98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD
Vor 98 Jahren begann der »Hamburger Aufstand« der KPD. Der letzte Revolutionsversuch in Hamburg scheiterte zwar beinahe sofort, wirkte aber in der Karriere Ernst Thälmanns und der Stalinisierung der KPD nach. Wie kann eine Auseinandersetzung mit den weitgehend vergessenen Ereignissen von damals heute aussehen?
Heute, am 23. Oktober 2021, jährt sich zum 98. Mal der sogenannte »Hamburger Aufstand« der KPD. Zwei oder drei, höchstens vier Tage lang lieferten Anhänger*innen der Kommunistischen Partei sich mit der Polizei in Hamburg und den angrenzenden preußischen Gemeinden Wandsbek und Schiffbek (heute Billstedt) einen bewaffneten Straßenkampf. Sie stürmten in den frühen Morgenstunden des 23. Oktober Polizeiwachen in Arbeiter*innenstadtteilen, um Gewehre und Pistolen zu erbeuten und verschanzten sich auf Dächern und hinter Barrikaden. Vor allem in Barmbek und Schiffbek konnten sie einige Straßenzüge zunächst verteidigen, insgesamt aber war der Aufstandsversuch von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Er wurde blutig niedergeschlagen.
Dem Aufstand gingen in einer Hochphase der Inflation spontane Hungerrevolten und Plünderungen voraus, zudem rechtsextreme Putschversuche in Bayern und zugespitzte Auseinandersetzungen zwischen KPD und SPD. Gescheitert ist er nicht erst militärisch, sondern schon politisch im Vorfeld. Er wurde vom »ultralinken« Flügel der Hamburger KPD unter Führung von Hugo Urbahns, Hans Kippenberger und Ernst Thälmann gegen den Mehrheitswillen der Partei ausgerufen und erhielt keine nennenswerte Hilfe von außerhalb. Es waren zwar große Teile des Hamburger Proletariats politisch in Bewegung, doch sie und die breite Bevölkerung unterstützten die etwa 300 kämpfenden Kommunist*innen offenbar nicht maßgeblich.
Folgenlos blieb der Aufstand aber keineswegs. Nationale und konservative Kreise nutzten ihn in Hamburg und der Republik zur Agitation für Ausnahmegesetze und den Abbau demokratischer Rechte. In der KPD dagegen wurde er schnell zum Mythos. Die Diskussion über die Schuld für das Scheitern in Hamburg entschied die Komintern 1924, indem sie die »rechten«, moderaten Kräfte in der KPD verantwortlich machte. So konnte der »ultralinke« moskauhörige Flügel in der KPD zur Macht gelangen und Ernst Thälmann zum Vorsitzenden aufsteigen. Damit trug der Hamburger Aufstand letztlich zur 1924 beginnenden Bolschewisierung und Stalinisierung, auch der deutschen KP, bei. Deren »ultralinke« Politik ab 1929 spielte bekanntlich eine wesentliche Rolle in der Katastrophe, dass keine Einheitsfront von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen gegen den Nationalsozialismus zu Stande kam. In der Geschichtsschreibung der späteren KPD und der offiziellen Version der DDR wurde er dennoch zu einem heroischen, aber verratenen Aufstand stilisiert, der Vorbild für die kommende Revolution sein sollte. Das wiederum dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er heute selbst unter radikalen Linken weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es ist doch nicht »unser« Aufstand, nicht »unser« Kommunismus, der da gescheitert ist. Gefeiert wird er selbst in Hamburg nur von einigen traditionell kommunistischen Linken im Umfeld der DKP.
Diese Ignoranz aber geht in jene Falle, die Bini Adamczak in Gestern Morgen für die kommunistische Aufarbeitung des Stalinismus insgesamt benannt hat:
»In ihrer Rhetorik des Bruchs mit einer Vergangenheit, mit der sie nicht brechen können, weil sie sie beschweigen, sie nicht einmal kennen, bestätigen diese Kommunistinnen der Gegenwart die Behauptung ihrer Gegner, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, weil für sie diese Geschichte beendet ist. Als gäbe es keine Vorfahren, als habe es keine Vorkämpferinnen gegeben. Aber die vergangenen Kämpfe um die Zukunft zu begraben bedeutet unter den fortwirkenden Bedingungen der Niederlage nichts anderes als die Zukunft selbst, eine andere Zukunft zu begraben.« 1Adamczak, Gestern Morgen, S. 25
Wer eine kommunistische Revolution noch immer für notwendig hält oder gar die Selbstbezeichnung »revolutionär« beansprucht, muss die gescheiterten Revolutionsversuche – zumal im eigenen Land, in der eigenen Stadt – als Teil der eigenen Geschichte begreifen. Sie als Geschichte der Anderen, der Antiimps, der DKP, der Paläomarxist*innen abzutun, gibt den Anspruch Preis, das Befreiungsversprechen der Vergangenheit doch noch Gegenwart werden zu lassen.
