Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann, seit 1890 von Wissmann (* 4. September 1853 in Frankfurt (Oder); † 15. Juni 1905 in Weißenbach bei Liezen, Steiermark) war ein deutscher Abenteurer, Afrikaforscher, Offizier und Kolonialbeamter. Ursprünglicher Standort Dares Salam Tansania, später Universität Hamburg
Dokumente der Barbarei
Der Fotograf Markus Dorfmüller erhielt 2022 für seine Arbeit zu den Spuren des Kolonialismus in Hamburg den Georg-Koppmann-Preis. Gerade sind die Fotos im Museum der Arbeit zu sehen. Wir dokumentieren in unserer Fotostrecke eine Auswahl der Bilder.
Das Denkmal von Hermann Wissmann (1853–1905) wurde 1968 gestürzt. Foto (Ausschnitt): M. Dorfmüller
»Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozess der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den anderen gefallen ist.« Diese Sätze stehen in der siebten der berühmten Thesen Über den Begriff der Geschichte, die Walter Benjamin 1940 niederschrieb. Sie geben das Prinzip der Arbeiten Markus Dorfmüllers vor, die aktuell in der Ausstellung Eyes on Hamburg im Museum der Arbeit zu sehen ist.
Unter Benjamins historisch-materialistischem Blick offenbaren sich die ›Kulturgüter‹ als Beute, die die Sieger der Geschichte in ihrem Triumphzug mitführen. Diesen ebenso präzisen wie kritischen Blick hat sich Dorfmüller zu eigen gemacht. Seine Fotografien dokumentieren die Spuren des Kolonialismus ebenso wie sein Fortwirken in der postkolonialen Gegenwart Hamburgs. Damit stehen sie quer zum auftrumpfenden Titel der Ausstellung.
Nicht immer sind die Spuren des Kolonialismus, dem sich der Reichtum der Handelsstadt Hamburg verdankt, überhaupt noch sichtbar. Auch aus diesem Grund sind die Fotos mit Bildunterschriften versehen. Sie stellen die einzelnen Bilder in ihren gesellschaftlichen Zusammenhang, informieren über historische Kontexte und benennen Täter und Profiteure kolonialer Gewalt und Ausbeutung. In der Ausstellung wird dieses Kenntlichmachen von Zusammenhängen und Strukturen noch unterstützt durch die konstellierende Hängung.
Gegenwärtige Vergangenheit
Manche der abgebildeten Orte und ihre koloniale Geschichte sind weitgehend bekannt – etwa das Bismarckdenkmal oder das Afrikahaus (siehe dazu auch unsere eigene Bilderstrecke über koloniale Spuren in Hamburg). Viele Gegenstände und Zusammenhänge hingegen werden den meisten Besucher:innen neu sein: etwa dass die Privatbank Donner & Reuschel ihr Vermögen maßgeblich kolonialer Ausbeutung verdankt; oder dass die Vorstandskonferenzen der Unilever bis zu ihrem Umzug in die Hafencity 2009 vor einer Intarsienwand mit kolonialer Bildsprache stattfanden. Andere Fotografien wiederum dokumentieren Spuren, die man leicht übersieht, etwa die Grabstätten und Gedenksteine für Generäle deutscher Kolonialtruppen oder für Palmölfabrikanten.
Manche Fotos zeigen Überwundenes – besonders eindrücklich die 1968 von Studierenden gestürzte Wissmann-Statue, die nun lädiert, besprüht und mit einer Halskrause versehen in einer Depotkiste liegt. Die Fotos machen aber auch kenntlich, wie unmittelbar die koloniale Vergangenheit bisweilen in die Gegenwart hineinreicht. Unverhohlen zeigt sich das in einer Skulptur auf der sogenannten »Coffee Plaza« in der Hafencity. Sie wurde dort 2009 von der Neumann Kaffee Gruppe, dem weltgrößten Kaffeeimporteur, errichtet. Die Inschrift der stilisierten Kaffeebohne zeugt von einer Unbedarftheit, die sich auf Verrohung reimt: »Über 1 Mrd. Menschen trinken täglich 3 Mrd. Tassen Kaffee, die 25 Mio. Familien in 70 tropischen Ländern ihre Existenz bieten.«
Das Formprinzip von Dorfmüllers Fotografien ist so sachlich wie effektvoll. In analogem 4x5-inch-Format fotografiert, kommen sie ohne Gimmicks aus. Es gibt weder dramatisierte Kontraste, noch Unschärfen oder extreme Perspektiven. Die Wirkung verdankt sich vielmehr ganz subtilen Verfahren: Durch distanzierte Totalen etwa wird repräsentativen Gebäuden ihre imposante Wirkung genommen;1Dass Dorfmüller hauptberuflich Architektur fotografiert, macht sich auf diesen Bildern besonders bemerkbar. Auf dem gemeinsam mit seiner Kollegin Johanna Klier betriebenen Instagram-Account finden sich viele eindrückliche Architekturfotografien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (drohenden) Abriss dokumentieren. und fragmentierende Bildausschnitte konterkarieren die Wirkungsintention von Denkmälern, vermeiden die Reproduktion rassistischer oder stereotyper Darstellungen.
