98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

Vor 98 Jah­ren begann der »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Der letzte Revo­lu­ti­ons­ver­such in Ham­burg schei­terte zwar bei­nahe sofort, wirkte aber in der Kar­riere Ernst Thäl­manns und der Sta­li­ni­sie­rung der KPD nach. Wie kann eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den weit­ge­hend ver­ges­se­nen Ereig­nis­sen von damals heute aussehen?

Eins von offen­bar weni­gen Bil­dern der Auf­stän­di­gen. In Barm­bek (Ham­bur­ger Str. Ecke Schma­len­be­cker Str.) wird eine Bar­ri­kade errich­tet. Foto: unbekannt

Heute, am 23. Okto­ber 2021, jährt sich zum 98. Mal der soge­nannte »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Zwei oder drei, höchs­tens vier Tage lang lie­fer­ten Anhänger*innen der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei sich mit der Poli­zei in Ham­burg und den angren­zen­den preu­ßi­schen Gemein­den Wands­bek und Schiff­bek (heute Bill­stedt) einen bewaff­ne­ten Stra­ßen­kampf. Sie stürm­ten in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 23. Okto­ber Poli­zei­wa­chen in Arbeiter*innenstadtteilen, um Gewehre und Pis­to­len zu erbeu­ten und ver­schanz­ten sich auf Dächern und hin­ter Bar­ri­ka­den. Vor allem in Barm­bek und Schiff­bek konn­ten sie einige Stra­ßen­züge zunächst ver­tei­di­gen, ins­ge­samt aber war der Auf­stands­ver­such von Beginn an zum Schei­tern ver­ur­teilt. Er wurde blu­tig niedergeschlagen.

Dem Auf­stand gin­gen in einer Hoch­phase der Infla­tion spon­tane Hun­ger­re­vol­ten und Plün­de­run­gen vor­aus, zudem rechts­extreme Putsch­ver­su­che in Bay­ern und zuge­spitzte Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen KPD und SPD. Geschei­tert ist er nicht erst mili­tä­risch, son­dern schon poli­tisch im Vor­feld. Er wurde vom »ultra­lin­ken« Flü­gel der Ham­bur­ger KPD unter Füh­rung von Hugo Urbahns, Hans Kip­pen­ber­ger und Ernst Thäl­mann gegen den Mehr­heits­wil­len der Par­tei aus­ge­ru­fen und erhielt keine nen­nens­werte Hilfe von außer­halb. Es waren zwar große Teile des Ham­bur­ger Pro­le­ta­ri­ats poli­tisch in Bewe­gung, doch sie und die breite Bevöl­ke­rung unter­stütz­ten die etwa 300 kämp­fen­den Kommunist*innen offen­bar nicht maßgeblich.

Fol­gen­los blieb der Auf­stand aber kei­nes­wegs. Natio­nale und kon­ser­va­tive Kreise nutz­ten ihn in Ham­burg und der Repu­blik zur Agi­ta­tion für Aus­nah­me­ge­setze und den Abbau demo­kra­ti­scher Rechte. In der KPD dage­gen wurde er schnell zum Mythos. Die Dis­kus­sion über die Schuld für das Schei­tern in Ham­burg ent­schied die Kom­in­tern 1924, indem sie die »rech­ten«, mode­ra­ten Kräfte in der KPD ver­ant­wort­lich machte. So konnte der »ultra­linke« mos­kau­hö­rige Flü­gel in der KPD zur Macht gelan­gen und Ernst Thäl­mann zum Vor­sit­zen­den auf­stei­gen. Damit trug der Ham­bur­ger Auf­stand letzt­lich zur 1924 begin­nen­den Bol­sche­wi­sie­rung und Sta­li­ni­sie­rung, auch der deut­schen KP, bei. Deren »ultra­linke« Poli­tik ab 1929 spielte bekannt­lich eine wesent­li­che Rolle in der Kata­stro­phe, dass keine Ein­heits­front von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu Stande kam. In der Geschichts­schrei­bung der spä­te­ren KPD und der offi­zi­el­len Ver­sion der DDR wurde er den­noch zu einem heroi­schen, aber ver­ra­te­nen Auf­stand sti­li­siert, der Vor­bild für die kom­mende Revo­lu­tion sein sollte. Das wie­derum dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er heute selbst unter radi­ka­len Lin­ken weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Es ist doch nicht »unser« Auf­stand, nicht »unser« Kom­mu­nis­mus, der da geschei­tert ist. Gefei­ert wird er selbst in Ham­burg nur von eini­gen tra­di­tio­nell kom­mu­nis­ti­schen Lin­ken im Umfeld der DKP.

Diese Igno­ranz aber geht in jene Falle, die Bini Adamc­zak in Ges­tern Mor­gen für die kom­mu­nis­ti­sche Auf­ar­bei­tung des Sta­li­nis­mus ins­ge­samt benannt hat:

»In ihrer Rhe­to­rik des Bruchs mit einer Ver­gan­gen­heit, mit der sie nicht bre­chen kön­nen, weil sie sie beschwei­gen, sie nicht ein­mal ken­nen, bestä­ti­gen diese Kom­mu­nis­tin­nen der Gegen­wart die Behaup­tung ihrer Geg­ner, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, weil für sie diese Geschichte been­det ist. Als gäbe es keine Vor­fah­ren, als habe es keine Vor­kämp­fe­rin­nen gege­ben. Aber die ver­gan­ge­nen Kämpfe um die Zukunft zu begra­ben bedeu­tet unter den fort­wir­ken­den Bedin­gun­gen der Nie­der­lage nichts ande­res als die Zukunft selbst, eine andere Zukunft zu begra­ben.« 1Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25

Wer eine kom­mu­nis­ti­sche Revo­lu­tion noch immer für not­wen­dig hält oder gar die Selbst­be­zeich­nung »revo­lu­tio­när« bean­sprucht, muss die geschei­ter­ten Revo­lu­ti­ons­ver­su­che – zumal im eige­nen Land, in der eige­nen Stadt – als Teil der eige­nen Geschichte begrei­fen. Sie als Geschichte der Ande­ren, der Anti­imps, der DKP, der Paläomarxist*innen abzu­tun, gibt den Anspruch Preis, das Befrei­ungs­ver­spre­chen der Ver­gan­gen­heit doch noch Gegen­wart wer­den zu lassen.

Den »Ham­bur­ger Auf­stand« als Teil der eige­nen Geschichte anzu­er­ken­nen kann jedoch nicht hei­ßen, einer blo­ßen (mili­tä­ri­schen, poli­ti­schen, orga­ni­sa­to­ri­schen, stra­te­gi­schen…) Nie­der­lage glo­ri­fi­zie­rend zu geden­ken, also »sol­che Revo­lu­tio­näre zu Iko­nen zu erhe­ben, die star­ben, bevor sie soweit hät­ten kom­men kön­nen« 2Adamc­zak, S. 26. Es muss der Auf­stand auch als Teil eben des Schei­terns begrif­fen wer­den, das er mit­be­wirkt hat: Das sta­li­nis­ti­sche Total­ver­sa­gen der kom­mu­nis­ti­schen Emanzipation.

Wie kann eine sol­che »kom­mu­nis­ti­sche Trau­er­ar­beit« (Hen­drik Wal­lat) heute aus­se­hen, die weder beschö­nigt, noch Frei­heit unter­stellt, wo die Bedin­gun­gen nicht frei gewählt waren? Ein Blick auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen zum »Ham­bur­ger Auf­stand« zeigt, dass von den 1960ern bis in die 1980er recht rege publi­ziert wurde, seit­dem aber immer sel­te­ner. Die fol­gen­den Hin­weise kön­nen viel­leicht zumin­dest die Hür­den sen­ken, die Aus­ein­an­der­set­zung von neuem zu beginnen:

Einen mit­rei­ßen­den, sprach­lich star­ken, aber ebenso stark ver­klä­ren­den »Erleb­nis­be­richt« hat die rus­si­sche Kom­mu­nis­tin Larissa Reis­ner schon 1924 geschrie­ben. Ihrer Ansicht nach blieb der Auf­stand unbe­siegt, da er sich »plan­mä­ßig zurück­ge­zo­gen« habe:

Larissa Reis­ner: Ham­burg auf den Bar­ri­ka­den und andere Repor­ta­gen. Ber­lin 1960

(Die jüngste Neu­auf­lage des Berichts in einem natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Umfeld (neben Tex­ten von u.a. Otto Stras­ser) durch den Haag + Herchen-Verlag ist zwar mit Blick auf die Geschichte der KPD wohl lei­der nicht ganz zufäl­lig, tut aber Reis­ner und ihrem Bericht Gewalt an.)

Knapp zwei Stun­den Inter­views mit Betei­lig­ten des Auf­stands haben die Dokumentarfilmer*innen Klaus Wil­den­hahn und Gisela Tuch­ten­ha­gen 1971 unter dem Titel »Der Ham­bur­ger Auf­stand Okto­ber 1923« ver­öf­fent­licht. Die voll­stän­dige Fas­sung ist lei­der nur vor Ort im Film­ar­chiv Ber­lin ein­seh­bar. Die Ham­bur­ger Staats­bi­blio­thek bie­tet in einer DVD-Box mit Wil­den­hahns Fil­men zumin­dest eine 45-minütige Kurz­ver­sion zur Aus­leihe an:

Klaus Wil­den­hahn, Doku­men­ta­rist im Fern­se­hen; 14 Filme; 1965 ‑1991. Ber­lin 2010.

Einen kur­zen Über­blick mit Fokus auf die Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der KPD und zwi­schen KPD, SPD und Gewerk­schaf­ten hat Wulf D. Hund 1983 veröffentlicht:

Wulf D. Hund: Der Auf­stand der KPD 1923. In: Hamburg-Studien, S. 32–61. Opla­den 1983.

Eine umfang­rei­che wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung aus enga­gier­ter Per­spek­tive und mit gro­ßem Mate­ri­al­teil lie­fert Karl Hein­rich Biehl:

Karl Hein­rich Biehl: Der Thälmann-Putsch in Ham­burg und Umge­bung. Im Anhang 55 Doku­mente zur poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Situa­tion im Herbst 1923. Ham­burg 2001.

Die jüngste umfas­sende wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lung hat der Ham­bur­ger His­to­ri­ker Joa­chim Paschen 2010 vorgelegt:

Joa­chim Paschen: Wenn Ham­burg brennt, brennt die Welt. Der kom­mu­nis­ti­sche Griff nach der Macht im Okto­ber 1923. Frank­furt am Main 2010.

Eine auf Karl Hein­rich Biehls Arbeit basie­rende Bro­schüre mit (teil­weise gewag­ten) Bezü­gen zur Gegen­wart hat die mitt­ler­weile ver­flos­sene Gruppe »Rotes Win­ter­hude« 2003 vor­ge­legt. Sie sticht als akti­vis­ti­scher Aneig­nungs­ver­such her­aus und lie­fert tolle Details und Beob­ach­tun­gen zur Erin­ne­rungs­po­li­tik. Mit ihrem grot­ti­gen Lay­out und dem post-autonomen Ton­fall ist sie dazu selbst auch schon Zeitdokument:

Rotes Win­ter­hude: Der Ham­bur­ger Auf­stand 1923. Ver­lauf – Mythos – Leh­ren. Ham­burg 2003. Teil 1 und Teil 2 sind über das Inter­net Archive abrufbar.

Felix Jacob

Der Autor forscht pri­vat zu Ham­bur­ger Aufstandsbewegungen.

  • 1
    Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25
  • 2
    Adamc­zak, S. 26

»Wanderstraßen der Kultur«

Wootton / fluid, Courtesy The Warburg Institute

»Wanderstraßen der Kultur«

Das Biblio­theks­ge­bäude, in dem der Kunst­his­to­ri­ker Aby War­burg (1866–1929) die letz­ten Jahre sei­nes Lebens forschte, steht immer noch in Ham­burg. Sein Bestand – ca. 60.000 Bände und War­burgs Auf­zeich­nun­gen – konnte 1933 nach Lon­don geret­tet wer­den. Eine Aus­stel­lung bringt War­burgs unvoll­ende­tes Haupt­werk, den Bil­der­at­las Mne­mo­syne, nun zurück.

Wan­der­stras­sen der Kul­tur. Foto: Woot­ton / fluid, Cour­tesy The War­burg Institute

In der Heil­wig­straße 116 befin­det sich in einem ansons­ten unauf­fäl­li­gen Vil­len­vier­tel Ham­burgs an einem Zufluss zur Als­ter gele­gen ein Back­stein­bau, über des­sen Ein­gang der Schrift­zug »Mne­mo­syne« prangt. Dar­über ste­hen an der back­stei­ner­nen Außen­fas­sade die drei Buch­sta­ben K, B und W, als Kür­zel für Kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Biblio­thek Warburg. 

Ihr Bau­herr Aby War­burg, der Pri­vat­ge­lehrte und Spross der bis heute bestehen­den loka­len Ban­kiers­dy­nas­tie, ließ das Gebäude 1926 erbauen, um in ihr seine wach­sende Biblio­thek unter­zu­brin­gen. Mit dem Neu­bau schuf War­burg eine für die dama­lige Zeit neu­ar­tige Insti­tu­tion, deren Inno­va­ti­ons­ge­halt sich sowohl in der infra­struk­tu­rel­len Gestal­tung als auch in der wis­sen­schaft­li­chen Aus­rich­tung nie­der­schlug – Kunst­ge­schichte sollte hier als Kul­tur­ge­schichte, mit­hin als breit ange­legte Kul­tur­wis­sen­schaft betrie­ben werden.

Das Warburg-Haus mit sei­ner auf­wen­dig gestal­te­ten Backstein-Fassade. Foto: © Ajep­bah / Wiki­me­dia Com­mons / Lizenz: CC-BY-SA‑3.0 DE

Der Bilderatlas Mnemosyne

Betritt man das Gebäude, sieht man, dass in den Sturz der Tür zum Biblio­theks­saal ein Wort in grie­chi­schen Let­tern ein­ge­mei­ßelt ist: »ΜΝΕΜΟΣΥΝΗ«. Die­ser Begriff ver­weist auf War­burgs viel beach­te­tes und zugleich unzu­gäng­lichs­tes Werk, das er an die­sem Ort mit sei­nen Mitarbeiter:innen – Ger­trud Bing und Fritz Saxl – schuf: den Bil­der­at­las Mne­mo­syne. Den Begriff der Mne­mo­syne über­nahm War­burg aus der evo­lu­ti­ons­bio­lo­gi­schen For­schung zu Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Dort bestan­den bereits Ansätze, etwa durch Richard Semon, zur Über­tra­gung auf die Kul­tur­ge­schichte: Mneme, die grie­chi­sche Muse der Erin­ne­rung, wurde zur Namens­ge­be­rin für die Annahme eines erhal­ten­den Prin­zips erwor­be­ner Eigen­schaf­ten im Bereich der Kul­tur. War­burg knüpfte an diese Annah­men an, die er mit­samt dem Begriff in seine kunst­ge­schicht­li­che Arbeit über­trug. In sei­ner For­schungs­ar­beit wei­tete er damit das Ver­ständ­nis einer her­ge­brach­ten Kunst­ge­schichte aus und über­führte sie in eine breit­an­ge­legte Kulturwissenschaft.

Prä­sen­ta­tion der Bil­der­reihe »Urworte lei­den­schaft­li­cher Gebär­den­spra­che« im Lese­saal der Kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Biblio­thek War­burg. Foto: Cour­tesy The War­burg Institute

Mne­mo­syne bezeich­net nun das Erin­nern als gesam­ten Pro­zess. Mit den Mit­teln der Iko­no­gra­phie ver­suchte War­burg, ein geo­gra­phi­sches sowie the­ma­ti­sches Wan­dern von For­men, Mus­tern und Sti­len durch die Geschichte in Abhän­gig­keit zu den jewei­lig herr­schen­den gesell­schaft­li­chen Zustän­den nach­zu­zeich­nen. Hierzu ent­wi­ckelte er mit sei­nen Mitarbeiter:innen den Bil­der­at­las Mne­mo­syne: Auf ins­ge­samt 63 Tafeln wur­den von War­burg und sei­nen Mitarbeiter:innen auf schwar­zem Grund foto­gra­fi­sche Repro­duk­tio­nen arran­giert. Dabei han­delt es sich um Kunst­werke aus dem Nahen Osten, der euro­päi­schen Antike und der Renais­sance neben zeit­ge­nös­si­schen Zei­tungs­aus­schnit­ten sowie Wer­be­an­zei­gen. Die Tafeln des Bil­der­at­las stel­len das zen­trale Hilfs­mit­tel inner­halb des durch War­burg ent­wi­ckel­ten expe­ri­men­tel­len Ver­fah­rens zur Ver­ge­gen­wär­ti­gung der kul­tur­ge­schicht­li­chen Ent­wick­lung dar. Anhand der foto­gra­fi­schen Repro­duk­tio­nen lässt sich die Über­lie­fe­rung nach­voll­zie­hen – es las­sen sich Pro­zesse des Erin­nerns anhand der Wan­de­rung durch die Kul­tur­ge­schichte sowohl visu­ell dar­stel­len als auch nach­voll­zie­hen. Zeit­ge­nös­sisch aus­ge­drückt, rich­te­ten sich War­burgs For­schun­gen auf die Ent­wick­lung einer medi­en­theo­re­ti­schen Genea­lo­gie von Bildmotiven.

