Der neue Garten des Kapitalismus

Der neue Garten des Kapitalismus

Im Her­zen Ham­burgs wurde der ehe­ma­lige Flak­turm IV, der Bun­ker an der Feld­straße, auf­ge­stockt und begrünt. In die­sem Zuge sollte auch ein Dach­gar­ten als Park für die Öffent­lich­keit ent­ste­hen. Her­aus­ge­kom­men ist eine alles andere als ein­la­dende Dau­er­wer­be­flä­che. Sie ist auch ein Fens­ter auf die der­zei­tige Stadt­ent­wick­lung und ‑ver­wer­tung.

Der Bun­ker an der Feld­straße kurz nach der Eröff­nung des Dach­gar­ten­ho­tels. Foto: privat. 

„Ein Park soll zum Ver­wei­len ein­la­den“, hieß es in der im Mai 2015 erschie­ne­nen zwei­ten Aus­gabe des Ideen­jour­nals für eine Stadt­na­tur auf St. Pauli. Her­aus­ge­ge­ben hatte das Heft eine im Jahr 2014 gegrün­dete Initia­tive von Anwohner:innen, die sich für die Begrü­nung des ehe­ma­li­gen Flak­bun­kers an der Feld­straße ein­setzte – so zumin­dest die öffent­li­che Dar­stel­lung. Kri­tik an dem Pro­jekt gab es schon zu die­sem Zeit­punkt. Neben Zwei­feln an der Selbst­dar­stel­lung der Initia­tive warn­ten ansäs­sige urban-gardening-Grup­pen auch vor der Ver­ein­nah­mung stadteil­po­li­ti­scher Anlie­gen durch Inves­to­ren und Krea­tiv­agen­tu­ren. In einer gemein­sa­men Stel­lung­nahme aus dem Jahr 2014 ver­ur­teil­ten sie „die mar­ke­ting­tech­nisch gewitzte Prä­sen­ta­tion des Groß­vor­ha­bens“. Die „Bun­ker­groß­bau­stelle beschert uns eine grüne Aufwertungsspirale.“

Rund zehn Jahre spä­ter, im Juli 2024, fei­er­ten der Dach­gar­ten und mit ihm unter ande­rem ein Hotel in sei­nem Inne­ren ihre Eröff­nung. Die Kri­tik ist mitt­ler­weile fast ver­stummt. Die Lokal­presse über­nahm nicht nur den Marketing-Sprech vom „grü­nen Bun­ker“, sie beju­belt ihn nahezu durch­gän­gig als „neues Wahr­zei­chen Ham­burgs“. Doch ein Blick hin­ter die Fas­sade – oder bes­ser: ihr Gestrüpp – eröff­net ein ande­res Bild. Der Park, wenn er denn so genannt wer­den kann, lädt nicht gerade zum Ver­wei­len ein. Viel­mehr scheint der Dach­gar­ten vor allem ein geschick­tes Mar­ke­ting­tool zu sein, das nicht nur den Bun­ker auf­stockt, son­dern auch das fik­tive Kapi­tal von Immo­bi­li­en­port­fo­lios. Zeit also für eine Bestandsaufnahme. 

Das Versprechen des Parks

In der Moderne trug der Park ein Ver­spre­chen in sich. Im städ­ti­schen Raum gele­gen, sollte er offen für alle und frei zugäng­lich sein; Erho­lung, Sport, Spiel und Ent­span­nung vor allem jenen bie­ten, die – ein­ge­pfercht in Fabri­ken und beengte Wohn­ver­hält­nisse – kei­nen Zugang zur freien Natur hat­ten. Darin unter­schei­det er sich vom herr­schaft­li­chen Gar­ten, der zuvor­derst Macht und Reich­tum reprä­sen­tiert und mehrt. Der Stadt- sowie der Alto­naer Volks­park, die beide um die Jahr­hun­dert­wende erdacht und in der Folge gestal­tet wur­den, kön­nen als Bei­spiele öffent­li­cher Parks die­nen. Sollte nun die­ses Ver­spre­chen nicht in fal­scher Nost­al­gie als Folie der Kri­tik auf­ge­spannt wer­den, so lag es jedoch auch dem nun begrün­ten Bun­ker zugrunde. In der ers­ten Aus­gabe des oben erwähn­ten Ideen­jour­nals war etwa die Rede von einer „völ­lig neuen Stadt­na­tur“, von „Gar­ten­flä­chen, auf denen man sich zum Pick­nick trifft“, es sollte ein „Gar­ten vie­ler wer­den“ – gar ein „Pilot­pro­jekt“, das „nicht zuletzt für mehr Lebens­qua­li­tät in der wach­sen­den Stadt“ sor­gen sollte.

Wie die­ser Park zum Ver­wei­len oder Pick­ni­cken ein­la­den soll, wenn selbst ein But­ter­brot nicht erlaubt ist, bleibt unklar. Foto: privat

Die Rea­li­tät sieht anders aus. Gleich am Ein­gang, der mit mar­tia­li­schen Dreh­kreu­zen (Öff­nungs­zei­ten der­zeit 9 bis 21 Uhr, nicht wie ver­spro­chen 7 bis 23 Uhr) auf­war­tet, pran­gen vier große Ver­bots­schil­der: keine Hunde, keine mit­ge­brach­ten Spei­sen und Getränke, Rauch­ver­bot. Durch­ge­setzt wer­den diese Ver­bote von einem pri­va­ten Sicher­heits­dienst, der die Besucher:innen nicht nur auf Schritt und Tritt beäugt, son­dern am Ein­gang bis­wei­len auch strengs­tens durch­sucht. Der Zutritt zum Dach­gar­ten fühlt sich an wie ein Grenz­über­tritt. Wer es dann über die Grenze schafft, sollte jedoch kein grü­nes Para­dies erwar­ten. Denn wie die­ser Park zum Ver­wei­len oder Pick­ni­cken ein­la­den soll, wenn selbst ein But­ter­brot nicht erlaubt ist und Sitz­mög­lich­kei­ten – zumin­dest sol­che, für die nicht kon­su­miert wer­den muss – rar sind, bleibt unklar. Zumin­dest der­zeit scheint es, als hoffe man auf einen mög­lichst kur­zen Auf­ent­halt der Besucher:innen. Immer­hin ist der Zutritt zum Gar­ten auf 900 Per­so­nen begrenzt und es sol­len ja mög­lichst viele über den soge­nann­ten „Berg­pfad“ auf den Bun­ker stei­gen, um zumin­dest das Ver­spre­chen eines öffent­li­chen Parks gewahrt blei­ben zu las­sen. Bar­rie­re­frei ist der Dach­gar­ten indes nicht. Wer im Roll­stuhl sitzt oder nicht gut zu Fuß ist, kommt „nur auf spe­zi­elle Nach­frage und in Beglei­tung“ ganz nach oben.

Der Dach­gar­ten ist ein tro­ja­ni­sches Pferd aus Beton und Gestrüpp. Unter dem Schein der Gemein­nüt­zig­keit las­sen sich die innen­lie­gen­den Flä­chen nur umso bes­ser vermarkten.

Aber wofür dann der große Auf­wand und die in der Presse genannte Inves­ti­ti­ons­summe von 60 Mil­lio­nen Euro? In der offi­zi­el­len Erzäh­lung heißt es, dass die Ver­mie­tung der Räume im Inne­ren des auf­ge­stock­ten Bun­kers seine Begrü­nung finan­ziere und die lau­fen­den Kos­ten decke. Nun, nach der Eröff­nung, scheint doch ein­ge­trof­fen zu sein, was man­che schon vor eini­ger Zeit befürch­tet hat­ten. Der Dach­gar­ten ist ein tro­ja­ni­sches Pferd aus Beton und Gestrüpp. Unter dem Schein der Gemein­nüt­zig­keit las­sen sich die innen­lie­gen­den Flä­chen nur umso bes­ser ver­mark­ten. So geriert sich der grüne Bun­ker als Park für alle, fällt jedoch hin­ter sein Ver­spre­chen zurück. Ent­stan­den ist ein neu­ar­ti­ger herr­schaft­li­cher Gar­ten – nicht eines früh­neu­zeit­li­chen Mon­ar­chen, son­dern eines Unter­neh­mers im Zeit­al­ter des digi­ta­len Finanz­markt­ka­pi­ta­lis­mus. Der ver­meint­lich öffent­li­che Dach­gar­ten soll nicht Reich­tum zur Schau stel­len, son­dern ein pro­fi­ta­bles Invest­ment ermög­li­chen und gegen Kri­tik schützen.

Öko-Gentrifizierung: die New Yorker High Line als zweifelhaftes Vorbild

Sowohl in der Lokal­presse als auch von­sei­ten der Macher:innen des Bun­kers wird immer wie­der auf die New Yor­ker High Line als Vor­bild des städ­ti­schen Dach­gar­tens ver­wie­sen. Aus einer alten Bahn­trasse wurde in der US-Metropole ein über zwei Kilo­me­ter lan­ger, mitt­ler­weile welt­be­rühm­ter Park. Eine lokale Inter­es­sens­ge­mein­schaft hatte sich Ende der 1990er Jahre zusam­men­ge­fun­den, um die Bahn­trasse vor ihrem Abriss zu ret­ten und in einen Park umzu­ge­stal­ten. Nach des­sen Eröff­nung wurde die High Line schnell zum Tourist:innen-Magnet. Ins­be­son­dere die umlie­gen­den Gebäude erfuh­ren eine mas­sive Wert­stei­ge­rung. Mitt­ler­weile wird in Ver­bin­dung mit der High Line auch von Öko-Gentrifzierung gespro­chen. Nun war diese Ent­wick­lung kein genui­nes Anlie­gen der High Line-Interessensgemeinschaft; auch man­che ihrer Gründer:innen kri­ti­sie­ren die mas­sive Wert­stei­ge­rung im Umfeld des neu­ge­schaf­fe­nen Parks.

Der Bun­ker ohne Dach­gar­ten im Jahr 2018. Foto: privat.

In der Bericht­erstat­tung um den grü­nen Bun­ker sowie in der Selbst­dar­stel­lung sei­ner Macher:innen erfah­ren diese Fol­gen der High Line keine Erwäh­nung. Es ver­hält sich beim Bun­ker auch anders. Ist zwar zu ver­mu­ten, dass eine wei­tere Attrak­tion im Stadt­teil zu des­sen Auf­wer­tung bei­trägt, so stei­gert die Begrü­nung wohl vor allem den Wert des Bun­kers selbst. Und: anders als bei der High Line war diese Ent­wick­lung hier wohl von vorn­her­ein geplant. Bereits Jahre bevor die ers­ten Besucher:innen den Bun­ker erklim­men konn­ten und noch vor sei­ner tat­säch­li­chen Begrü­nung, wurde er über letz­tere schon vor­aus­ei­lend zur Marke gemacht. Der Instagram-Account unter den Namen „ham­burg­bun­ker“ setzte schon Ende 2021 sei­nen ers­ten Post ab. Nur durch die ver­meint­lich gemein­wohl­ori­en­tierte Begrü­nung erfuhr der Bun­ker ein gro­ßes Medi­en­echo. In den letz­ten Mona­ten berichte die Lokal­presse wöchent­lich, zuletzt gar täg­lich über ihn.

Der Account ver­linkt auf die offi­zi­elle Web­seite der RIMC Bun­ker Ham­burg Hotel­be­triebs­ge­sell­schaft bezie­hungs­weise der RIMC Inter­na­tio­nal Hotels & Resorts GmbH, die den Zuschlag für die Ver­mie­tung und Ver­mark­tung der Innen­flä­chen erhal­ten hatte. Dass die bekannte Hard Rock-Kette nach lan­gem Hin-und-Her ihre neue Hotel­marke unter dem Namen „Reverb“ im Bun­ker plat­zie­ren konnte, dürfte sich für sie aus­zah­len, um diese, wie es im Jar­gon heißt, Brand Exten­sion bekannt zu machen. Die Medi­en­be­richt­erstat­tung häm­merte den Leser:innen bei­läu­fig nicht nur den Namen der neuen Hotel­marke ein, son­dern auch einen offen­bar aus fir­men­ei­ge­nen Pres­se­mit­tei­lugen abge­schrie­ben Pas­sus. Die­ses Hotel sei das erste sei­ner Art in Europa und damit wie der Bun­ker eine Attrak­tion, ja ein „Erleb­nis“. Das anhal­tende Medi­en­echo dürfte sich in den kom­men­den Jah­ren für künf­tige Ver­mie­tun­gen aus­zah­len und ins­ge­samt den Wert des Gebäu­des steigern.

Der neue Geist des Kapitalismus und seine Gärten

„Aus grau wird bunt“, lau­tet das Motto des Bun­kers bezie­hungs­weise der Flä­che, die die Betrei­ber­ge­sell­schaft nun ver­mark­tet. Ihr Logo setzt sich ent­spre­chend aus ver­schie­den­far­bi­gen Buch­sta­ben zusam­men. „Sankt Pauli bleibt bunt“, for­dert ein, zu sei­nen Füßen gesprüh­tes Graf­fiti; unweit ent­fernt bekennt ein ande­res ein „Herz für St. Pauli“. Unter­schrie­ben ist die­ses Graf­fiti auch mit Viva con Agua, einer ansäs­si­gen Non-Profit-Organisation, die jedoch in jün­ge­rer Zeit in Kri­tik geriet – unter ande­rem wegen eines von ihr betrie­be­nen Hotels unweit des Ham­bur­ger Hauptbahnhofs.

Die Ver­mark­tung des Bun­kers funk­tio­niert also nicht nur über seine Begrü­nung, son­dern ebenso über den Ver­kauf eines Lebens­ge­fühls. Die­ses Lebens­ge­fühl gene­riert sich über den immer wie­der genann­ten Stadt­teil. Die­sen kenn­zeich­nete einst, gerade nicht ver­markt­bar, son­dern wider­stän­dig zu sein. Das aber ist voll­ends vom Mar­ke­ting auf­ge­so­gen wor­den. So lässt sich gar der im Inne­ren des Bun­kers befind­li­che, bis heute jedoch nicht fer­tig­ge­stellte Informations- und Erin­ne­rungs­ort an Krieg und Zwangs­ar­beit in die Kam­pa­gnen inte­grie­ren. Das neue Hotel bewirbt sei­nen Stand­ort nicht nur mit einem im nach­bar­li­chen Stadt­teil zu fin­den­den „diverse mix of cul­tures“ und dem „artis­tic flair“, son­dern beher­bergte als ers­ten Gast auch öffent­lich­keits­wirk­sam einen Zeit­zeu­gen. Die Web­seite der Betrei­ber­ge­sell­schaft lädt dazu ein, die „Magie die­ses geschichts­träch­ti­gen Ortes selbst zu erle­ben“. Dass die bewor­bene Immo­bi­lie ein Nazi-Bunker war, wird zum Uni­que Sel­ling Point.

Eine unge­heure Mar­ken­samm­lung, Schild am Ein­gang des Bun­kers. Foto: privat

Ohne die Begrü­nung, aber auch nicht ohne die ehren­amt­li­che Arbeit der nach wie vor täti­gen Anwohner:innen-Initiative sowie die Aneig­nung ursprüng­lich lin­ker (stadtteil-)politischer Anlie­gen hätte der Bun­ker wohl nie die ihm nun zukom­mende Auf­merk­sam­keit erfah­ren. Am Bun­ker lässt sich damit eine zwar nicht mehr neue, aber zuneh­mende Form der Stadt­ent­wick­lung und ‑kapi­ta­li­sie­rung erken­nen, die grö­ßere Auf­merk­sam­keit ver­dient. Denn die Ver­wer­tung der Stadt wird heute nicht mehr gegen ihre Kri­tik durch­ge­setzt, son­dern mit ihr und über sie. Die Natur und ihre Rena­tu­rie­rung, die feh­len­den Frei- und Krea­tiv­räume in der beeng­ten Stadt, gar erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Arbeit und damit die Spu­ren natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft, die im Wie­der­auf­bau noch unter grauem Beton ver­schwan­den, wer­den heute zu Ele­men­ten begehr­ter Investitionsobjekte.

Wie konnte das pas­sie­ren? Einige Hin­weise gibt die Ana­lyse der Soziolog:innen Luc Bol­tan­ski und Ève Chia­pello, die in Anleh­nung an Max Weber von einem „neuen Geist des Kapi­ta­lis­mus“ spre­chen. Die­ser neue Geist, der im All­ge­mei­nen die jeweils hege­mo­niale Form kapi­ta­lis­ti­scher Ver­hält­nisse mit Sinn und Legi­ti­ma­tion aus­stat­tet, zeich­net sich gegen­über sei­nen älte­ren For­men dadurch aus, dass er die einst gegen ihn gewen­dete Kri­tik auf­nahm und pro­duk­tiv wen­dete. Zu Hoch­zei­ten der Indus­trie­mo­derne bezie­hungs­weise des For­dis­mus in den 1960er Jah­ren wurde eine Kri­tik laut, die den Ver­hält­nis­sen etwa Sinn­ver­lust und Ent­frem­dung und damit man­gelnde Mög­lich­kei­ten der Selbst­ver­wirk­li­chung vor­warf. Es waren nun diese und andere Ele­mente der Künst­ler­kri­tik, wie es Bol­tan­ski und Chia­pello aus­drü­cken, die sich der Kapi­ta­lis­mus in der Krise der 1970er mehr und mehr aneig­nete. Heute fin­den sie sich etwa in der Manage­ment­li­te­ra­tur und der Figur krea­ti­ven Unter­neh­mer­tums wie­der. Aber nicht nur Arbeit wurde sub­jek­ti­viert, son­dern auch der Kon­sum – Pro­dukte erzäh­len eine Geschichte, stif­ten Sinn und Selbstverwirklichung.

In Waren trans­for­miert, rückt der Kapi­ta­lis­mus die einst­mals gegen ihn gerich­tete Kri­tik ins Zen­trum der Ver­wer­tung. Foto: privat

Wie an ande­rer Stelle die­ses Blogs gezeigt, las­sen sich auch in der Stadt­ent­wick­lung die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Trans­for­ma­tio­nen der 1970er und fort­fol­gen­den Jahr­zehnte als Wen­dung vom All­ge­mei­nen der Moderne zum Beson­de­ren der Post­mo­derne beschrei­ben: Sin­gu­la­ri­sie­rung statt Stan­dar­di­sie­rung. Gefragt ist nicht mehr der Wohn­block indus­tri­el­len Bau­ens, son­dern die ver­schnör­kelte Alt­bau­villa, ähn­li­ches gilt für Super­märkte und Hotels. Wer etwas ver­kau­fen will, wirbt mit den Ele­men­ten der Künst­ler­kri­tik wie Authen­ti­zi­tät, Indi­vi­dua­li­tät, Krea­ti­vi­tät, Sinn und Selbst­ver­wirk­li­chung[1]. Die­ses einst abge­lehnte Beson­dere – beim Bun­ker etwa seine Geschichte und das ihn umge­bende Stadt­vier­tel – kann der Kapi­ta­lis­mus jedoch nur bedingt aus sich selbst her­aus erzeu­gen. Er muss es aus exter­ner Quelle aneig­nen. In Waren trans­for­miert, rückt er die einst­mals gegen ihn gerich­tete Kri­tik ins Zen­trum der Ver­wer­tung. Dass der einst ver­spro­chene Park nun als Dach­gar­ten die spe­zi­fi­schen Qua­li­tä­ten eines Parks, also sei­nen Gebrauchs­wert, ver­lo­ren hat, liegt auch daran, dass er als Mar­ke­ting­tool vor allem Tausch­wert ist. Zu hof­fen bleibt der­zeit nur, dass sich aus die­sem Wider­spruch – die Ver­wer­tung zehrt das Beson­dere als Abs­trak­tes auf und beraubt sich somit ihrer eige­nen Quelle – das bal­dige Ende die­ser Form der Stadt­ent­wick­lung ergibt. Gegen diese Hoff­nung spre­chen jedoch die zahl­rei­chen Apologet:innen der neo­li­be­ra­len Stadt.