Den »Hamburger Aufstand« als Teil der eigenen Geschichte anzuerkennen kann jedoch nicht heißen, einer bloßen (militärischen, politischen, organisatorischen, strategischen…) Niederlage glorifizierend zu gedenken, also »solche Revolutionäre zu Ikonen zu erheben, die starben, bevor sie soweit hätten kommen können« 2Adamczak, S. 26. Es muss der Aufstand auch als Teil eben des Scheiterns begriffen werden, das er mitbewirkt hat: Das stalinistische Totalversagen der kommunistischen Emanzipation.
Wie kann eine solche »kommunistische Trauerarbeit« (Hendrik Wallat) heute aussehen, die weder beschönigt, noch Freiheit unterstellt, wo die Bedingungen nicht frei gewählt waren? Ein Blick auf die Veröffentlichungen zum »Hamburger Aufstand« zeigt, dass von den 1960ern bis in die 1980er recht rege publiziert wurde, seitdem aber immer seltener. Die folgenden Hinweise können vielleicht zumindest die Hürden senken, die Auseinandersetzung von neuem zu beginnen:
Einen mitreißenden, sprachlich starken, aber ebenso stark verklärenden »Erlebnisbericht« hat die russische Kommunistin Larissa Reisner schon 1924 geschrieben. Ihrer Ansicht nach blieb der Aufstand unbesiegt, da er sich »planmäßig zurückgezogen« habe:
Larissa Reisner: Hamburg auf den Barrikaden und andere Reportagen. Berlin 1960
(Die jüngste Neuauflage des Berichts in einem nationalbolschewistischen Umfeld (neben Texten von u.a. Otto Strasser) durch den Haag + Herchen-Verlag ist zwar mit Blick auf die Geschichte der KPD wohl leider nicht ganz zufällig, tut aber Reisner und ihrem Bericht Gewalt an.)
Knapp zwei Stunden Interviews mit Beteiligten des Aufstands haben die Dokumentarfilmer*innen Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen 1971 unter dem Titel »Der Hamburger Aufstand Oktober 1923« veröffentlicht. Die vollständige Fassung ist leider nur vor Ort im Filmarchiv Berlin einsehbar. Die Hamburger Staatsbibliothek bietet in einer DVD-Box mit Wildenhahns Filmen zumindest eine 45-minütige Kurzversion zur Ausleihe an:
Klaus Wildenhahn, Dokumentarist im Fernsehen; 14 Filme; 1965 ‑1991. Berlin 2010.
Einen kurzen Überblick mit Fokus auf die Auseinandersetzungen innerhalb der KPD und zwischen KPD, SPD und Gewerkschaften hat Wulf D. Hund 1983 veröffentlicht:
Wulf D. Hund: Der Aufstand der KPD 1923. In: Hamburg-Studien, S. 32–61. Opladen 1983.
Eine umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung aus engagierter Perspektive und mit großem Materialteil liefert Karl Heinrich Biehl:
Die jüngste umfassende wissenschaftliche Darstellung hat der Hamburger Historiker Joachim Paschen 2010 vorgelegt:
Eine auf Karl Heinrich Biehls Arbeit basierende Broschüre mit (teilweise gewagten) Bezügen zur Gegenwart hat die mittlerweile verflossene Gruppe »Rotes Winterhude« 2003 vorgelegt. Sie sticht als aktivistischer Aneignungsversuch heraus und liefert tolle Details und Beobachtungen zur Erinnerungspolitik. Mit ihrem grottigen Layout und dem post-autonomen Tonfall ist sie dazu selbst auch schon Zeitdokument:
Rotes Winterhude: Der Hamburger Aufstand 1923. Verlauf – Mythos – Lehren. Hamburg 2003. Teil 1 und Teil 2 sind über das Internet Archive abrufbar.
Felix Jacob
Der Autor forscht privat zu Hamburger Aufstandsbewegungen.
- 1Adamczak, Gestern Morgen, S. 25
- 2Adamczak, S. 26