In den Dienst der Erkun­dung des Erin­ne­rungs­pro­zes­ses stellte War­burg seine in Hamburg-Eppendorf gele­gene kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Biblio­thek. Nach War­burgs Tod im Herbst 1929 von sei­nen Mitarbeiter:innen wei­ter­ge­führt, wur­den die Bestände auf der Flucht vor den Natio­nal­so­zia­lis­ten nach Lon­don ver­schifft. Dabei konnte auch das Mate­rial zu War­burgs letz­tem gro­ßem Pro­jekt, dem Bil­der­at­las, geret­tet wer­den. Zur Erhal­tung des Biblio­theks­be­stands ent­stand in Lon­don das bis heute, auch gegen kos­ten­spa­rende Ein­glie­de­rungs­ver­su­che der Uni­ver­sity of Lon­don, wei­ter­hin bestehende War­burg Insti­tute.

Wiederentdeckung des Bildmaterials

Zu Leb­zei­ten War­burgs nicht mehr abge­schlos­sen und danach mit dem Bestand der KBW von sei­nen Mitarbeiter:innen ins Lon­do­ner Exil ver­schifft, hat­ten die Ori­gi­nal­ab­bil­dun­gen vom Herbst 1929 in ihrer Mehr­zahl über­lebt. Für die Nach­welt kaum nach­voll­zieh­bar, lager­ten die ein­zel­nen Abbil­dun­gen im Bild­ar­chiv des War­burg Insti­tute. Die Wie­der­ent­de­ckung des Bild­ma­te­ri­als und die Ergeb­nisse der Rekon­struk­ti­ons­ar­bei­ten sind der­zeit in einer Aus­stel­lung in der Außen­stelle der Deich­tor­hal­len in der Samm­lung Falcken­berg in Har­burg zu besich­ti­gen. Erst­ma­lig kann damit in Ham­burg der geneig­ten Öffent­lich­keit der Bil­der­at­las voll­stän­dig rekon­stru­iert prä­sen­tiert wer­den, was nicht allein sen­sa­tio­nell ist, son­dern den mehr­fa­chen Besuch lohnt. Besucher:innen kön­nen anhand der ein­zel­nen Tafeln des Atlas das Wan­dern der Bil­der eigen­stän­dig nachverfolgen.

Bil­der­at­las Mne­mo­syne, Tafel 39, rekon­stru­iert von Roberto Ohrt und Axel Heil 2020. Foto: Woot­ton / fluid; Cour­tesy The War­burg Institute

Kura­tiert wurde die Aus­stel­lung von Axel Heil und Roberto Ohrt sowie dem War­burg Insti­tute in Zusam­men­ar­beit mit dem Ber­li­ner Haus der Kul­tu­ren der Welt. Die Aus­stel­lung ist noch bis zum 31. Okto­ber 2021 in der Samm­lung Falcken­berg in Har­burg zu besich­ti­gen. Wei­tere Infor­ma­tio­nen unter gibt es hier.

Wer es bis dahin nicht schafft, den­noch aber ein­mal mehr von dem Ham­bur­ger Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und sei­nem Schaf­fen erfah­ren möchte, dem sei die nach­fol­gende Aus­gabe der Deutsch­land­funk Sen­dung Lange Nacht über den Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Aby War­burg anempfohlen.

Fred Stil­ler

Der Autor lebt und lohn­ar­bei­tet in Ham­burg. Er hält die Stadt und ihre Bewohner:innen im Gegen­satz zu ihrer Größe für intel­lek­tu­ell und (sub-)kulturell mit ande­ren Pro­vinz­städ­ten ver­gleich­bar. Den­noch schätzt er die näh­ren­den Brot­kru­men, durch wel­che sich die Stadt vor ande­ren ihrer Größe und Kon­sti­tu­tion auszeichnet.

»Arisieren« und Ausbeuten

»Arisieren« und Ausbeuten 

Ham­bur­ger Han­dels­fir­men betei­lig­ten sich wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs inten­siv an der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zungs­herr­schaft im öst­li­chen Europa. Die Geschichte die­ser Zusam­men­ar­beit spielt in der loka­len Erin­ne­rungs­kul­tur prak­tisch keine Rolle. Unser Autor leuch­tet die Hin­ter­gründe des soge­nann­ten »Ost­ein­sat­zes« der Ham­bur­ger Wirt­schaft aus.  

Der »Ehren­hof« zwi­schen Han­dels­kam­mer und Rat­haus. Foto: Klaus Bär­win­kel / Wiki­me­dia Com­mons, Lizenz: CC BY 4.0

In Ham­burg hat der Gemein­platz, dem­nach Geld die Welt regiere, eine städ­te­bau­li­che Ent­spre­chung: An das impo­sante Ham­bur­ger Rat­haus schließt ein wei­te­res reprä­sen­ta­ti­ves Bau­werk unmit­tel­bar an: Die Börse, Sitz der Ham­bur­ger Han­dels­kam­mer, ist durch einen gemein­sa­men »Ehren­hof« mit den Räu­men der Ham­bur­gi­schen Bür­ger­schaft ver­bun­den. Dass Archi­tek­tur den Zusam­men­hang von poli­ti­scher Herr­schaft und wirt­schaft­li­cher Macht der­art ver­sinn­bild­licht, scheint indes eine han­sea­ti­sche Beson­der­heit zu sein: In Bre­men resi­diert die Han­dels­kam­mer im »Haus Schüt­ting« – mit Blick auf das Rathausgebäude. 

Wie diese Bau­lich­kei­ten erah­nen las­sen, bil­de­ten die han­se­städ­ti­schen Kauf­mann­schaf­ten bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein die unan­ge­foch­te­nen gesell­schaft­li­chen Eli­ten ihre Städte. Dass ins­be­son­dere Ham­burg dabei ein kolo­nia­les Erbe mit sich schleppt, gewinnt lang­sam an erin­ne­rungs­kul­tu­rel­ler Bedeu­tung. So betei­ligte sich eine ganze Reihe von Ham­bur­ger Kauf­leu­ten maß­geb­lich am Erwerb deut­scher Kolo­nien in Afrika. Weni­ger bekannt ist, dass die hie­sige Kauf­mann­schaft – selbst­er­klärte »ehr­bare Kauf­leute« – tief in natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­bre­chen­s­kom­plexe invol­viert waren. Dabei geht es nicht nur um die Teil­habe Ham­bur­ger Unter­neh­mer an der Ver­drän­gung und Ent­eig­nung jüdi­scher Gewer­be­trei­ben­der, der soge­nann­ten »Ari­sie­rung« . Zahl­rei­che his­to­ri­sche Quel­len (und nach wie vor nur wenige For­schungs­ar­bei­ten1Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.
) zei­gen zudem, dass han­se­städ­ti­sche Fir­men wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs im besetz­ten Polen und den besetz­ten Tei­len der Sowjet­union aktiv waren.

Wieso betätigten sich hansestädtische Unternehmen im besetzten Polen?

Als die Wehr­macht am 1. Sep­tem­ber 1939 Polen über­fiel, erklär­ten Frank­reich und Groß­bri­tan­nien Deutsch­land den Krieg. Die Bri­ten errich­te­ten sofort eine See­blo­ckade gegen das Deut­sche Reich, die die Wirt­schaft Ham­burgs und Bre­mens von ihren über­see­ischen Betä­ti­gungs­fel­dern abschnitt. Die Han­dels­kam­mern und ihre Mit­glieds­fir­men such­ten nun hän­de­rin­gend nach alter­na­ti­ven Geschäfts­mög­lich­kei­ten inner­halb Euro­pas. Die Ham­bur­ger Kauf­mann­schaft hatte bereits in den Vor­jah­ren ein dich­tes Lob­by­netz­werk in die Insti­tu­tio­nen des NS-Staats ein­ge­floch­ten und koope­rierte eng mit dem ham­bur­gi­schen NSDAP-Gauleiter Karl Kauf­mann und des­sen Appa­rat. Die Ham­bur­ger Außen­han­dels­kauf­leute lit­ten näm­lich seit 1933 unter der NS-Rüstungspolitik, die der Indus­trie zwar nutzte, den Außen­han­del aber mas­siv ein­schränkte. Auf der Suche nach Kom­pen­sa­tion ban­den sich die Kauf­mann­seli­ten an den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schafts­ap­pa­rat. Die­ser eröff­nete den Kauf­leu­ten wie­derum die Per­spek­tive, an der »Ari­sie­rung« sowie der ter­ri­to­ria­len Expan­si­ons­po­li­tik NS-Deutschlands auf pro­fi­ta­ble Weise teil­zu­ha­ben. So hat­ten die Ham­bur­ger NSDAP-Führung und die Han­dels­kam­mer nach dem »Anschluss« Öster­reichs 1938 dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, dass ham­bur­gi­sche Han­dels­fir­men und Spe­di­tio­nen von der »Ari­sie­rung« in der Han­dels­me­tro­pole Wien profitierten.

Die Erobe­rung Polens nahm han­sea­ti­schen Unter­neh­mern also ihr tra­di­tio­nel­les Arbeits­feld, eröff­nete jedoch gleich­zei­tig neue Fel­der, die Aus­gleich zu ver­spre­chen schie­nen. In den zen­tral­pol­ni­schen Gebie­ten, die die Deut­schen als »Gene­ral­gou­ver­ne­ment« (GG) unter­war­fen, ergab sich im Früh­jahr 1940 eine wirt­schaft­li­che Koope­ra­tion mit dem NS-Besatzungsapparat. Und zwar beschloss die Regie­rung des GG in Kra­kau, han­se­städ­ti­sche Han­dels­fir­men für eine Tätig­keit im besetz­ten Gebiet her­an­zu­zie­hen. Um die pol­ni­sche Wirt­schaft für deut­sche Zwe­cke zu mobi­li­sie­ren, soll­ten die Kauf­leute ein neues Han­dels­sys­tem auf­bauen. Der bis­he­rige pol­ni­sche Han­del galt den Natio­nal­so­zia­lis­ten näm­lich als »ver­ju­det«, denn er wurde bis­lang weit­ge­hend von jüdi­schen Kauf­leu­ten getra­gen. Diese woll­ten die Besat­zer nun verdrängen.

Die Regie­rung des Gene­ral­gou­ver­ne­ments – gute Ver­bin­dun­gen nach Ham­burg. Foto: Naro­dowe Archi­wum Cyfrowe Nr. 2–2817

For­ciert durch das han­sea­ti­sche Lob­by­netz­werk und die Han­dels­kam­mern eröff­nete 1940 einige deut­sche Han­dels­fir­men Filia­len im GG, die meis­ten stamm­ten aus Ham­burg und Bre­men. Als das Gebiet nach dem Angriff auf die Sowjet­union 1941 ver­grö­ßert wurde, soll­ten wei­tere fol­gen. Anhand von Archiv­quel­len las­sen sich ins­ge­samt 51 ham­bur­gi­sche Unter­neh­men benen­nen, die in die­sem Teil Polens tätig wur­den. Elf wei­tere Fir­men stamm­ten aus Bre­men. Die Mehr­heit von ihnen arbei­tete unter stren­gen behörd­li­chen Vor­ga­ben als soge­nannte Kreis­groß­han­dels­fir­men, die in den ein­zel­nen Land­krei­sen des GG Nie­der­las­sun­gen eröff­ne­ten, die die NS-Behörden mit Mono­po­len aus­stat­te­ten. Viele der Fir­men war bis 1939 in Kolo­nien tätig gewe­sen. Es befan­den sich dar­un­ter renom­mierte Über­see­häu­ser mit lan­ger Tra­di­tion, zum Bei­spiel C. Woer­mann, G. L. Gai­ser oder Arnold Otto Meyer.

Judenverfolgung und Ausbeutung: Der »Osteinsatz« hanseatischer Kaufleute

Die Kreis­groß­han­dels­fir­men hat­ten dabei eine Dop­pel­auf­gabe. Die erste Auf­gabe bestand darin, mit ihrem so bezeich­ne­ten »Ost­ein­satz« die wirt­schaft­li­che Exis­tenz­ver­nich­tung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung zu unter­stüt­zen, die die NS-Besatzer schnellst­mög­lich durch­füh­ren woll­ten. Die Expro­pria­tion der Jüd:innen hatte anfangs zu schwe­ren Stö­run­gen der Wirt­schaft geführt, da mit ihr der Han­del zusam­men­ge­bro­chen war. Indem die Ham­bur­ger und Bre­mer die öko­no­mi­sche Rolle der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den über­nah­men, konn­ten uner­wünschte Begleit­erschei­nun­gen der »Ari­sie­rung« gemin­dert wer­den. Die Han­se­städ­ter pro­fi­tier­ten somit von der Juden­ver­fol­gung, indem sie an deren wirt­schaft­li­che Stelle tra­ten und deren Waren­be­stände teil­weise über­eig­net bekamen.

Füh­ren­der Kopf die­ser Maß­nah­men war der Ham­bur­ger Öko­nom und Wirt­schafts­funk­tio­när Wal­ter Emme­rich, der eng mit der Han­dels­kam­mer sowie der Ham­bur­ger NSDAP ver­bun­den war und seit Juni 1940 die Wirt­schafts­ab­tei­lung der Kra­kauer Besat­zungs­re­gie­rung lei­tete. Er kon­zi­pierte die Ent­eig­nung der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den als »ras­si­sche Neu­ord­nung« der pol­ni­schen Wirt­schaft. In die­ser soll­ten die han­sea­ti­schen Groß­händ­ler eine Ober­schicht bil­den, die über eine nicht-jüdische pol­ni­sche Mit­tel­schicht herrschte. Als Unter­schicht blie­ben christ­li­che pol­ni­sche Arbei­ter und Bau­ern, denn die jüdi­sche Bevöl­ke­rung sollte voll­stän­dig ver­schwin­den. In der Tat über­gab die NS-Administration die Posi­tio­nen im Ein­zel­han­del, die durch die Ent­eig­nung der Juden frei wur­den, an nicht-jüdische Polen, die damit eben­falls von der anti­se­mi­ti­schen Poli­tik pro­fi­tier­ten. Die ein­hei­mi­schen Klein­kauf­leute waren dabei den han­sea­ti­schen Groß­han­dels­fir­men unter­ge­ord­net. Emme­rich und ins­be­son­dere die Kauf­leute mit Erfah­run­gen in Afrika betrach­te­ten das besetzte Polen und seine Bevöl­ke­rung dabei durch eine kolo­niale Brille. So schrieb etwa der Inha­ber einer Firma, die bis 1939 in afri­ka­ni­schen Ter­ri­to­rien tätig gewe­sen war, in einem Tätig­keits­be­richt von 1944, den das Bre­mer Staats­ar­chiv ver­wahrt: »Einen Begriff vom Wert der Zeit hat der pol­ni­sche Bauer und Klein­händ­ler – auch der Arbei­ter – nicht, und die ganze Pri­mi­ti­vi­tät des Han­dels, der Umge­bung und der Men­schen erin­nerte uns manch­mal stark an Afrika.« 

Der zweite Teil jener Dop­pel­auf­gabe der Fir­men, die ihre Betriebe teil­weise mit kolo­ni­al­wirt­schaft­li­chen »Fak­toreien« ver­gli­chen, bestand darin, die NS-Besatzer bei der Aus­beu­tung der pol­ni­schen Land­wirt­schaft zu unter­stüt­zen. Die Kra­kauer Admi­nis­tra­tion zwang die pol­ni­sche Land­be­völ­ke­rung mit bru­ta­ler Gewalt, ihre Feld­früchte und ihr Vieh an den deut­schen Wirt­schafts­ap­pa­rat zu ver­kau­fen – zu nied­ri­gen, behörd­lich fest­ge­leg­ten Prei­sen. Die Land­wirte schlu­gen ihre Pro­dukte jedoch lie­ber auf dem für sie viel ren­ta­ble­ren Schwarz­markt los, der für die hun­gernde Bevöl­ke­rung über­le­bens­wich­tig war. Um die­sen ille­ga­len Han­del zu unter­bin­den, schu­fen die Besat­zer zusätz­li­che posi­tive Ablie­fe­rungs­an­reize in Form soge­nann­ter »Prä­mi­en­wa­ren«. Bäuer:innen, die ihre Pro­dukte ablie­fer­ten, erhiel­ten Bezugs­scheine mit denen sie die »Prä­mien« erwer­ben konn­ten, die die han­se­städ­ti­schen Kreis­groß­han­dels­fir­men in den Han­del ein­speis­ten. Das waren haupt­säch­lich Tex­ti­lien und andere indus­tri­ell her­ge­stellte Kon­sum­pro­dukte. Mit dem Ver­trieb der »Prä­mien« über­nah­men diese Fir­men eine tra­gende Rolle im NS-Ausbeutungsapparat. Das Prä­mi­en­sys­tem ent­wi­ckelte für die Besat­zungs­wirt­schaft zen­trale Bedeu­tung. Um die Deut­schen zu sät­ti­gen, hun­gerte die NS-Führung skru­pel­los die Men­schen in den besetz­ten Gebie­ten aus. Der Land­wirt­schaft im GG press­ten die Besat­zer Jahr für Jahr immer grö­ßere Getrei­de­men­gen ab, allein 1943/44 waren es 1,5 Mil­lio­nen Ton­nen. Die Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute, die die für die­ses Sys­tem von Peit­sche und Zucker­brot benö­tig­ten »Prä­mien« ver­kauf­ten, stei­ger­ten zugleich ihre Umsätze und Profite. 