Die versuchte Ehrenrettung der neoliberalen Stadt

Es wird kaum jeman­den über­ra­schen, dass die Ham­bur­ger Sozi­al­de­mo­kra­tie nicht als Ver­tei­di­ge­rin der Wohl­fahrts­staat­lich­keit gegen die pri­vat­wirt­schaft­li­che Aneig­nung der Stadt auf­tritt. Bereits im Jahr 1983 hatte der dama­lige Ham­bur­ger Bür­ger­meis­ter und Sozi­al­de­mo­krat Klaus von Dohn­anyi  das „Unter­neh­men Ham­burg“ aus­ge­ru­fen und die Stadt zur Marke gemacht, wie es Chris­toph Twi­ckel in sei­nem nach wie vor lesens­wer­ten Gen­tri­fi­dings­bums beschreibt (kauft mehr Nautilus-Bücher!). Gerade diese Poli­tik und damit die Pri­va­ti­sie­rung der Stadt(-entwicklung) als Ort der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­tion geriet jedoch im Herbst 2023 in die Krise. Der Elb­tower ist – neben ande­ren inner­städ­ti­schen Brach­flä­chen – deren sicht­bars­tes Zei­chen. Die Pleite der von René Benko gegrün­de­ten Signa Hol­ding führte indes nicht nur zum Bau­stopp zuvor gerühm­ter Pres­ti­ge­bau­ten, son­dern auch zu Zwei­feln, ob Investor:innen für die Gestal­tung des öffent­li­chen Rau­mes ver­ant­wort­lich sein soll­ten. Letzt­lich geriet die gesamte Erzäh­lung, der neue Geist des Kapi­ta­lis­mus, ins Wan­ken: René Benko, einst zur Licht­ge­stalt krea­ti­ven Unter­neh­mer­tums hoch­ge­schrie­ben, ist ein Betrüger.

Das neue Ant­litz der neo­li­be­ra­len Stadt? Die­ses Signa-Projekt am Gän­se­markt liegt seit län­ge­rer Zeit brach. Foto: privat.

Das seit Wochen zu ver­neh­mende über­schwäng­li­che Lob des begrün­ten Bun­kers dient inso­fern auch zur Ehren­ret­tung der neo­li­be­ra­len Stadt und sei­ner Unternehmer:innen. Etwa war Andreas Dressel, Finanz­se­na­tor und Sozi­al­de­mo­krat, bei der Eröff­nungs­feier des grü­nen Bun­kers „geflasht“. Er „lobte den Bau­her­ren über­schwäng­lich, der das gesamte Pro­jekt“, wie die Ham­bur­ger Mor­gen­post schreibt, „ohne einen Euro öffent­li­chen Gel­des durch­zog.“ Geret­tet ist damit offen­sicht­lich die Idee der neo­li­be­ra­len Stadt; einen öffent­li­chen Park gab es dafür jedoch nicht. Vor allem die Anwohner:innen pro­fi­tie­ren nicht von den Früch­ten, die in den neuen Gär­ten des Kapi­ta­lis­mus wach­sen – sie dür­fen dort ja nicht ein­mal einen Apfel essen.

Johan­nes Rad­c­zinski, August 2024

Der Autor genoss beim Ver­fas­sen die­ses Arti­kels alle Annehm­lich­kei­ten eines öffent­li­chen Parks (u.a. Sitz­ge­le­gen­hei­ten, mit­ge­brachte Getränke, Ziga­ret­ten) in Sicht­weite des begrün­ten Bun­kers. Auf Untie­fen blickte er bereits auf andere, in Schief­lage befind­li­che Orte der Ham­bur­ger Stadt­ent­wick­lung wie das Bis­marck­denk­mal oder auch die Rindermarkthalle.

[1] Dass die soge­nannte Rin­der­markt­halle in Nach­bar­schaft des Bun­kers, die durch die Frei­le­gung ihrer Back­stein­fas­sade vor rund zehn Jah­ren zu einem beson­de­ren, da authen­ti­schen und geschichts­träch­ti­gem Ort ver­mark­tet wurde, nun mit dem grü­nen Bun­ker auf ihrer Web­seite wirbt, ist kein Zufall. 

10.09.: Bremer ›Arisierungs‹-Mahnmal (+Video Vortrag Henning Bleyl)

Der Stachel sitzt: Das Bremer ›Arisierungs‹-Mahnmal ist da

In Bre­men wird die­sen Sonn­tag, 10.09., ein lang erkämpf­tes Mahn­mal für den Raub jüdi­schen Eigen­tums im Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­weiht. Untie­fen ver­öf­fent­licht den Mit­schnitt der Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung mit dem Initia­tor Hen­ning Bleyl vom letz­ten Jahr und erin­nert an die offe­nen Auf­ga­ben für Hamburg.

Die Bau­stelle des neuen Mahn­mals in Bre­men. Im Hin­ter­grund die Zen­trale von Kühne + Nagel. Foto: Evin Oettingshausen.

In Bre­men kommt die­sen Sonn­tag, den 10. Sep­tem­ber, eine lange Aus­ein­an­der­set­zung zu ihrem – vor­läu­fi­gen – Ende. Zwi­schen den Weser-Arkaden und der Wilhelm-Kaisen-Brücke, in Sicht­weite der Deutsch­land­zen­trale des Logis­tik­kon­zerns Kühne + Nagel, wird ein Mahn­mal zur Erin­ne­rung an den Raub jüdi­schen Eigen­tums wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­weiht. Die Nähe zu Kühne + Nagel ist gewollt: Der 1890 in Bre­men gegrün­dete, heute welt­weit dritt­größte Logis­ti­kon­zern hat von den han­se­städ­ti­schen Trans­port­un­ter­neh­men mit Abstand am meis­ten vom Raubs jüdi­schen Ver­mö­gens in der NS-Zeit pro­fi­tiert. Mit ihrem fak­ti­schen Mono­pol für den Abtrans­port geraub­ten jüdi­schen Eigen­tums aus Frank­reich und den Benelux-Ländern konnte Kühne + Nagel im Rah­men der soge­nann­ten „M‑Aktion“ (M für „Möbel“) des NS-Staates große Pro­fite machen und ihr Fir­men­netz­werk inter­na­tio­na­li­sie­ren. Der Anteils­eig­ner Adolf Maas, der den Ham­bur­ger Fir­men­stand­ort auf­baute – ein Jude – wurde 1933 aus der Firma gedrängt und spä­ter in Ausch­witz ermordet.

Trotz die­ser bekann­ten Zusam­men­hänge wei­gert sich Kühne + Nagel, vor allem in Per­son des Patri­ar­chen und Fir­men­er­ben Klaus-Michael Kühne (86) bis heute beharr­lich, die eigene Mit­tä­ter­schaft auf­zu­ar­bei­ten. Das nun fer­tig­ge­stellte Mahn­mal wider­spricht mit der Nähe zur K+N‑Zentrale die­ser spe­zi­el­len Ver­tu­schung. Es the­ma­ti­siert aber zugleich die gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Ver­drän­gung des Aus­ma­ßes der „Ari­sie­rung“ jüdi­sche Eigen­tums im Natio­nal­so­zia­lis­mus. Der Ent­wurf von Künstler*in Evin Oet­tings­hau­sen zeigt in einem lee­ren Raum nur Schat­ten geraub­ter Möbel – von die­sem Ver­bre­chen ist, ganz wört­lich, fast nichts zu sehen. Der Initia­tor der Mahnmals-Kampagne, der Bre­mer Jour­na­list Hen­ning Bleyl, schil­dert gegen­über Untie­fen, was die Kam­pa­gne für das Mahn­mal poli­tisch erreicht hat:

„Das Mahnmal-Projekt zeigt, dass man den Anspruch auf his­to­ri­sche Wahr­heit auch gegen­über einem hofier­ten Inves­tor durch­set­zen kann. Es war ein lan­ger Weg – aber jetzt führt die­ser Weg zur Ein­wei­hung eines unter brei­ter Bre­mer und inter­na­tio­na­ler Betei­li­gung ent­stan­de­nen Mahn­mals an der Weser, vor Küh­nes Haus­tür. Und das eigent­li­che Thema, Bre­mens Rolle als Hafen- und Logis­tik­stadt bei der euro­pa­wei­ten ‚Ver­wer­tung‘ jüdi­schen Eigen­tums, hatte im Lauf die­ses Pro­zes­ses viele Gele­gen­hei­ten, in der Gesell­schaft anzukommen.“

Klaus-Michael Kühne ist natür­lich auch in Ham­burg kein Unbe­kann­ter. Als Spon­sor und Mäzen stützt er den HSV, finan­ziert aber über seine Kühne-Stiftung auch das Phil­har­mo­ni­sche Staats­or­ches­ter, för­dert den Betrieb der Elb­phil­har­mo­nie und hob das das Har­bourfront Lite­ra­tur­fes­ti­val aus der Traufe. Dort finan­zierte er bis 2022 den jähr­lich ver­ge­be­nen Klaus-Michael Kühne-Preis für das beste Roman­de­büt. Bis letz­tes Jahr – nach einem Anschrei­ben der Untiefen-Redaktion – zwei der für den Preis nomi­nier­ten Autor:innen ihre Teil­nahme zurück­zo­gen. Grund war Kri­tik an der ver­wei­ger­ten Auf­ar­bei­tung der NS-Geschichte des Unter­neh­mens Kühne + Nagel. Diese Rück­tritte sorg­ten für einen Eklat, der einige öffent­li­che Kri­tik an Kühne nach sich zog, wäh­rend er und seine Stif­tung kei­ner­lei Ver­ständ­nis zeig­ten. Mit dem anschlie­ßen­den Rück­zug der Kühne-Stiftung aus der Finan­zie­rung des Fes­ti­vals und der Umbe­nen­nung des Prei­ses wurde die Debatte nach weni­gen Wochen vor­läu­fig beendet.

Im Novem­ber 2022 luden wir daher Hen­ning Bleyl ins Gän­ge­vier­tel ein, um über Kühne + Nagel und die Bre­mer Kam­pa­gne für ein ‚Arisierungs‘-Mahnmal zu spre­chen. Wer möchte kann Hen­ning Bleyls Vor­trag und das anschlie­ßende Dis­kus­sion nun hier auf You­tube nachhören.

Die zen­tra­len Fra­gen für Ham­burg blei­ben indes auch nach der Mahnmal-Einweihung in Bre­men unbe­ant­wor­tet: Warum gibt es in Ham­burg kei­nen kri­ti­schen Umgang mit der NS-Geschichte von Kühne + Nagel? Wie könn­ten Erin­ne­rung, Auf­klä­rung und Kon­se­quen­zen aus­se­hen? Wie kann mit Klaus-Michael Kühne als Kul­tur­spon­sor umge­gan­gen wer­den? Wel­che Pro­bleme der pri­va­ti­sier­ten Kul­tur­för­de­rung ste­hen dahinter?

Es bleibt span­nend, ob auch an der Elbe ein ein­deu­ti­ges Ein­tre­ten der Stadt­ge­sell­schaft für his­to­ri­sche Red­lich­keit erreich­bar ist

Die neue, 15. Aus­gabe des Harbour-Front-Literaturfestivals wird am 14. Sep­tem­ber eröff­net. Bleibt bis auf den Spon­so­ren­wech­sel und die Umbe­nen­nung in Sachen Kühne + Nagel in Ham­burg also alles beim schlech­ten Alten? Hen­ning Bleyl äußerte gegn­über Untie­fen die Erwar­tung, dass auch hier etwas pas­siert: „Es bleibt span­nend, ob auch an der Elbe ein ein­deu­ti­ges Ein­tre­ten der Stadt­ge­sell­schaft für his­to­ri­sche Red­lich­keit erreich­bar ist – trotz des von Kühne auf­ge­wen­de­ten enor­men kul­tu­rel­len und gesell­schaft­li­chen Kapi­tals. Denn das Eigen­tum der jüdi­schen Fami­lien, das Kühne + Nagel im Rah­men der ‚Aktion M‘ aus den besetz­ten Län­dern abtrans­por­tierte, wurde natür­lich auch in Ham­burg sehr bereit­wil­lig von gro­ßen Tei­len der Bevöl­ke­rung ‚über­nom­men‘. Die Stadt pro­fi­tierte in gro­ßem Stil von der Flucht jüdi­scher Men­schen, deren Eigen­tum im Hafen zurück­blieb, statt ver­la­den zu wer­den. Ich bin gespannt, wel­chen Umgang Ham­burg mit die­sem Erbe findet.“

Wie die Bre­mer Initia­tive erfolg­reich wurde, lässt sich in dem Mit­schnitt von Bleyls Vor­trag nach­hö­ren. Die Ein­wei­hung des Bre­mer Mahn­mals fin­det am Sonn­tag, 10.09., um 11 Uhr direkt vor Ort statt. Ab 18 Uhr folgt ein öffent­li­ches Vortrags- und Dis­kus­si­ons­pro­gramm in der Bre­mi­schen Bürgerschaft. 

Felix Jacob

Volle Pulle enteignen

Volle Pulle enteignen

Der Inves­tor des Hols­ten­are­als ist finan­zi­ell stark ange­schla­gen und steht zudem unter Betrugs­ver­dacht. Jetzt hat die Stadt den Pla­nungs­stopp ver­kün­det. Für die Ent­wick­lung des Quar­tiers auf dem ehe­ma­li­gen Brauerei-Gelände in Altona-Nord ist das eine unver­hoffte Chance. Sie muss unbe­dingt ergrif­fen werden.

Lan­ger Atem: Schon im Februar 2021 gab es Pro­test vor dem Hols­ten­areal. Foto: Rasande Tys­kar, flickr.

»Ist das Kind in den Brun­nen gefal­len?«, wurde Theo Bruns, Teil der Initia­tive Knallt am dolls­ten, Anfang Februar im Hamburg1-Gespräch gefragt. Bruns wei­gerte sich, diese Frage mit ›Ja‹ zu beant­wor­ten, und bekun­dete, wei­ter für die Kom­mu­na­li­sie­rung des Hols­ten­are­als zu kämp­fen. Doch blickte man damals, vor vier Mona­ten, auf die Fak­ten­lage, schien die­ser Kampf nahezu aus­sichts­los zu sein. Im April oder Mai, so der dama­lige Stand, wollte der Bezirk den städ­te­bau­li­chen Ver­trag mit dem Inves­tor, der zur Adler Group gehö­ri­gen Con­sus Real Estate, unter­zeich­nen; Ein­wen­dun­gen gegen den Ver­trag wur­den pau­schal zurück­ge­wie­sen; und dass der Bezirk Altona es als Erfolg ver­kaufte, für 100 der ca. 1200 geplan­ten Woh­nun­gen »preis­ge­dämpfte« Net­to­kalt­mie­ten in Höhe von 12,90 bzw. 14,90 Euro pro m² aus­ge­han­delt zu haben, offen­barte den Unwil­len und die Unfä­hig­keit der poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen, gegen­über dem Inves­tor ernst­haft Stel­lung zu beziehen.

Immobilienspekulant in Schieflage

Doch nun scheint sich die Hart­nä­ckig­keit des Pro­tests von Initia­ti­ven wie Knallt am dolls­ten bezahlt zu machen. Der Mai liegt hin­ter uns und der städ­te­bau­li­che Ver­trag ist immer noch nicht unter­zeich­net. Und dazu wird es wohl so bald auch nicht kom­men, denn der Bezirk Altona hat erklärt, alle Pla­nun­gen auf Eis zu legen. Grund dafür: Die wirt­schaft­li­che Lage des in der Presse gerne als »umstrit­ten« bezeich­ne­ten Inves­tors, der ca. 30.000 Woh­nun­gen besitzt, ist so undurch­sich­tig, dass er die für eine Unter­zeich­nung gefor­derte Finan­zie­rungs­zu­sage einer Bank für das rie­sige Pro­jekt nicht vor­le­gen konnte. Der Kon­zern ist schon län­ger unter Druck, vor allem nach­dem der Inves­tor Fraser Per­ring, der bereits den sys­te­ma­ti­schen Betrug bei Wire­card auf­deckte, im ver­gan­ge­nen Herbst ähn­li­che Vor­würfe gegen die Adler Group erhob. 

Wei­ter zuge­spitzt hat sich die Situa­tion, nach­dem die Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft KPMG Ende April ein ent­las­ten­des Tes­tat für den Jah­res­ab­schluss des Kon­zerns ver­wei­gerte, wor­auf­hin die Adler-Aktie abstürzte und meh­rere Mit­glie­der des Manage­ments zurück­tra­ten. Das Han­dels­blatt berich­tete Ende Mai zudem von Ermitt­lun­gen der Staats­an­walt­schaft Frank­furt und davon, dass der Finanzaufsichts-Chef Mark Bran­son den Finanz­aus­schuss des Bun­des­tags am 18. Mai eigens in streng gehei­mer Sit­zung über die Vor­würfe gegen Adler informierte.

Wenn nun neues Leben in die Ange­le­gen­heit Hols­ten­quar­tier kommt, ist das also kei­nes­wegs das Ver­dienst der Poli­tik. Der Bezirk Altona näm­lich hat lange immer noch auf Consus/Adler gesetzt und auf der ein­mal getrof­fe­nen Ent­schei­dung beharrt – trotz der immer grö­ße­ren Vor­würfe gegen den Inves­tor. Anstatt das Schei­tern des bis­he­ri­gen Plans ein­zu­be­ken­nen, erklärte die Bezirks­amts­lei­te­rin Ste­fa­nie von Berg noch vor zwei Wochen gegen­über dem Ham­bur­ger Abend­blatt, die Ver­hand­lun­gen lägen »auf Eis«, bis eine Finan­zie­rungs­zu­sage vor­liege: »Wir haben dazu auch keine Frist gesetzt, son­dern war­ten ab.«

Dass nicht alle in der Stadt­po­li­tik so gedul­dig sind, zeigte sich aber Anfang Mai, als der Lan­des­be­trieb Immo­bi­li­en­ma­nage­ment und Grund­ver­mö­gen (LIG) die Con­sus ange­schrie­ben und um Ver­kaufs­ver­hand­lun­gen bat. Aller­dings drängt sich der Ein­druck auf, dass es sich hier um bloße Sym­bol­po­li­tik han­delt. Die Nach­richt führte zu mar­ki­gen Schlag­zei­len wie »Ham­burg macht Ernst: Stadt will Holsten-Quartier kau­fen« (Abend­blatt). Im ›Klein­ge­druck­ten‹ erfuhr man dann aber: Die Stadt würde die Flä­che nur »zu einem ange­mes­se­nen Preis« erwer­ben und nur dann, wenn der Inves­tor über­haupt ver­kau­fen will. Noch am 1. Juni, also nach dem offi­zi­el­len Pla­nungs­stopp, ver­kün­dete Ste­fa­nie von Berg: Wenn die Adler Group das Grund­stück nicht zum Ver­kauf anbiete, »kann auch die Stadt nichts machen«.1Das Ham­bur­ger Abend­blatt schreibt trotz­dem und ent­ge­gen aller Fak­ten von einem »har­ten Kurs« der Stadt »gegen die Adler Group«. 

Kurz: Die Krise bei Adler/Consus hat die Chance eröff­net, doch noch eine öko­lo­gi­sche und soziale Ent­wick­lung des Quar­tiers zu ermög­li­chen, – aber die Ham­bur­ger Poli­tik macht den Ein­druck, damit so gar nicht glück­lich zu sein. Davon könnte man über­rascht sein, hätte man die Slo­gans von Grü­nen (»Für Mie­ten ohne Wahn­sinn«) und SPD (»Wachs­tum ja, aber nicht bei den Mie­ten«) zu den Bür­ger­schafts­wah­len 2020 für bare Münze genom­men. Blickt man aller­dings auf das Vor­ge­hen des SPD-geführten Senats und des unter grü­nem Vor­sitz ste­hen­den Bezirks Altona in Sachen Hols­ten­areal, wird deut­lich: Hier wurde von Beginn an alles unter­las­sen, was die­sen Slo­gans auch nur ein klein wenig Sub­stanz ver­lie­hen hätte.

Hamburger Investorenmonopoly

Das begann schon 2015. Damals ent­schied die Holsten-Brauerei, ihren bis­he­ri­gen Stand­ort an der Hols­ten­straße auf­zu­ge­ben. Der Senat unter dem dama­li­gen Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz hätte sein Vor­kaufs­recht nut­zen und das Gelände für ca. 55 Mil­lio­nen Euro kau­fen kön­nen – doch er hat es unter­las­sen (was inzwi­schen selbst die CDU anpran­gert). Statt­des­sen wurde das Gelände höchst­bie­tend ver­kauft, womit ein kaum fass­ba­res Inves­to­ren­mo­no­poly in Gang gesetzt wurde. 150 Mil­lio­nen Euro betrug der anfäng­li­che Kauf­preis der Düs­sel­dor­fer Gerch-Gruppe. Seit­her wurde das Grund­stück vier­mal in soge­nann­ten share deals mit Gewinn wei­ter­ver­kauft – bis Con­sus es schließ­lich 2019 für 320 Mil­lio­nen Euro übernahm. 

