Dokumente der Barbarei
Der Fotograf Markus Dorfmüller erhielt 2022 für seine Arbeit zu den Spuren des Kolonialismus in Hamburg den Georg-Koppmann-Preis. Gerade sind die Fotos im Museum der Arbeit zu sehen. Wir dokumentieren in unserer Fotostrecke eine Auswahl der Bilder.
»Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozess der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den anderen gefallen ist.« Diese Sätze stehen in der siebten der berühmten Thesen Über den Begriff der Geschichte, die Walter Benjamin 1940 niederschrieb. Sie geben das Prinzip der Arbeiten Markus Dorfmüllers vor, die aktuell in der Ausstellung Eyes on Hamburg im Museum der Arbeit zu sehen ist.
Unter Benjamins historisch-materialistischem Blick offenbaren sich die ›Kulturgüter‹ als Beute, die die Sieger der Geschichte in ihrem Triumphzug mitführen. Diesen ebenso präzisen wie kritischen Blick hat sich Dorfmüller zu eigen gemacht. Seine Fotografien dokumentieren die Spuren des Kolonialismus ebenso wie sein Fortwirken in der postkolonialen Gegenwart Hamburgs. Damit stehen sie quer zum auftrumpfenden Titel der Ausstellung.
Nicht immer sind die Spuren des Kolonialismus, dem sich der Reichtum der Handelsstadt Hamburg verdankt, überhaupt noch sichtbar. Auch aus diesem Grund sind die Fotos mit Bildunterschriften versehen. Sie stellen die einzelnen Bilder in ihren gesellschaftlichen Zusammenhang, informieren über historische Kontexte und benennen Täter und Profiteure kolonialer Gewalt und Ausbeutung. In der Ausstellung wird dieses Kenntlichmachen von Zusammenhängen und Strukturen noch unterstützt durch die konstellierende Hängung.
Gegenwärtige Vergangenheit
Manche der abgebildeten Orte und ihre koloniale Geschichte sind weitgehend bekannt – etwa das Bismarckdenkmal oder das Afrikahaus (siehe dazu auch unsere eigene Bilderstrecke über koloniale Spuren in Hamburg). Viele Gegenstände und Zusammenhänge hingegen werden den meisten Besucher:innen neu sein: etwa dass die Privatbank Donner & Reuschel ihr Vermögen maßgeblich kolonialer Ausbeutung verdankt; oder dass die Vorstandskonferenzen der Unilever bis zu ihrem Umzug in die Hafencity 2009 vor einer Intarsienwand mit kolonialer Bildsprache stattfanden. Andere Fotografien wiederum dokumentieren Spuren, die man leicht übersieht, etwa die Grabstätten und Gedenksteine für Generäle deutscher Kolonialtruppen oder für Palmölfabrikanten.
Manche Fotos zeigen Überwundenes – besonders eindrücklich die 1968 von Studierenden gestürzte Wissmann-Statue, die nun lädiert, besprüht und mit einer Halskrause versehen in einer Depotkiste liegt. Die Fotos machen aber auch kenntlich, wie unmittelbar die koloniale Vergangenheit bisweilen in die Gegenwart hineinreicht. Unverhohlen zeigt sich das in einer Skulptur auf der sogenannten »Coffee Plaza« in der Hafencity. Sie wurde dort 2009 von der Neumann Kaffee Gruppe, dem weltgrößten Kaffeeimporteur, errichtet. Die Inschrift der stilisierten Kaffeebohne zeugt von einer Unbedarftheit, die sich auf Verrohung reimt: »Über 1 Mrd. Menschen trinken täglich 3 Mrd. Tassen Kaffee, die 25 Mio. Familien in 70 tropischen Ländern ihre Existenz bieten.«
Das Formprinzip von Dorfmüllers Fotografien ist so sachlich wie effektvoll. In analogem 4x5-inch-Format fotografiert, kommen sie ohne Gimmicks aus. Es gibt weder dramatisierte Kontraste, noch Unschärfen oder extreme Perspektiven. Die Wirkung verdankt sich vielmehr ganz subtilen Verfahren: Durch distanzierte Totalen etwa wird repräsentativen Gebäuden ihre imposante Wirkung genommen;1Dass Dorfmüller hauptberuflich Architektur fotografiert, macht sich auf diesen Bildern besonders bemerkbar. Auf dem gemeinsam mit seiner Kollegin Johanna Klier betriebenen Instagram-Account finden sich viele eindrückliche Architekturfotografien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (drohenden) Abriss dokumentieren. und fragmentierende Bildausschnitte konterkarieren die Wirkungsintention von Denkmälern, vermeiden die Reproduktion rassistischer oder stereotyper Darstellungen.
Der historische Materialist, schreibt Benjamin, »betrachtet es als seine Aufgabe, die Geschichte gegen den Strich zu bürsten«. Markus Dorfmüller zeigt eindrücklich, wie man dieser Aufgabe mit den Mitteln der Fotografie gerecht werden kann.
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Eine Broschüre mit Markus Dorfmüllers Fotos und Texten steht zum Verkauf in allen Museumsshops der Stiftung Historische Museen Hamburg. Die Ausstellung Eyes on Hamburg ist noch bis zum 3. Oktober 2023 im Museum der Arbeit in Barmbek zu sehen. Neben der Fotoserie von Markus Dorfmüller sind in ihr Arbeiten von Axel Beyer, Robin Hinsch, Sabine Bungert/Stefan Dolfen, Alexandra Polina und Irina Ruppert vertreten.
Wir danken Markus Dorfmüller für die freundliche Genehmigung, hier eine Auswahl seiner Bilder zeigen zu dürfen. Sämtliche Rechte an den Bildern sowie den Bildunterschriften liegen bei ihm.2Die Bildunterschriften lassen sich in der Fotostrecke durch Klicken bzw. Tippen auf das jeweilige Bild aus- und wieder einblenden.
Redaktion Untiefen
- 1Dass Dorfmüller hauptberuflich Architektur fotografiert, macht sich auf diesen Bildern besonders bemerkbar. Auf dem gemeinsam mit seiner Kollegin Johanna Klier betriebenen Instagram-Account finden sich viele eindrückliche Architekturfotografien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (drohenden) Abriss dokumentieren.
- 2Die Bildunterschriften lassen sich in der Fotostrecke durch Klicken bzw. Tippen auf das jeweilige Bild aus- und wieder einblenden.