»Hamburger Kaufleute vom Generalgouvernement bis zum Kaukasus«

Das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment in Zen­tral­po­len erwies sich für die betei­lig­ten Deut­schen als Erfolg und das GG somit als Ver­suchs­la­bor für viel wei­ter­ge­hende Akti­vi­tä­ten im besetz­ten »Osten«. Nach dem Über­fall auf die UdSSR presch­ten die Ham­bur­ger los, um sich an der Aus­beu­tung die­ser Ter­ri­to­rien eben­falls zu betei­li­gen. Inter­nen Unter­la­gen der Han­dels­kam­mer Ham­burg zufolge wur­den 179 ham­bur­gi­sche Fir­men in den beset­zen Tei­len der Sowjet­union aktiv bezie­hungs­weise waren dafür »vor­ge­merkt»«. Außer­dem arbei­te­ten dem­nach 700 Ham­bur­ger Kauf­leute für die Zen­tral­han­dels­ge­sell­schaft Ost, die die sowje­ti­sche Land­wirt­schaft aus­beu­tete. Der Prä­ses der Han­dels­kam­mer Joa­chim de la Camp froh­lockte in sei­ner Sil­ves­ter­an­spra­che von 1942: »Unter­neh­mer­initia­tive hat fer­ner gerade in Ham­burg einen Weg gefun­den, an den wir vor dem Krieg noch nicht den­ken konn­ten. […] Begin­nend mit der West­grenze des Gene­ral­gou­ver­ne­ments bis zu den Ber­gen des Kau­ka­sus, fin­den Sie zur Erschlie­ßung der wirt­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten Ham­bur­ger Men­schen und Ham­bur­ger Fir­men in gro­ßer Zahl.« Zuvor hatte Hans E. B. Kruse, Vize­prä­ses der Kam­mer, bereits intern fest­ge­stellt, es stehe »Ham­burg im Osten an füh­ren­der Stelle«. An zwei­ter Stelle kamen die zahl­rei­chen Bre­mer Unter­neh­men, die in der besetz­ten UdSSR tätig wur­den. Zwar ste­hen ver­glei­chende For­schun­gen noch aus, doch allem Anschein nach war das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment im besetz­ten Ost­eu­ropa beson­ders groß.

Die Ham­bur­ger Kauf­leute began­nen, den »Osten« als ihr neues Kolo­ni­al­ge­biet zu betrach­ten. In den Vor­jah­ren hat­ten sie noch gehofft, dass Deutsch­land Kolo­nien in Afrika zurück­er­halte. Doch 1941 hieß es etwa bei der Deutsch-Ostafrikanischen Gesell­schaft, einer ham­bur­gi­schen Han­dels­firma, die nun im GG tätig war: »Momen­tan gilt die Parole: Die Kolo­nien lie­gen im Osten!« Die han­sea­ti­schen men­tal maps, die bis­lang auf Län­der und Ter­ri­to­rien jen­seits der Ozeane kon­zen­triert gewe­sen waren, hat­ten sich gewan­delt. In Über­see woll­ten die Kauf­mann­schaf­ten nach dem erwar­te­ten Kriegs­ende erneut tätig wer­den, doch Ost­eu­ropa sollte diese Betä­ti­gungs­fel­der nun wesent­lich ergän­zen. Der Kolo­ni­al­stand­ort Ham­burg passte seine Aus­rich­tung somit an die wirt­schaft­li­che Groß­wet­ter­lage an, die Hit­lers Herr­schaft brachte, der nicht von Kolo­nien in Afrika träumte, son­dern von »Lebens­raum im Osten«. 

An die breite Teil­habe ham­bur­gi­scher Wirt­schafts­kreise an der NS-Besatzungsherrschaft erin­nert in der Stadt fast nichts. Die meis­ten der betei­lig­ten Unter­neh­men, die heute noch exis­tie­ren, wol­len von ihrer pro­ble­ma­ti­schen Geschichte nichts wis­sen. Eine Auf­trags­stu­die der Han­dels­kam­mer von 2015, die bean­spruchte die NS-Geschichte der Insti­tu­tion auf­zu­ar­bei­ten, stieß wegen ihrer beschö­ni­gen­den Stoß­rich­tung auf scharfe öffent­li­che Kri­tik. Zwar bemühte sich die Kam­mer in letz­ter Zeit stär­ker um die »Auf­ar­bei­tung«  ihrer NS-Vergangenheit, etwa indem sie ihrer jüdi­schen Mit­glie­der gedachte, die wäh­rend der NS-Zeit ver­folgt wur­den. Die Dis­kus­sion um die his­to­ri­sche Schuld der han­se­städ­ti­schen Wirt­schafts­eli­ten ist jedoch längst nicht abgeschlossen.

Felix Mat­heis, Okto­ber 2021. 

Der Autor ist His­to­ri­ker in Ham­burg und hat im Rah­men sei­ner Dok­tor­ar­beit inten­siv zur Betei­li­gung Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute an der Besat­zungs­herr­schaft im Gene­ral­gou­ver­ne­ment geforscht.

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    Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
    Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
    Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
    Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.

Begrenzte Solidarität

Begrenzte Solidarität

Der Über­griff auf einen Juden bei einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che am 18. Sep­tem­ber in der Mön­cke­berg­straße bewegte bei der Wie­der­auf­nahme der Mahn­wa­che am ver­gan­ge­nen Sams­tag nur wenige Hamburger:innen. Warum soli­da­ri­sie­ren sich nicht mehr mit dem Opfer? Unser Autor hat sich die Ver­an­stal­tung angesehen.

Die Mahn­wa­che in der Mön­cke­berg­straße am 2. Okto­ber. Foto: privat

Vor knapp drei Wochen wurde ein 60-jähriger Jude auf einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che in der Ham­bur­ger Mön­cke­berg­straße von einem Jugend­li­chen anti­se­mi­tisch belei­digt und kran­ken­haus­reif geschla­gen. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag fand die Mahn­wa­che zum ers­ten Mal seit dem Über­griff wie­der statt. Die Veranstalter:innen der christ­li­chen Gruppe Fokus Israel hat­ten unter dem Motto »Jetzt erst recht« zu einer »Gedenk­ver­an­stal­tung für alle Opfer anti­se­mi­ti­scher Gewalt« aufgerufen. 

Statt der sonst wohl 15 bis 20 fan­den sich dies­mal etwa 60 Teilnehmer:innen ein, um ihre Soli­da­ri­tät mit dem Betrof­fe­nen zu zei­gen. Der Ange­grif­fene konnte das Kran­ken­haus zwar unter­des­sen ver­las­sen, bangt aber laut den Veranstalter:innen nach wie vor um sein Augen­licht und ließ daher sein Gruß­wort nur ver­le­sen. Darin rief er zur »Ver­tei­di­gung der libe­ra­len Gesell­schaft« auf und beklagte, dass er bis heute mit sei­ner (!) Kon­takt­auf­nahme weder Bür­ger­meis­ter Peter Tsch­ent­scher noch die zweite Bür­ger­meis­te­rin Katha­rina Fege­bank zu einer Ant­wort, geschweige denn einer öffent­li­chen Stel­lung­nahme bewe­gen konnte.

Öffent­lich ein­ge­la­den hatte zur Mahn­wa­che am Sams­tag neben Fokus Israel ein­zig die Ham­bur­ger Junge Union. Deren Lan­des­vor­sit­zen­der Phil­ipp Heiß­ner sprach von »unse­ren Wer­ten« bzw. »unse­rer Kul­tur«, die es zu ver­tei­di­gen gelte, und betonte, dass darin auch »pro­vo­kante Mei­nun­gen« ein­be­grif­fen seien. Damit spielte er offen­bar auf den ihm vor­an­ge­hen­den Red­ner an, Ralf-Andreas Mül­ler, laut eige­ner Angabe Theo­loge und tages­schau-Redak­teur, Initia­tor und Kopf der Gruppe Fokus Israel. In sei­nem Rede­bei­trag hatte er, moti­viert durch eine Art poli­ti­sches Ur-Christentum, in aggres­si­vem Ton­fall einem jüdisch-israelischen Natio­na­lis­mus das Wort gere­det. Er griff weit in die Ver­gan­gen­heit aus, um zu pos­tu­lie­ren, dass es keine authen­ti­sche Ver­bin­dung des Islam zum Gebiet des heu­ti­gen Israel gebe und aus­schließ­lich die Juden das Land als »natio­na­les König­reich für sich bean­sprucht« hät­ten. Nach dem Sieg der Römer über die Juden 70 n. Chr. sei die Pro­vinz Paläs­tina annä­hernd 2000 Jahre ver­elen­det und ver­fal­len, ein lee­res und »wüs­tes Land« gewor­den; erst wie­der ein­wan­dernde Juden hät­ten es bewohn­bar gemacht. Die Pointe, auch auf Mül­lers Web­site zu fin­den, ist: Die Juden ver­füg­ten über eine »ent­schei­dende Ver­bin­dung zwi­schen Gott, Volk und Land« – die Mus­lime nicht. Paläs­tina, Paläs­ti­nen­ser, besetzte Gebiete gebe es alles nicht und sie stell­ten des­halb auch kein Pro­blem dar. Chris­ten hin­ge­gen müss­ten Israel als »Her­zens­thema Got­tes […] im Fokus haben, lie­ben und unter­stüt­zen«, um Gott zu ehren, heißt es in einem ande­ren Text auf der Website. 

Ralf-Andreas Mül­ler (mit Mikro) bei der Kund­ge­bung am Sams­tag. Foto: privat. 

Keine Solidarität für proisraelische Juden?

Diese Geschichts­klit­te­rung ist natür­lich unhalt­bar. Den moder­nen israe­li­schen Staat natio­nal­re­li­giös auf eine Mischung aus christ­li­cher Bibel­ex­egese und völ­ki­schem Ver­wur­ze­lungs­my­thos begrün­den zu wol­len, geht völ­lig fehl. Sollte diese Ideo­lo­gie aber der Grund für die geringe Soli­da­ri­sie­rung mit dem Opfer des Über­griffs sein, wäre das den­noch falsch. Wer dem Ange­grif­fe­nen wegen einer bestimm­ten Vor­stel­lung von Israel die Soli­da­ri­tät ver­wei­gert, ver­kennt den Cha­rak­ter des anti­se­mi­ti­schen Angriffs: Offen­sicht­lich schlug der Täter einen Juden als Juden, weil die­ser selbst­be­wusst mit der israe­li­schen Fahne Stel­lung bezog. 

Der Ange­grif­fene fragte in sei­nem ver­le­se­nen Gruß­wort, ob die ver­hal­tene Reak­tion der Ham­bur­ger Poli­tik und Öffent­lich­keit wohl anders aus­ge­fal­len wäre, hätte er als wei­ßer Mann den mut­maß­li­chen Täter, einen Jugend­li­chen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, ange­grif­fen. Die­ses Umkehr­sze­na­rio braucht es aber gar nicht, um das geringe Inter­esse jen­seits der Sprin­ger-Medien ein­zu­ord­nen. Der Ver­gleich mit dem rech­ten anti­se­mi­ti­schen Angriff am 4. Okto­ber 2020 auf einen jüdi­schen Stu­den­ten vor der Syn­agoge in der Hohen Weide ist deut­lich auf­schluss­rei­cher. Vor einem Jahr gab es neben sofor­ti­gen Stel­lung­nah­men von Tsch­ent­scher, Fege­bank, Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­tine Lam­brecht etc. auch eine Mahn­wa­che des lin­ken Ham­bur­ger Bünd­nis­ses gegen Rechts, der sich trotz stren­ger Corona-Maßnahmen damals immer­hin etwa 200 Per­so­nen anschlossen.

Die Ver­mu­tung liegt nahe und wurde von meh­re­ren am Sams­tag Anwe­sen­den geteilt, dass die Bezug­nahme auf Israel hier einen Unter­schied macht. Dort ein Jude bei der Reli­gi­ons­aus­übung, hier ein Jude, der offen­siv mit der blau-weißen Fahne für Israel ein­tritt. Diese expli­zit pro­is­rae­li­sche Posi­tio­nie­rung des Ange­grif­fe­nen ist sicher für viele, zumal viele Linke, ein Ärgernis.

Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus

Dazu kom­men die unter­schied­li­chen Täter­pro­file: Letz­tes Jahr war es ein offen­bar rech­ter, deutsch-kasachischer Ex-Bundeswehrangehöriger in Uni­form und mit Hakenkreuz-Zettel in der Tasche, der für viele Beobachter:innen Par­al­le­len zum rechts­ter­ro­ris­ti­schen Atten­tat vom Okto­ber 2019 in Halle plau­si­bel erschei­nen ließ. Die­ses Jahr ist der mut­maß­li­che Täter ein Jugend­li­cher mit mög­li­cher­weise arabisch-muslimischem Hin­ter­grund. (Laut der Schau­spiel­agen­tur Kokon, die ihn bis zum Über­griff ver­tre­ten hat, spricht Aram A. Ara­bisch. BILD will her­aus­ge­fun­den haben, dass seine Mut­ter Hisbollah- und Assad-Unterstützerin ist.) Das stellt die deut­li­che Ver­ur­tei­lung des Über­griffs in der Wahr­neh­mung wohl auch vie­ler Lin­ker in ein Span­nungs­ver­hält­nis zum eige­nen anti­ras­sis­ti­schen Anspruch. Die Sorge, mög­li­cher­weise anti­mus­li­mi­schen Ras­sis­mus zu bedie­nen, könnte einer Posi­tio­nie­rung im Wege stehen. 

Zwar ist erst wenig über den mut­maß­li­chen Täter bekannt. Warum der mög­li­che arabisch-muslimische Hin­ter­grund für Ham­bur­ger Jüdin­nen und Juden aber rele­vant ist, ver­deut­licht Phil­ipp Strich­arz, Vor­sit­zen­der der Jüdi­schen Gemeinde Ham­burg, in einer Stel­lung­nahme zu dem Angriff: »Es gibt eine poli­tisch auf­ge­hetzte, gewalt­tä­tige Min­der­heit unter den Mus­li­men, häu­fig junge Leute, die mei­nen, sie müss­ten Rache üben für ver­meint­li­ches Unrecht im Nahen Osten. […] Natür­lich gibt es auch die Gefahr von rechts, aber die größ­ten Sor­gen berei­tet den Juden in Ham­burg die Gefahr, die von die­ser Gruppe ausgeht.« 

Die Kund­ge­bung am Sams­tag ließ die­sen Ein­druck inso­fern als plau­si­bel erschei­nen, als gegen­über klas­sisch anti­se­mi­ti­schen Kom­men­ta­ren von Passant:innen (»Alles Lüge!« oder »Na, wer steckt denn hier wohl dahin­ter?«) die anti­zio­nis­ti­schen Rufe (post-)migrantischer Jugend­li­cher und Kin­der à la »Fuck Israel!« und »Free Pal­es­tine!« deut­lich dominierten. 

Gegen sol­che Herr­schafts­ges­ten ist es sicher rich­tig, die pro­jü­di­sche, pro­is­rae­li­sche öffent­li­che Prä­senz auf­recht zu erhal­ten, gegen die die anti­se­mi­ti­sche Wut sich rich­tet. In Abwe­sen­heit lin­ker Soli­da­ri­tät über­neh­men aller­dings vor­erst andere diese Rolle: Für den 16. Okto­ber ruft die Köl­ner jüdi­sche Akti­vis­tin Malca Goldstein-Wolf auf Face­book zu einem »Soli­da­ri­täts­schwei­ge­marsch« unter dem Titel »Kei­nen Fuß­breit auch dem isla­mis­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus« in der Mön­cke­berg­straße auf. Zu den im Auf­ruf genann­ten, meist liberal-konservativen Unter­stüt­zern zählt auch der Ham­bur­ger Anwalt Joa­chim Stein­hö­fel, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren häu­fi­ger als Red­ner und Kom­men­ta­tor für die neu­rechte Zeit­schrift Junge Frei­heit in Erschei­nung getre­ten ist.

Felix Jacob 

Der Autor war zum ers­ten Mal auf einer politisch-christlichen Kund­ge­bung und kann auf Wie­der­ho­lun­gen gern verzichten.