Die­ser Bebau­ungs­plan (Stand: Novem­ber 2019) ist jetzt hof­fent­lich Geschichte. Quelle: hamburg.de

Ange­sichts die­ses hor­ren­den Kauf­prei­ses war klar: Um die von einem bör­sen­no­tier­ten Immo­bi­li­en­kon­zern erwar­te­ten Pro­fite zu erwirt­schaf­ten, müsste hier extrem dicht bebaut und extrem teuer ver­kauft bzw. ver­mie­tet wer­den. Zur Ver­deut­li­chung: Nicht-profitorientierte Genos­sen­schaf­ten hat­ten der Kam­pa­gne »So geht Stadt« zufolge für den Erwerb des Grund­stücks maxi­mal 50 Mil­lio­nen Euro gebo­ten, weil sie bei einem höhe­ren Preis keine sozi­al­ver­träg­li­chen Miet­preise mehr mög­lich sahen. Dem­entspre­chend hoch fal­len die nun erwar­te­ten Mie­ten – sowohl für Gewerbe als auch für Woh­nen – aus: Für die frei ver­mie­te­ten zwei Drit­tel der Woh­nun­gen sei mit einer Net­to­kalt­miete von 23 Euro pro m² zu rech­nen, schätzte die Initia­tive Knallt am dolls­ten im Dezem­ber 2021.

Adler: Immobilienspekulation als Geschäftsmodell

Das Hols­ten­areal ist bei wei­tem nicht das ein­zige Pro­jekt der Adler Group. Ins­ge­samt 47 soge­nannte ›Ent­wick­lungs­pro­jekte‹, fünf davon in Ham­burg, hat der Inves­tor aktu­ell am Lau­fen – oder eben nicht. Denn bei der Mehr­zahl der Pro­jekte gibt es aktu­ell keine Bau­fort­schritte. Wie beim Hols­ten­areal, wo kürz­lich zumin­dest lang­sam mit den Abriss­ar­bei­ten begon­nen wurde, eigent­lich aber schon längst hätte gebaut wer­den sol­len, sieht es auch woan­ders aus. In Ber­lin etwa tut sich beim Hoch­haus Ste­glit­zer Krei­sel schon seit Mona­ten nichts – der Roh­bau wirkt wie eine sizi­lia­ni­sche Bau­ruine (und gibt so einen Vor­ge­schmack davon, was mit dem Elb­tower pas­sie­ren könnte). Das brach­lie­gende Neu­län­der Quar­ree in Har­burg hatte Adler letz­tes Jahr an eine dubiose Fonds­ge­sell­schaft mit Sitz auf Guern­sey ver­kauft – und nun vor weni­gen Wochen wie­der zurück­ge­kauft. Der Ver­dacht, dass es sich hier­bei um einen Schein­ver­kauf han­delte, um die Bilan­zen auf­zu­bes­sern, liegt nahe. 

Daran, die erwor­be­nen Grund­stü­cke tat­säch­lich zu bebauen, zeigt der Inves­tor jeden­falls gar kein Inter­esse. Und warum auch: Die Grund­stü­cke stei­gen ange­sichts der immer noch wach­sen­den Immo­bi­li­en­blase suk­zes­sive im Wert, und die zuletzt stark gestie­ge­nen Bau­kos­ten machen das Bauen weni­ger ren­ta­bel. Es über­rascht nicht, dass auch Von­o­via, Deutsch­lands größ­ter Wohn-Immobilienkonzern und Ent­eig­nungs­kan­di­dat Num­mer eins, mit mehr als 20% an der Adler Group betei­ligt ist, und dass ihr Ver­wal­tungs­rats­vor­sit­zende Ste­fan Kirs­ten vor­her CFO bei Von­o­via war.

Viele offene Fragen

Doch wie kann es nun wei­ter­ge­hen? Die Initia­tive Knallt am dolls­ten for­dert die Kom­mu­na­li­sie­rung des Are­als, denn sie wäre die Grund­vor­aus­set­zung dafür, dass dort ein sozia­les, inklu­si­ves, öko­lo­gi­sches Quar­tier ent­ste­hen kann. Damit das mög­lich ist, müsste die Stadt nun eine städ­te­bau­li­che Ent­wick­lungs­maß­nahme nach § 165 Bau­ge­setz­buch für das Hols­ten­areal beschlie­ßen. »Sie ist das wich­tigste Instru­ment, mit dem effek­ti­ver Druck auf den Inves­tor aus­ge­übt wer­den kann. Als ultima ratio schließt sie sogar eine Ent­eig­nung nicht aus«, erklärte Theo Bruns gegen­über Untie­fen. Nur so könnte ver­hin­dert wer­den, dass das Areal ein­fach an den nächs­ten Inves­tor ver­kauft wird. 

Dass das gang­bar ist, zei­gen andere Bei­spiele: In Düs­sel­dorf etwa hat die regie­rende Mehr­heit aus CDU und Grü­nen einen Antrag auf Ein­lei­tung einer städ­te­bau­li­chen Ent­wick­lungs­maß­nahme beschlos­sen – mit Zustim­mung der Links­par­tei und selbst der FDP. In Har­burg sind vor­be­rei­tende Unter­su­chun­gen für die bei­den Adler/Consus-Pro­jekte (neben dem Neu­län­der Quar­ree noch die New York-Hamburger Gum­mi­waa­ren­fa­brik) ein­ge­lei­tet wor­den. Der Bezirk Altona lehnt das­selbe mit der abstru­sen Begrün­dung ab, es han­dele sich beim Hols­ten­areal nicht um einen »Stadt­teil mit her­aus­ge­ho­be­ner Bedeu­tung«. Theo Bruns ver­mu­tet andere Gründe: Neben dem feh­len­den poli­ti­schen Inter­esse und der Wei­ge­rung, Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen, vor allem »Man­gel an Cou­rage und Gestal­tungs­wil­len«. Eine städ­te­bau­li­che Ent­wick­lungs­maß­nahme wäre für die Bezirks­ver­wal­tung näm­lich eine äußerst zeit- und arbeits­auf­wen­dige Ange­le­gen­heit. Aber selbst wenn die in Bezirk und Stadt maß­geb­li­chen rot-grünen Mehr­hei­ten sich trotz­dem (und d.h. vor allem wegen des öffent­li­chen Drucks) für solch ein Vor­ge­hen ent­schie­den, blie­ben noch einige offene Fragen.

Die größte wäre natür­lich der Preis: Das Grund­stück steht mitt­ler­weile mit einem Wert von 364 Mil­lio­nen Euro in den Bilan­zen der Adler Group – ein völ­lig unrea­lis­ti­scher, durch Spe­ku­la­tion in die Höhe getrie­be­ner Preis. Knallt am dolls­ten for­dert dage­gen, die Kal­ku­la­tion umzu­dre­hen und einen »sozial ver­träg­li­chen Ver­kehrs­wert« für den Rück­kauf anzu­le­gen. Das heißt, nicht der Grund­stücks­preis soll die Mie­ten bestim­men, son­dern umge­kehrt: Aus­ge­hend von einer ange­streb­ten (Maximal-)Miete soll der Grund­stücks­preis berech­net werden. 

Aber auch die Frage, wie viel Zeit für all das noch bleibt, ist unge­klärt. Adler hat eine Insol­venz der Con­sus Real Estate zwar noch Mitte Mai offi­zi­ell aus­ge­schlos­sen, aber es erscheint nicht unwahr­schein­lich, dass bald ein Insol­venz­ver­fah­ren eröff­net wird. Für eine städ­te­bau­li­che Ent­wick­lungs­maß­nahme wäre es dann wohl zu spät – als Teil der Insol­venz­masse müsste das Hols­ten­areal höchst­bie­tend wei­ter­ver­kauft werden.

Für einen radikalen Neuanfang

Der­weil hat Knallt am dolls­ten gemein­sam mit ande­ren Initia­ti­ven aber schon demons­tra­tiv einen Neu­start ein­ge­läu­tet. Am 25. Mai ver­sam­mel­ten sich dut­zende Teilnehmer:innen vor dem Alto­naer Rat­haus zu einer »Bezirks­ver­samm­lung von unten«. »Adler ist Geschichte, dar­über muss man jetzt nicht mehr reden. Wir kön­nen jetzt einen Schritt wei­ter gehen«, sagte Theo Bruns in einem Rede­bei­trag. Es gehe jetzt darum, das Quar­tier neu zu den­ken und die Bürger:innen an der Pla­nung zu betei­li­gen, so wie das im Falle der Esso-Häuser in St. Pauli mit der Plan­bude prak­ti­ziert wurde und wird.2Frei­lich sind die Esso-Häuser alles andere als ein gutes Bei­spiel für einen gelun­ge­nen Pla­nungs­pro­zess. An ›zu viel Bürger:innenbeteiligung‹ liegt das aber nicht – und es ist eine inter­es­sierte Falsch­be­haup­tung, wenn die Welt das in einem jüngst erschie­ne­nen Arti­kel so dar­stellt. Zu den For­de­run­gen, die am offe­nen Mikro­fon und an den auf­ge­stell­ten Pinn­wän­den gesam­melt wur­den, zäh­len: gerin­gere Ver­dich­tung und Ver­sie­ge­lung, bezahl­bare Mie­ten, mehr bar­rie­re­freie Woh­nun­gen (die aktu­elle Pla­nung sieht sechs (!) roll­stuhl­ge­rechte Woh­nun­gen im gesam­ten Hols­ten­quar­tier vor), Raum für neue Wohn­for­men und die Ver­wen­dung öko­lo­gi­scher Baumaterialien.

Wäh­rend die ›Bezirks­ver­samm­lung von unten‹ vor dem Alto­naer Rat­haus Druck auf die Entscheider:innen auf­baute und Ideen für ein lebens­wer­tes Quar­tier ent­wi­ckelte, unter­nahm die zeit­gleich statt­fin­dende Bezirks­ver­samm­lung im Rat­haus – nichts. Da sich die Situa­tion nicht ver­än­dert habe, gebe es auch nichts zu ent­schei­den. Man scheint dort auf wei­tere Winke des ›Schick­sals‹ (d.h. des Mark­tes) zu war­ten. Dabei gälte es, jetzt umge­hend zu han­deln: den »Cha­os­in­ves­tor« Adler/Consus ent­eig­nen, das Hols­ten­areal ver­ge­sell­schaf­ten und es anschlie­ßend von gemein­wohl­ori­en­tier­ten Genos­sen­schaf­ten und Bau­ge­mein­schaf­ten bebauen las­sen. Die Bewohner:innen Alto­nas hät­ten dafür jeden­falls schon einige Ideen.

Lukas Betz­ler

Der Autor ist Teil der Untie­fen-Redak­tion und schrieb hier bereits über das als Stadt­ma­ga­zin fir­mie­rende Anzei­gen­blatt SZENE Ham­burg.

  • 1
    Das Ham­bur­ger Abend­blatt schreibt trotz­dem und ent­ge­gen aller Fak­ten von einem »har­ten Kurs« der Stadt »gegen die Adler Group«. 
  • 2
    Frei­lich sind die Esso-Häuser alles andere als ein gutes Bei­spiel für einen gelun­ge­nen Pla­nungs­pro­zess. An ›zu viel Bürger:innenbeteiligung‹ liegt das aber nicht – und es ist eine inter­es­sierte Falsch­be­haup­tung, wenn die Welt das in einem jüngst erschie­ne­nen Arti­kel so darstellt.

Die Leerstelle Bornplatzsynagoge

Die Leerstelle Bornplatzsynagoge

Die Born­platz­syn­agoge im Grin­del­vier­tel soll wie­der auf­ge­baut wer­den. Das beschloss die Bür­ger­schaft im Januar 2020. Über die genaue Umset­zung aller­dings wird seit­her hef­tig gestrit­ten. Das für Mitte des Jah­res ange­kün­dig­ten Ergeb­nis einer Mach­bar­keits­stu­die wird die nächste Runde der Debatte ein­läu­ten. Aber was steht hier eigent­lich zur Diskussion?

Die Syn­agoge am Born­platz als Post­kar­ten­mo­tiv, 1906. Foto: Knack­stedt & Näther, Quelle: Stif­tung His­to­ri­sche Museen Hamburg

Die Born­platz­syn­agoge im Ham­bur­ger Grin­del­vier­tel wurde 1906 vom ortho­do­xen Syn­ago­gen­ver­band in einer Zeit zuneh­men­der poli­ti­scher und juris­ti­scher Par­ti­zi­pa­tion von Jüdin­nen und Juden als Haupt­syn­agoge eröff­net. 1939, als die sys­te­ma­ti­sche Ver­trei­bung der deut­schen Juden ein­setzte, erzwan­gen die Nazis ihren Abriss. Seit bald drei Jah­ren wird nun über die Form, den Ort und mög­li­che Fol­gen eines Wie­der­auf­baus dis­ku­tiert. Dabei geht es um weit mehr als Archi­tek­tur: Zur Debatte steht die deut­sche Shoa-Erinnerungskultur, die Reprä­sen­ta­tion hete­ro­ge­ner, jüdi­scher Gemein­den und letzt­lich die gesell­schaft­li­che Teil­habe des deut­schen Juden­tums am Ham­bur­ger Stadtbild.

Bürokratische Zerstörung…

1938 ver­such­ten Ham­bur­ger Nazis die Born­platz­syn­agoge wäh­rend der Novem­ber­po­grome durch einen Brand­an­schlag zu zer­stö­ren, was ihnen zunächst nicht gelang. Ihr momen­ta­nes Über­le­ben ver­dankte die Syn­agoge aber nicht etwa Skru­peln oder Rück­sicht­nahme, son­dern dem Wil­len, nicht-jüdische Kul­tur­gü­ter zu ret­ten, die unweit von ihr in Holz­scheu­nen auf­be­wahrt wur­den. Die­ser Auf­schub lenkte die Zer­stö­rung in büro­kra­ti­sche Bah­nen: Im Früh­jahr 1939 lie­ßen die Nazis die beschä­digte Syn­agoge auf Kos­ten des jüdi­schen Reli­gi­ons­ver­bands Ham­burg abrei­ßen. Im April 1940 ver­merkte das Amts­ge­richt Ham­burg die Auf­las­sung des Syn­ago­gen­grund­stücks, das Gelände ging in den Besitz der Stadt über. Gegen Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges wurde an dem nun lee­ren Platz ein Hoch­bun­ker errichtet.

1949 erhob die neu gegrün­dete Jüdi­sche Gemeinde in Ham­burg (JGHH) Anspruch auf Rück­gabe des Grund­stücks. Aller­dings führte fak­tisch die Jewish Trust Cor­po­ra­tion (JTC) die jah­re­lan­gen Ver­hand­lun­gen. Denn bei der Ham­bur­ger Gemeinde han­delte es sich zu die­ser Zeit um eine soge­nannte »Liqui­die­rungs­ge­meinde«. Ihr Ziel war nicht der Wie­der­auf­bau jüdi­scher Kul­tur­stät­ten in Deutsch­land, son­dern die Koor­di­na­tion der Aus­reise deutsch-jüdischer Per­so­nen. Für die JTC stand daher im Fokus, rück­erstat­te­tes Ver­mö­gen für den Auf­bau des jüdi­schen Staa­tes zu orga­ni­sie­ren. Auf­sei­ten der Ham­bur­ger Lie­gen­schafts­ab­tei­lung ver­han­delte unter ande­ren Hans-Joachim Rich­ter. Er war in sei­ner Posi­tion bereits vor dem Krieg für den Zwangs­ver­kauf von Grund­stü­cken der ham­bur­gi­schen jüdi­schen Gemein­den ver­ant­wort­lich gewesen.

… und bürokratische Restituierung

Auf diese per­so­nelle Kon­ti­nui­tät und die Tat­sa­che, dass die Stadt das Gelände nicht direkt an die jüdi­sche Gemeinde zurück­gab, son­dern mit einer aus­län­di­schen Orga­ni­sa­tion ver­han­delte, wird in der aktu­el­len Debatte wie­der refe­riert. Der heu­tige Vor­sit­zende der JGHH, Phil­ipp Strich­arz, betrach­tet das dama­lige Ent­schä­di­gungs­ver­fah­ren als eine zweite Ent­eig­nung. Miriam Rürup, Direk­to­rin des Pots­da­mer Moses Men­dels­sohn Zen­trums und ehe­ma­lige Lei­te­rin des Ham­bur­ger Insti­tuts für die Geschichte der deut­schen Juden (IGDJ), sieht das anders. Sie betont das dama­lige Motiv der JTC, für die Ent­eig­nung des Gelän­des zügig, wenn auch unzu­rei­chend, ent­schä­digt zu werden.

In der Debatte um einen Syn­ago­gen­bau am heu­ti­gen Joseph-Carlebach-Platz neh­men Strich­arz und Rürup oft ent­ge­gen­ge­setzte Posi­tio­nen ein. Strich­arz ver­tritt dabei die Inter­es­sen der JGHH und for­dert mehr Sicht­bar­keit für das jüdi­sche Leben, beson­ders im Grin­del­vier­tel. Rürup teilt den Wunsch nach mehr Sicht­bar­keit, spricht aber als His­to­ri­ke­rin, Mit­glied des Ver­eins Tem­pel­fo­rum e.V. und Teil der deut­lich klei­ne­ren Libe­ra­len Jüdi­schen Gemeinde Ham­burgs (LJGH).

Deut­sches Geschichts­be­wusst­sein: Bis in die 1980er Jahre hin­ein wurde der Platz der ehe­ma­li­gen Syn­agoge als Park­platz genutzt, Foto: Denk­mä­ler und Bau­denk­male der Jüdi­schen Gemeinde in Ham­burg – Kul­tur­be­hörde, Denk­mal­schutz­amt1Die Rechteinhaber:innen konn­ten trotz inten­si­ver Nach­for­schung nicht ermit­telt wer­den. Diese haben die Mög­lich­keit, sich an uns zu wenden.

Die Ver­hand­lun­gen zwi­schen dem Ham­bur­ger Senat und der JTC um das Grund­stück mün­de­ten 1953 in eines von meh­re­ren soge­nann­ten »Pau­schal­ab­kom­men«. Neben dem Born­platz betraf es elf wei­tere Ham­bur­ger Grund­stü­cke. Die Ver­gleichs­sum­men der gut gele­ge­nen Immo­bi­lien lagen weit unter ihrem Wert. In den 1960er Jah­ren wurde das gesamte Areal am Grin­del­hof von der Uni­ver­si­tät genutzt. Der Born­platz war bis in die 1980er Jahre ein schlam­mi­ger Park­platz. Pla­nungs­recht­lich war das Gelände noch bis 1985 für eine Erwei­te­rung der Uni­ver­si­tät vor­ge­se­hen. Par­al­lel wurde es seit Ende der 70er auch als mög­li­cher Ort für eine erin­ne­rungs­kul­tu­relle Nut­zung ent­deckt. Die Uni­ver­si­tät ent­schied sich schluss­end­lich gegen eine Erwei­te­rung auf dem Born­platz. Die Finan­zie­rungs­mit­tel konn­ten nicht auf­ge­bracht wer­den, hieß es in einer ent­spre­chen­den Ein­gabe der Kul­tur­se­na­to­rin Anfang der 1980er Jahre. 

Aufbereitung der Lücke

Ende der 1970er Jahre sollte eine archäo­lo­gi­sche Gra­bung am Born­platz die Grund­lage für eine Erin­ne­rungs­stätte erge­ben. Durch­ge­führt wurde sie vom Fach­be­reich Archäo­lo­gie der Uni Ham­burg, der noch heute im Hoch­bun­ker ange­sie­delt ist. Die Gra­bung offen­barte, dass das Fun­da­ment der Born­platz­syn­agoge größ­ten­teils erhal­ten ist. Aller­dings bat die Jüdi­sche Gemeinde aus Rück­sicht­nahme auf jüdi­sches Recht darum, es nicht offen­zu­le­gen. Statt­des­sen beauf­tragte die Kul­tur­be­hörde 1983 die Ham­bur­ger Künst­le­rin Mar­grit Kahl, Visua­li­sie­rungs­vor­schläge für die Auf­be­rei­tung der Lücke anzu­fer­ti­gen. Über die Vor­schläge stimm­ten auch Ver­tre­ter der Jüdi­schen Gemeinde ab. Das Syn­ago­ge­gen­mo­nu­ment sollte die Leer­stelle sicht­bar machen und damit der poli­ti­schen For­de­rung nach Erin­ne­rungs­kul­tur in der post­fa­schis­ti­schen BRD nach­kom­men. Am 50. Jah­res­tag der Novem­ber­po­grome, dem 9. Novem­ber 1988, wurde Kahls Mosaik auf dem heu­ti­gen Joseph-Carlebach-Platz ein­ge­weiht. Es befin­det sich dort bis heute.

