch ein Blick in die November-Ausgabe. Zwischen redaktionellen Beiträgen und Anzeigen ist hier keinerlei Widerspruch zu spüren. In der gemeinsam mit dem Hamburger Sportbund (HSB) verantworteten Sport-Beilage etwa inserieren alle Sponsoring-Partner des HSB. Zu den Anzeigenkund:innen gehören natürlich auch die Kultureinrichtungen, die im Heft mit Interviews und Artikeln bedacht werden. Das Mehr! Theater am Großmarkt etwa revanchiert sich für eine aalglatte Besprechung über sein Harry-Potter-Musical (ein »magisches Spektakel«, das »natürlich nicht nur etwas für Harry-Potter-Anhänger, sondern für alle« sei) mit einer ganzseitigen Anzeige auf der Rückseite des Hefts. Und selbst beim Titelthema »Tod« steht das Anzeigengeschäft nicht hintan. Redaktionelle Beiträge zum Bestattungsunternehmen trostwerk und zu den Erinnerungsgärten, einer ökologischen Bestattungsanlage, werden von Anzeigen ebendieser Unternehmen flankiert (aber nicht auf derselben Seite, sonst könnte es ja wieContent-Marketing aussehen). Dass VKM in den Redaktionsräumen der Szene auch »einige Handelskammer-Magazine« produziert, ist ein Sinnbild dafür, wie symbiotisch die Beziehung zwischen der Zeitschrift und ihren Anzeigenkund:innen ist.5Geradezu grotesk wirkt angesichts dieses offenkundigen quid-pro-quo-Prinzips ein bierernstes Plädoyer für die Presse des Redakteurs Marco Arellano Gomes, das im August 2020 in der Szene erschien. »Die Welt droht eine zu werden, in der das Ich mehr zählt als das Wir«, klagt der Autor angesichts von Social Media und Content Marketing, und fordert die Einhaltung der »journalistischen Grundregeln«, zu denen auch gehöre, »Beiträge nicht im Austausch gegen Anzeigenbuchungen [zu] lancieren«. Ob er wohl mal eine Ausgabe der Szene in der Hand gehabt hat?
Anzeige im Novemberheft: „Dein Leben verdient ein happy END…!“ – Und was ist mit der Szene? Foto: privat
Selbstverständlich hat die Szene auch zahlreiche »Kooperationspartner«, u.a. HVV switch, Lotto Hamburg und MINI Hamburg. Die Marke MINI baut hochpreisige Kleinwagen und ist Teil der BMW AG, womit sie natürlich prädestiniert dafür ist, eine im Nachhaltigkeits-Kostüm daherkommende Online-Veranstaltung »über die Zukunft der Stadt« auszurichten. Mit dabei: Tanya Kumst, Geschäftsführerin der Szene Hamburg, und der Gastronom Sebastian Junge. Moment, kennen wir den nicht? Ach ja, der hat den u.a. von MINI Hamburg gesponsorten »Nachhaltigkeitspreis« der Szene gewonnen, wie wir in der Rubrik »Essen+Trinken« erfahren. Er setze sich für eine »wertschätzende Genusskultur« ein, heißt es in der von der Szene angeführten Begründung: »›Alles grün bei uns!‹ ist hier keine leere Worthülse, sondern gelebter Alltag. Beispiele gefällig? Sebastian Junge bezeichnet sich selbst als Aktivist für nachhaltige sowie umweltgerechte Genusskultur und kreiert mit seinem Team handgemachte Gerichte aus regionalen Zutaten, die von Produzenten stammen, mit denen das Restaurant eng und teilweise freundschaftlich verbunden ist.«
Reklamesprache auf der Höhe der Zeit
Man merkt: Hier sind die Worthülsen nicht leer, sondern prall gefüllt mit gut angedicktem Diskursbrei. Denn es finden sich in der Szene nicht nur die üblichen Phrasen vom »schnuckeligen Café« und vom Sterben als dem »letzten Streckenabschnitt des Lebens« oder tautologischer Sprachmüll wie der vom Restaurant, das durch überzeugende Kochkunst überzeugt. Nein, so wie MINI Hamburg ist auch die Szene auf dem aktuellen Stand der Reklamesprache: Alles hier ist ›nachhaltig‹ und ›regional‹, ›divers‹ und ›facettenreich‹. Das ist kein Zufall, kommen doch viele der Beiträger:innen aus Werbung und Marketing und schreiben daher nicht, sondern »texten« oder »erstellen content«.