Im Schatten des Elbtowers

Im Schatten des Elbtowers

In der Hafen­City ent­steht momen­tan das dritt­höchste Gebäude Deutsch­lands. An dem Pres­ti­ge­pro­jekt »Elb­tower« offen­bart sich die enge Ver­flech­tung von Wirt­schaft und Poli­tik in Ham­burg – und die beson­dere Rolle, die der ehe­ma­lige Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz dabei spielt.

Auf der Bau­stelle direkt neben der S‑Bahn-Haltestelle Elb­brü­cken ist schon Betrieb. (Foto: privat).

Ham­burg wäre nicht Ham­burg, wenn nicht alle paar Jahre irgend­ein neues, groß­ar­ti­ges Bau­pro­jekt um die Ecke gebo­gen käme. Aber wo so viel Licht ist, wie bei den Lob­prei­sun­gen des Elb­to­wers, gibt es auch Schat­ten. Die stadt­po­li­ti­sche Durch­set­zung sol­cher Pro­jekte erweckt den Ein­druck, als wäre der alte Ham­bur­ger Filz noch immer in bes­ter Verfassung. 

Der Elb­tower sieht, den Stararchitekt:innen von David Chip­per­field zum Dank, so aus, als hätte ein Mär­chen­riese sei­nen zu gro­ßen Stie­fel in Ham­burg ste­hen gelas­sen. Im Schat­ten die­ser »Ouver­türe« der Hafen­City ste­hen Akti­en­ge­sell­schaf­ten, ihre Stif­tun­gen, der heu­tige Finanz­mi­nis­ter Olaf Scholz und – nicht zu ver­ges­sen – die Bewohner:innen von Rothenburgsort. 

Prestigeprojekt durchgewunken 

Dies­mal scheint alles per­fekt zu sein. Ham­burg hat Euro­pas größ­tes Bau­pro­jekt ange­lei­ert. Top Lage in der Hafen­city, direkt an der neuen S‑Bahn-Station Elb­brü­cken, und das Mega­pro­jekt soll sogar nach­hal­tig sein – was auch immer das bei einem Pro­jekt die­ser Grö­ßen­ord­nung hei­ßen mag: Pla­tin­stan­dard des HafenCity-Umweltzeichens.1Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Schrift­li­che Kleine Anfrage des Abge­ord­ne­ten Jörg Hamann (CDU) vom 07.09.18 und Ant­wort des Senats. Druck­sa­che 21/14277, 14.09.2018. [online].  Das dritt­höchste Gebäude Deutsch­lands kann »end­lich« gebaut werden. 

Die Aus­lo­bung des Elb­to­wers fand Mitte 2017 statt. Anfang 2021 ist der Bebau­ungs­plan schließ­lich durch­ge­wun­ken wor­den. Der Tower wird 245 Meter hoch und damit noch zwölf Meter höher als ursprüng­lich geplant. Oder wie die geneig­ten User:innen von Scy­scra­per­City-Foren es sagen: »[D]a kann man Ham­burg nur neid­voll gratulieren! 😊«.

Im Gegen­satz zur Fan­ge­meinde phal­lus­ar­ti­ger Denk­mä­ler und Welt­wun­der des Kapi­ta­lis­mus wer­den die Rothenburgsorter:innen im wort­wört­li­chen Schat­ten des Elb­to­wers leben. Die Anzahl der Ein­wände und Beschwer­den, die bei der Kom­mis­sion für Stadt­ent­wick­lung vor­ge­bracht wur­den, fiel mit über­schau­ba­ren 26 dabei ziem­lich nied­rig aus. Rothen­burg­sort weist einen hohen Anteil von Migrant:innen, Sozialhilfeempfänger:innen und Allein­er­zie­hen­den auf. Dass die Kri­tik am Elb­tower so schmal aus­fällt, könnte damit zusam­men­hän­gen, dass die sub­al­ter­nen Klas­sen in Ham­burg nicht gehört werden. 

Wackelige Finanzierung 

Den Zuschlag für den Bau des Gebäu­des bekam die Signa Prime Sel­ec­tion AG. So wur­den weder die Best­bie­ten­den aus­ge­wählt, noch bekam ein Gebäu­de­ent­wurf den Zuschlag, der voll auf Kli­ma­neu­tra­li­tät setzte. Die Akti­en­ge­sell­schaft erhielt viel­mehr den Zuschlag, weil sie der ver­läss­lichste Geschäfts­part­ner sei. Das sagt zumin­dest René Benko, der öster­rei­chi­sche Grün­der von Signa Prime. Und auch Olaf Scholz begrün­dete die Ver­gabe sei­ner­zeit damit, dass die Signa sehr finanz­stark sei und ein A+ Rating innehat. 

Es geht schließ­lich um (nach aktu­el­ler Pla­nung) 700 Mil­lio­nen Euro für den Bau. Die Signa möchte den Turm kom­plett aus eige­ner Tasche finan­zie­ren – mit Büro­mie­ten um die 28 Euro pro Qua­drat­me­ter. Min­des­tens fünf Jahre soll das Unter­neh­men für die Instand­hal­tung des Gebäu­des auf­kom­men. Für die Stadt Ham­burg gebe es »kein Risiko«, behaup­tet Jür­gen Bruns-Berentelg, Vor­sit­zen­der der Geschäfts­füh­rung der stadt­ei­ge­nen Hafen­City Ham­burg GmbH.2Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Protokoll/Wortprotokoll der öffentlichen/nichtöffentlichen Sit­zung des Stadt­ent­wick­lungs­aus­schus­ses, 22. Okto­ber 2018, S. 15 [online]. Das ist aller­dings gar nicht so ein­fach nach­zu­voll­zie­hen. Denn große Teile des Kauf­ver­trags sind, wie Heike Sud­man von der Links­frak­tion fest­ge­stellt hat, geschwärzt und somit für die Bürger:Innen Ham­burgs nicht ein­seh­bar. Was pas­siert, wenn dem Unter­neh­men das Geld aus­geht, wird noch dis­ku­tiert. Aller­dings wäre es aus Sicht der Stadt wohl unsin­nig, das Pro­jekt nicht fort­zu­füh­ren, wenn etwa ein 120 Meter hoher, nicht fer­tig­ge­stell­ter Turm dasteht. Ganz abwe­gig ist es nicht, dass es zu finan­zi­el­len Pro­ble­men kom­men wird. Das Mut­ter­un­ter­neh­men Signa Hol­ding ist auch Eigen­tü­me­rin von Kar­stadt – und die gehen bekannt­lich gerade insol­vent. Des Wei­te­ren macht das Unter­neh­men es fast unmög­lich, ein­zu­se­hen, woher es wel­che Gel­der für wel­che Pro­jekte bezieht. 

Noch der Anblick die­ser Baustellen-Ödnis ist erfreu­li­cher als der vom Inves­tor ange­prie­sene bzw. ange­drohte »neue Blick […] auf die Belange der Welt«, den der Elb­tower eröff­nen werde. (Foto: privat)

Hamburger Filz

Bei der Ver­gabe des Bau­pro­jekts hat­ten alle Bür­ger­meis­ter der letz­ten Jahre einen Auf­tritt. Chris­toph Ahl­haus, der in sei­ner kur­zen Amts­zeit kein Groß­pro­jekt durch­set­zen konnte, hatte sich mit sei­nem eige­nen Immo­bi­li­en­un­ter­neh­men bewor­ben. Zu mehr hat es dann aber auch nicht gereicht. Ole von Beust – haupt­ver­ant­wort­lich für den Bau der Elb­phil­har­mo­nie – hat inzwi­schen ein Bera­tungs­un­ter­neh­men, wel­ches einen Bera­ter­auf­trag von der Signa inne­hat. Von Beust trat, selbst­be­ken­nend, als Lob­by­ist für die Signa im Zuge des Elbtower-Projekts auf. 

Unter den Bera­tern der Signa fin­den sich neben Ole von Beust dann auch (alte) Genos­sen von Olaf Scholz: Alfred Gus­en­bauer (SPÖ) war von 2008 bis 2009 öster­rei­chi­scher Bun­des­kanz­ler und tut sich seit sei­nem Rück­tritt als umtrie­bi­ger Lob­by­ist her­vor, etwa für den kasa­chi­schen Dik­ta­tor Nur­sul­tan Nas­ar­ba­jew. Zu Scholz steht er in guten Bezie­hun­gen. Das schreibt Olaf Scholz zumin­dest in sei­nem Buch Hoff­nungs­land

Gus­en­bauer (Team Benko) und Scholz (Team Ham­burg) waren im glei­chen Zeit­raum in der Inter­na­tio­nal Union of Socia­list Youth (IUSY) aktiv, einem inter­na­tio­na­len Zusam­men­schluss ver­schie­de­ner sozi­al­de­mo­kra­ti­scher und sozia­lis­ti­scher Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen, dem auch die Jusos und die Fal­ken ange­hö­ren. Gus­en­bauer war bis 1989 einige Jahre Vize­prä­si­dent der IUSY, genau wie Scholz. Von sei­nem Netz­werk aus die­ser Zeit pro­fi­tiert Scholz heute noch, wor­über er jedoch ungern redet.

Wirtschaft und Politik

Die Ver­flech­tun­gen von Poli­tik und Unter­neh­men wer­den beson­ders an poli­ti­schen Stif­tun­gen deut­lich. Sie die­nen der Macht­ak­ku­mu­la­tion auf bei­den Sei­ten: Die Stif­tungs­un­ter­neh­men erhal­ten eine starke Inter­es­sens­ver­tre­tung. Den Mit­glie­dern der Stif­tun­gen, die in der Poli­tik aktiv sein kön­nen, win­ken dage­gen gut bezahlte Auf­sichts­rats­pos­ten und Rücken­de­ckung bei Ent­schei­dun­gen von den Stif­tungs­un­ter­neh­men.3vgl. Marc Eulerich/Martin K. Welge, Die Ein­fluss­nahme von Stif­tun­gen auf die unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit deut­scher Groß­un­ter­neh­men, Düs­sel­dorf 2011, S.73ff. [online].

So ist auch Olaf Scholz seit 2018 gebo­re­nes Mit­glied des Kura­to­ri­ums der RAG-Stiftung. Sie ist Teil­ha­be­rin am KaDeWe, einem Toch­ter­un­ter­neh­men der Signa Hol­ding. Wei­tere fünf Pro­zent hält die Stif­tung seit 2017 an der wei­te­ren Toch­ter Signa Prime, die den Elb­tower baut. Die Anteile an den Unter­neh­men, haben der RAG-Stiftung die­ses Jahr bereits einen klei­nen »Geld­re­gen« beschert, was noch ein­mal auf­zeigt, dass die RAG davon pro­fi­tiert, wenn es der Signa gut geht. Und Pres­ti­ge­ob­jekte wie der Elb­tower sind meis­tens gut für das Geschäft. 

Wenn die RAG-Stiftung durch ihre Betei­li­gun­gen an Unter­neh­men wie der Signa Prime also Divi­den­den ein­kas­siert, im Fall der Signa in Höhe von vier Pro­zent, ist das nicht nur für die Stif­tung und die Stif­tungs­un­ter­neh­men gut. Viel­mehr kann die RAG mit­hilfe die­ses Gel­des ihre Markt­macht stei­gern, sich an mehr Unter­neh­men betei­li­gen und mehr Unter­neh­men als Stif­tungs­un­ter­neh­men auf­neh­men. By the way: Armin Laschet, Peter Alt­maier, Nor­bert Lam­mert und Heiko Maas sind ebenso Mit­glie­der des RAG-Kuratoriums.

Das bedeu­tet für die Stif­tungs­mit­glie­der im Kura­to­rium ein wach­sen­des Netz­werk von Unter­neh­men, mit denen sie zusam­men­ar­bei­ten kön­nen. Die RAG und die in ihr orga­ni­sier­ten Unter­neh­men erhö­hen so ihre Ein­fluss­mög­lich­kei­ten auf die Poli­tik. Die Stif­tung sieht ihren Auf­ga­ben­be­reich haupt­säch­lich im Bereich des Stein­koh­le­berg­baus in NRW – dahin fließt also ein Teil des Gewinns aus den Divi­den­den der fünf Pro­zent Anteile an der Signa, die einen kli­ma­freund­li­chen Turm in Ham­burg bauen möchte: in den Kohlebergbau. 

Chefsache

Der Tower wird nicht nur Höhe­punkt der Hafen­city, son­dern gleich das mit Abstand höchste Gebäude der Stadt. Dem­entspre­chend moti­viert und emo­tio­nal soll Scholz schon bei der Prä­sen­ta­tion des Gebäu­des gewe­sen sein. »Her­vor­ra­gend«, »ele­gant«, »raf­fi­niert«, waren die Begriffe, die Scholz zur Beschrei­bung des Pro­jekts wählte. Als Scholz noch in Ham­burg weilte, nahm er sich des Pro­jekts daher auch per­sön­lich an; machte es zur »Chef­sa­che«, wie die lokale Presse schrieb, und ver­don­nerte den Ober­bau­di­rek­tor und die Stadt­ent­wick­lungs­se­na­to­rin auf die bil­li­gen Plätze. 

Par­tei­ge­nos­sen von Scholz haben der MoPo zufolge gefrot­zelt: »Klei­ner Mann, gro­ßer Turm.« Aber las­sen wir uns vom Napoleon-Komplex nicht beir­ren. Es war nicht Olaf Scholz’ Kör­per­größe, die zu der zwie­lich­ti­gen Ver­gabe des Bau­auf­trags führte. Aber mit dem Bau­be­ginn 2021 wird Scholz ein Denk­mal gesetzt. Das offen­bart eher einen »Cheops-Komplex«, der sich an die ägyp­ti­schen Pyra­mi­den zum Zweck der Macht­de­mons­tra­tion anlehnt. Immer­hin wird die Elb­phil­har­mo­nie dann nicht mehr der unan­ge­foch­tene Höhe­punkt der Stadt sein. 

Scholz setzte das Pro­jekt mit viel Kraft­ein­satz durch und tat dies »mit einem guten Gewis­sen«, denn, so seine bestechende Argu­men­ta­tion, das Ergeb­nis werde sehr gut sein. Falls das Ergeb­nis nicht »sehr gut« wird, soll­ten wir ihn bes­ser an sein Enga­ge­ment erin­nern. Immer­hin ist seit sei­nem Ein­satz für die War­burg Bank in Ham­burg hin­läng­lich bekannt, dass der Herr Finanz­mi­nis­ter Pro­bleme mit der Erin­ne­rung hat, wenn es um grö­ßere Geld­sum­men geht. 

Joe Chip

Der Autor hat zwölf Jahre im Hafen gear­bei­tet, der Arbeit den Rücken gekehrt und Sozio­lo­gie stu­diert. Als Gewerk­schaf­ter bleibt er mit den besit­zen­den Klas­sen in Ver­bin­dung. Seine Erfah­run­gen ver­ar­bei­tet er in Kurz­ge­schich­ten und Polemik.

  • 1
    Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Schrift­li­che Kleine Anfrage des Abge­ord­ne­ten Jörg Hamann (CDU) vom 07.09.18 und Ant­wort des Senats. Druck­sa­che 21/14277, 14.09.2018. [online]. 
  • 2
    Bür­ger­schaft der Freien und Han­se­stadt Ham­burg, Protokoll/Wortprotokoll der öffentlichen/nichtöffentlichen Sit­zung des Stadt­ent­wick­lungs­aus­schus­ses, 22. Okto­ber 2018, S. 15 [online].
  • 3
    vgl. Marc Eulerich/Martin K. Welge, Die Ein­fluss­nahme von Stif­tun­gen auf die unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit deut­scher Groß­un­ter­neh­men, Düs­sel­dorf 2011, S.73ff. [online].

Welcome to Helmut

Welcome to Helmut

Im Zen­trum Ham­burgs übt sich eine neue Aus­stel­lung der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Legen­den­bil­dung. Kann sie den Macher und Macht­po­li­ti­ker Schmidt zu guter Letzt doch noch als »Super­de­mo­kra­ten« prä­sen­tie­ren? Und wie geht sie mit Schmidts Zeit als Offi­zier der Wehr­macht um? Unser Autor hat ihr einen kri­ti­schen Besuch abgestattet. 