Das 1988 ein­ge­weihte Mosaik der Künst­le­rin Mar­grit Kahl macht den Grund­riss und die Struk­tur des Decken­ge­wöl­bes der 1939 abge­ris­se­nen Syn­agoge sicht­bar. Foto: M. Kahl (Nach­lass), © 2022 Forum für Künst­ler­nach­lässe (FKN), Hamburg 

Die Stadt ver­stand die Instand­hal­tung des Monu­ments bis 2019 nicht als ihre Auf­gabe. Geden­kinitia­ti­ven nutz­ten den Ort, um sich an Jah­res­ta­gen dort zusam­men­zu­fin­den, und Schul­klas­sen küm­mer­ten sich um die Denk­mal­pflege. Stadt­tou­ren hal­ten hier, Men­schen aus dem Vier­tel und der Uni­ver­si­tät pas­sie­ren den Platz täg­lich. Man­che beto­nen die bemer­kens­werte Wir­kung der sub­ti­len Auf­be­rei­tung zu einem Raum, der sie zur Reflek­tion über die Shoa anhält. Die israe­li­sche Kunst­his­to­ri­ke­rin Galit Noga-Banai bezeich­nete das Syn­ago­gen­mounu­ment am Born­platz auf einem Sym­po­sium im Sep­tem­ber 2021 als eines von drei Gegen­denk­ma­len, die zukunfts­wei­send für die deut­sche Gedenk­kul­tur gewe­sen seien. Andere neh­men das Mosaik kaum wahr oder bezwei­feln seine mah­nende Wirkung.

»Nein zu Antisemitismus, ja zur Bornplatzsynagoge«

Am 9. Okto­ber 2019 ver­übte der rechte Ter­ro­rist Ste­phan B. einen Anschlag auf die Syn­agoge von Halle. Neben ver­harm­lo­sen­den Deu­tun­gen, dem­nach man es mit einem psy­chisch kran­ken Ein­zel­tä­ter zu tun habe, folg­ten dar­auf auch poli­ti­sche Ver­spre­chun­gen, Anti­se­mi­tis­mus stär­ker zu bekämp­fen. In der Ham­bur­ger Bür­ger­schaft brachte ein frak­ti­ons­über­grei­fen­der Antrag die Unter­stüt­zung des Wie­der­auf­baus als eine mög­li­che poli­ti­sche Ant­wort auf den Anschlag ins Spiel. Der Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus, so die im Antrag vor­ge­brachte Argu­men­ta­tion, müsse mit einer Sicht­bar­ma­chung der posi­ti­ven Aspekte jüdi­schen Lebens kom­bi­niert wer­den. Am 28. Januar 2020 beschloss die Ham­bur­ger Bür­ger­schaft ein­stim­mig, das Bau­vor­ha­ben mit dem Antrag für eine Mach­bar­keits­stu­die vom Bund zu unter­stüt­zen.2Siehe dazu auch: https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/wird-hamburgs-einst-groesste-synagoge-wieder-aufgebaut/

Der Wunsch, auf dem Joseph-Carlebach-Platz wie­der eine Syn­agoge zu errich­ten, ist aller­dings deut­lich älter. Zuletzt wurde er 2010 von Ruben Herz­berg, dem dama­li­gen Vor­sit­zen­den der JGHH, anläss­lich des fünf­zig­jäh­ri­gen Jubi­lä­ums der Syn­agoge Hohe Weide for­mu­liert: »Die Ein­wei­hung der Syn­agoge Hohe Weide war ein weit­hin sicht­ba­res kla­res Zei­chen, dass jüdi­sches Leben nicht ver­nich­tet wer­den konnte. Das Herz des jüdi­schen Ham­burg aber schlägt im Grin­del­vier­tel, dort neben der Talmud-Tora-Schule, unse­rem heu­ti­gen Gemein­de­zen­trum mit der Joseph-Carlebach-Schule […]. Wir wün­schen uns die Rück­kehr an unse­ren alten Ort, denn der leere Platz ist eine Wunde in unse­rem Leben.« Die­ser Wunsch fand damals keine poli­ti­sche Unterstützung.

Zehn Jahre spä­ter, nach dem Ter­ror­an­schlag von Halle, finan­ziert der Bund nun die Mach­bar­keits­stu­die für den Wie­der­auf­bau mit 600.000€. Zuvor star­tete unter dem Slo­gan »Nein zu Anti­se­mi­tis­mus. Ja zur Born­platz­syn­agoge« eine medi­en­wirk­same Unter­stüt­zungs­kam­pa­gne für den Bau einer neuen Syn­agoge am alten Platz. Unter den circa 107.000 Unterzeichner:innen fin­den sich nam­hafte Per­sön­lich­kei­ten vor allem aus Ham­burg, aber auch aus der Bun­des­po­li­tik und aus Israel. Neben loka­len Unternehmer:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen warb etwa auch Olaf Scholz per Video­bot­schaft für das Vorhaben.

Kritik am historisierenden Wiederaufbau

Bereits zu Beginn die­ser Kam­pa­gne wur­den öffent­lich Stim­men hör­bar, die befürch­te­ten, dass das Boden­mo­saik der Rea­li­sie­rung wei­chen müsse. Resü­mie­rend sagte Miriam Rürup im März 2021, das Syn­ago­gen­mo­nu­ment »war eine Avantgarde-Bewegung von Juden und Nicht­ju­den. Dar­auf sollte man sehr stolz sein. […] Dür­fen wir uns davon schon abwen­den?« Mit dem Mosaik würde ein wich­ti­ger Ort der Erin­ne­rungs­kul­tur in Ham­burg ver­schwin­den. Das Gegen­ar­gu­ment lau­tet: Das Boden­mo­saik habe sei­nen Zweck erfüllt, denn für wen und auf wes­sen Kos­ten solle die schmerz­hafte Lücke bei­be­hal­ten wer­den? Sie sei besetzt wor­den, bis wie­der eine Syn­agoge auf den Platz zurück­keh­ren könne. Phil­ipp Strich­arz drückte es schon im Novem­ber 2019 gegen­über der taz so aus: »Jeden Tag, an dem ich da vor­bei­komme, emp­finde ich eine große und wei­ter bestehende his­to­ri­sche Unge­rech­tig­keit. […] Da steht einer­seits ein Platz leer – da sollte aber eine Syn­agoge ste­hen. Statt­des­sen steht da die­ser soge­nannte Hoch­bun­ker«. Das Areal »wie­der jüdisch zu machen, das mag pathe­tisch klin­gen, wäre ein spä­ter Sieg«.

Als das Areal am Grin­del­hof noch jüdisch war: Blick auf das Ensem­ble von Talmud-Tora-Schule und Syn­agoge, 1914. Quelle: Ham­burg und seine Bau­ten, Band 1. Döl­ling und Galitz, Ham­burg 1914.

Gegen eben die­ses Pathos ver­weh­ren sich Rürup und andere Hamburger:innen. Das doku­men­tierte etwa eine Ver­an­stal­tung der Kör­ber Stif­tung vom Februar 2021. Zu Beginn der Debatte schürte beson­ders die Rede von »Wie­der­auf­bau« und »Rekon­struk­tion« die Sorge, der Bau könne zu his­to­ri­schem Revi­sio­nis­mus füh­ren. Rürup warnte im Rah­men einer von der Patrio­ti­schen Gesell­schaft orga­ni­sier­ten Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung: »Wenn wir his­to­ri­sie­rend bauen, fan­ta­sie­ren wir uns in eine gute alte Zeit«. Sie fragte, wel­che unge­wollte Wir­kung der Wie­der­auf­bau noch haben könnte und befürch­tete eine »mora­li­sche Elbphilharmonie«. 

Ein Prestigeprojekt wie die Elbphilharmonie?

In Ana­lo­gie zur Elb­phil­har­mo­nie waren die ers­ten Debat­ten­bei­träge von der Kri­tik geprägt, Ham­burg ver­folge nun auch im Kampf gegen den Anti­se­mi­tis­mus ein Pres­ti­ge­pro­jekt. Mit dem Slo­gan »Nein zu Anti­se­mi­tis­mus. Ja zur Born­platz­syn­agoge« würde jede Kri­tik am Bau­vor­ha­ben als anti­se­mi­tisch dis­kre­di­tiert. Dabei gäbe es gute Gründe, kri­tisch nach­zu­fra­gen, wes­halb die neu gewon­nene Unter­stüt­zung der Öffent­lich­keit und Poli­tik sich so auf den Wie­der­auf­bau der Born­platz­syn­agoge kon­zen­triere. Der Unmut über die Miss­ach­tung ande­rer jüdi­scher Kul­tur­stät­ten in Ham­burg über­schat­tete die Freude über die poli­ti­sche Unter­stüt­zung des Synagogenbauprojekts. 

So hatte die Initia­tive Tem­pel Pool­straße bereits vor dem anti­se­mi­ti­schen Anschlag in Halle für das Jahr 2019 eine Kam­pa­gne zur Ret­tung und kul­tu­rel­len Auf­be­rei­tung der Tem­pel­ruine in der Ham­bur­ger Neu­stadt geplant. Nach dem Anschlag fand sich der dafür gegrün­dete Ver­ein Tem­pel­fo­rum e.V. in der unge­woll­ten Lage, dass sein Anlie­gen in Kon­kur­renz zu den For­de­run­gen nach einer neuen Born­platz­syn­agoge gese­hen wurde. Als Mit­glied des Ver­eins sprach Miriam Rürup sich in der ers­ten Runde der Debatte im Dezem­ber 2019 für eine Öff­nung der geplan­ten Mach­bar­keits­stu­die aus. Das Ziel sei, viele ver­schie­dene Orte in die Wider­auf­bau­pläne ein­zu­be­zie­hen. Harald Schmid von der Bür­ger­stif­tung Schleswig-Holsteinische Gedenk­stät­ten äußerte auf einem Sym­po­sium im Sep­tem­ber 2021 rück­bli­ckend, dass die früh­zei­tige Fest­le­gung der poli­ti­schen För­de­rung auf den rekon­stru­ie­ren­den Wie­der­auf­bau der Born­platz­syn­agoge für die Kon­tro­verse mit­ver­ant­wort­lich gewe­sen sein könnte.

»Für einen breiten, offenen Diskurs«

Im Dezem­ber 2020 wurde über die Patrio­ti­sche Gesell­schaft eine öffent­li­che Stel­lung­nahme mit dem Titel »Für einen brei­ten, offe­nen Dis­kurs über den Wie­der­auf­bau der Born­platz­syn­agoge« ver­öf­fent­licht. Zu den Erst­un­ter­zeich­nen­den zähl­ten neben Miriam Rürup der His­to­ri­ker und ehe­ma­lige Direk­tor des Richard-Koebner-Zentrums für deut­sche Geschichte an der Uni­ver­si­tät Jeru­sa­lem Moshe Zim­mer­mann sowie Ingrid Nümann-Seidewinkel, ehe­ma­lige Eims­büt­te­ler Bezirksamtsleiterin.

Das von Mar­grit Kahl gestal­tete Boden­mo­saik liegt im Schat­ten des Hoch­bun­kers, Foto: Privat.

Die mit der Stel­lung­nahme als ein auch inter­na­tio­na­ler Stand­punkt in der Debatte eta­blierte Kri­tik rich­tete sich gegen die Idee eines his­to­ri­sie­ren­den Wie­der­auf­baus. Die Stel­lung­nahme kri­ti­sierte die Rekon­struk­tion krie­ge­risch zer­stör­ter Bau­ten im All­ge­mei­nen und die der Born­platz­syn­agoge im Beson­de­ren. Der Vor­wurf lau­tete, mit die­ser Idee würde – wenn auch nicht inten­diert – ein his­to­ri­scher Revi­sio­nis­mus der anti­se­mi­ti­schen Zer­stö­rung im Stadt­bild betrie­ben. Zugleich werde mit dem Syn­ago­gen­mo­nu­ment von Mar­grit Kahl ein zen­tra­ler Erin­ne­rungs­ort und Teil des kul­tu­rel­len Erbes der Stadt zer­stört. Die Unter­zeich­nen­den for­der­ten statt­des­sen »eine breite Dis­kus­sion dar­über, wie jüdi­sches Leben im Grin­del­vier­tel neu gedacht und in zeit­ge­mä­ßer, zukunfts­ge­rich­te­ter Form gestal­tet wer­den kann unter Ein­be­zie­hung der vor­han­de­nen Gege­ben­hei­ten«. Denn Städ­te­bau sei »das Ergeb­nis der Inte­gra­tion vie­ler gesell­schaft­li­cher Inter­es­sen und Sichtweisen«.

Zynismus deutscher Erinnerungspolitik

Der Ton spitzte sich zu, als Nümann-Seidewinkel die Ansicht äußerte, ein his­to­ri­sie­ren­der Wie­der­auf­bau »hätte für mich etwas von Dis­ney­land«.3Der ent­spre­chende NDR-Artikel ist nur noch in einer archi­vier­ten Fas­sung erreich­bar. Sie war in ihrer Zeit als Lei­te­rin des Bezirks­amts Eims­büt­tel an der Umset­zung des Syn­ago­gen­mo­nu­ments betei­ligt und sah nun die lokale Erin­ne­rungs­po­li­tik in Gefahr. Für die Verfechter:innen einer Rekon­struk­tion wies Strich­arz diese Kri­tik als aka­de­mi­siert zurück. Er betonte, dass sie zwar bereit seien »sich eini­ges anzu­schauen«, wenn es um die archi­tek­to­ni­schen Umset­zungs­mög­lich­kei­ten geht. Den Wunsch jedoch, den Platz kom­plett leer zu belas­sen, lehnte er ab.

Schon 2019 hatte der World Jewish Con­gress 2019 ent­spre­chende Ideen als »zynisch« kri­ti­siert: »Stim­men, die for­dern, dass der Born­platz leer blei­ben müsse, um zu zei­gen, was der Jüdi­schen Gemeinde ange­tan wurde, ertei­len wir eine klare Absage. Unrecht gegen die Jüdi­sche Gemeinde zu per­p­etu­ie­ren, nur um zu zei­gen, dass es statt­fand, würde die Ham­bur­ger Jüdi­sche Gemeinde ein wei­te­res Mal zum Objekt äuße­rer Inter­es­sen machen«.

Die Rede von ›äuße­ren Inter­es­sen‹ knüpft an den Vor­wurf an, die kri­ti­schen Stim­men kämen in ers­ter Linie von nicht-jüdischen Akteur:innen. Die­ser Ansicht wurde und wird unter ande­ren von Miriam Rürup vehe­ment wider­spro­chen. Phil­ipp Strich­arz hob jedoch her­vor, dass die Gestal­tung des Plat­zes in letz­ter Kon­se­quenz die Ent­schei­dung der jüdi­schen Gemeinde sei. Den Wunsch der Gemeinde nach einem his­to­ri­sie­ren­den Syn­ago­gen­bau begrün­dete er auf dem AIT-ArchitekturSalon im Mai 2021 fol­gen­der­ma­ßen: »Wir leben jetzt in einer Zeit, in der Juden wirk­lich Beden­ken haben, sich öffent­lich auf der Straße zu zei­gen. Öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel, ein Fuß­weg von nach kann pro­ble­ma­tisch sein und in die­ser Zeit sehnt man sich ein biss­chen nach einem Gebäude, das nicht nur aus­drückt: Wir sind da und ihr müsst es akzep­tie­ren. Son­dern: Wir sind auf eine ganz impo­sante Art und Weise da und wir sind hier nicht irgend­wer und wir sind hier nicht gerade erst mit dem Ufo gelandet«. 

Integration durch Homogenisierung?

Ob ein ori­gi­nal­ge­treuer Wie­der­auf­bau der Born­platz­syn­agoge die­sen Effekt für alle jüdi­schen Kon­fes­si­ons­grup­pen in Ham­burg haben kann, zwei­felt Miriam Rürup aller­dings an. Was in der Debatte fehle, ist ihr zufolge die Aner­ken­nung eines hete­ro­ge­nen Juden­tums und sei­ner kul­tu­rel­len Erzeug­nisse in Ham­burg. Sie kri­ti­sierte Anfang des Jah­res, dass durch die gedachte Tren­nung zwi­schen »Ham­bur­ger Stadt­ge­sell­schaft« und »jüdi­scher Ein­heits­ge­meinde« das Jüdisch­sein an die Gemein­de­mit­glied­schaft gekop­pelt wird. Diese Auf­tei­lung werde weder den Posi­tio­nen in der Debatte, noch dem jüdi­schen Kul­tur­erbe in Ham­burg gerecht.

Dass jüdi­sche Gebets- und Kul­tur­stät­ten erst nach einem Ter­ror­an­schlag poli­ti­sche Unter­stüt­zung erhal­ten und dass diese Unter­stüt­zung zu Streit zwi­schen hete­ro­ge­nen jüdi­schen Tra­di­tio­nen um Teil­habe am Stadt­bild führt, zeigt: Den jüdi­schen Gemein­den wird heute die Rolle zuge­wie­sen, sich in eine als nicht-jüdisch ver­stan­dene Stadt­ge­sell­schaft zu inte­grie­ren. Das ist schon für sich genom­men pro­ble­ma­tisch. Dazu kommt, dass viele nicht-jüdische Hamburger:innen sowie Mit­glie­der der Bür­ger­schaft nur die jüdi­sche Ein­heits­ge­meinde ken­nen. Dabei ist Ham­burg inter­na­tio­nal auch als die Wiege des libe­ra­len Juden­tums bekannt. 

In die­ser Situa­tion lässt sich die Kri­tik am Fokus auf den Wie­der­auf­bau einer impo­san­ten Syn­agoge, die für ein ortho­do­xes Juden­tum stand4Vgl. Ina Lorenz/Jörg Ber­ke­mann, Die Ham­bur­ger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39. Band 1 – Mono­gra­fie, Göt­tin­gen 2016, S. 136. Online unter: http://www.igdj-hh.de/files/IGDJ/pdf/hamburger-beitraege/lorenz-berkemann_hamburger-juden-im-ns-staat‑1.pdf, auch als die Sorge ver­ste­hen, dass Ham­burg sich zum Zweck der Inte­gra­tion eine homo­gene jüdi­sche Lokal­ge­schichte und ‑kul­tur ima­gi­niert. Wäh­rend die gewon­nene poli­ti­sche Unter­stüt­zung zu begrü­ßen ist, darf sie die Ver­nach­läs­si­gung jüdi­schen Kul­tur­er­bes in Ham­burg nicht ver­ges­sen machen. Die Befürch­tung, dass eine zu hete­ro­gen auf­tre­tende jüdi­sche Inter­es­sens­ver­tre­tung dem gemein­sa­men Wunsch nach urba­ner Teil­habe scha­den könnte, zeugt von einem besorg­nis­er­re­gen­den deut­schen Selbstverständnis.

Abkehr von der Idee eines originalgetreuen Wiederaufbaus

Spä­tes­tens 2021 änderte sich der Ton, als unter ande­rem Daniel Shef­fer, Initia­tor der Kam­pa­gne »Nein zu Anti­se­mi­tis­mus. Ja zur Born­platz­syn­agoge«, die Idee eines ori­gi­nal­ge­treuen Wie­der­auf­baus rela­ti­vierte. Mitt­ler­weile bestrei­tet er gar, dass es sie in der Form jemals gab. Für Phil­ipp Strich­arz bleibt nichts­des­to­we­ni­ger die Frage offen, wes­halb eine Voll­re­kon­struk­tion nur im Falle eines Syn­ago­gen­wie­der­auf­baus von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen sein soll. Er zieht eine his­to­ri­sche Linie von der Shoa bis dahin, dass jüdi­sche Bau­ten von der Ten­denz, urbane Archi­tek­tur ori­gi­nal­ge­treu zu rekon­stru­ie­ren, bis­lang aus­ge­schlos­sen wur­den. In Ham­burg erhiel­ten der Michel oder auch das Haus der Patrio­ti­schen Gesell­schaft in den 1950er Jah­ren städ­ti­sche Unter­stüt­zung für ihren Wie­der­auf­bau. Für die Born­platz­syn­agoge hin­ge­gen gab es, wie oben beschrie­ben, ledig­lich ein Pau­schal­ab­kom­men ohne Ein­be­zie­hung der Ham­bur­ger Gemeinde.