Der historische Materialist, schreibt Benjamin, »betrachtet es als seine Aufgabe, die Geschichte gegen den Strich zu bürsten«. Markus Dorfmüller zeigt eindrücklich, wie man dieser Aufgabe mit den Mitteln der Fotografie gerecht werden kann.
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Eine Broschüre mit Markus Dorfmüllers Fotos und Texten steht zum Verkauf in allen Museumsshops der Stiftung Historische Museen Hamburg. Die Ausstellung Eyes on Hamburg ist noch bis zum 3. Oktober 2023 im Museum der Arbeit in Barmbek zu sehen. Neben der Fotoserie von Markus Dorfmüller sind in ihr Arbeiten von Axel Beyer, Robin Hinsch, Sabine Bungert/Stefan Dolfen, Alexandra Polina und Irina Ruppert vertreten.
Wir danken Markus Dorfmüller für die freundliche Genehmigung, hier eine Auswahl seiner Bilder zeigen zu dürfen. Sämtliche Rechte an den Bildern sowie den Bildunterschriften liegen bei ihm.2Die Bildunterschriften lassen sich in der Fotostrecke durch Klicken bzw. Tippen auf das jeweilige Bild aus- und wieder einblenden.
Redaktion Untiefen
Denkmal Hermann von Wissmann, ursprünglicher Standort Dar es Salaam in Tansania, ab 1922 im Garten der Universität Hamburg aufgestellt. Herrmann von Wissmann war Reichskommissar und Befehlshaber der paramilitärischen »Wissmanntruppe«, mit der 1887–1891 die Aufstände der Küstenbevölkerung in der Kolonie Deutsch-Ostafrika niedergeschlagen wurden. Dabei wurden afrikanische Dörfer überfallen, geplündert und dann niedergebrannt. Die Statue wurde 1968 von Student:innen gestürzt. Sie befindet sich heute im Lager der Universität Hamburg.
1955, auf den Tag 10 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, wird am 8. Mai auf dem Grundstück der Familie Bismarck in Friedrichsruh das »Deutsch-Ostafrika-Gedächtnismal« eingeweiht. Anwesend sind der Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Kai-Uwe von Hassel und 500 Angehörige der ehemaligen Schutztruppen. Dargestellt ist der Kommandeur der Schutztruppen in Deutsch-Ostafrika Paul von Lettow-Vorbeck, Prototyp des verbrecherischen deutschen Kolonial-Offiziers. Er war 1900–1901 an der Niederschlagung des Boxeraufstandes und 1904–1906 am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt und zog 1914–1918 als Kommandeur der Schutztruppen marodierend durch Ostafrika.
In den Kämpfen des ersten Weltkriegs in Ostafrika kamen zwischen 1914 und 1918 etwa eine halbe Million Menschen, vorwiegend afrikanische Zivilist:innen, durch Kriegseinwirkungen ums Leben.
Grabstelle Gustav Adolf Graf von Goetzen, gest. 1.12.1910, Ohlsdorfer Friedhof.
Kaiserlicher Gouverneur von Deutsch-Ostafrika und Kommandeur der Schutztruppe 1901–1906. Von Goetzen führte 1905 eine Kopfsteuer in Deutsch Ostafrika ein, dies bedeutete eine Vervielfachung der Steuerschuld und trieb immer mehr Menschen in die Zwangsarbeit auf staatlichen Baumwollplantagen. Dagegen regte sich ab Mai 1905 massiver Widerstand. Die Maji-Kämpfer waren in der Lage, etwa ein Fünftel der Kolonie unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Maji-Maji-Aufstand wurde bis 1907 unter Anwendung massiver Gewalt niedergeschlagen. Nach heutigen Schätzungen wurde etwa ein Drittel der Bevölkerung, 250.000–300.000 Menschen, durch den Krieg und seine unmittelbaren Folgen getötet.
Am 13. August 1939 wird in Hamburg Jenfeld die Lettow-Vorbeck-Kaserne eröffnet. Über allen Hauseingängen befinden sich Schmuckrosetten mit Abbildungen von deutschen Kolonialoffizieren, darunter Lettow-Vorbeck, von Wissmann, von Trotha.
Hier wird am selben Tag das zweiteilige Kriegerdenkmal zur Ehrung der Schutztruppen in der Kolonie Deutsch-Ostafrika eingeweiht. Dargestellt sind afrikanische Lastenträger und ein Askari-Soldat auf der linken Seite und Askari-Soldaten und ein deutscher Offizier auf der rechten Seite. Dieses Kriegerdenkmal ist wie das »Deutsch-Ostafrika-Gedächtnismal« entstanden nach Entwürfen von Walter von Ruckteschell (1882–1941), Adjutant Lettow-Vorbecks in Deutsch Ostafrika.