Der Ein­gang zur Aus­stel­lung in der Ham­bur­ger Innen­stadt: Wel­come to Hel­mut! Foto: privat

Mit pan­de­mie­be­dingt sie­ben­mo­na­ti­ger Ver­spä­tung wurde am 19. Juni 2021 die Dau­er­aus­stel­lung zu Ehren des fünf­ten Bun­des­kanz­lers der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in den Räu­men der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung nahe dem Ham­bur­ger Rat­haus eröff­net. Mit der Aus­stel­lung, die über meh­rere Jahre hier zu sehen sein soll, schrei­tet die vom Spiegel-Autor und His­to­ri­ker Klaus Wieg­refe bereits im Zuge der Grün­dung der Stif­tung befürch­tete »Schmid­ti­sie­rung der Repu­blik« nun also wei­ter voran. Auch des­halb, weil die Aus­stel­lung an ihrer eige­nen Begriffs­lo­sig­keit schei­tert: Unter dem Titel »Schmidt! Demo­kra­tie leben« will sie den ehe­ma­li­gen Bun­des­kanz­ler als »Super­de­mo­kra­ten« insze­nie­ren, hat aller­dings selbst kei­nen Begriff von Demo­kra­tie. Hätte die Stif­tung sich tat­säch­lich mit dem Demo­kra­tie­ver­ständ­nis Schmidts aus­ein­an­der­ge­setzt, würde sie wohl kaum noch von ihm als »Vor­den­ker« spre­chen kön­nen. Von einer kri­ti­schen wis­sen­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Per­son ist diese Aus­stel­lung so weit ent­fernt, wie es Hel­mut Schmidt von einem Dasein als Intel­lek­tu­el­ler war.

In nur einem Raum mit einer Größe von circa 200 Qua­drat­me­tern wer­den Leben und Wir­ken Schmidts dar­ge­stellt. Wei­ter­hin wirft die Aus­stel­lung ein­zelne Schlag­lich­ter auf The­men, die nach Ansicht der Stif­tung inner­halb der west­deut­schen Gesell­schaft wäh­rend der Kanz­ler­schaft Schmidts (1974–1982) an Rele­vanz gewan­nen. Ein ambi­tio­nier­tes Vor­ha­ben! Denn viel Platz ist das nicht für die Geschichte des 20. Jahr­hun­derts und Schmidts Rolle darin: Eine nuan­cierte und detail­lierte Ver­hand­lung der The­men wurde so von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen. Geglie­dert ist die Aus­stel­lung in drei chro­no­lo­gisch ange­ord­nete Berei­che – das Leben vor der Kanz­ler­schaft, die Kanz­ler­schaft und die Zeit danach. Diese Berei­che heben sich visu­ell nicht von­ein­an­der ab, son­dern wer­den jeweils durch Text­ta­feln ein­ge­lei­tet. Die Unter­ka­te­go­rien, wie etwa Kind­heit und Jugend, die RAF oder Pro­test gegen die Atom­kraft, wer­den wie­derum durch Groß­fo­to­gra­fien – dar­auf jeweils Zitate Schmidts – und soge­nannte The­men­ti­sche geglie­dert. Die ins­ge­samt acht Jahre Kanz­ler­schaft neh­men dabei fast die Hälfte des Rau­mes ein und bil­den den inhalt­li­chen Schwer­punkt der Ausstellung.

100 Jahre Deutschland – 100 Jahre Helmut Schmidt

Bevor nun ein Blick in die Aus­stel­lungs­räume gewor­fen wird, ist es wich­tig, den Titel – »Demo­kra­tie leben« – zu kon­tex­tua­li­sie­ren. Denn die­ser gibt nicht nur die Marsch­rich­tung der Aus­stel­lung vor. Er sagt uns, wie wir uns an Schmidt erin­nern sol­len. Neben dem Hin­weis auf sein lan­ges Leben, immer­hin wurde er 96 Jahre alt, lau­tet die Bot­schaft: Hel­mut Schmidt war ein auf­rech­ter Demo­krat, der von der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie nicht nur über­zeugt war, son­dern diese wirk­lich »gelebt« habe. Die Aus­stel­lung erin­nert an und ehrt also auf eine emo­tio­nale Weise einen »Super­de­mo­kra­ten«. Warum die Aus­stel­lung die­sem Titel zwangs­läu­fig nicht gerecht wer­den kann, hängt mit dem hier nor­ma­tiv ver­wen­de­ten, nicht näher defi­nier­ten Demo­kra­tie­be­griff zusam­men, der neben der Per­son das bestim­mende Thema die­ser Aus­stel­lung zu sein scheint.

Wer war also Hel­mut Schmidt? Den jün­ge­ren Men­schen in der Bun­des­re­pu­blik ist er wohl als ket­ten­rau­chen­der Welt­erklä­rer in Erin­ne­rung. Schmidt hatte für alles eine Ant­wort und saß vor­nehm­lich alleine in Talk­shows, damit es bloß kei­nen Wider­spruch gab. Den Hamburger:innen mag er noch als »Herr der Flut« in Erin­ne­rung sein. Ein Mythos, an dem viele Medien und Schmidt selbst bis zu sei­nem Tod gear­bei­tet haben: Das Bild des »Machers«, der »Kri­sen­ma­na­ger«, der nicht lange schnackt, son­dern ein­fach das Rich­tige macht – und dem dabei auch mal das Grund­ge­setz egal ist. Die­ses Bild des »Machers« ist wohl das bestän­digste Erbe des 2015 Ver­stor­be­nen. Doch sei dies, so möchte die Aus­stel­lung zei­gen, zu kurz gegrif­fen. Denn natür­lich war er viel mehr: Ein Euro­päer, Prag­ma­ti­ker und Real­po­li­ti­ker, der für sein »oft weit­sich­ti­ges Han­deln im Kon­text gro­ßer inter­na­tio­na­ler Her­aus­for­de­run­gen« bekannt sei, wie es im Ein­füh­rungs­text heißt – Kri­sen­ma­na­ger, aber weltweit.

Die Wehrmacht und der Schlussstrich

Die Groß­fo­to­gra­fien sind das alles bestim­mende visu­elle Ele­ment der Aus­stel­lung. Dies lässt eine Per­spek­tive auf Hel­mut Schmidt zu, die sicher nicht im Sinne der Ausstellungsmacher:innen war. So fällt – noch bevor der eigent­li­che Aus­stel­lungs­raum betre­ten wer­den kann – ein Foto Schmidts ins Auge, das ihn im Jahr 1940 in der Uni­form der deut­schen Luft­waffe als Leut­nant der Reserve zeigt. Schmidt war Offi­zier, wurde im Laufe des Krie­ges Ober­leut­nant. An der Ost­front ein­ge­setzt, war er unter ande­rem an der Bela­ge­rung von Lenin­grad und womög­lich auch an Kriegs­ver­bre­chen betei­ligt. Nach­wei­sen konnte man ihm das nie, doch seine Selbst­ver­tei­di­gung, die bis zu der Behaup­tung reichte, er sei sogar ein Geg­ner der Nazis gewe­sen, war schon immer unglaub­wür­dig. Selbst­re­dend habe er auch von der Shoah kei­ner­lei Kennt­nis gehabt – dabei reiste er als Aus­bil­der in »Kriegs­schu­len« quer durch das Deut­sche Reich und die im Krieg besetz­ten Gebiete. Wenige Meter hin­ter die­ser Foto­gra­fie fin­det sich eine wei­tere, dies­mal von sei­ner Ver­ei­di­gung zum Bun­des­kanz­ler 1974. Von der Wehr­macht ins Kanz­ler­amt: eine (west-)deutsche Kar­riere. Eine erfolgs­bio­gra­fi­sche Illu­sion für die Schmidt wohl nur Wil­len – und Ziga­ret­ten – brauchte.

Der erste The­men­tisch zum Wehrmachts-Foto hat es in sich. Er soll das Bild kon­tex­tua­li­sie­ren, kann aber obige Erfolgs­ge­schichte kaum mehr ein­fan­gen. Auf die ekla­tan­ten Erin­ne­rungs­lü­cken Schmidts weist das bereit­ge­stellte Mate­rial zwar hin, aber es steht neben sei­ner Erzäh­lung, als ob es zwei legi­time Sicht­wei­sen wären, die sich gegen­sei­tig die Balance hal­ten. Dar­über hin­aus wird der Begriff der »Pflicht« stark gemacht. Schließ­lich sei es sol­da­ti­sche Pflicht gewe­sen, die Stadt Lenin­grad zu bela­gern. Ein fast schon amü­san­ter Euphe­mis­mus für Mit­läu­fer­tum, wenn es denn nicht so ernst wäre. Ein auf dem The­men­tisch gezeig­ter Film fasst dann die ganze Absur­di­tät zusam­men: Als Schmidt 1977 als ers­ter Kanz­ler über­haupt nach Ausch­witz zu einer Gedenk­feier anreiste, sprach er nicht über die Opfer der Shoah. Deut­sche seien die ers­ten Opfer gewe­sen! Und über­haupt hät­ten die Deut­schen 32 Jahre nach Kriegs­ende damit auch nichts mehr zu schaf­fen. Heute wäre es undenk­bar, so etwas zu sagen – damals war es das auch. Nach dem War­schauer »Knie­fall« von Willy Brandt sie­ben Jahre zuvor waren sol­che Worte aber offen­sicht­lich Bal­sam auf die geschun­dene Seele der (West-)Deutschen.

Es irri­tiert ins­be­son­dere an die­ser Stelle, dass die Stif­tung Schmidts eige­nes Nar­ra­tiv repro­du­ziert und als legi­time Hal­tung dar­stellt. Die­ser Ein­druck ver­stärkt sich durch ein eben­falls an die­sem Tisch gezeig­tes Gespräch, das zur ers­ten »Wehr­machts­aus­stel­lung« im Jahr 1995 im Zeit-Maga­zin abge­druckt wurde. So wollte Schmidt sich diese Aus­stel­lung gar nicht erst anse­hen: wie­der­holt betont er, nichts von den Ver­bre­chen der Wehr­macht an der Ost­front gewusst zu haben, was er bei einer Wie­der­auf­lage des Gesprä­ches noch ein­mal unter­strich. Natür­lich erwar­tet nun nie­mand in die­ser Aus­stel­lung eine fun­da­men­tale Kri­tik an der Per­son Schmidts oder eine Ana­lyse sei­ner nicht halt­ba­ren Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie. Mit Begrif­fen wie Ver­nunft oder Nüch­tern­heit, die Schmidt sich selbst attes­tierte und die ihm bis­wei­len attes­tiert wer­den (siehe die ein­schlä­gi­gen Bio­gra­fien), hat das aller­dings wenig zu tun. Denn man könnte doch mei­nen, dass der kan­ti­sche Ver­nunft­be­griff die Fähig­keit zur (Selbst-)Reflexion einschließt.

Kitsch statt Kri­tik: Im Muse­ums­shop kehrt man lie­ber bei Loki und Hel­mut ein als vor der eige­nen Tür. Foto: pri­vat

Der »Herr der Flut« und die wilden 70er

Es folgt – nach der plötz­li­chen Läu­te­rung zum Sozi­al­de­mo­kra­ten 1945 – ein etwas län­ge­rer Abschnitt in Schmidts Leben (1945–1969): Schmidt war ab Dezem­ber 1961 Sena­tor der Poli­zei­be­hörde (ab Juni 1962 Innen­se­na­tor) und nahm vor allem eine pro­mi­nente Rolle in der Nacht der Ham­bur­ger Sturm­flut vom 17. auf den 18. Februar 1962 ein. Immer­hin wird in der Aus­stel­lung nicht mit dem belieb­ten Zitat gear­bei­tet, dass dem Demo­kra­ten so gar nicht zusa­gen würde (das mit dem Grund­ge­setz). Gebro­chen wird der »Macher«-Mythos aller­dings auch nicht, denn das Thema bleibt eine Rand­no­tiz. Diese Mar­gi­na­li­sie­rung ist befremd­lich: Ran­ken sich doch aller­lei Geschich­ten um die­ses Ereignis.

Der Rest der Aus­stel­lung folgt dem bekann­ten Mus­ter. Eine Groß­fo­to­gra­fie zeigt Schmidt und ein Zitat. Auf dem jewei­li­gen The­men­tisch wird die Per­spek­tive etwas gewei­tet, aber nie zu weit: Die Aus­stel­lung wird durch­zo­gen von einer kon­ti­nu­ier­li­chen Dicho­to­mie zwi­schen der Posi­tion und Argu­men­ta­tion Schmidts und dem Rest der Welt. Gebro­chen wird diese per­so­nen­zen­trierte visu­elle Erzäh­lung nur im Bereich der Kanz­ler­schaft Schmidts. Die hier gezeig­ten Foto­gra­fien zei­gen The­men der 1970er und 1980er Jahre: Ein biss­chen Wirt­schafts­krise, RAF, Anti-Atom- und Frie­dens­be­we­gung. Auf den Tischen bleibt jedoch die Her­an­ge­hens­weise: Eine his­to­ri­sche Ein­ord­nung fin­det nicht statt, die Posi­tion Schmidts wird hin­ge­gen als ver­nunft­ge­lei­tet dar­ge­stellt. Im Umkehr­schluss sind es die Gegen­po­si­tio­nen häu­fig nicht. So wird etwa am The­men­tisch »Deut­scher Herbst« erst auf einer unte­ren Film-Ebene von Hans-Jochen Vogel (1974–1981 Jus­tiz­mi­nis­ter im Kabi­nett Schmidt) zuge­ge­ben, dass der Staat eigent­lich nie wirk­lich in Gefahr war. Dabei legi­ti­mierte die­ses Bedro­hungs­sze­na­rio aller­lei Poli­ti­ken und eine Auf­rüs­tung des Poli­zei­ap­pa­rats, die in der Bun­des­re­pu­blik bis dato bei­spiel­los war. Wäh­rend die Rol­len­ver­tei­lung beim RAF-Terrorismus wenig Spiel­raum lässt, ver­hält es sich bei den in den 1970er Jah­ren auf­kom­men­den Neuen Sozia­len Bewe­gun­gen schon anders. Denn hier zeigt sich, wel­chen Demo­kra­tie­be­griff Schmidt pflegte. So konnte er zwar die Anti-AKW-Demonstrationen in Brok­dorf nicht ver­hin­dern, rief aber dazu auf, nicht auf die Straße zu gehen. Auch drohte Schmidt als Kanz­ler mehr­fach mit Rück­tritt, sollte sei­nem Wil­len – Atom­kraft­werke zu bauen – nicht nach­ge­kom­men wer­den. In Schmidts Ver­ständ­nis von Demo­kra­tie war für die Sozia­len Bewe­gun­gen kein Platz. Zuläs­sige, also von ihm aner­kannte Stim­men, gab es nur im Par­la­ment und in sei­ner Par­tei. Doch auch letz­tere und Schmidt ent­frem­de­ten sich im Laufe sei­ner Kanz­ler­schaft zuneh­mend. Ein Span­nungs­ver­hält­nis, dass bis zu sei­nem Tod nicht mehr auf­ge­löst wurde. Dass die Par­tei in der Aus­stel­lung kaum statt­fin­det, scheint fol­ge­rich­tig: Schmidt als über­par­tei­li­cher Len­ker, Den­ker und Welt­erklä­rer. Eine wei­tere Insze­nie­rung Schmidts, die hier unhin­ter­fragt wei­ter­ge­tra­gen wird.

Demokratie und Kritik

Nach­dem auf dem letz­ten Kanz­ler­tisch noch eben die The­men Europa, DDR und die rest­li­che Welt eher wacke­lig abge­han­delt wer­den, beginnt der letzte Bereich, also seine Zeit als Publi­zist und Mit-Herausgeber der Ham­bur­ger Wochen­zei­tung Die Zeit. Es ist jene Lebens­phase, in der Schmidt an sei­ner eige­nen Legende arbei­tete, wie der His­to­ri­ker Axel Schildt 2017 fest­stellte. Mit die­sen Akti­vi­tä­ten schuf Schmidt ein Bild von sich, dem diese Aus­stel­lung wei­test­ge­hend folgt.

Ent­spre­chend wird sich in die­sem Abschnitt auch nicht mit den ras­sis­ti­schen und kul­tu­ra­lis­ti­schen Posi­tio­nen Schmidts aus­ein­an­der­ge­setzt. Dabei sind diese Posi­tio­nen nicht sei­ner spä­ten Seni­li­tät geschul­det – sprach er doch bereit 1992 von einer »Über­schwem­mung« und »Ent­ar­tung« der deut­schen Gesell­schaft –, son­dern las­sen einen roten Faden in Schmidts Poli­tik­ver­ständ­nis erken­nen. Würde die­ser genauer unter­sucht, so würde sich zei­gen, dass sein Welt­bild nicht viel mit Nüch­tern­heit oder Ver­nunft zu tun hat, ja viel­mehr offen­bart sich eine regel­rechte Intel­lek­tu­el­len­feind­lich­keit. Die Mög­lich­keit, auch diese Sei­ten Schmidts zu zei­gen und zu dis­ku­tie­ren, wurde hier nicht genutzt. So kann die Aus­stel­lung einer historisch-kritischen Ein­ord­nung der Per­son nicht gerecht wer­den, eine nüch­terne Per­spek­tive auf den fünf­ten Bun­des­kanz­ler fehlt. Schmidts Poli­tik­ver­ständ­nis blieb ein eli­tä­res und exklu­si­ves. Die Aus­stel­lung folgt wei­test­ge­hend dem Bild Schmidts, das die­ser selbst instal­liert hat: ein über­par­tei­li­cher Super­de­mo­krat und Lotse (Bis­marck lässt grü­ßen!), der die Bun­des­re­pu­blik durch schwere Fahr­was­ser steu­erte und eigent­lich auch immer recht behielt – mit die­ser Dau­er­aus­stel­lung nun auch über sei­nen Tod hinaus.