Einer dieser Texter schreibt beispielsweise eine launige Glosse über den Tod, die witzig sein soll, aber so arm an Witz wie reich an schiefen Metaphern ist (»Da nimmt der eine oder andere die Unsterblichkeit einfach in die eigene Hand, bevor sie kalt ist.«). Am Schluss weiß man zumindest, in welchem Zustand der Autor diesen Stuss geschrieben hat: »Ich sage: Lebe so, dass deine Stammkneipe nach deinem Ableben dichtmachen kann.«
All das heißt nicht, dass das Heft nicht auch manches Interessantes enthält. Ein Beitrag über den Schriftsteller Mesut Bayraktar etwa, dessen Gastarbeitermonologe am 25. November am Schauspielhaus uraufgeführt wurden, ist zwar eine Gefälligkeitsarbeit (der Autor des Beitrags ist wie Bayraktar Teil des Literaturkollektivs nous – konfrontative Literatur), aber eine lesenswerte; Diversität ist in dem Heft, etwa bei der Auswahl der Interviewpartner:innen, mehr als nur eine Phrase; und die Filmkritiken (v.a. diejenigen von Ressortleiter Marco Arellano Gomes) sind trotz ihrer Kürze gehaltvoll und genau.
Auf Affirmation getrimmt
Wollte man das Heft aber auf einen Nenner bringen, wäre es eindeutig: Affirmation. Egal ob es um Gastronomie geht oder um den Tod, nichts möchte hier schlechte Laune machen, für Irritation oder Zweifel sorgen. Wenn einer der vielen als ›Interview‹ bezeichneten Werbebeiträge mit einem kursiv gesetzten »(lacht fröhlich)« endet, ist das für die Stimmung in diesem Heft symptomatisch. Auch die Testimonials von drei Hamburger:innen in der Rubrik »SZENEzeigen« sind weitgehend auf Affirmation getrimmt. »Für mich ist Hamburg die schönste Stadt der Welt«, sagt eingangs etwa die in Rotherbaum aufgewachsene Natascha. Und der Beitrag von John, der sein Geld als Taxifahrer verdient, schließt mit dem Satz: »Manchmal gucke ich aus dem Fenster und sage mir: Du bist im Paradies.«
Um ein gutes Anzeigenumfeld darzustellen (die Inhaberfirma verspricht »maßgeschneidertes Marketing in einem passenden Rahmen«), sendet die Zeitschrift stets eine positive ›Message‹ aus. Damit das gewährleistet ist, muss manchmal etwas herumgewurstelt werden. Etwa wenn die ehemalige FDP-Landesvorsitzende Katja Suding in der Rubrik »Gude Leude« von ihrem schwierigen Quereinstieg in die Politik erzählt und davon, »wie ich dann aber auch Fuß gefasst habe und es gut lief, es mir aber nicht so wirklich gut ging«. Vielleicht, denkt man dann, ist dieser verunglückte Satz nicht nur in sprachlicher Hinsicht charakteristisch für diese Zeitschrift, sondern auch in inhaltlicher: Es läuft gut bei der Szene, sie verkauft Hefte und Anzeigen. Aber misst man sie an ihrem Anspruch, über »gesellschaftliche Themen und stadtpolitische Entwicklungen in Hamburg« zu berichten, also journalistisch zu arbeiten, muss man konstatieren: Es geht ihr nicht so wirklich gut.
Lukas Betzler
Der Autor freut sich trotz allem jedes Mal wieder, wenn er den Szene-Werbespot im Kino sieht.
1
Eine Sammlung der kuriosesten Kleinanzeigen aus diesen und anderen Magazinen findet sich in Franz-Maria Sonner (Hg.): Werktätiger sucht üppige Partnerin. Die Szene der 70er Jahre in Kleinanzeigen, Antje Kunstmann Verlag: München 2005.
2
Christian Seidenabel: Der Wandel von Stadtzeitungen. ›Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert‹. Roderer: Regensburg 1994, S. 58.
3
Die im Impressum der Ausgabe 11/2021 genannte Praktikantin hat tatsächlich einen beträchtlichen Teil der Beiträge verfasst. Und dass das Schlusslektorat, wie Twickel berichtet, schon vor einiger Zeit gestrichen wurde, macht sich auch bemerkbar: Ein Beitrag zu den Hamburger Weihnachtsmärkten bricht mitten im Satz ab.
4
Tatsächlich wurde Christoph Twickel 2003 wohl vor allem wegen seiner unbequemen, nicht zu Kompromissen zugunsten von Anzeigenkund:innen bereiten Haltung als Chefredakteur gefeuert. Darüber berichtete damals unter anderem Tino Hanekamp (Link).
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Geradezu grotesk wirkt angesichts dieses offenkundigen quid-pro-quo-Prinzips ein bierernstes Plädoyer für die Presse des Redakteurs Marco Arellano Gomes, das im August 2020 in der Szene erschien. »Die Welt droht eine zu werden, in der das Ich mehr zählt als das Wir«, klagt der Autor angesichts von Social Media und Content Marketing, und fordert die Einhaltung der »journalistischen Grundregeln«, zu denen auch gehöre, »Beiträge nicht im Austausch gegen Anzeigenbuchungen [zu] lancieren«. Ob er wohl mal eine Ausgabe der Szene in der Hand gehabt hat?