Für Strich­arz per­p­etu­iert sich darin das Unrecht der Nazis: »Hätte man sich damals den Juden gegen­über genauso ver­hal­ten wie man sich der sons­ti­gen Gesell­schaft gegen­über ver­hal­ten hat, hätte man die Syn­agoge [bereits in den 50er Jah­ren] wie­der auf­ge­baut«, sagte er im Rah­men des AIT-ArchitekturSalons. Es sei ver­kürzt, sich jüdi­sche Rekon­struk­tion als eine schlichte Kopie vor­zu­stel­len oder sie gar mit Dis­ney­land zu asso­zi­ie­ren: »Meine Mei­nung ist, dass ein nicht-historisierender Auf­bau undenk­bar ist.« Ein gelun­ge­ner Ent­wurf für die Syn­agoge müsse dem Anspruch der jüdi­schen Gemeinde Rech­nung tra­gen, zu »zei­gen, wo man her­kommt«. Und er müsse sich auf die Sicht der jüdi­schen Gemeinde als jenen, »die außen vor gelas­sen wur­den bei die­sem Wie­der­auf­bau«, ein­las­sen. Strich­arz betonte aber auch: Eine ein­fa­che Repli­ka­tion sei auf­grund prak­ti­scher Sicher­heits­an­for­de­run­gen gar nicht mög­lich. Außer­dem würde die alte Raum­auf­tei­lung im Inne­ren der Syn­agoge den gegen­wär­ti­gen Bedürf­nis­sen der »jüdi­schen Gemein­den Ham­burgs« nicht mehr ent­spre­chen. Der von Strich­arz hier ver­wen­dete Plu­ral deu­tet dar­auf hin, dass die jüdi­schen Gemein­den den Neu­bau nun als Mög­lich­keit sehen, sich urba­nen Raum gemein­sam neu anzueignen.

Zeichen der Annäherung

Shef­fer bezeich­nete es Anfang des Jah­res ent­spre­chend als kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner, »einen Ort leben­di­gen jüdi­schen Lebens zu schaf­fen, der Raum gibt für des­sen Viel­falt, also Gebets­räume für das libe­rale und ortho­doxe Juden­tum gleich­be­rech­tig­ter Weise«. Die­ser Vision konnte Rürup sich anschlie­ßen, for­derte aller­dings eine Refle­xion über die Schwer­punkt­set­zung inner­halb die­ser Viel­falt: Wel­ches jüdi­sche Erbe würde der Neu­bau aktua­li­sie­ren, wel­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten würde er ausklammern?

Neben dem Boden­mo­saik und der Tem­pel­ruine in der Pool­straße nennt Rürup den Tem­pel­bau in der Ober­straße, der von den Nazis ent­eig­net wurde und bis heute ein NDR-Studio beher­bergt: »Wenn wir nun den Joseph-Carlebach-Platz zum zen­tra­len Ort für jüdi­sches Leben aus­wäh­len, müs­sen wir aner­ken­nen, was es bereits gibt und auch direkt an dem Ort exis­tiert«. Bliebe dies aus, lie­ßen sich die ver­nach­läs­sig­ten archi­tek­to­ni­schen Zeug­nisse jüdi­scher Ver­gan­gen­heit nicht mit dem hege­mo­nia­len Juden­tum der Gegen­wart in Ver­bin­dung brin­gen. Sie als Jüdin fühle sich dann durch die gewon­nene Reprä­sen­tanz nicht adres­siert. Ein star­kes Signal für das Juden­tum müsse des­sen Viel­falt berücksichtigen.

Ein wei­te­res Anzei­chen der Annä­he­rung der unter­schied­li­chen Posi­tio­nen ist die Tat­sa­che, dass die JGHH das Archi­tek­tur­büro Wan­del Lorch Götze Wach mit der Erstel­lung der Mach­bar­keits­stu­die beauf­tragt hat. Das spricht gegen eine unge­bro­chene Rekon­struk­tion, denn das Büro hat sowohl Erfah­run­gen mit moder­nem Syn­ago­gen­bau (Neue Syn­agoge Dres­den, Jüdi­sches Zen­trum Mün­chen) als auch mit Restau­ra­ti­ons­pro­jek­ten (Bay­reu­ther Syn­agoge), die eine Sym­biose his­to­ri­sie­ren­der Bau­art und zukunfts­ge­wand­ter Gestal­tung ver­su­chen. Mit einer Ver­öf­fent­li­chung der Ergeb­nisse der Mach­bar­keits­stu­die ist Mitte des Jah­res zu rechnen.

Von den Täter:innen keine Rede: Der am Hoch­bun­ker ange­brach­ten Gedenk­ta­fel zufolge wurde die Syn­agoge nicht von Ham­bur­ger Nazis, son­dern »durch einen Will­kür­akt« zer­stört, Foto: privat.

Erinnerungskultur im Wandel

Die Debatte der letz­ten drei Jahre zeugt somit von weit­rei­chen­den Aus­hand­lun­gen: In den Bezü­gen auf das Syn­ago­gen­mo­nu­ment wird nicht nur die genaue Form des Wie­der­auf­baus ver­han­delt, son­dern auch die Frage, an wen sich die deut­sche Erin­ne­rungs­kul­tur eigent­lich rich­tet und wer an die Shoa erin­nern soll bzw. muss. Ebenso ste­hen ihre Stra­te­gien der Erin­ne­rung auf dem Prüf­stand. Damit sind soge­nannte authen­ti­sche Orte des Grau­ens, wie KZ-Gedenkstätten, aber eben auch Orte der zer­stör­ten Reprä­sen­ta­tio­nen gemeint. 

Die Debatte um den Bau einer Syn­agoge am Joseph-Carlebach-Platz stellt in die­ser Hin­sicht und durch seine Reich­weite ein Novum dar: Wie geht eine Stadt­ge­sell­schaft damit um, wenn sich die Stra­te­gien der Erin­ne­rung mit den Wün­schen jüdi­scher Reprä­sen­tanz um ein- und den­sel­ben Platz strei­ten? Für Phil­ipp Strich­arz kann das Syn­ago­gen­mo­nu­ment, wenn die deut­sche Erin­ne­rungs­kul­tur die Ver­drän­gung jüdi­scher Reprä­sen­tanz nicht per­p­etu­ie­ren wolle, nur als Platz­hal­ter ver­stan­den wer­den. Denn sonst blo­ckiere das Bedürf­nis der Ham­bur­ger Stadt­ge­sell­schaft, sich noch ein­mal zur deut­schen Schuld zu beken­nen, den ein­mal anti­se­mi­tisch ent­eig­ne­ten Ort ein wei­te­res Mal – wenn auch mit guten Absich­ten: »Das ist dann sozu­sa­gen mein inne­rer Impuls: Ja dann macht das doch, aber doch nicht auf unse­rem Grund und Boden. Und das ist glaube ich auch eine Erklä­rung für diese Auf­ge­bracht­heit die viel­leicht in der Dis­kus­sion ein Stück weit vor­han­den war. Von allen Sei­ten wollte man sozu­sa­gen das Rich­tige, aber es fühlt sich halt wirk­lich anders an«.

Die gesell­schaft­li­che Debatte führte neben sol­chen Erkennt­nis­sen auch zu Blü­ten, die noch eine ganz andere Art des his­to­ri­schen Revi­sio­nis­mus fürch­ten las­sen. So prä­sen­tier­ten Architekturabsolvent:innen der BTU Cottbus-Senftenberg  im Juni 2021 Ent­würfe für mög­li­che Syn­ago­gen­bau­ten am Joseph-Carlebach-Platz. Dar­un­ter fand sich auch der Vor­schlag, die Syn­agoge auf den Hoch­bun­ker zu plat­zie­ren, um die bis­he­rige Ent­wick­lung des Are­als in den Neu­bau zu inte­grie­ren. Der Ent­wurf ima­gi­niert den Hoch­bun­ker, gebaut zum Schutz »ari­scher« Bürger:innen, ver­söhn­lich als Fun­da­ment aktu­el­ler jüdi­scher Reprä­sen­tanz. Statt­des­sen sollte die Refle­xion his­to­ri­scher Bezüge auf lokale Täter­bau­ten erwei­tert wer­den. Darin tref­fen sich die sonst wider­strei­ten­den Posi­tio­nen inner­halb der Debatte: Würde der Bun­ker wei­chen, wäre mehr Platz. Den bis­lang wenig beach­te­ten, denk­mal­ge­schütz­ten Hoch­bun­ker in Frage zu stel­len, könnte die Debatte zwi­schen Erin­nern und neuer jüdi­scher Reprä­sen­tanz um eine wesent­li­che Per­spek­tive erwei­tern. Ein Abriss des Bun­kers würde den Hand­lungs­spiel­raum ver­grö­ßern und einen neuen Fokus dar­auf schaf­fen, woran erin­nert und ange­knüpft wer­den soll.

Grace Vier­ling, März 2022

Die Autorin ver­folgt die Debatte beruf­lich und aus poli­ti­schem Inter­esse. Dabei gilt ihre Auf­merk­sam­keit vor allem den deut­schen Zustän­den und denen, die unter ihnen zu lei­den haben.

Kritik, die nicht abreißt

Kritik, die nicht abreißt

Pau­li­haus, Schil­ler­oper und Stern­brü­cke sind Ham­burgs umstrit­tenste Abriss- und Bau­vor­ha­ben. In der Tat sind sie nicht zu befür­wor­ten. Trotz­dem über­zeugt der Pro­test dage­gen nicht. Denn: Was spricht gegen den Abriss maro­der Bau­ten? Ein klei­ner Spa­zier­gang wirft die große Frage auf: Wo sind die stadt­pla­ne­ri­schen Uto­pien der Moderne geblie­ben? (Teil I)

Antiab­riss­ti­sche Aktion. Im Hin­ter­grund: die Über­reste der Schil­ler­oper. Foto: pri­vat

Am Neuen Pfer­de­markt, Ecke Neuer Kamp, stand im Som­mer noch ein back­stei­ner­ner Flach­bau – die ehe­ma­lige Kan­tine der Rin­der­markt­halle. Das Gebäude beher­bergte zuletzt ein indi­sches Restau­rant und eine Auto­werk­statt. Der Ende Juni erfolgte Abriss soll Platz schaf­fen für ein mehr­stö­cki­ges Büro­ge­bäude: das soge­nannte Pau­li­haus. Würde es schon ste­hen, so lie­ßen sich von den obe­ren Stock­wer­ken aus die kläg­li­chen Über­reste der Schil­ler­oper erbli­cken. Sie liegt nur einige Geh­mi­nu­ten ent­fernt. Im Gegen­satz zur Kan­tine steht ihr stäh­ler­nes Gerüst unter Denk­mal­schutz. Nach Vor­stel­lung der Inves­to­rin soll hier ein drei­tei­li­ger Gebäu­de­kom­plex ent­ste­hen. Wer nun von der Schil­ler­oper aus der Stre­se­mann­straße gen Altona folgt, fin­det sich bald an der Stern­brü­cke wie­der. Eine in die Jahre gekom­mene Stahl­kon­struk­tion, die ein Hauch von Bronx in Ham­burg umweht und unter der eine Reihe von Clubs beher­bergt sind. Sie soll, man ahnt es, in ihrer bis­he­ri­gen Form abge­ris­sen wer­den und einer neuen, über­di­men­sio­nier­ten Brü­cke weichen.

Die nur wenige Geh­mi­nu­ten von­ein­an­der ent­fernt lie­gen­den Gebäude wei­sen noch eine wei­tere Gemein­sam­keit auf: Sie bil­den die Haupt­achse städ­te­bau­li­chen Pro­tests in der Han­se­stadt. Um alle Bau­ten haben sich Initia­ti­ven gegrün­det, die für ihren Erhalt ein­ste­hen, oder – im Falle der Rin­der­markt­kan­tine – Ein­spruch gegen die Neu­bau­pläne erhe­ben. Im Fokus der Kri­tik steht, aller Unter­schiede zum Trotz, der Abriss alter Bau­sub­stanz und ein Plä­doyer für den Erhalt gewach­se­ner Struk­tu­ren. So heißt es in einer 2020 ver­fass­ten Pres­se­mit­tei­lung der Initia­tive St. Pauli Code JETZT!: Die Inha­be­rin des vom Abriss bedroh­ten Restau­rants an der Rin­der­markt­halle kämpfe »für die Erhal­tung des Ortes, der so wich­tig für den Stadt­teil St. Pauli ist«. Im sel­ben Jahr schrieb die Anwohner-Initiative Schiller-Oper: »Kämpft mit uns wei­ter für den Erhalt die­ses wich­ti­gen Stück [sic] St. Pauli! Was wäre unser Vier­tel ohne sol­che prä­gen­den Gebäude?« Die Initia­tive Stern­brü­cke schreibt, dass die Neu­bau­pla­nung der Eisen­bahn­brü­cke das »kul­tu­relle Herz der Schanze« zer­stö­ren würde – vor­bei wäre es dann mit der »leben­di­gen, klei­nen und his­to­risch gewach­se­nen Kreu­zung im Her­zen von Altona Nord«.

Konservieren als Widerstand? 

In der Tat: Alle geplan­ten Neu­bau­ten an besag­ten Orten trü­gen sicher kaum zur Lebens­qua­li­tät der Bewohner:innen der betrof­fe­nen Stadt­vier­tel bei. Sie dien­ten vor allem den weni­gen Profiteur:innen einer Stadt­pla­nung, die Ham­burg seit über 20 Jah­ren als Marke begreift und Kapi­tal­in­ter­es­sen allzu gern den Vor­zug lässt. Ins­be­son­dere den Neu­bau­plä­nen an Rin­der­markt­halle und Schil­ler­oper gilt es ent­schie­de­nen Wider­stand ent­ge­gen­zu­set­zen. Nicht zuletzt, weil die an Astro­tur­fing – die Simu­la­tion einer Bürger:innenbewegung – gren­zen­den Kam­pa­gnen der Investor:innen, etwa der Schil­ler­oper Objekt GmbH, nur allzu gut zei­gen, was es bedeu­ten könnte, in einer voll­ends zur Ware gewor­de­nen Stadt zu leben. Wohn­raum ist darin nicht mehr pri­mär ein zu befrie­di­gen­des Grund­be­dürf­nis, son­dern ein für viele unbe­zahl­ba­res Lifestyleobjekt.

Die Frage ist nur: Ist das Bewah­ren des Alten die rich­tige Form des Wider­stands? Ist das »his­to­risch Gewach­sene« dem ratio­nal Geplan­ten immer vor­zu­zie­hen? Warum sollte, um bei die­sem Gebäude zu blei­ben, das, was von der Schil­ler­oper übrig­ge­blie­ben ist, nicht abge­ris­sen wer­den und Neuem – etwa bezahl­ba­rem Wohn­raum – wei­chen? Die Anwohner-Ini ver­weist auf die »ein­zig­ar­tige Stahl­kon­struk­tion« und damit den his­to­ri­schen Wert des »letz­ten fes­ten Zirkusbau[s] aus dem 19. Jahr­hun­dert in Deutsch­land«. Die Schil­ler­oper sei ein »für den Stadt­teil prä­gen­des« und »iden­ti­täts­stif­ten­des Gebäude«, »ein ein­ma­li­ges Stück St. Pauli«. Sie sei Teil des »kul­tu­rel­len Erbes der Stadt« und müsse daher erhal­ten wer­den. Etwas anders ver­hält es sich mit der Kan­tine an der Rin­der­markt­halle: In jüngs­ter Zeit rich­tete sich der Appell des Erhal­tens, nach­dem die Kan­tine nun abge­ris­sen wurde, auf die mitt­ler­weile eben­falls gefäll­ten 21 Bäume auf dem Gelände des pro­jek­tier­ten Büro­ge­bäu­des. Aber könnte nicht auch hier etwas Neues ent­ste­hen, das dem Stadt­teil dien­li­cher ist als alte Flach­bau­ten oder ein Büro­ge­bäude – und für das ein paar gefällte Bäume womög­lich kein zu gro­ßer Preis wären?

Ist also eine Kri­tik, die darin auf­geht, nicht abzu­rei­ßen, und dadurch von der Argu­men­ta­tion des Denk­mal­ver­eins nicht mehr zu unter­schei­den ist, die rich­tige Ant­wort auf die bestehen­den Ver­hält­nisse? Und wieso kon­zen­trie­ren sich linke stadt­po­li­ti­sche Bewe­gun­gen der­art auf das Erhal­ten alter Bau­sub­stanz? Eine Ant­wort lässt sich womög­lich fin­den, wenn die loka­len Ham­bur­ger Pro­tes­t­herde ver­las­sen wer­den und ein Blick in die Geschichte des 20. Jahr­hun­derts gewor­fen wird: In den 1970er Jah­ren rückte die Linke nach und nach ab von moder­nen Visio­nen groß­an­ge­leg­ter Stadt­pla­nung und besetzte dem Ver­fall preis­ge­ge­bene inner­städ­ti­sche Bau­ten. Instand­be­set­zen und Bewah­ren wur­den zur wider­stän­di­gen Pra­xis. Aus der Rück­schau ist dies ein Kipp­punkt, der genauere Betrach­tung ver­dient. Er kann womög­lich nicht nur den heu­ti­gen Hang zum Kon­ser­vie­ren erklä­ren, son­dern auch, warum die eins­ti­gen ver­kom­me­nen Stadt­vier­tel mitt­ler­weile im Zen­trum der Kapi­tal­ver­wer­tung stehen.

Könnte hier nicht etwas gänz­lich Neues ent­ste­hen? Foto: privat

Als die Linke in den Altbau zog

Die 1970er Jahre gel­ten in den Geschichts- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten mitt­ler­weile aus vie­ler­lei Hin­sicht als Kul­mi­na­ti­ons­punkt einer Ent­wick­lung, die nach wie vor prä­gend für die Gegen­wart ist. Sie waren eine Über­gangs­phase von der klas­si­schen Moderne zur soge­nann­ten Post- oder auch Spät­mo­derne. Sie zeich­nen sich durch öko­no­mi­sche und kul­tu­relle Trans­for­ma­tio­nen aus, die sich in weni­gen skiz­zen­haf­ten Stri­chen mit den Schlag­wör­tern Deindus­tria­li­sie­rung, strau­chelnde Wohl­fahrts­staa­ten und neo­li­be­rale Wende sowie öko­lo­gi­sche Krise beschrei­ben las­sen. Die Moderne wurde, so hat es der Sozio­loge Ulrich Beck for­mu­liert, refle­xiv: Nicht mehr unge­bro­che­ner Fort­schritt, son­dern Erkennt­nis und Bewäl­ti­gung der nega­ti­ven Fol­gen des Moder­ni­sie­rungs­pro­zes­ses selbst rück­ten in den Vor­der­grund. In der Lin­ken zeigte sich bis­wei­len Skep­sis an den einst geheg­ten revo­lu­tio­nä­ren Hoff­nun­gen und eine Hin­wen­dung zur Inner­lich­keit – so man­che Mit­glie­der ehe­ma­li­ger K‑Gruppen fan­den ihren inne­ren Frie­den bald in einer Bhagwan-Kommune.

Aus städ­te­bau­li­cher Sicht drückt sich die­ser Bruch im 20. Jahr­hun­dert auch im Phä­no­men der Haus­be­set­zun­gen aus, die ins­be­son­dere ab den 1970er und 1980er Jah­ren in vie­len west­eu­ro­päi­schen Län­dern aus­zu­ma­chen sind. Denn wäh­rend sich der Woh­nungs­bau auf große Sied­lun­gen am Stadt­rand kon­zen­trierte, ver­fie­len Alt­bau­woh­nun­gen in den Innen­städ­ten und soll­ten oft­mals Neu­bau­plä­nen wei­chen. Die moderne, geschichts­ver­ges­sene Pla­nungs­eu­pho­rie schuf jenen Raum, inner­halb des­sen sich das Bewah­ren alter Bau­sub­stanz als wider­stän­dige Pra­xis gegen eine Bau­po­li­tik nach den Maß­ga­ben von Staat und Kapi­tal formierte.