Lars Engel­hardt, August 2021 

Der Autor ist stu­dier­ter Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und als der­zeit pre­kär Beschäf­tig­ter – unter ande­rem Uber-Fahrer in Teil­zeit – schon län­ger ent­täuscht von den lee­ren Ver­spre­chen der (Ham­bur­ger) Sozi­al­de­mo­kra­tie. Die Stadt Ham­burg, so meint er, ver­dient Aus­stel­lun­gen wie diese. 

Ein Ort der Schlechtigkeit

Bauschild am Bismarck-Denkmal, Januar 2021

Ein Ort der Schlechtigkeit

In Ham­burg steht seit 1906 das welt­weit größte Bismarck-Denkmal. Dass es von der Stadt nun teuer saniert wurde, hat eine Debatte um die Umge­stal­tung des Denk­mals und Ham­burgs Umgang mit sei­ner Kolo­ni­al­ge­schichte ausgelöst.

Ein ers­ter Vor­schlag zur Umge­stal­tung: Tafel vor der Bau­stelle des Bis­marck­denk­mals. Foto: pri­vat (Januar 2021). 

Das Bismarck-Denkmal im Ham­bur­ger Elb­park ist in Schief­lage gera­ten. Zunächst ein­mal ganz mate­ri­ell: Erbaut zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts unter ande­rem von Ham­bur­ger Kolo­ni­al­kauf­leu­ten unter Bei­fall völ­ki­scher Ver­bände, wur­den die Gewölbe unter­halb des Denk­mals im Zwei­ten Welt­krieg mit meh­re­ren tau­send Ton­nen Beton ver­stärkt und zu einem Luft­schutz­bun­ker umfunk­tio­niert. Der Beton war für die Sta­tik zu viel. Risse ent­stan­den, Was­ser drang ein, die Sta­tue neigte sich und galt bis­wei­len als ein­sturz­ge­fähr­det. Der Zugang zum Bun­ker, den aller­lei natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Wand­ma­le­rei ziert, etwa ein Son­nen­rad mit Haken­kreuz und ein mar­ki­ger Spruch über die »ger­ma­ni­sche Rasse«, wurde in den fünz­i­ger Jah­ren für die Öffent­lich­keit gesperrt. In den sech­zi­ger Jah­ren erfolgte der Denk­mal­schutz und bewahrte die Sta­tue vor einem ange­dach­ten Abriss. In den fol­gen­den Jah­ren blickte das welt­weit größte Denk­mal sei­ner Art – mal mehr, mal weni­ger beach­tet von alten und neuen Nazis; mal mehr, mal weni­ger kri­ti­siert – gen Wes­ten über den Ham­bur­ger Hafen. Zu Beginn des ver­gan­ge­nen Jahr­zehnts kam erneut Bewe­gung in die Sache: Unter ande­rem Johan­nes Kahrs, Bur­schen­schaf­ter und ehe­ma­li­ger SPD-Bundestagsabgeordneter, setzte sich für eine Sanie­rung der Sta­tue ein. Seit 2020 wird das Denk­mal für fast neun Mil­lio­nen Euro saniert. Zunächst wurde die Bis­marck­sta­tue rund zwei Monate lang vom Schmutz und Dreck, der sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten abge­la­gert hatte, gerei­nigt. Nach der nun erfol­gen­den bau­li­chen Instand­set­zung soll unter ande­rem der Bun­ker unter dem Denk­mal wie­der für die Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den und »über die Geschichte und Bedeu­tung des Denk­mals infor­miert« wer­den, so ein Aus­hang an der Baustelle.

Bis hier­hin liest sich dies gera­dezu als Alle­go­rie deut­scher Geschichte und des deut­schen Umgangs mit sel­bi­ger. Das Anse­hen Bis­marcks und des Kai­ser­reichs hat Risse bekom­men, da war mal was mit Nazis; in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik folgte dann not­dürf­ti­ges Abdich­ten, Ver­drän­gen und Ver­schlie­ßen, spä­ter ein wenig Kri­tik und schließ­lich: Öff­nen, Aus­stel­len, Aus­ein­an­der­set­zen. Aber letz­te­res auch nur mit den NS-Hinterlassenschaften im Kel­ler, wäh­rend oben dar­über das Kai­ser­reich gekär­chert wird: Kul­tur­spon­so­ring im »Niederdruck-Partikelstrahlverfahren« made in Ger­many – und bereits erprobt am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta West­fa­lica. Rei­ni­gungs­ri­tuale, die sich ein­rei­hen las­sen in den neu­er­li­chen Hype um die ›heile Welt‹ des Wil­hel­mi­nis­mus, den damit ver­bun­de­nen Wie­der­auf­bau des Ber­li­ner Stadt­schlos­ses und das im Jahr 2021 began­gene 150jährige Jubi­läum des Kaiserreichs.

Bis­marck zwi­schen völ­ki­schen Vor­stel­lungs­wel­ten (Post­karte 1906) und Kärcher-Kultursponsoring. Foto: pri­vat (Januar 2021)

Bismarck und die koloniale Amnesie der Deutschen – noch mehr Verdrängtes kehrt wieder 

Nun ist das Bismarck-Denkmal nicht nur mate­ri­ell in Schief­lage gera­ten: Im Zuge der von den USA aus­ge­hen­den, sich welt­weit for­mie­ren­den Black-Lives-Matter-Pro­tes­ten im Jahr 2020 und den mit ihnen ein­her­ge­hen­den Denk­mal­stür­zen – pro­mi­nen­tes­ter Fall: die Sta­tue des Skla­ven­händ­lers Edward Col­s­ton im Bris­to­ler Hafen­be­cken – gerie­ten auch der Ham­bur­ger Bis­marck und seine Sanie­rung in den Blick der Bewe­gung. Initia­ti­ven wie Deco­lo­nize Bis­marck rie­fen im Som­mer 2020 zu einer Demons­tra­tion zu Füßen des Eiser­nen Kanz­lers auf. Die post­ko­lo­niale Kri­tik am Denk­mal, sei­ner Sanie­rung und weit über die­ses hin­aus zielt unter ande­rem auf die kolo­niale Amne­sie in der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft, die wei­ßen Nar­ra­tive in Schul­bü­chern, die Nicht­be­tei­li­gung von BIPoCs an der Debatte und im kon­kre­ten Bezug auf Bis­marck: seine Ver­stri­ckung in den euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus. Nicht zuletzt war Bis­marck trei­bende Kraft der soge­nann­ten Kongo-Konferenz 1884/1885 und damit der Auf­tei­lung des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents unter euro­päi­schen Kolo­ni­al­mäch­ten. Neben den lange Zeit im Kel­ler­ge­wölbe ver­schlos­se­nen Hin­ter­las­sen­schaf­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft wur­den auch die kolo­nia­len Ver­stri­ckun­gen Deutsch­lands in die Tie­fen des kol­lek­ti­ven Unbe­wuss­ten ver­drängt. Sie sol­len nun auf­ge­ar­bei­tet werden.

Was passiert hier?
Deco­lo­nize Ham­burg! Graf­fito an der Bismarck-Baustelle
Foto: pri­vat (Januar 2021)

Diese Kri­tik und die damit ein­her­ge­hen­den For­de­run­gen, die indes schon in der Debatte um das Ber­li­ner Stadt­schloss und anderswo zu hören waren, sind mit Nach­druck zu unter­strei­chen und zu unter­stüt­zen. Und es ist das Ver­dienst die­ser Kri­tik, dass die aber­wit­zig teure Sanie­rung des Denk­mals über­haupt der­ma­ßen in Ver­ruf gera­ten ist. Frag­lich ist nur der bis­wei­len in den For­de­run­gen anmu­tende Anspruch auf Allein­ver­tre­tung einer post­ko­lo­nia­len Per­spek­tive. Das Bismarck-Denkmal, so ist es einem Arbeits­pa­pier der Initia­tive Deco­lo­nize Bis­marck zu ent­neh­men, sei »auch ein Kolo­ni­al­denk­mal« und ent­spre­chend soll­ten an der Debatte um Neu- oder Umge­stal­tung des Denk­mals die »Nach­kom­men der Kolo­ni­sier­ten, die dia­spo­ri­schen BIPoC-Communities ebenso maß­geb­lich betei­ligt wer­den wie die Opfer­ver­bände aus den ehe­ma­li­gen Kolo­nien und die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initia­ti­ven«. Jenes auch im zitier­ten Papier scheint im Hin­blick auf die ange­führte Begrün­dung bald hin­fäl­lig: Das Denk­mal erin­nere nicht an Bis­marck als Reichs­grün­der, son­dern sei »als Dank der hie­si­gen Kauf­mann­selite für die Grün­dung von Kolo­nien« zu ver­ste­hen, es sei damals nicht um Patrio­tis­mus, son­dern um Wirt­schafts­för­de­rung gegan­gen. »Erst mit einer sol­chen glo­bal­his­to­risch ver­or­te­ten Ana­lyse lässt sich die Bedeu­tung des Monu­ments ver­ste­hen, debat­tie­ren und ein wei­te­rer ange­mes­se­ner Umgang mit ihm begründen.«

Nicht in Stein gemeißelt, oder: Für eine emanzipatorische Geschichtspolitik

Worin liegt das Pro­blem? Es ist zunächst ein­mal diese in einer ansons­ten dekon­struk­ti­vis­tisch infor­mier­ten Per­spek­tive auf­schei­nende Eigent­lich­keit. So als hätte ein Denk­mal eine ihm eigen­tüm­li­che, in Stein gemei­ßelte Bedeu­tung. Könnte ein Denk­mal, und das hier betrach­tete im Beson­de­ren, nicht viel­mehr als ein glei­ten­der Signi­fi­kant begrif­fen wer­den, des­sen Bedeu­tung immer pre­kär und insta­bil ist? Würde dies nicht erklä­ren, warum es einer­seits so attrak­tiv für alte und neue Nazis war und ist und warum ande­rer­seits der Umgang mit der Sta­tue bis­wei­len von der­ar­ti­ger Unbe­küm­mert­heit gekenn­zeich­net ist? Bis­marck und das ihm zu Ehre gebaute Denk­mal waren eben immer auch Pro­jek­ti­ons­flä­chen für ver­schie­denste reak­tio­näre und natio­na­lis­ti­sche Sehn­süchte. Diese Rezep­ti­ons­ge­schichte ist nicht ohne Wei­te­res vom Denk­mal zu tren­nen und sollte auch Gegen­stand der Kri­tik bil­den. Denn mit dem Hin­weis auf die ›eigent­li­che Bedeu­tung‹ des Denk­mals ver­schiebt sich zudem die Dis­kus­sion hin zu der Frage nach des­sen ver­meint­lich fixier­ba­rem Signi­fi­kat und damit zur trü­ge­ri­schen Fak­ti­zi­tät his­to­ri­scher Debat­ten, in denen tat­säch­lich aber nor­ma­tive Geschichts­bil­der ver­han­delt wer­den. War Bis­marck nun ein Ras­sist oder hält »die Iden­ti­fi­zie­rung des Kolo­ni­al­po­li­ti­kers Bis­marck als Ras­sist einer genaue­ren Prü­fung nicht stand«? Letz­te­res schreibt der His­to­ri­ker und Geschäfts­füh­rer der Otto-von-Bismarck-Stiftung Ulrich Lap­pen­kü­per für die Kon­rad Ade­nauer Stif­tung und fügt hinzu, dass es bei den Denk­mä­lern auch weni­ger um den Kolo­ni­al­po­li­ti­ker gehe, »denn um den Reichs­kanz­ler, der Deutsch­land Ein­heit und Frei­heit gebracht hatte«.

Die Eng­füh­rung des Denk­mals auf die his­to­ri­sche Figur Bis­marck und seine Rolle als Kolo­ni­al­po­li­ti­ker eröff­net erst den Raum für Kri­tik von kon­ser­va­ti­ver sowie rech­ter Seite und ermög­licht die Bewer­tung Bis­marcks als »ambi­va­lente his­to­ri­sche Figur«, wie Lap­pen­kü­per schreibt, der im sel­ben Atem­zug vor Can­cel Cul­ture warnt – schließ­lich müsse der Reichs­kanz­ler auch aus sei­ner Zeit her­aus bewer­tet wer­den. Nun ist es vor dem Hin­ter­grund von einer Kanz­ler­kul­tur der soge­nann­ten Sozia­lis­ten­ge­setze und der Ver­fol­gung von Sozialist:innen und Kommunist:innen ver­wun­der­lich, gerade mit Bis­marck gegen eine ver­meint­li­che Can­cel Cul­ture zu argu­men­tie­ren. Ver­wie­sen wer­den müsste auch auf die anti­pol­ni­sche Poli­tik Bis­marcks: etwa die ab 1885 in die Wege gelei­tete Aus­wei­sung von über 30.000 Men­schen nicht­deut­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit, was zumeist Polen und Juden betraf; oder die 1886 erfolgte Begrün­dung der soge­nann­ten Ansied­lungs­kom­mis­sion, die bis­wei­len als erste eth­nisch moti­vierte bevöl­ke­rungs­po­li­ti­sche Maß­nahme inner­halb Euro­pas gilt. Indes wer­den diese nach Osten gerich­te­ten Poli­ti­ken in jün­ge­rer Zeit auch als Aus­druck eines kon­ti­nen­ta­len, mit dem über­see­ischen ver­wo­be­nen Kolo­nia­lis­mus ver­stan­den. Von all dem will indes die Ham­bur­ger AfD nichts wis­sen und setzt sich mit einem pathe­ti­schen Video dafür ein, ein Bild Bis­marcks als »Kanz­ler der Ein­heit« zu installieren.

Für ein Verständnis von Geschichtspolitik als normatives Narrativ

Aber geht es nun um Bis­marck als his­to­ri­schen Akteur und darum, wie er denn nun eigent­lich war und warum er han­delte, wie er han­delte? Und geht es darum, zu fra­gen, wer das Denk­mal eigent­lich auf­stellte und wofür? Ginge es nicht viel­mehr darum, sich zur Nor­ma­ti­vi­tät geschichts­po­li­ti­scher Debat­ten zu beken­nen und diese aktiv zu gestal­ten? Dar­un­ter kann ver­stan­den wer­den, nicht zu ver­su­chen, die ›eigent­li­che‹ Rolle Bis­marcks zu fixie­ren, ihn nicht ›aus sei­ner Zeit her­aus‹ ver­ste­hen zu wol­len, aber eben auch nicht die ver­meint­lich eigent­li­che Bedeu­tung des Denk­mals in den Vor­der­grund zu rücken.

Es geht um die Instal­la­tion eines Nar­ra­tivs, eines not­wen­di­ger­weise nor­ma­ti­ven, idea­li­ter eman­zi­pa­to­ri­schen und auf Gegen­wart wie Zukunft gerich­te­ten Geschichts­bil­des. Einer­seits müsste genau darin die kolo­niale Amne­sie der Deut­schen und das Ver­drän­gen kolo­nia­ler Gräu­el­ta­ten sicht­bar wer­den – dem stimmt aller­dings auch Lap­pen­kü­per zu (der blinde Fleck »in der deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur [muss] besei­tigt wer­den«, bekennt er). Ande­rer­seits ginge es wohl auch darum, Sand in das Getriebe der deut­schen Wie­der­gut­ma­chungs­ma­schine zu streuen und etwa die Rezep­tion des Denk­mals zwi­schen Wei­ma­rer Repu­blik, Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bun­des­re­pu­blik zu kri­ti­sie­ren. Das (neue) Bismarck-Denkmal sollte keine Wohl­fühl­oase deut­scher Aufarbeitungsweltmeister:innen wer­den, son­dern zu dem wer­den, was es immer schon war: ein Ort der Schlech­tig­keit. Gerade als sol­cher kann aber das Denk­mal in sei­ner Nega­tion für vie­les ste­hen, was eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­tik ver­spricht. Ob das Denk­mal dann am Ende abge­ris­sen wird und etwas ande­res an sei­ner Stelle ent­steht, oder ob es in einer ande­ren Form gebro­chen wird, ist dabei zunächst zweitrangig.

Johan­nes Rad­c­zinski, Mai 2021

Der Autor stu­diert Kul­tur­wis­sen­schaf­ten in Lüne­burg, lebt aber in Ham­burg. Dort radelt er fast täg­lich am Bismarck-Denkmal vor­bei und hofft (nicht nur des­halb!) auf des­sen bal­dige Umgestaltung. 

Staatsvertrag mit Mullahs

Staatsvertrag mit Mullahs

In bes­ter Ham­bur­ger Als­ter­lage resi­diert das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg mit sei­ner »Blauen Moschee«. Es fun­giert als euro­päi­sche Ver­tre­tung der isla­mis­ti­schen Des­po­tie im Iran. Seit 2012 wird es durch einen Staats­ver­trag mit der Stadt Ham­burg poli­tisch geför­dert. Nach dem Wil­len von SPD und Grü­nen soll das so wei­ter­ge­hen. Warum?