Die Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Jenfeld ist heute Wohnheim der Helmut-Schmidt-Universität, an allen Gebäuden befinden sich weiterhin die Schmuckrosetten deutscher Kolonialverbrecher. In einem abgesperrten kleinen Park vor der Kaserne befindet sich heute das oben erwähnte zweiteilige Askari-Relief und eine nach 1939 errichtete Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten der Kolonialkriege.
Vasco da Gama am Eingang der Kornhausbrücke, die zur Hamburger Speicherstadt führt. Die Speicherstadt wurde nach der Zwangsumsiedlung von ca. 20.000 Bewohnern ab 1883 erbaut. Sie diente vor allem der Lagerung von Kaffee, Tee und Gewürzen.
Laeiszhof und Reederei Hamburg Süd, Willy-Brandt-Straße. Der Handel mit Süd- und Mittelamerika hatte große Bedeutung für Hamburger Unternehmen. Auch nach der Selbständigkeit vieler Staaten im 19. Jahrhundert prägten die über lange Zeit etablierten kolonialen Strukturen die Handelsbeziehungen grundlegend. Die Reederei F. Laeisz war im Salpeterhandel mit Chile tätig, aber auch im Handel mit Afrika. Die Tochtergesellschaft »Afrikanische Frucht Company« baute die »Kamerun-Bananen« an und importierte sie bis zum Zweiten Weltkrieg.
Handelskammer Hamburg, Börsensaal.
Die Handelskammer Hamburg und ihre Mitglieder waren wesentliche Akteure im Kolonialhandel und im Erwerb von Kolonien für das Deutsche Reich; das Gleiche gilt auch für den Senat der Hansestadt Hamburg. In ihrer »Denkschrift über die deutschen Interessen in West-Afrika« von 1883 wünscht die Handelskammer Hamburg vom Deutschen Reich eine Ausschaltung der Konkurrenz der westafrikanischen Händler durch Verträge mit regionalen Oberhäuptern und die Stationierung der kaiserlichen Kriegsmarine. So soll es den Hamburger Händlern möglich gemacht werden, ihre Produkte auch im Landesinneren gewinnbringend zu tauschen.
Wandgestaltung von Eduard Bargheer im Konferenzraum des Unilever-Haus, Dammtorwall 15, erbaut 1964. Die Unilever wurde 1929 als Zusammenschluss verschiedener pflanzenölverarbeitender Unternehmen gegründet.
Hauptgebäude der Universität Hamburg, die 1908 zunächst als Hamburgisches Kolonialinstitut gegründet wird. An zwei Säulen in der Eingangshalle werden als Förderer der Wissenschaft Profiteure des deutschen Kolonialhandels geehrt.
Diorama im Museum für Hamburgische Geschichte (Ausschnitt). »›Kolonialpolitik mit Unterstützung der Marine‹ mit Vollschiff ›La Rochelle‹ der Reederei Godeffroy und Kreuzerkorvette ›Marie‹ der Kaiserlichen Marine auf der Reede von Apia/Samoainsel Upolu, Oktober 1884«.
Eventeingang »Kitavi«, Hagenbecks Tierpark 2022.
Die Familie Hagenbeck stellte ab 1875 Menschen aus den Kolonien in sogenannten Völkerschauen zur Besichtigung aus. In diesen wurden Menschen z.B. aus Somalia, Kamerun oder Asien in ihnen zugeschrieben Tänzen und alltäglichen Verrichtungen präsentiert. Hagenbeck’sche Ausstellungen sollten Menschen und Tiere in scheinbar authentischen Umgebungen präsentieren. Hagenbeck warb für seine Völkerschauen unter anderem auf den Weltausstellungen in Chicago (1893) und in St. Louis (1904).
Der Überseeboulevard ist eine zentrale Einkaufsmeile im Herzen der Hafencity. Mit seinem Namen schließt er an die Welt des kolonialen Handels und die gewünschte Exotik an. Somit heißen die am Überseeboulevard liegend Gebäude Java, Ceylon und Arabica. Auch werden hier regelmäßig Fotoausstellungen präsentiert, von April 2022 bis zum September 2022 die Fotoausstellung »Colours of Humanity«, augenscheinlich eine Fortsetzung der Hagenbeck’schen Völkerschauen mit den Mitteln der Fotografie.
Große Kaffeebohne, Denkmal auf der »Coffee Plaza« Sandtorpark, gestiftet 2009 durch die »Neumann Kaffee Gruppe«.
Die »Neumann Kaffee Gruppe« mit einem Umsatz von 2,4 Mrd. USD und Sitz in der Hafencity Hamburg, hat 2001 ihre Plantage in Mubende/Uganda nach der Vertreibung von 2000 Menschen durch das ugandische Militär erworben.
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Dass Dorfmüller hauptberuflich Architektur fotografiert, macht sich auf diesen Bildern besonders bemerkbar. Auf dem gemeinsam mit seiner Kollegin Johanna Klier betriebenen Instagram-Account finden sich viele eindrückliche Architekturfotografien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (drohenden) Abriss dokumentieren.
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Die Bildunterschriften lassen sich in der Fotostrecke durch Klicken bzw. Tippen auf das jeweilige Bild aus- und wieder einblenden.