Diese Bau­po­li­tik war auch ver­küm­mer­tes Pro­dukt jener in der ers­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts pro­gres­si­ven Idee, den beeng­ten inner­städ­ti­schen Wohn­ver­hält­nis­sen pro­le­ta­ri­scher Vier­tel qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen und erschwing­li­chen Wohn­raum ent­ge­gen­zu­set­zen. Die pla­ne­ri­schen Visio­nen und Uto­pien der Moderne waren auch eine Ant­wort auf jene Ver­wer­fun­gen, die die Indus­tria­li­sie­rung und der Sie­ges­zug der neuen Pro­duk­ti­ons­weise ins­be­son­dere in den Städ­ten hin­ter­lie­ßen. Die Ant­wort bestand in der ratio­nal ent­wor­fe­nen Stadt, die der noch zu begrün­den­den ega­li­tä­ren Mas­sen­ge­sell­schaft Raum geben sollte. In den Bau­ten der Nach­kriegs­mo­derne, für die der Archi­tek­tur­his­to­ri­ker Hein­rich Klotz den Begriff des »Bau­wirt­schafts­funk­tio­na­lis­mus« prägte, war davon nicht mehr allzu viel übrig. Zu uni­form erschie­nen die Wohn­si­los wie die Groß­wohn­sied­lung im Ham­bur­ger Stadt­teil Steil­shoop oder das Neue Zen­trum Kreuz­berg in Ber­lin, die in den 1970er Jah­ren ent­stan­den. Zudem lagen die meis­ten die­ser Bau­ten – ent­ge­gen den ursprüng­li­chen Inten­tio­nen moder­ner Stadt­pla­nung – an den Stadt­gren­zen. Haus­be­set­zun­gen waren inso­fern immer auch mehr als nur prag­ma­ti­sche Poli­tik, um güns­ti­gen inner­städ­ti­schen Wohn­raum zu erhal­ten. Sie waren ein Labor alter­na­ti­ver Lebens­for­men, die sich der Nor­mie­rung und Regu­la­tion durch Staat und Kapi­tal widersetzten.

Das Allgemeine und das Besondere 

Die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Trans­for­ma­tio­nen der 1970er Jahre hat der Sozio­loge Andreas Reck­witz jüngst als Wen­dung vom All­ge­mei­nen zum Beson­de­ren beschrie­ben. Die sich ab dem 18. Jahr­hun­dert for­mie­rende klas­si­sche Moderne sei geprägt durch eine soziale Logik des All­ge­mei­nen: For­ma­li­sie­rung, Gene­ra­li­sie­rung und Stan­dar­di­sie­rung. Die Spät­mo­derne hin­ge­gen folge einer ent­ge­gen­ge­setz­ten Logik des Beson­de­ren: Sin­gu­la­ri­sie­rung. Diese Ana­lyse ist nicht nur eine wei­tere Erklä­rung für jene Pro­zesse der 1970er Jahre und damit auch für die Pra­xis des Beset­zens und Bewah­rens. Sie ver­mag auch zu zei­gen, warum die einst wider­stän­dige Pra­xis heute Gefahr läuft, sich in ihr Gegen­teil zu verkehren.

Denn was einst auch als Pro­test gegen die Logik des All­ge­mei­nen begann, steht heute längst im Zen­trum der Ver­wer­tung. Um wie­der auf den loka­len Pro­test um die Schil­ler­oper zu kom­men: Sowohl die Investor:innen als auch der sich gegen deren Pläne for­mie­rende Pro­test ope­rie­ren, aller Unter­schiede in der Ziel­set­zung zum Trotz, im sel­ben stra­te­gi­schen Feld. Die Schil­ler­oper Objekt GmbH spricht von der »besondere[n] Bedeu­tung im Quar­tier des Stadt­teils St. Pauli« und von einem »traditionelle[n] Areal«. Die GmbH imi­tiert hier nicht nur den Sound der Anwohner:innen-Ini: Viel­mehr ste­hen das Sin­gu­läre und Ein­zig­ar­tige des Ortes im Zen­trum von des­sen Ver­mark­tung und Ver­kauf. Und auf der ande­ren Seite unter­schei­det sich der vom Archi­tek­ten Dirk Anders gemein­sam mit der Schilleroper-Ini vor­ge­legte Alter­na­tiv­ent­wurf kaum von ähn­li­chen städ­te­bau­li­chen Stra­te­gien, his­to­ri­sche Bau­sub­stanz als deko­ra­ti­ves Ele­ment zu bewah­ren, um dem Neuen ein »his­to­ri­sches Flair« zu ver­schaf­fen. Ein flüch­ti­ger Blick in die Expo­sés von Immo­bi­li­en­fir­men reicht aus: Das »andere Leben«, die »gewach­se­nen Vier­tel«, Sub­kul­tur und alter­na­tive Urba­ni­tät sind offen­bar gute Argu­mente, um über­teu­erte Eigen­tums­woh­nun­gen zu verkaufen.

Auch das Pau­li­haus – oder bes­ser: das Areal, auf dem es gebaut wer­den soll – weist in diese Rich­tung. Bis zum Jahr 2010 beher­bergte die heu­tige Rin­der­markt­halle noch die Filiale einer gro­ßen Super­markt­kette. Das Back­stein­ge­bäude war weit­ge­hend mit wei­ßem Tra­pez­blech ver­klei­det. Es hätte in die­ser Form auch an jeder ande­ren Ecke die­ser oder in einer belie­bi­gen Stadt ste­hen kön­nen. Es war, wie sein Inhalt, aus­tausch­bar. Nach dem Aus­zug des Super­mark­tes ent­stand eine Debatte um die Nut­zung der Flä­che. Gegen die Abriss­pläne der Stadt – es sollte eine Kon­zert­hallte ent­ste­hen – ent­stand so gro­ßer Wider­stand, dass man sie schließ­lich ver­warf. Das Tra­pez­blech wurde ent­fernt, das Back­stein­ge­bäude saniert, die alten Reli­efs wie­der­her­ge­stellt. Nun war es nicht mehr irgend­ein belie­bi­ges Gebäude, son­dern es hatte Wie­der­erken­nungs­wert. Die Rin­der­markt­halle St. Pauli ist nun ›ein­zig­ar­tig‹, mit ›Tra­di­tion‹ und ›Geschichte‹. So wer­den sie und die sich in ihr mitt­ler­weile zu fin­den­den Geschäfte auch ver­mark­tet. Die »ganze Viel­falt St. Pau­lis auf einem Fleck«, heißt es auf der Web­seite. Gemeint sind Einkaufsmöglichkeiten.

Bis 2011 mit Tra­pez­blech ver­hüllt: die his­to­ri­sche Fas­sade der Rin­der­markt­halle. Foto: GeorgD­er­Rei­sende / Wiki­me­dia Com­mons, Lizenz: CC BY 4.0

Das Beson­dere, das Erhal­ten des his­to­risch Gewach­se­nen, die Beto­nung von Iden­ti­tät, sind zu den Koor­di­na­ten eines kul­tu­rel­len Sys­tems gewor­den, das nicht mehr das Andere kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wer­tung sucht, son­dern mitt­ler­weile in ihrem Zen­trum steht. Jene Räume, in denen auch eine wider­stän­dige, sich nicht fügen wol­lende Sub­kul­tur ent­stand, ver­lie­ren nach und nach jeg­li­ches Moment von Nicht­iden­ti­tät und wer­den sowohl zur Bühne als auch zum kon­su­mier­ba­ren Bei­fang des Erwerbs von Eigen­tums­woh­nun­gen – oder hand­ge­mach­ter Back­wa­ren. Und nun? Zurück zu Tra­pez­blech und Beton?

Womög­lich wäre es ein Weg, einen Teil der nicht­ein­ge­lös­ten Ver­spre­chen der Moderne, auch in Stadt­pla­nung und Archi­tek­tur, frei­zu­le­gen und sie auf den Trüm­mern abge­ris­se­ner Stahl­kon­struk­tio­nen und Flach­bau­ten ent­ste­hen zu las­sen. -Fort­set­zung folgt-

Johan­nes Rad­c­zinski, Januar 2022 

Der Autor plä­dierte auf Untie­fen bereits für den Abriss (oder zumin­dest die Umge­stal­tung) des Bis­marck­denk­mals und dafür, das Hei­li­gen­geist­feld ganz­jäh­rig als Frei­flä­che den Bewohner:innen die­ser Stadt zur Ver­fü­gung zu stellen.

Im Schatten des Elbtowers

Im Schatten des Elbtowers

In der Hafen­City ent­steht momen­tan das dritt­höchste Gebäude Deutsch­lands. An dem Pres­ti­ge­pro­jekt »Elb­tower« offen­bart sich die enge Ver­flech­tung von Wirt­schaft und Poli­tik in Ham­burg – und die beson­dere Rolle, die der ehe­ma­lige Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz dabei spielt.

Auf der Bau­stelle direkt neben der S‑Bahn-Haltestelle Elb­brü­cken ist schon Betrieb. (Foto: privat).

Ham­burg wäre nicht Ham­burg, wenn nicht alle paar Jahre irgend­ein neues, groß­ar­ti­ges Bau­pro­jekt um die Ecke gebo­gen käme. Aber wo so viel Licht ist, wie bei den Lob­prei­sun­gen des Elb­to­wers, gibt es auch Schat­ten. Die stadt­po­li­ti­sche Durch­set­zung sol­cher Pro­jekte erweckt den Ein­druck, als wäre der alte Ham­bur­ger Filz noch immer in bes­ter Verfassung. 

Der Elb­tower sieht, den Stararchitekt:innen von David Chip­per­field zum Dank, so aus, als hätte ein Mär­chen­riese sei­nen zu gro­ßen Stie­fel in Ham­burg ste­hen gelas­sen. Im Schat­ten die­ser »Ouver­türe« der Hafen­City ste­hen Akti­en­ge­sell­schaf­ten, ihre Stif­tun­gen, der heu­tige Finanz­mi­nis­ter Olaf Scholz und – nicht zu ver­ges­sen – die Bewohner:innen von Rothenburgsort. 

Prestigeprojekt durchgewunken 

Dies­mal scheint alles per­fekt zu sein. Ham­burg hat Euro­pas größ­tes Bau­pro­jekt ange­lei­ert. Top Lage in der Hafen­city, direkt an der neuen S‑Bahn-Station Elb­brü­cken, und das Mega­pro­jekt soll sogar nach­hal­tig sein – was auch immer das bei einem Pro­jekt die­ser Grö­ßen­ord­nung hei­ßen mag: Pla­tin­stan­dard des HafenCity-Umweltzeichens.1Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Schrift­li­che Kleine Anfrage des Abge­ord­ne­ten Jörg Hamann (CDU) vom 07.09.18 und Ant­wort des Senats. Druck­sa­che 21/14277, 14.09.2018. [online].  Das dritt­höchste Gebäude Deutsch­lands kann »end­lich« gebaut werden. 

Die Aus­lo­bung des Elb­to­wers fand Mitte 2017 statt. Anfang 2021 ist der Bebau­ungs­plan schließ­lich durch­ge­wun­ken wor­den. Der Tower wird 245 Meter hoch und damit noch zwölf Meter höher als ursprüng­lich geplant. Oder wie die geneig­ten User:innen von Scy­scra­per­City-Foren es sagen: »[D]a kann man Ham­burg nur neid­voll gratulieren! 😊«.

Im Gegen­satz zur Fan­ge­meinde phal­lus­ar­ti­ger Denk­mä­ler und Welt­wun­der des Kapi­ta­lis­mus wer­den die Rothenburgsorter:innen im wort­wört­li­chen Schat­ten des Elb­to­wers leben. Die Anzahl der Ein­wände und Beschwer­den, die bei der Kom­mis­sion für Stadt­ent­wick­lung vor­ge­bracht wur­den, fiel mit über­schau­ba­ren 26 dabei ziem­lich nied­rig aus. Rothen­burg­sort weist einen hohen Anteil von Migrant:innen, Sozialhilfeempfänger:innen und Allein­er­zie­hen­den auf. Dass die Kri­tik am Elb­tower so schmal aus­fällt, könnte damit zusam­men­hän­gen, dass die sub­al­ter­nen Klas­sen in Ham­burg nicht gehört werden. 

Wackelige Finanzierung 

Den Zuschlag für den Bau des Gebäu­des bekam die Signa Prime Sel­ec­tion AG. So wur­den weder die Best­bie­ten­den aus­ge­wählt, noch bekam ein Gebäu­de­ent­wurf den Zuschlag, der voll auf Kli­ma­neu­tra­li­tät setzte. Die Akti­en­ge­sell­schaft erhielt viel­mehr den Zuschlag, weil sie der ver­läss­lichste Geschäfts­part­ner sei. Das sagt zumin­dest René Benko, der öster­rei­chi­sche Grün­der von Signa Prime. Und auch Olaf Scholz begrün­dete die Ver­gabe sei­ner­zeit damit, dass die Signa sehr finanz­stark sei und ein A+ Rating innehat. 

Es geht schließ­lich um (nach aktu­el­ler Pla­nung) 700 Mil­lio­nen Euro für den Bau. Die Signa möchte den Turm kom­plett aus eige­ner Tasche finan­zie­ren – mit Büro­mie­ten um die 28 Euro pro Qua­drat­me­ter. Min­des­tens fünf Jahre soll das Unter­neh­men für die Instand­hal­tung des Gebäu­des auf­kom­men. Für die Stadt Ham­burg gebe es »kein Risiko«, behaup­tet Jür­gen Bruns-Berentelg, Vor­sit­zen­der der Geschäfts­füh­rung der stadt­ei­ge­nen Hafen­City Ham­burg GmbH.2Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Protokoll/Wortprotokoll der öffentlichen/nichtöffentlichen Sit­zung des Stadt­ent­wick­lungs­aus­schus­ses, 22. Okto­ber 2018, S. 15 [online]. Das ist aller­dings gar nicht so ein­fach nach­zu­voll­zie­hen. Denn große Teile des Kauf­ver­trags sind, wie Heike Sud­man von der Links­frak­tion fest­ge­stellt hat, geschwärzt und somit für die Bürger:Innen Ham­burgs nicht ein­seh­bar. Was pas­siert, wenn dem Unter­neh­men das Geld aus­geht, wird noch dis­ku­tiert. Aller­dings wäre es aus Sicht der Stadt wohl unsin­nig, das Pro­jekt nicht fort­zu­füh­ren, wenn etwa ein 120 Meter hoher, nicht fer­tig­ge­stell­ter Turm dasteht. Ganz abwe­gig ist es nicht, dass es zu finan­zi­el­len Pro­ble­men kom­men wird. Das Mut­ter­un­ter­neh­men Signa Hol­ding ist auch Eigen­tü­me­rin von Kar­stadt – und die gehen bekannt­lich gerade insol­vent. Des Wei­te­ren macht das Unter­neh­men es fast unmög­lich, ein­zu­se­hen, woher es wel­che Gel­der für wel­che Pro­jekte bezieht. 

Noch der Anblick die­ser Baustellen-Ödnis ist erfreu­li­cher als der vom Inves­tor ange­prie­sene bzw. ange­drohte »neue Blick […] auf die Belange der Welt«, den der Elb­tower eröff­nen werde. (Foto: privat)

Hamburger Filz

Bei der Ver­gabe des Bau­pro­jekts hat­ten alle Bür­ger­meis­ter der letz­ten Jahre einen Auf­tritt. Chris­toph Ahl­haus, der in sei­ner kur­zen Amts­zeit kein Groß­pro­jekt durch­set­zen konnte, hatte sich mit sei­nem eige­nen Immo­bi­li­en­un­ter­neh­men bewor­ben. Zu mehr hat es dann aber auch nicht gereicht. Ole von Beust – haupt­ver­ant­wort­lich für den Bau der Elb­phil­har­mo­nie – hat inzwi­schen ein Bera­tungs­un­ter­neh­men, wel­ches einen Bera­ter­auf­trag von der Signa inne­hat. Von Beust trat, selbst­be­ken­nend, als Lob­by­ist für die Signa im Zuge des Elbtower-Projekts auf. 

Unter den Bera­tern der Signa fin­den sich neben Ole von Beust dann auch (alte) Genos­sen von Olaf Scholz: Alfred Gus­en­bauer (SPÖ) war von 2008 bis 2009 öster­rei­chi­scher Bun­des­kanz­ler und tut sich seit sei­nem Rück­tritt als umtrie­bi­ger Lob­by­ist her­vor, etwa für den kasa­chi­schen Dik­ta­tor Nur­sul­tan Nas­ar­ba­jew. Zu Scholz steht er in guten Bezie­hun­gen. Das schreibt Olaf Scholz zumin­dest in sei­nem Buch Hoff­nungs­land

Gus­en­bauer (Team Benko) und Scholz (Team Ham­burg) waren im glei­chen Zeit­raum in der Inter­na­tio­nal Union of Socia­list Youth (IUSY) aktiv, einem inter­na­tio­na­len Zusam­men­schluss ver­schie­de­ner sozi­al­de­mo­kra­ti­scher und sozia­lis­ti­scher Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen, dem auch die Jusos und die Fal­ken ange­hö­ren. Gus­en­bauer war bis 1989 einige Jahre Vize­prä­si­dent der IUSY, genau wie Scholz. Von sei­nem Netz­werk aus die­ser Zeit pro­fi­tiert Scholz heute noch, wor­über er jedoch ungern redet.

Wirtschaft und Politik

Die Ver­flech­tun­gen von Poli­tik und Unter­neh­men wer­den beson­ders an poli­ti­schen Stif­tun­gen deut­lich. Sie die­nen der Macht­ak­ku­mu­la­tion auf bei­den Sei­ten: Die Stif­tungs­un­ter­neh­men erhal­ten eine starke Inter­es­sens­ver­tre­tung. Den Mit­glie­dern der Stif­tun­gen, die in der Poli­tik aktiv sein kön­nen, win­ken dage­gen gut bezahlte Auf­sichts­rats­pos­ten und Rücken­de­ckung bei Ent­schei­dun­gen von den Stif­tungs­un­ter­neh­men.3vgl. Marc Eulerich/Martin K. Welge, Die Ein­fluss­nahme von Stif­tun­gen auf die unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit deut­scher Groß­un­ter­neh­men, Düs­sel­dorf 2011, S.73ff. [online].

So ist auch Olaf Scholz seit 2018 gebo­re­nes Mit­glied des Kura­to­ri­ums der RAG-Stiftung. Sie ist Teil­ha­be­rin am KaDeWe, einem Toch­ter­un­ter­neh­men der Signa Hol­ding. Wei­tere fünf Pro­zent hält die Stif­tung seit 2017 an der wei­te­ren Toch­ter Signa Prime, die den Elb­tower baut. Die Anteile an den Unter­neh­men, haben der RAG-Stiftung die­ses Jahr bereits einen klei­nen »Geld­re­gen« beschert, was noch ein­mal auf­zeigt, dass die RAG davon pro­fi­tiert, wenn es der Signa gut geht. Und Pres­ti­ge­ob­jekte wie der Elb­tower sind meis­tens gut für das Geschäft. 

Wenn die RAG-Stiftung durch ihre Betei­li­gun­gen an Unter­neh­men wie der Signa Prime also Divi­den­den ein­kas­siert, im Fall der Signa in Höhe von vier Pro­zent, ist das nicht nur für die Stif­tung und die Stif­tungs­un­ter­neh­men gut. Viel­mehr kann die RAG mit­hilfe die­ses Gel­des ihre Markt­macht stei­gern, sich an mehr Unter­neh­men betei­li­gen und mehr Unter­neh­men als Stif­tungs­un­ter­neh­men auf­neh­men. By the way: Armin Laschet, Peter Alt­maier, Nor­bert Lam­mert und Heiko Maas sind ebenso Mit­glie­der des RAG-Kuratoriums.

Das bedeu­tet für die Stif­tungs­mit­glie­der im Kura­to­rium ein wach­sen­des Netz­werk von Unter­neh­men, mit denen sie zusam­men­ar­bei­ten kön­nen. Die RAG und die in ihr orga­ni­sier­ten Unter­neh­men erhö­hen so ihre Ein­fluss­mög­lich­kei­ten auf die Poli­tik. Die Stif­tung sieht ihren Auf­ga­ben­be­reich haupt­säch­lich im Bereich des Stein­koh­le­berg­baus in NRW – dahin fließt also ein Teil des Gewinns aus den Divi­den­den der fünf Pro­zent Anteile an der Signa, die einen kli­ma­freund­li­chen Turm in Ham­burg bauen möchte: in den Kohlebergbau. 