Die Imam-Ali-Moschee an der Bin­nen­als­ter. Foto: Alt­Sylt Lizenz: CC BY 4.0

In bes­ter Lage an der Außen­als­ter resi­diert seit 1965 die Ham­bur­ger Imam-Ali-Moschee, laut Stadt­mar­ke­ting »eine der schöns­ten Moscheen Deutsch­lands«. Trä­ger des von ira­ni­schen Kauf­leu­ten in den 1960ern finan­zier­ten Pracht­baus ist das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH), das als euro­päi­scher Brü­cken­kopf der schiitisch-islamistischen Des­po­tie im Iran fun­giert. Deren oberste reli­giöse Auto­ri­tät und Revo­lu­ti­ons­füh­rer, Aja­tol­lah Ali Cha­menei, ist nicht nur Macht­ha­ber über die mör­de­ri­schen Revo­lu­ti­ons­gar­den, Holo­caust­leug­ner und obses­si­ver Isra­el­has­ser mit ato­ma­ren Ambi­tio­nen, son­dern ent­sen­det seit 1989 auch per­sön­lich sei­nen Stell­ver­tre­ter für Europa an die Als­ter. Über das IZH reicht Tehe­rans lan­ger Arm bis zu ira­ni­schen Oppo­si­tio­nel­len, die in Ham­burg immer wie­der Opfer von Über­grif­fen aus dem Umfeld der Imam-Ali-Moschee werden.

Den­noch hat die SPD das IZH 2012 im Rah­men des Staats­ver­trags mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den offi­zi­ell zum poli­ti­schen Part­ner auf­ge­wer­tet. Anfang 2021 haben SPD und Grüne sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dar­auf ver­stän­digt, die­sen Staats­ver­trag zu ver­län­gern. Warum wird ira­ni­scher Isla­mis­mus in Ham­burg offen gefördert?

Das Offensichtliche

Dass man es bei den Isla­mis­ten von der Schö­nen Aus­sicht 36 mit Pro­pa­gan­dis­ten und Schlä­gern im Auf­trag der isla­mi­schen Repu­blik zu tun hat, ist offen­sicht­lich. Wer es wis­sen will, kann den Aus­sa­gen der über­schau­ba­ren aber hart­nä­cki­gen Gruppe ira­ni­scher Oppo­si­tio­nel­ler, Ex-Muslime und ver­ein­zel­ter isra­els­o­li­da­ri­scher Links­ra­di­ka­ler zuhö­ren, die sich regel­mä­ßig auf Kund­ge­bun­gen und Demons­tra­tio­nen vor der Moschee ver­sam­meln. Min­des­tens das poli­ti­sche Per­so­nal der regie­ren­den rot-grünen Koali­tion weiß, dass die Kho­mei­nis­ten von der Schö­nen Aus­sicht seit zwei Jahr­zehn­ten mal offen, mal ver­deckt den anti­se­mi­ti­schen Al-Quds-Marsch in Ber­lin mit­or­ga­ni­sie­ren und unter­stüt­zen. Sie wis­sen, dass das IZH eine Anlauf­stelle für Hisbollah-Anhänger:innen in Ham­burg und dar­über hin­aus ist. Sie wis­sen, dass die IZH-Leiter nach außen gemä­ßigt und dia­log­be­reit auf­tre­ten, ideo­lo­gisch aber am Export der isla­mi­schen Revo­lu­tion fest­hal­ten. Sie wis­sen, dass dort Miso­gy­nie und Homo­pho­bie ver­brei­tet wer­den. Sie wis­sen, dass dort jedes Jahr Gedenk­ver­an­stal­tun­gen für Aja­tol­lah Cho­meini abge­hal­ten wer­den, oder, wie letz­tes Jahr, für den Kom­man­deur der Quds-Einheit und Schläch­ter Qasem Soleimani.

Trotz­dem han­delte die Stadt Ham­burg zwi­schen 2006 und 2012, zunächst unter dem CDU-Senat Ole von Beusts, dann unter Olaf Scholz, einen Staats­ver­trag mit dem DITIB Lan­des­ver­band Ham­burg, dem Ver­band der Isla­mi­schen Kul­tur­zen­tren, der ale­vi­ti­schen Gemeinde und der SCHURA – Rat der isla­mi­schen Gemein­schaf­ten in Ham­burg aus. In der Schura stellt das IZH seit jeher einen von drei Vor­sit­zen­den, ent­spre­chend hat sich der Dach­ver­band wie­der­holt hin­ter die Machen­schaf­ten um die Imam-Ali-Moschee gestellt. Inten­tion des 2012 vom dama­li­gen Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz unter­zeich­ne­ten Staats­ver­trags war es – ebenso wie zuvor mit christ­li­chen und jüdi­schen Gemein­den – das Ver­hält­nis zur Stadt Ham­burg zu klä­ren. Neben der Rege­lung prak­ti­scher Fra­gen zu mus­li­mi­schen Fei­er­ta­gen, Fried­hö­fen und isla­mi­schem Reli­gi­ons­un­ter­richt sollte so für Inte­gra­tion und fried­li­ches Mit­ein­an­der gewor­ben sowie inner­halb der Ver­bände die Abgren­zung gegen­über »Extre­mis­ten« gestärkt wer­den. Dafür such­ten sich die Ham­bur­ger Regie­run­gen ihre Part­ner expli­zit danach aus, wer die meis­ten und die diver­ses­ten Moschee­ver­eine etc. reprä­sen­tiert. Gegen die öffent­li­che Kri­tik an den isla­mis­ti­schen »Aus­rut­schern« inner­halb der Part­ner­ver­eine in der Schura – die es nicht nur beim IZH gibt – ver­tei­di­gen SPD und Grüne ihren Staats­ver­trag dann auch im Namen der Inte­gra­tion:
»Die Aus­rich­tung des IZH war beim Abschluss der Ver­träge bekannt. Senat und Bür­ger­schaft hat­ten dies mit dem Nut­zen schrift­li­cher Ver­träge als Grund­lage für eine Zusam­men­ar­beit im Sinne der Inte­gra­tion abzu­wä­gen.« Sicher habe es hier und da »Anlass für Kri­tik und Schwie­rig­kei­ten« gege­ben, ins­ge­samt habe sich der Ver­trag aber doch »bewährt«.

Der Bundesregierung auf der Spur

Ham­burg folgt damit in dop­pel­ter Weise der Stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung. Ers­tens ist die deut­sche Außen­po­li­tik gegen­über dem ira­ni­schen Regime oppor­tu­nis­tisch. Zuguns­ten des Iran-Geschäfts deut­scher Kon­zerne hält die Bun­des­re­gie­rung ent­ge­gen aller Ver­stöße am Atom­ab­kom­men mit den Mul­lahs fest und ver­schließt dabei vor der Bru­ta­li­tät und dem mili­tan­ten Anti­se­mi­tis­mus des Regimes fest die Augen. Die BRD hat sogar – erfolgs­los – ver­sucht, die US-Handelssanktionen aus­zu­he­beln. Ham­burg ist dabei als Finanz­stand­ort mit­ten­drin: Wie Mat­thias Künt­zel zusam­men­ge­tra­gen hat, wur­den bis 2011 Mil­li­ar­den­sum­men für Iranisch-Indische Ölde­als über die Europäisch-Iranische Han­dels­bank im Kon­tor­haus­vier­tel an den Sank­tio­nen der USA vor­bei­ge­scho­ben – gedeckt von der Bun­des­fi­nanz­auf­sicht. Barack Obama rief gar per­sön­lich bei Angela Mer­kel an, um ein Ende die­ser Sabo­tage zu for­dern. Bis heute spielt die eben­falls von den Mul­lahs kon­trol­lierte Nie­der­las­sung der Melli Bank am Ham­bur­ger Niko­laifleet eine Schlüs­sel­rolle im euro­päi­schen Iran-Business. Offen­bar hat die Bun­des­bank ihr noch 2020 ihre Dienste zur Ver­fü­gung gestellt, um das Iran-Geschäft deut­scher Fir­men zu ermög­li­chen. Durch­aus denk­bar also, dass die Zurück­hal­tung der wech­seln­den Ham­bur­ger Senate gegen­über dem IZH auch eine wenig beach­tete geo­po­li­ti­sche Kom­po­nente hat.

Zwei­tens macht die Stadt Ham­burg mit ihrem Staats­ver­trag ebenso wie die Bun­des­re­gie­rung kon­ser­va­tive Islam­ver­bände für die Inte­gra­tion von Migrant:innen und Nach­fah­ren von Migrant:innen aus isla­mi­schen Län­dern mit­ver­ant­wort­lich. Am Bei­spiel des IZH zeigt sich deut­lich wie sonst sel­ten, was damit ein­ge­kauft wird. Wer um jeden Preis Kon­trolle und »Ansprech­part­ner« will, muss sich selbst die radi­kals­ten Isla­mis­ten als irgendwie-auch- Extre­mis­mus­be­kämp­fer zurecht­bie­gen. Ange­sichts der 2022/23 anste­hen­den Neu­ver­hand­lun­gen des Staats­ver­trags will die Rot-Grüne Regie­rung ein Ein­ge­ständ­nis des Schei­terns die­ser Stra­te­gie ent­ge­gen aller Kri­tik vermeiden.

Kritik von liberal bis rechtsextrem

Und diese Kri­tik fällt lei­der fast aus­schließ­lich von Sei­ten der Abge­ord­ne­ten von AfD, CDU und FDP deut­lich aus. Immer wie­der for­dern vor allem AfD und CDU, Schritte gegen das IZH zu unter­neh­men: vom Ende der Zusam­men­ar­beit mit dem IZH, über des­sen Aus­schluss aus der Schura bis hin zum Ver­eins­ver­bot, das zuletzt der innen­po­li­ti­sche Spre­cher der CDU-Fraktion Den­nis Gla­dia­tor ins Spiel brachte. Dass die CDU dabei stets die »Freiheitlich-Demokratische Grund­ord­nung« gegen den »reli­giö­sen Extre­mis­mus« ver­tei­di­gen will, um »Span­nun­gen in der Stadt« zu ver­mei­den, lässt ahnen, dass es hier um kon­ser­va­tive Pro­fil­bil­dung und Selbst­dar­stel­lung als staats­tra­gende Par­tei geht. Die AfD indes­sen, ins­be­son­dere ihr rechts­extre­mer Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Alex­an­der Wolf, ver­sucht ihre Agi­ta­tion gegen das IZH als Teil ihres Kul­tur­kamp­fes gegen die »Isla­mi­sie­rung« zu insze­nie­ren. Einen media­len Erfolg konnte sie im Okto­ber 2020 ver­bu­chen, als durch eine große Anfrage der AfD in der Bür­ger­schaft her­aus­kam, dass unter ande­rem der Isla­mi­sches Zen­trum Ham­burg e.V. laut eige­ner Aus­kunft von der Ham­bur­ger Steu­er­ver­wal­tung bis heute als gemein­nüt­zi­ger Ver­ein aner­kannt ist und dadurch erheb­li­che Steu­er­vor­teile genießt. 

Die AfD argu­men­tierte, durch die Ein­stu­fung des IZH als »extre­mis­tisch« durch den Ver­fas­sungs­schutz sei das nicht nur ein poli­ti­scher Skan­dal, son­dern schlicht rechts­wid­rig. Zwar stellte sich Finanz­se­na­tor Andreas Dressel demons­tra­tiv vor seine Behörde und behaup­tete, die Steu­er­ver­wal­tung ent­ziehe als »extre­mis­tisch« ein­ge­stuf­ten Ver­ei­nen kon­se­quent die Gemein­nüt­zig­keit. Aber die AfD konnte nach­set­zen und bekam in einer wei­te­ren Anfrage im Novem­ber her­aus, dass nur wenige Tage nach Ver­öf­fent­li­chung der ers­ten Anfrage zwei wei­tere Ver­fah­ren zur Aberken­nung der Gemein­nüt­zig­keit wegen Extre­mis­mus­ein­stu­fung ein­ge­lei­tet wur­den. Gegen wen blieb mit Ver­weis auf das Steu­er­ge­heim­nis uner­wähnt. Für die AfD ein Coup, sieht es nun doch so aus als habe sie erfolg­reich den Finanz­se­na­tor vor sich her­ge­trie­ben und quasi zum Ein­ge­ständ­nis genö­tigt, dass »extre­mis­ti­sche Ver­eine« von der Finanz­be­hörde gedul­det wer­den. Im Namen des Kamp­fes gegen »Extre­mis­mus« zielte die AfD-Anfrage neben dem IZH auf den mar­xis­ti­schen Lesekreis-Verein Mar­xis­ti­sche Abend­schule (MASCH) e.V., der dann im Januar 2021 bekannt­gab, das Finanz­amt Nord habe ihm die Gemein­nüt­zig­keit mit Ver­weis auf den Ver­fas­sungs­schutz ent­zo­gen. Es ist zu ver­mu­ten, dass ein Zusam­men­hang zur Anfrage der AfD besteht.

Dass ein rot-grüner Senat sich von der Extremismus-Rhetorik von Ver­fas­sungs­schutz und AfD zum Ver­bot eines lin­ken Ver­eins drän­gen lässt – oder es selbst ange­strebt hat, ist ein Skan­dal. Ein wei­te­rer ist es, dass die ira­ni­schen Isla­mis­ten tat­säch­lich auch finan­zi­ell geför­dert wer­den und der Senat bis heute nicht Stel­lung dazu bezo­gen hat. Damit über­lässt er ein wich­ti­ges Thema der kultur-rassistischen Agi­ta­tion der AfD.

Linker Zweckoptimismus

Auch die oppo­si­tio­nelle Ham­bur­ger Links­frak­tion hat bis­lang keine Stel­lung zum IZH bezo­gen. Sie spricht sich zwar gegen Isla­mis­mus aus, wenn es um den IS und Rojava geht. Zu den schii­ti­schen Isla­mis­ten in Ham­burg schweigt sie aber. Die ein­zige Aus­nahme inner­halb des Lan­des­ver­bands ist die isra­els­o­li­da­ri­sche Split­ter­gruppe Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg. Die lang­jäh­rige ehe­ma­lige innen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Links­frak­tion Chris­tiane Schnei­der erklärte im März 2021, wel­che poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten einer Posi­tio­nie­rung zum IZH ent­ge­gen­ste­hen: Ers­tens hät­ten die Staats­ver­träge eine Ungleich­be­hand­lung von Mus­li­men been­det und seien daher Aus­druck von Reli­gi­ons­frei­heit und kul­tu­rel­ler Viel­falt. Zwei­tens sei die mul­ti­kon­fes­sio­nelle Schura eine Erfolgs­ge­schichte, da sie nicht nur mit dem Ziel gegrün­det wurde, sich zur deut­schen Gesell­schaft hin zu öff­nen, son­dern unter­des­sen tat­säch­lich ein »Selbst­ver­ständ­nis als isla­mi­sche Reli­gi­ons­ge­mein­schaft in einem säku­la­ren, demo­kra­tisch ver­fass­ten Rechts­staat« erar­bei­tet hätte. Drit­tens hät­ten sich CDU und FDP mit ihrer Kri­tik an den isla­mi­schen Ver­bän­den lei­der dem Kurs der AfD ange­schlos­sen, einer ein­ge­bil­de­ten Isla­mi­sie­rung den Kul­tur­kampf zu erklä­ren. Dem­ge­gen­über müsse DIE LINKE am Staats­ver­trag auch mit dem IZH fest­hal­ten, denn:

»Die Ver­träge sind zugleich Grund­lage, Kon­flikte zu the­ma­ti­sie­ren und zu Klä­run­gen zu kom­men. Dass das gelin­gen kann, zeigt die Tat­sa­che, dass das ›Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg‹ (IZH) seine Betei­li­gung an den höchst pro­ble­ma­ti­schen anti­is­rae­li­schen Demons­tra­tio­nen am jähr­li­chen Al Quds-Tag nach 2018 been­det hat.«

Dass der Marsch 2020 wegen der Corona-Pandemie glück­li­cher­weise ganz aus­fiel; dass 2019 zwar keine ira­ni­schen Geist­li­chen, aber den­noch IZH-Anhänger am Marsch teil­nah­men; dass wenn über­haupt, die Angst vor einem Ver­eins­ver­bot hier ein Zuge­ständ­nis des IZH erzwun­gen hat – geschenkt. Ent­schei­dend ist der linke Wille, sich durch ein höchs­tens sym­bo­li­sches Zuge­ständ­nis der IZH-Führung vor­gau­keln zu las­sen, mit Dia­log und Gesprä­chen könn­ten aus Bediens­te­ten eines Terror-Regimes doch noch Freunde von Diver­si­tät und Völ­ker­ver­stän­di­gung wer­den. Ob Schnei­der ihren Dialog-Optimismus wirk­lich sel­ber glaubt oder schlicht Angst hat, bei inhalt­li­cher Nähe zur Kri­tik von rechts und ganz rechts die wahl­tak­tisch wich­tige Glaub­wür­dig­keit in Sachen Anti-Rassismus zu ver­lie­ren, ist unklar. Ein Armuts­zeug­nis ist das linke Schwei­gen in jedem Fall. Es ist ein zwar unspek­ta­ku­lä­rer, aber fort­wäh­ren­der Ver­rat an all jenen, die für Frei­heit im Iran kämpfen.