Chefsache

Der Tower wird nicht nur Höhe­punkt der Hafen­city, son­dern gleich das mit Abstand höchste Gebäude der Stadt. Dem­entspre­chend moti­viert und emo­tio­nal soll Scholz schon bei der Prä­sen­ta­tion des Gebäu­des gewe­sen sein. »Her­vor­ra­gend«, »ele­gant«, »raf­fi­niert«, waren die Begriffe, die Scholz zur Beschrei­bung des Pro­jekts wählte. Als Scholz noch in Ham­burg weilte, nahm er sich des Pro­jekts daher auch per­sön­lich an; machte es zur »Chef­sa­che«, wie die lokale Presse schrieb, und ver­don­nerte den Ober­bau­di­rek­tor und die Stadt­ent­wick­lungs­se­na­to­rin auf die bil­li­gen Plätze. 

Par­tei­ge­nos­sen von Scholz haben der MoPo zufolge gefrot­zelt: »Klei­ner Mann, gro­ßer Turm.« Aber las­sen wir uns vom Napoleon-Komplex nicht beir­ren. Es war nicht Olaf Scholz’ Kör­per­größe, die zu der zwie­lich­ti­gen Ver­gabe des Bau­auf­trags führte. Aber mit dem Bau­be­ginn 2021 wird Scholz ein Denk­mal gesetzt. Das offen­bart eher einen »Cheops-Komplex«, der sich an die ägyp­ti­schen Pyra­mi­den zum Zweck der Macht­de­mons­tra­tion anlehnt. Immer­hin wird die Elb­phil­har­mo­nie dann nicht mehr der unan­ge­foch­tene Höhe­punkt der Stadt sein. 

Scholz setzte das Pro­jekt mit viel Kraft­ein­satz durch und tat dies »mit einem guten Gewis­sen«, denn, so seine bestechende Argu­men­ta­tion, das Ergeb­nis werde sehr gut sein. Falls das Ergeb­nis nicht »sehr gut« wird, soll­ten wir ihn bes­ser an sein Enga­ge­ment erin­nern. Immer­hin ist seit sei­nem Ein­satz für die War­burg Bank in Ham­burg hin­läng­lich bekannt, dass der Herr Finanz­mi­nis­ter Pro­bleme mit der Erin­ne­rung hat, wenn es um grö­ßere Geld­sum­men geht. 

Joe Chip

Der Autor hat zwölf Jahre im Hafen gear­bei­tet, der Arbeit den Rücken gekehrt und Sozio­lo­gie stu­diert. Als Gewerk­schaf­ter bleibt er mit den besit­zen­den Klas­sen in Ver­bin­dung. Seine Erfah­run­gen ver­ar­bei­tet er in Kurz­ge­schich­ten und Polemik.

  • 1
    Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Schrift­li­che Kleine Anfrage des Abge­ord­ne­ten Jörg Hamann (CDU) vom 07.09.18 und Ant­wort des Senats. Druck­sa­che 21/14277, 14.09.2018. [online]. 
  • 2
    Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Protokoll/Wortprotokoll der öffentlichen/nichtöffentlichen Sit­zung des Stadt­ent­wick­lungs­aus­schus­ses, 22. Okto­ber 2018, S. 15 [online].
  • 3
    vgl. Marc Eulerich/Martin K. Welge, Die Ein­fluss­nahme von Stif­tun­gen auf die unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit deut­scher Groß­un­ter­neh­men, Düs­sel­dorf 2011, S.73ff. [online].

Spuren kolonialer Herrschaft

Spuren kolonialer Herrschaft

Die deut­sche Phase direk­ter Kolo­ni­al­herr­schaft war im euro­päi­schen Ver­gleich kurz, dafür nicht min­der gewalt­tä­tig. Ihre Spu­ren hat sie ins­be­son­dere in Ham­burg, einem zen­tra­len Ort des deut­schen Kolo­nia­lis­mus, hin­ter­las­sen – sie sind bis heute sicht­bar. Diese Fotoreihe führt ins Zen­trum der Stadt. Erstaun­lich ist vor allem der Kon­trast zwi­schen den bis­wei­len an den Gebäu­den ange­brach­ten »Blauen Tafeln« des Denk­mal­schutz­am­tes und der hier erzähl­ten Geschichte. 

Ein Ort der Schlechtigkeit

Bauschild am Bismarck-Denkmal, Januar 2021

Ein Ort der Schlechtigkeit

In Ham­burg steht seit 1906 das welt­weit größte Bismarck-Denkmal. Dass es von der Stadt nun teuer saniert wurde, hat eine Debatte um die Umge­stal­tung des Denk­mals und Ham­burgs Umgang mit sei­ner Kolo­ni­al­ge­schichte ausgelöst.

Ein ers­ter Vor­schlag zur Umge­stal­tung: Tafel vor der Bau­stelle des Bis­marck­denk­mals. Foto: pri­vat (Januar 2021). 

Das Bismarck-Denkmal im Ham­bur­ger Elb­park ist in Schief­lage gera­ten. Zunächst ein­mal ganz mate­ri­ell: Erbaut zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts unter ande­rem von Ham­bur­ger Kolo­ni­al­kauf­leu­ten unter Bei­fall völ­ki­scher Ver­bände, wur­den die Gewölbe unter­halb des Denk­mals im Zwei­ten Welt­krieg mit meh­re­ren tau­send Ton­nen Beton ver­stärkt und zu einem Luft­schutz­bun­ker umfunk­tio­niert. Der Beton war für die Sta­tik zu viel. Risse ent­stan­den, Was­ser drang ein, die Sta­tue neigte sich und galt bis­wei­len als ein­sturz­ge­fähr­det. Der Zugang zum Bun­ker, den aller­lei natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Wand­ma­le­rei ziert, etwa ein Son­nen­rad mit Haken­kreuz und ein mar­ki­ger Spruch über die »ger­ma­ni­sche Rasse«, wurde in den fünz­i­ger Jah­ren für die Öffent­lich­keit gesperrt. In den sech­zi­ger Jah­ren erfolgte der Denk­mal­schutz und bewahrte die Sta­tue vor einem ange­dach­ten Abriss. In den fol­gen­den Jah­ren blickte das welt­weit größte Denk­mal sei­ner Art – mal mehr, mal weni­ger beach­tet von alten und neuen Nazis; mal mehr, mal weni­ger kri­ti­siert – gen Wes­ten über den Ham­bur­ger Hafen. Zu Beginn des ver­gan­ge­nen Jahr­zehnts kam erneut Bewe­gung in die Sache: Unter ande­rem Johan­nes Kahrs, Bur­schen­schaf­ter und ehe­ma­li­ger SPD-Bundestagsabgeordneter, setzte sich für eine Sanie­rung der Sta­tue ein. Seit 2020 wird das Denk­mal für fast neun Mil­lio­nen Euro saniert. Zunächst wurde die Bis­marck­sta­tue rund zwei Monate lang vom Schmutz und Dreck, der sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten abge­la­gert hatte, gerei­nigt. Nach der nun erfol­gen­den bau­li­chen Instand­set­zung soll unter ande­rem der Bun­ker unter dem Denk­mal wie­der für die Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den und »über die Geschichte und Bedeu­tung des Denk­mals infor­miert« wer­den, so ein Aus­hang an der Baustelle.

Bis hier­hin liest sich dies gera­dezu als Alle­go­rie deut­scher Geschichte und des deut­schen Umgangs mit sel­bi­ger. Das Anse­hen Bis­marcks und des Kai­ser­reichs hat Risse bekom­men, da war mal was mit Nazis; in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik folgte dann not­dürf­ti­ges Abdich­ten, Ver­drän­gen und Ver­schlie­ßen, spä­ter ein wenig Kri­tik und schließ­lich: Öff­nen, Aus­stel­len, Aus­ein­an­der­set­zen. Aber letz­te­res auch nur mit den NS-Hinterlassenschaften im Kel­ler, wäh­rend oben dar­über das Kai­ser­reich gekär­chert wird: Kul­tur­spon­so­ring im »Niederdruck-Partikelstrahlverfahren« made in Ger­many – und bereits erprobt am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta West­fa­lica. Rei­ni­gungs­ri­tuale, die sich ein­rei­hen las­sen in den neu­er­li­chen Hype um die ›heile Welt‹ des Wil­hel­mi­nis­mus, den damit ver­bun­de­nen Wie­der­auf­bau des Ber­li­ner Stadt­schlos­ses und das im Jahr 2021 began­gene 150jährige Jubi­läum des Kaiserreichs.

Bis­marck zwi­schen völ­ki­schen Vor­stel­lungs­wel­ten (Post­karte 1906) und Kärcher-Kultursponsoring. Foto: pri­vat (Januar 2021)

Bismarck und die koloniale Amnesie der Deutschen – noch mehr Verdrängtes kehrt wieder 

Nun ist das Bismarck-Denkmal nicht nur mate­ri­ell in Schief­lage gera­ten: Im Zuge der von den USA aus­ge­hen­den, sich welt­weit for­mie­ren­den Black-Lives-Matter-Pro­tes­ten im Jahr 2020 und den mit ihnen ein­her­ge­hen­den Denk­mal­stür­zen – pro­mi­nen­tes­ter Fall: die Sta­tue des Skla­ven­händ­lers Edward Col­s­ton im Bris­to­ler Hafen­be­cken – gerie­ten auch der Ham­bur­ger Bis­marck und seine Sanie­rung in den Blick der Bewe­gung. Initia­ti­ven wie Deco­lo­nize Bis­marck rie­fen im Som­mer 2020 zu einer Demons­tra­tion zu Füßen des Eiser­nen Kanz­lers auf. Die post­ko­lo­niale Kri­tik am Denk­mal, sei­ner Sanie­rung und weit über die­ses hin­aus zielt unter ande­rem auf die kolo­niale Amne­sie in der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft, die wei­ßen Nar­ra­tive in Schul­bü­chern, die Nicht­be­tei­li­gung von BIPoCs an der Debatte und im kon­kre­ten Bezug auf Bis­marck: seine Ver­stri­ckung in den euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus. Nicht zuletzt war Bis­marck trei­bende Kraft der soge­nann­ten Kongo-Konferenz 1884/1885 und damit der Auf­tei­lung des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents unter euro­päi­schen Kolo­ni­al­mäch­ten. Neben den lange Zeit im Kel­ler­ge­wölbe ver­schlos­se­nen Hin­ter­las­sen­schaf­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft wur­den auch die kolo­nia­len Ver­stri­ckun­gen Deutsch­lands in die Tie­fen des kol­lek­ti­ven Unbe­wuss­ten ver­drängt. Sie sol­len nun auf­ge­ar­bei­tet werden.

Was passiert hier?
Deco­lo­nize Ham­burg! Graf­fito an der Bismarck-Baustelle
Foto: pri­vat (Januar 2021)

Diese Kri­tik und die damit ein­her­ge­hen­den For­de­run­gen, die indes schon in der Debatte um das Ber­li­ner Stadt­schloss und anderswo zu hören waren, sind mit Nach­druck zu unter­strei­chen und zu unter­stüt­zen. Und es ist das Ver­dienst die­ser Kri­tik, dass die aber­wit­zig teure Sanie­rung des Denk­mals über­haupt der­ma­ßen in Ver­ruf gera­ten ist. Frag­lich ist nur der bis­wei­len in den For­de­run­gen anmu­tende Anspruch auf Allein­ver­tre­tung einer post­ko­lo­nia­len Per­spek­tive. Das Bismarck-Denkmal, so ist es einem Arbeits­pa­pier der Initia­tive Deco­lo­nize Bis­marck zu ent­neh­men, sei »auch ein Kolo­ni­al­denk­mal« und ent­spre­chend soll­ten an der Debatte um Neu- oder Umge­stal­tung des Denk­mals die »Nach­kom­men der Kolo­ni­sier­ten, die dia­spo­ri­schen BIPoC-Communities ebenso maß­geb­lich betei­ligt wer­den wie die Opfer­ver­bände aus den ehe­ma­li­gen Kolo­nien und die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initia­ti­ven«. Jenes auch im zitier­ten Papier scheint im Hin­blick auf die ange­führte Begrün­dung bald hin­fäl­lig: Das Denk­mal erin­nere nicht an Bis­marck als Reichs­grün­der, son­dern sei »als Dank der hie­si­gen Kauf­mann­selite für die Grün­dung von Kolo­nien« zu ver­ste­hen, es sei damals nicht um Patrio­tis­mus, son­dern um Wirt­schafts­för­de­rung gegan­gen. »Erst mit einer sol­chen glo­bal­his­to­risch ver­or­te­ten Ana­lyse lässt sich die Bedeu­tung des Monu­ments ver­ste­hen, debat­tie­ren und ein wei­te­rer ange­mes­se­ner Umgang mit ihm begründen.«

Nicht in Stein gemeißelt, oder: Für eine emanzipatorische Geschichtspolitik

Worin liegt das Pro­blem? Es ist zunächst ein­mal diese in einer ansons­ten dekon­struk­ti­vis­tisch infor­mier­ten Per­spek­tive auf­schei­nende Eigent­lich­keit. So als hätte ein Denk­mal eine ihm eigen­tüm­li­che, in Stein gemei­ßelte Bedeu­tung. Könnte ein Denk­mal, und das hier betrach­tete im Beson­de­ren, nicht viel­mehr als ein glei­ten­der Signi­fi­kant begrif­fen wer­den, des­sen Bedeu­tung immer pre­kär und insta­bil ist? Würde dies nicht erklä­ren, warum es einer­seits so attrak­tiv für alte und neue Nazis war und ist und warum ande­rer­seits der Umgang mit der Sta­tue bis­wei­len von der­ar­ti­ger Unbe­küm­mert­heit gekenn­zeich­net ist? Bis­marck und das ihm zu Ehre gebaute Denk­mal waren eben immer auch Pro­jek­ti­ons­flä­chen für ver­schie­denste reak­tio­näre und natio­na­lis­ti­sche Sehn­süchte. Diese Rezep­ti­ons­ge­schichte ist nicht ohne Wei­te­res vom Denk­mal zu tren­nen und sollte auch Gegen­stand der Kri­tik bil­den. Denn mit dem Hin­weis auf die ›eigent­li­che Bedeu­tung‹ des Denk­mals ver­schiebt sich zudem die Dis­kus­sion hin zu der Frage nach des­sen ver­meint­lich fixier­ba­rem Signi­fi­kat und damit zur trü­ge­ri­schen Fak­ti­zi­tät his­to­ri­scher Debat­ten, in denen tat­säch­lich aber nor­ma­tive Geschichts­bil­der ver­han­delt wer­den. War Bis­marck nun ein Ras­sist oder hält »die Iden­ti­fi­zie­rung des Kolo­ni­al­po­li­ti­kers Bis­marck als Ras­sist einer genaue­ren Prü­fung nicht stand«? Letz­te­res schreibt der His­to­ri­ker und Geschäfts­füh­rer der Otto-von-Bismarck-Stiftung Ulrich Lap­pen­kü­per für die Kon­rad Ade­nauer Stif­tung und fügt hinzu, dass es bei den Denk­mä­lern auch weni­ger um den Kolo­ni­al­po­li­ti­ker gehe, »denn um den Reichs­kanz­ler, der Deutsch­land Ein­heit und Frei­heit gebracht hatte«.

Die Eng­füh­rung des Denk­mals auf die his­to­ri­sche Figur Bis­marck und seine Rolle als Kolo­ni­al­po­li­ti­ker eröff­net erst den Raum für Kri­tik von kon­ser­va­ti­ver sowie rech­ter Seite und ermög­licht die Bewer­tung Bis­marcks als »ambi­va­lente his­to­ri­sche Figur«, wie Lap­pen­kü­per schreibt, der im sel­ben Atem­zug vor Can­cel Cul­ture warnt – schließ­lich müsse der Reichs­kanz­ler auch aus sei­ner Zeit her­aus bewer­tet wer­den. Nun ist es vor dem Hin­ter­grund von einer Kanz­ler­kul­tur der soge­nann­ten Sozia­lis­ten­ge­setze und der Ver­fol­gung von Sozialist:innen und Kommunist:innen ver­wun­der­lich, gerade mit Bis­marck gegen eine ver­meint­li­che Can­cel Cul­ture zu argu­men­tie­ren. Ver­wie­sen wer­den müsste auch auf die anti­pol­ni­sche Poli­tik Bis­marcks: etwa die ab 1885 in die Wege gelei­tete Aus­wei­sung von über 30.000 Men­schen nicht­deut­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit, was zumeist Polen und Juden betraf; oder die 1886 erfolgte Begrün­dung der soge­nann­ten Ansied­lungs­kom­mis­sion, die bis­wei­len als erste eth­nisch moti­vierte bevöl­ke­rungs­po­li­ti­sche Maß­nahme inner­halb Euro­pas gilt. Indes wer­den diese nach Osten gerich­te­ten Poli­ti­ken in jün­ge­rer Zeit auch als Aus­druck eines kon­ti­nen­ta­len, mit dem über­see­ischen ver­wo­be­nen Kolo­nia­lis­mus ver­stan­den. Von all dem will indes die Ham­bur­ger AfD nichts wis­sen und setzt sich mit einem pathe­ti­schen Video dafür ein, ein Bild Bis­marcks als »Kanz­ler der Ein­heit« zu installieren.

Für ein Verständnis von Geschichtspolitik als normatives Narrativ

Aber geht es nun um Bis­marck als his­to­ri­schen Akteur und darum, wie er denn nun eigent­lich war und warum er han­delte, wie er han­delte? Und geht es darum, zu fra­gen, wer das Denk­mal eigent­lich auf­stellte und wofür? Ginge es nicht viel­mehr darum, sich zur Nor­ma­ti­vi­tät geschichts­po­li­ti­scher Debat­ten zu beken­nen und diese aktiv zu gestal­ten? Dar­un­ter kann ver­stan­den wer­den, nicht zu ver­su­chen, die ›eigent­li­che‹ Rolle Bis­marcks zu fixie­ren, ihn nicht ›aus sei­ner Zeit her­aus‹ ver­ste­hen zu wol­len, aber eben auch nicht die ver­meint­lich eigent­li­che Bedeu­tung des Denk­mals in den Vor­der­grund zu rücken.

Es geht um die Instal­la­tion eines Nar­ra­tivs, eines not­wen­di­ger­weise nor­ma­ti­ven, idea­li­ter eman­zi­pa­to­ri­schen und auf Gegen­wart wie Zukunft gerich­te­ten Geschichts­bil­des. Einer­seits müsste genau darin die kolo­niale Amne­sie der Deut­schen und das Ver­drän­gen kolo­nia­ler Gräu­el­ta­ten sicht­bar wer­den – dem stimmt aller­dings auch Lap­pen­kü­per zu (der blinde Fleck »in der deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur [muss] besei­tigt wer­den«, bekennt er). Ande­rer­seits ginge es wohl auch darum, Sand in das Getriebe der deut­schen Wie­der­gut­ma­chungs­ma­schine zu streuen und etwa die Rezep­tion des Denk­mals zwi­schen Wei­ma­rer Repu­blik, Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bun­des­re­pu­blik zu kri­ti­sie­ren. Das (neue) Bismarck-Denkmal sollte keine Wohl­fühl­oase deut­scher Aufarbeitungsweltmeister:innen wer­den, son­dern zu dem wer­den, was es immer schon war: ein Ort der Schlech­tig­keit. Gerade als sol­cher kann aber das Denk­mal in sei­ner Nega­tion für vie­les ste­hen, was eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­tik ver­spricht. Ob das Denk­mal dann am Ende abge­ris­sen wird und etwas ande­res an sei­ner Stelle ent­steht, oder ob es in einer ande­ren Form gebro­chen wird, ist dabei zunächst zweitrangig.

Johan­nes Rad­c­zinski, Mai 2021

Der Autor stu­diert Kul­tur­wis­sen­schaf­ten in Lüne­burg, lebt aber in Ham­burg. Dort radelt er fast täg­lich am Bismarck-Denkmal vor­bei und hofft (nicht nur des­halb!) auf des­sen bal­dige Umgestaltung. 

Die große Welle vor Hamburg

BIld: Norika Rehfeld

Die große Welle vor Hamburg

Die Elb­phil­har­mo­nie ist nicht nur schnell zum Sym­bol für Ham­burg gewor­den, zum Tou­ris­mus­ma­gne­ten und zur Vor­lage für Hei­mat­kitsch. Sie ist auch der vor­läu­fig krö­nende Abschluss einer Stadt­ent­wick­lung nach polit-ökonomischen Erfor­der­nis­sen. Eine Ent­wick­lung, in der die Herr­schaft des Men­schen über die Natur eine wesent­li­che Rolle spielt.

Anläss­lich der Eröff­nung der Elb­phil­har­mo­nie Anfang 2017 stellte der bel­gi­sche Künst­ler Peter Bug­gen­hout eine 15 Meter hohe Skulp­tur mit dem Titel Babel Varia­tio­nen in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len aus. Die­ser Bei­trag zur Aus­stel­lung Elb­phil­har­mo­nie Revi­si­ted, bestand aus gro­ßen Polyester- und Stahl­tei­len, die anmu­te­ten, als habe der Künst­ler Sperr­müll gewagt in die Höhe gesta­pelt: ein fra­gi­ler Riese, der den Ein­druck erweckte, jeder­zeit in sich zusam­men­zu­bre­chen. Die raum­grei­fende Skulp­tur kon­tras­tierte die glit­zernde Ästhe­tik des soeben fer­tig­ge­stell­ten, mas­si­ven Kon­zert­hau­ses an der Elbe. Mit dem Titel Babel Varia­tio­nen spielt Bug­gen­hout auf die alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel (Gen 11,1–9) an und bezieht sie auf die Ham­bur­ger Elbphilharmonie.

Romantisch verklärt statt bestraft

Im 21. Jahr­hun­dert scheint die Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel obso­let: Die Kir­chen in Deutsch­land sind wie leer­ge­fegt und Got­tes­furcht taugt nicht mehr als Mit­tel der Poli­tik. Auch für den Namens­ge­ber des der­zeit höchs­ten Gebäu­des der Erde und gleich­zei­tige Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate, Scheich Cha­lifa bin Zayid Al Nahyan blieb eine gött­li­che Strafe bis­her aus. Dem mensch­li­chen Sprach­wirr­war kann heute bequem per Han­dyapp begeg­net wer­den. Wes­halb also ein Kon­zert­haus am Fuße der Elbe zu einem neuen Turm­bau zu Babel erklären? 

In der Selbst­be­schrei­bung der Elb­phil­har­mo­nie heißt es wenig beschei­den, dass »dem tra­di­tio­nel­len Back­stein­so­ckel neues Leben« ein­ge­haucht und dass »das Kon­zert­haus als fun­kelnde Krone oben drauf« gesetzt wor­den sei. Ein Affront, nicht gegen Gott, so doch aber gegen eine dem Men­schen wie über­mäch­tig gegen­über­ste­hende Natur. In der archi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lung der Handels- und Hafen­stadt spie­gelt sich viel­mehr das Ver­hält­nis der Men­schen zur Natur wider. Dass es sich dabei um ein durch­weg polit-ökonomisches Herr­schafts­ver­hält­nis han­delt, kann Epo­che für Epo­che nach­ge­zeich­net werden: 

In der Elb­phil­har­mo­nie wird diese Ent­wick­lung gewis­ser­ma­ßen an meh­re­ren Jah­res­rin­gen sicht­bar. Der untere Teil des Kon­zert­hau­ses besteht aus der back­stei­ner­nen Außen­mauer des 1875 errich­te­ten Kai­spei­cher A, der sei­ner­zeit auch Kai­ser­spei­cher genannt wurde. Mit Hilfe von Krä­nen konn­ten die Waren im dama­li­gen Haupt­ha­fen Ham­burgs direkt vom Schiff in das Spei­cher­ge­bäude gehievt wer­den. Das neu­go­ti­sche Spei­cher­ge­bäude wurde im 2. Welt­krieg zer­stört und in den sech­zi­ger Jah­ren in schlich­ter Form wie­der auf­ge­baut. Mit der glo­ba­len Umstel­lung des See­han­dels von Stück­gut auf den Con­tai­ner­fracht­ver­kehr fand der Schiffs­han­del zuneh­mend im rasant wach­sen­den Con­tai­ner­ha­fen statt, der der Stadt süd­west­lich vor­ge­la­gert wurde. In der Folge wurde der Lager­be­trieb im Kai­spei­cher in den neun­zi­ger Jah­ren voll­stän­dig ein­ge­stellt. Der tra­pez­för­mige Grund­riss des ers­ten Kai­spei­chers blieb erhal­ten und die schlichte Kai­mauer bil­det den Sockel des von den Hamburger:innen mitt­ler­weile Elphi genann­ten Baus. Im Ensem­ble mit der angren­zen­den denk­mal­ge­schütz­ten Spei­cher­stadt ist das Große Gras­brook genannte Gebiet, auf dem nun Elb­phil­har­mo­nie und Hafen­city ste­hen, eine roman­ti­sie­rende Remi­nis­zenz an die Geschichte der Han­se­stadt Ham­burg, die sich seit den zwan­zi­ger Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts als Tor zur Welt beschreibt und deren expan­si­ver See­han­del eine große, rei­che Ober­schicht ent­ste­hen ließ.

Der Kampf gegen die erste Natur

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Metro­pole der See­schiff­fahrt war kei­nes­wegs vor­ge­zeich­net, betrach­tet man die geo­gra­phi­sche Lage und die natür­li­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen der Region Ham­burg: Die Stadt lag, salopp gesagt, im Matsch tief im Bin­nen­land zwi­schen Nord- und Ost­see. Die Stadt­ge­schichte ist geprägt von die­ser und wei­te­ren für Land­wirt­schaft und Han­del ungüns­ti­gen Umwelt­be­din­gun­gen, die bis heute mas­sive Ein­griffe durch den Men­schen nach sich ziehen. 

Die Elb­re­gion bestand ursprüng­lich aus frucht­ba­ren, aber dau­er­haft nas­sen Böden, die für eine Bewirt­schaf­tung nicht geeig­net waren. Die vor­neu­zeit­li­chen Siedler:innen der Elb­land­schaft muss­ten sich gegen die Kräfte der Natur weh­ren: Im fla­chen, san­di­gen Fluss­bett der viel­fach ver­zweig­ten Elbe, mit ihren Zuflüs­sen Als­ter und Bille, kämpf­ten sie gegen hohe Grund­was­ser­spie­gel, täg­lich wech­selnde Pegel­stände und dro­hende Sturm­flu­ten. Sie wirk­ten auf die Natur ein, blie­ben ihr aber lange Zeit wei­test­ge­hend aus­ge­lie­fert. Um die Region siche­rer besie­deln und bewirt­schaf­ten zu kön­nen, ent­wi­ckel­ten sie tech­ni­sche Hilfs­mit­tel, zur Steue­rung der Was­ser­mas­sen: Im 12. Jahr­hun­dert instal­lier­ten Siedler:innen eine Unzahl von Ent­wäs­se­rungs­grä­ben und ‑müh­len, leg­ten künst­li­che Erd­hü­gel an, auf denen sie ihre Höfe errich­te­ten, und bau­ten Dei­che, die sie vor den Flu­ten schüt­zen soll­ten. Die heu­ti­gen Kanäle, ja sogar die Elb­in­seln und Flüsse wur­den in Folge der mas­si­ven Umge­stal­tung durch den Men­schen geschaf­fen – sie sind das Resul­tat jahr­hun­der­te­lan­ger Umstruk­tu­rie­run­gen. Zahl­lose Bau­ten wur­den als Wehre zum Schutz vor dem Was­ser der Elbe errich­tet, und zwar sol­cher­art, dass sich zugleich ein öko­no­mi­scher Nut­zen aus der Nähe zum Was­ser zie­hen ließ. Damit wurde der Grund­stein für das Wachs­tum der Ham­bur­ger Wirt­schaft gelegt. 

Wo ein Wille, da ein Wasserweg

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Welt­han­dels­stadt ist das Ergeb­nis eines Wil­lens­ak­tes basie­rend auf einer öko­no­mi­schen Ent­schei­dung. Die Was­ser­straße Elbe führt zwar in die Nord­see, dies jedoch erst nach vie­len Fluss­ki­lo­me­tern. Gleich­zei­tig liegt Ham­burg in räum­li­cher Nähe zur Ost­see. Nicht trotz, son­dern gerade wegen die­ser Bin­nen­lage konnte die Stadt im 13. Jahr­hun­dert zum ent­schei­den­den Bin­de­glied zwi­schen Nord- und Ost­see auf­stei­gen, indem die Elbe in Rich­tung Nord­see ste­tig aus­ge­baut und in Rich­tung Ost­see eine sichere Stra­ßen­ver­bin­dung geschaf­fen wurde. Die Hanse sicherte sich hierzu Wege­rechte und das Recht, Han­dels­schiffe und Waren auf direk­tem Weg und zoll­frei bis nach Ham­burg zu trans­por­tie­ren – auch durch die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt und rechts­wid­ri­gen Mitteln. 

In dem Wirk­ge­füge zwi­schen Acker­bau, Han­del und Mili­tär wurde Natur als waren­för­mige Res­source best­mög­lich genutzt und als Wirt­schafts­grund­lage opti­miert: Dies bezeu­gen z.B. die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Ham­bur­ger Was­ser­bau­di­rek­tors Rein­hart Wolt­man aus dem Jahr 1802. Er schreibt darin: »Inso­fern schiff­bare Kanäle Kunst­werke hydrau­li­scher Archi­tek­tur sind, müs­sen ihre Dimen­sio­nen, und die Grö­ßen ihrer ver­schie­de­nen Theile, in gewis­ser Pro­por­tion zuein­an­der ste­hen, bei wel­cher diese Kanäle die größte Zweck­mä­ßig­keit, Dau­er­haf­tig­keit und Nut­zen errei­chen.«1Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]

Der Kanal gerät in der Vor­stel­lung Wolt­mans zu einem Leis­tungs­trä­ger, des­sen mess­bare Para­me­ter es im öko­no­mi­schen Sinne best­mög­lich zu nut­zen gilt. Die Dop­pel­deu­tig­keit des Begriffs ‘Kunst­werke’ ist bezeich­nend: Es weist nicht nur auf die Künst­lich­keit der Kanäle hin, son­dern unter­streicht gleich­zei­tig die krea­tive und schöp­fe­ri­sche Tätig­keit des Was­ser­bau­ers. Der Begriff ist Aus­druck eines Bestre­bens, die Kräfte der Natur erken­nen und beherr­schen zu wol­len. So wie die tech­no­kra­ti­sche Umfor­mung der Natur die Han­dels­stadt flo­rie­ren ließ, so formte der ver­mehrte Han­del die Archi­tek­tur. Im weit­läu­fi­gen Hafen­be­reich wurde die Nähe zum Was­ser bewusst gesucht: Bau­werke für Han­del und Gewerbe waren eng ver­zahnt mit einem dicht ver­äs­tel­ten Kanal­sys­tem. Den Anfor­de­run­gen ange­passt, wur­den sie z.B. durch Pfahl­grün­dun­gen, damit Mau­ern direkt im Was­ser errich­tet wer­den konn­ten. Andere Bau­werke wie­derum sind eigens zur Beherr­schung der Natur­kräfte ent­stan­den, etwa Schleu­sen und Hochwasser-Schutzanlagen.

Der Kampf gegen die innere Natur

Auch heute noch meint man sich in Ham­burg der Natur erweh­ren zu müs­sen: gegen die äußere, den Men­schen bedro­hende, ebenso wie gegen die innere. Beide gehö­ren jedoch zusam­men und haben ihre Ein­heit im Men­schen. Was sich an der inne­ren nicht beherr­schen lässt, wird auf die äußere pro­ji­ziert und mit den Mit­teln der instru­men­tel­len Ver­nunft und dem fort­schrei­ten­dem tech­ni­schen Ent­wick­lungs­stand immer effi­zi­en­ter den polit-ökonomischen Prä­mis­sen unter­wor­fen. Die teil­weise Auto­no­mie des Men­schen von der äuße­ren Natur führte bis­her nicht zu einer Neu­ge­stal­tung des Ver­hält­nis­ses, son­dern zu einer Fort­schrei­bung unter ideo­lo­gi­schen Vor­zei­chen.2Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1 

Weil die Hafen­stadt wach­sen muss, so die Ideo­lo­gie, müs­sen sich die Hamburger:innen gegen die Was­ser­mas­sen stel­len. Die Stadt­mauer aus dem 13. Jahr­hun­dert wurde der zufolge im frü­hen 17. Jahr­hun­dert erwei­tert und durch eine mas­sive stern­för­mige Fes­tungs­an­lage ersetzt, durch die der Personen- wie Waren­ver­kehr kon­trol­liert wer­den konnte. Der Hafen wurde mehr­fach aus­ge­baut und dann in Rich­tung Con­tai­ner­ter­mi­nal ver­la­gert. Das Fluss­bett der Elbe wird seit dem 19. Jahr­hun­dert fort­wäh­rend ver­tieft. All das musste gesche­hen, um den immer grö­ßer wer­den­den Schif­fen gerecht zu wer­den – um wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben. Nach dem gro­ßen Elb­hoch­was­ser von 1962 wur­den die Dei­che wie­der­holt erhöht. Mit die­sen Deich­er­hö­hun­gen »konnte eine hohe Sicher­heit zum Schutz der Bevöl­ke­rung und der Sach­werte erreicht wer­den« schreibt der Lan­des­be­trieb Stra­ßen, Brü­cken und Gewäs­ser (LSBG) im Rah­men sei­ner Neu­er­mitt­lung von 2012 des »Sturm­flut­be­mes­sungs­was­ser­stan­des«. Bevöl­ke­rung und Sach­werte fal­len in die­ser Beschrei­bung in eins – sind glei­cher­ma­ßen Res­source. Der LSBG prognostiziert: 

»Auf­grund des Kli­ma­wan­dels ist jedoch ein wei­te­res Anstei­gen der Was­ser­stände abseh­bar. Daher müs­sen die Anstren­gun­gen für den Küs­ten­schutz wei­ter fort­ge­setzt wer­den, um dro­hen­den Gefah­ren zu begegnen.«

Der Kli­ma­wan­del wird als Grund benannt, dafür, dass Dei­che erhöht, die Elbe ver­tieft und die Dove-Elbe als Aus­weich­flä­che für den Tiden­hub erschlos­sen wer­den müs­sen. In einer Stu­die der Inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung von 2009 mit dem bezeich­nen­den Titel Kli­ma­fol­gen­ma­nage­ment hin­ge­gen, wird kein Hehl dar­aus gemacht, dass die Ursa­chen nebst (men­schen­ge­mach­tem) Kli­ma­wan­del in loka­len polit-ökonomischen Ent­schei­dun­gen zu ver­or­ten sind: 

Es sind »die Ver­tie­fung von Elbe und Hafen­be­cken sowie die starre Siche­rung der Ufer, [die] zur Folge [haben], dass die Was­ser­schicht auf einen engen Fließ­raum begrenzt bleibt und sich nicht in die Flä­che, son­dern nur in die Höhe aus­deh­nen kann. Tiden­hub und Sedi­men­ta­tion wer­den auf diese Weise ver­stärkt, folg­lich nimmt auch der Auf­wand für die Aus­bag­ge­rung zu.« 

Die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels könn­ten gemäß der Stu­die nur dann aus­ge­gli­chen wer­den, wenn die dyna­mi­sche Schaf­fung von wei­te­rem Schwemm­land – wie die zur­zeit dis­ku­tierte Anbin­dung der Dove-Elbe an das Tiden­ge­wäs­ser –, eine tech­no­lo­gi­sche Regu­lie­rung der Was­ser­ströme und der Bau immer mas­si­ve­rer Hoch­was­ser­schutz­an­la­gen for­ciert wür­den. All diese Maß­nah­men sind eine Reak­tion auf stei­gende Pegel­stände. Sie stel­len nicht in Frage, wes­halb die Elbe und Hafen­be­cken ver­tieft und wes­halb Ufer starr gesi­chert wer­den müs­sen. Der Schutz vor der Natur­ge­walt Was­ser erweist sich als gutes Argu­ment bei der Expan­sion von Stadt und Hafen. Nicht die Pro­duk­ti­ons­weise des Men­schen, son­dern die ihm äußere Natur erscheint als jener Wir­kungs­be­reich, den es tech­nisch zu beherr­schen gilt – qua Klimafolgenmanagement. 

Triumph über die Natur?

Die Archi­tek­tur der Elb­phil­har­mo­nie bringt das Ver­hält­nis von Herr­schern und Beherrsch­tem mit den Mit­teln moder­ner Bau­kunst über­spitzt zum Aus­druck: Der Mensch schafft die sta­bilste und größte aller Wel­len selbst, nicht weil er es muss, son­dern weil er es kann. Vor die­sem Hin­ter­grund wird Bug­gen­houts Skulp­tur mit Ver­weis auf die bibli­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel nach­voll­zieh­bar. Ein tech­nisch hoch kom­ple­xes Orches­ter­ge­bäude bedarf kei­ner Kai­mauer. Es wurde inmit­ten der Elbe erbaut, der Aus­sage fol­gend any­thing goes. »Denn nun wird ihnen nichts mehr ver­wehrt wer­den kön­nen von allem was sie sich vor­ge­nom­men haben zu tun«. Das klingt grö­ßen­wahn­sin­nig, aber immer­hin könne nun jede:r Besucher:in ein »biss­chen Fürst« sein – schwärmt Chris­tian Mar­quart in der Archi­tek­tur­zeit­schrift Bau­welt. Die gigan­ti­schen Bau­kos­ten von 866 Mil­lio­nen Euro recht­fer­tigt das nicht. Auch die Plaza, die man wäh­rend der Öff­nungs­zei­ten der Elb­phil­har­mo­nie gegen ein Ein­tritts­geld von 2,00 Euro pro Besucher:in betre­ten darf, lässt sich schwer­lich als öffent­lich bezeichnen. 

Mar­quart sieht in der wel­len­för­mi­gen Krone ein Bild­zi­tat aus dem berühm­ten Werk Die große Welle vor Kana­gawa des japa­ni­schen Holz­schnei­ders Hoku­sai. Hoku­sais Werk jedoch erweckt Ehr­furcht ange­sichts der gewal­ti­gen Natur. Der 110 Meter hohe sta­ti­sche Wel­len­kamm der Elphi ist hin­ge­gen der­ma­ßen gigan­tisch, dass er die rea­len Was­ser­wo­gen, die die Phil­har­mo­nie umge­ben, ihrer Lächer­lich­keit preis­gibt. Das Bau­werk zwingt dem es umge­ben­den Was­ser ihren instru­men­tel­len Begriff von Natur und Natur­be­herr­schung auf. Eine sol­che Ver­keh­rung ist Aus­druck gesell­schaft­li­cher, und spe­zi­ell der Ham­bur­ger, Ver­hält­nisse. Die Rie­sen­welle bringt diese, wenn auch unfrei­wil­lig, so doch gelun­gen zum Aus­druck. Sie macht sich den Begriff des Was­sers zu eigen und kei­nen Hehl dar­aus, wer hier über die Natur tri­um­phiert. Sie ist eine Kampf­an­sage an die Natur. 

Erste Ent­würfe der Elb­phil­har­mo­nie ent­stan­den 2003 mit dem Ziel, ein neues Wahr­zei­chen für die Stadt zu erschaf­fen. Zu jener Zeit war Ger­hard Schrö­der Bun­des­kanz­ler, Ole von Beust Ham­burgs Ers­ter Bür­ger­meis­ter und in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit wurde zag­haft begon­nen, über den Klimawan­del zu dis­ku­tie­ren. Das Bewusst­sein dar­über, dass es sich um eine aus­ge­wach­sene Klimakrise han­delt, folgte all­mäh­lich. So ersetzte der Guar­dian z.B. den Begriff cli­mate change durch dras­ti­sche­res Voka­bu­lar.3The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«. Damit schien sich ein neues Bewusst­sein des Ver­hält­nis­ses von Mensch und Natur zumin­dest anzu­deu­ten, das die bis­he­rige Natur­be­herr­schung irgend­wann ein­mal ablö­sen könnte. Die Elb­phil­har­mo­nie, das tech­nisch per­fekte, hoch­kul­tu­relle Wahr­zei­chen der Stadt Ham­burg, mit inte­grier­tem Park­haus, Hotel und teu­ren Eigen­tums­woh­nun­gen wirkt dage­gen wie eine Trutz­burg der in die­sem Bei­trag nach­ge­zeich­ne­ten Ära. Ihr Bau­stil kann damit als stein­ge­wor­dene Herr­schafts­ar­chi­tek­tur bezeich­net wer­den, errich­tet in einer Zeit, in der eine unbe­herrsch­bare Flut noch nicht vor­stell­bar schien. 

Norika Reh­feld, Mai 2021 

Die Autorin ist Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, arbei­tet aus Über­zeu­gung nicht im Wis­sen­schafts­be­trieb und fin­det die Kaprio­len, die in der Elb­phil­har­mo­nie zur Opti­mie­rung der Akus­tik geschla­gen wur­den, tat­säch­lich super.

  • 1
    Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]
  • 2
    Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1
  • 3
    The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«.