Felix Jacob, Juni 2021

Der Autor ist Arbeits­lo­ser ohne Gewis­sens­bisse, Seg­ler und Als­ter­spa­zier­gän­ger. Für die Imam-Ali-Moschee schwebt ihm eine Nach­nut­zung als Stadt­teil­zen­trum mit Frei­bad vor.

Die große Welle vor Hamburg

BIld: Norika Rehfeld

Die große Welle vor Hamburg

Die Elb­phil­har­mo­nie ist nicht nur schnell zum Sym­bol für Ham­burg gewor­den, zum Tou­ris­mus­ma­gne­ten und zur Vor­lage für Hei­mat­kitsch. Sie ist auch der vor­läu­fig krö­nende Abschluss einer Stadt­ent­wick­lung nach polit-ökonomischen Erfor­der­nis­sen. Eine Ent­wick­lung, in der die Herr­schaft des Men­schen über die Natur eine wesent­li­che Rolle spielt.

Anläss­lich der Eröff­nung der Elb­phil­har­mo­nie Anfang 2017 stellte der bel­gi­sche Künst­ler Peter Bug­gen­hout eine 15 Meter hohe Skulp­tur mit dem Titel Babel Varia­tio­nen in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len aus. Die­ser Bei­trag zur Aus­stel­lung Elb­phil­har­mo­nie Revi­si­ted, bestand aus gro­ßen Polyester- und Stahl­tei­len, die anmu­te­ten, als habe der Künst­ler Sperr­müll gewagt in die Höhe gesta­pelt: ein fra­gi­ler Riese, der den Ein­druck erweckte, jeder­zeit in sich zusam­men­zu­bre­chen. Die raum­grei­fende Skulp­tur kon­tras­tierte die glit­zernde Ästhe­tik des soeben fer­tig­ge­stell­ten, mas­si­ven Kon­zert­hau­ses an der Elbe. Mit dem Titel Babel Varia­tio­nen spielt Bug­gen­hout auf die alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel (Gen 11,1–9) an und bezieht sie auf die Ham­bur­ger Elbphilharmonie.

Romantisch verklärt statt bestraft

Im 21. Jahr­hun­dert scheint die Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel obso­let: Die Kir­chen in Deutsch­land sind wie leer­ge­fegt und Got­tes­furcht taugt nicht mehr als Mit­tel der Poli­tik. Auch für den Namens­ge­ber des der­zeit höchs­ten Gebäu­des der Erde und gleich­zei­tige Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate, Scheich Cha­lifa bin Zayid Al Nahyan blieb eine gött­li­che Strafe bis­her aus. Dem mensch­li­chen Sprach­wirr­war kann heute bequem per Han­dyapp begeg­net wer­den. Wes­halb also ein Kon­zert­haus am Fuße der Elbe zu einem neuen Turm­bau zu Babel erklären? 

In der Selbst­be­schrei­bung der Elb­phil­har­mo­nie heißt es wenig beschei­den, dass »dem tra­di­tio­nel­len Back­stein­so­ckel neues Leben« ein­ge­haucht und dass »das Kon­zert­haus als fun­kelnde Krone oben drauf« gesetzt wor­den sei. Ein Affront, nicht gegen Gott, so doch aber gegen eine dem Men­schen wie über­mäch­tig gegen­über­ste­hende Natur. In der archi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lung der Handels- und Hafen­stadt spie­gelt sich viel­mehr das Ver­hält­nis der Men­schen zur Natur wider. Dass es sich dabei um ein durch­weg polit-ökonomisches Herr­schafts­ver­hält­nis han­delt, kann Epo­che für Epo­che nach­ge­zeich­net werden: 

In der Elb­phil­har­mo­nie wird diese Ent­wick­lung gewis­ser­ma­ßen an meh­re­ren Jah­res­rin­gen sicht­bar. Der untere Teil des Kon­zert­hau­ses besteht aus der back­stei­ner­nen Außen­mauer des 1875 errich­te­ten Kai­spei­cher A, der sei­ner­zeit auch Kai­ser­spei­cher genannt wurde. Mit Hilfe von Krä­nen konn­ten die Waren im dama­li­gen Haupt­ha­fen Ham­burgs direkt vom Schiff in das Spei­cher­ge­bäude gehievt wer­den. Das neu­go­ti­sche Spei­cher­ge­bäude wurde im 2. Welt­krieg zer­stört und in den sech­zi­ger Jah­ren in schlich­ter Form wie­der auf­ge­baut. Mit der glo­ba­len Umstel­lung des See­han­dels von Stück­gut auf den Con­tai­ner­fracht­ver­kehr fand der Schiffs­han­del zuneh­mend im rasant wach­sen­den Con­tai­ner­ha­fen statt, der der Stadt süd­west­lich vor­ge­la­gert wurde. In der Folge wurde der Lager­be­trieb im Kai­spei­cher in den neun­zi­ger Jah­ren voll­stän­dig ein­ge­stellt. Der tra­pez­för­mige Grund­riss des ers­ten Kai­spei­chers blieb erhal­ten und die schlichte Kai­mauer bil­det den Sockel des von den Hamburger:innen mitt­ler­weile Elphi genann­ten Baus. Im Ensem­ble mit der angren­zen­den denk­mal­ge­schütz­ten Spei­cher­stadt ist das Große Gras­brook genannte Gebiet, auf dem nun Elb­phil­har­mo­nie und Hafen­city ste­hen, eine roman­ti­sie­rende Remi­nis­zenz an die Geschichte der Han­se­stadt Ham­burg, die sich seit den zwan­zi­ger Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts als Tor zur Welt beschreibt und deren expan­si­ver See­han­del eine große, rei­che Ober­schicht ent­ste­hen ließ.

Der Kampf gegen die erste Natur

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Metro­pole der See­schiff­fahrt war kei­nes­wegs vor­ge­zeich­net, betrach­tet man die geo­gra­phi­sche Lage und die natür­li­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen der Region Ham­burg: Die Stadt lag, salopp gesagt, im Matsch tief im Bin­nen­land zwi­schen Nord- und Ost­see. Die Stadt­ge­schichte ist geprägt von die­ser und wei­te­ren für Land­wirt­schaft und Han­del ungüns­ti­gen Umwelt­be­din­gun­gen, die bis heute mas­sive Ein­griffe durch den Men­schen nach sich ziehen. 

Die Elb­re­gion bestand ursprüng­lich aus frucht­ba­ren, aber dau­er­haft nas­sen Böden, die für eine Bewirt­schaf­tung nicht geeig­net waren. Die vor­neu­zeit­li­chen Siedler:innen der Elb­land­schaft muss­ten sich gegen die Kräfte der Natur weh­ren: Im fla­chen, san­di­gen Fluss­bett der viel­fach ver­zweig­ten Elbe, mit ihren Zuflüs­sen Als­ter und Bille, kämpf­ten sie gegen hohe Grund­was­ser­spie­gel, täg­lich wech­selnde Pegel­stände und dro­hende Sturm­flu­ten. Sie wirk­ten auf die Natur ein, blie­ben ihr aber lange Zeit wei­test­ge­hend aus­ge­lie­fert. Um die Region siche­rer besie­deln und bewirt­schaf­ten zu kön­nen, ent­wi­ckel­ten sie tech­ni­sche Hilfs­mit­tel, zur Steue­rung der Was­ser­mas­sen: Im 12. Jahr­hun­dert instal­lier­ten Siedler:innen eine Unzahl von Ent­wäs­se­rungs­grä­ben und ‑müh­len, leg­ten künst­li­che Erd­hü­gel an, auf denen sie ihre Höfe errich­te­ten, und bau­ten Dei­che, die sie vor den Flu­ten schüt­zen soll­ten. Die heu­ti­gen Kanäle, ja sogar die Elb­in­seln und Flüsse wur­den in Folge der mas­si­ven Umge­stal­tung durch den Men­schen geschaf­fen – sie sind das Resul­tat jahr­hun­der­te­lan­ger Umstruk­tu­rie­run­gen. Zahl­lose Bau­ten wur­den als Wehre zum Schutz vor dem Was­ser der Elbe errich­tet, und zwar sol­cher­art, dass sich zugleich ein öko­no­mi­scher Nut­zen aus der Nähe zum Was­ser zie­hen ließ. Damit wurde der Grund­stein für das Wachs­tum der Ham­bur­ger Wirt­schaft gelegt. 

Wo ein Wille, da ein Wasserweg

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Welt­han­dels­stadt ist das Ergeb­nis eines Wil­lens­ak­tes basie­rend auf einer öko­no­mi­schen Ent­schei­dung. Die Was­ser­straße Elbe führt zwar in die Nord­see, dies jedoch erst nach vie­len Fluss­ki­lo­me­tern. Gleich­zei­tig liegt Ham­burg in räum­li­cher Nähe zur Ost­see. Nicht trotz, son­dern gerade wegen die­ser Bin­nen­lage konnte die Stadt im 13. Jahr­hun­dert zum ent­schei­den­den Bin­de­glied zwi­schen Nord- und Ost­see auf­stei­gen, indem die Elbe in Rich­tung Nord­see ste­tig aus­ge­baut und in Rich­tung Ost­see eine sichere Stra­ßen­ver­bin­dung geschaf­fen wurde. Die Hanse sicherte sich hierzu Wege­rechte und das Recht, Han­dels­schiffe und Waren auf direk­tem Weg und zoll­frei bis nach Ham­burg zu trans­por­tie­ren – auch durch die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt und rechts­wid­ri­gen Mitteln. 

In dem Wirk­ge­füge zwi­schen Acker­bau, Han­del und Mili­tär wurde Natur als waren­för­mige Res­source best­mög­lich genutzt und als Wirt­schafts­grund­lage opti­miert: Dies bezeu­gen z.B. die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Ham­bur­ger Was­ser­bau­di­rek­tors Rein­hart Wolt­man aus dem Jahr 1802. Er schreibt darin: »Inso­fern schiff­bare Kanäle Kunst­werke hydrau­li­scher Archi­tek­tur sind, müs­sen ihre Dimen­sio­nen, und die Grö­ßen ihrer ver­schie­de­nen Theile, in gewis­ser Pro­por­tion zuein­an­der ste­hen, bei wel­cher diese Kanäle die größte Zweck­mä­ßig­keit, Dau­er­haf­tig­keit und Nut­zen errei­chen.«1Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]

Der Kanal gerät in der Vor­stel­lung Wolt­mans zu einem Leis­tungs­trä­ger, des­sen mess­bare Para­me­ter es im öko­no­mi­schen Sinne best­mög­lich zu nut­zen gilt. Die Dop­pel­deu­tig­keit des Begriffs ‘Kunst­werke’ ist bezeich­nend: Es weist nicht nur auf die Künst­lich­keit der Kanäle hin, son­dern unter­streicht gleich­zei­tig die krea­tive und schöp­fe­ri­sche Tätig­keit des Was­ser­bau­ers. Der Begriff ist Aus­druck eines Bestre­bens, die Kräfte der Natur erken­nen und beherr­schen zu wol­len. So wie die tech­no­kra­ti­sche Umfor­mung der Natur die Han­dels­stadt flo­rie­ren ließ, so formte der ver­mehrte Han­del die Archi­tek­tur. Im weit­läu­fi­gen Hafen­be­reich wurde die Nähe zum Was­ser bewusst gesucht: Bau­werke für Han­del und Gewerbe waren eng ver­zahnt mit einem dicht ver­äs­tel­ten Kanal­sys­tem. Den Anfor­de­run­gen ange­passt, wur­den sie z.B. durch Pfahl­grün­dun­gen, damit Mau­ern direkt im Was­ser errich­tet wer­den konn­ten. Andere Bau­werke wie­derum sind eigens zur Beherr­schung der Natur­kräfte ent­stan­den, etwa Schleu­sen und Hochwasser-Schutzanlagen.

Der Kampf gegen die innere Natur

Auch heute noch meint man sich in Ham­burg der Natur erweh­ren zu müs­sen: gegen die äußere, den Men­schen bedro­hende, ebenso wie gegen die innere. Beide gehö­ren jedoch zusam­men und haben ihre Ein­heit im Men­schen. Was sich an der inne­ren nicht beherr­schen lässt, wird auf die äußere pro­ji­ziert und mit den Mit­teln der instru­men­tel­len Ver­nunft und dem fort­schrei­ten­dem tech­ni­schen Ent­wick­lungs­stand immer effi­zi­en­ter den polit-ökonomischen Prä­mis­sen unter­wor­fen. Die teil­weise Auto­no­mie des Men­schen von der äuße­ren Natur führte bis­her nicht zu einer Neu­ge­stal­tung des Ver­hält­nis­ses, son­dern zu einer Fort­schrei­bung unter ideo­lo­gi­schen Vor­zei­chen.2Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1 

Weil die Hafen­stadt wach­sen muss, so die Ideo­lo­gie, müs­sen sich die Hamburger:innen gegen die Was­ser­mas­sen stel­len. Die Stadt­mauer aus dem 13. Jahr­hun­dert wurde der zufolge im frü­hen 17. Jahr­hun­dert erwei­tert und durch eine mas­sive stern­för­mige Fes­tungs­an­lage ersetzt, durch die der Personen- wie Waren­ver­kehr kon­trol­liert wer­den konnte. Der Hafen wurde mehr­fach aus­ge­baut und dann in Rich­tung Con­tai­ner­ter­mi­nal ver­la­gert. Das Fluss­bett der Elbe wird seit dem 19. Jahr­hun­dert fort­wäh­rend ver­tieft. All das musste gesche­hen, um den immer grö­ßer wer­den­den Schif­fen gerecht zu wer­den – um wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben. Nach dem gro­ßen Elb­hoch­was­ser von 1962 wur­den die Dei­che wie­der­holt erhöht. Mit die­sen Deich­er­hö­hun­gen »konnte eine hohe Sicher­heit zum Schutz der Bevöl­ke­rung und der Sach­werte erreicht wer­den« schreibt der Lan­des­be­trieb Stra­ßen, Brü­cken und Gewäs­ser (LSBG) im Rah­men sei­ner Neu­er­mitt­lung von 2012 des »Sturm­flut­be­mes­sungs­was­ser­stan­des«. Bevöl­ke­rung und Sach­werte fal­len in die­ser Beschrei­bung in eins – sind glei­cher­ma­ßen Res­source. Der LSBG prognostiziert: 

»Auf­grund des Kli­ma­wan­dels ist jedoch ein wei­te­res Anstei­gen der Was­ser­stände abseh­bar. Daher müs­sen die Anstren­gun­gen für den Küs­ten­schutz wei­ter fort­ge­setzt wer­den, um dro­hen­den Gefah­ren zu begegnen.«

Der Kli­ma­wan­del wird als Grund benannt, dafür, dass Dei­che erhöht, die Elbe ver­tieft und die Dove-Elbe als Aus­weich­flä­che für den Tiden­hub erschlos­sen wer­den müs­sen. In einer Stu­die der Inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung von 2009 mit dem bezeich­nen­den Titel Kli­ma­fol­gen­ma­nage­ment hin­ge­gen, wird kein Hehl dar­aus gemacht, dass die Ursa­chen nebst (men­schen­ge­mach­tem) Kli­ma­wan­del in loka­len polit-ökonomischen Ent­schei­dun­gen zu ver­or­ten sind: 

Es sind »die Ver­tie­fung von Elbe und Hafen­be­cken sowie die starre Siche­rung der Ufer, [die] zur Folge [haben], dass die Was­ser­schicht auf einen engen Fließ­raum begrenzt bleibt und sich nicht in die Flä­che, son­dern nur in die Höhe aus­deh­nen kann. Tiden­hub und Sedi­men­ta­tion wer­den auf diese Weise ver­stärkt, folg­lich nimmt auch der Auf­wand für die Aus­bag­ge­rung zu.« 

Die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels könn­ten gemäß der Stu­die nur dann aus­ge­gli­chen wer­den, wenn die dyna­mi­sche Schaf­fung von wei­te­rem Schwemm­land – wie die zur­zeit dis­ku­tierte Anbin­dung der Dove-Elbe an das Tiden­ge­wäs­ser –, eine tech­no­lo­gi­sche Regu­lie­rung der Was­ser­ströme und der Bau immer mas­si­ve­rer Hoch­was­ser­schutz­an­la­gen for­ciert wür­den. All diese Maß­nah­men sind eine Reak­tion auf stei­gende Pegel­stände. Sie stel­len nicht in Frage, wes­halb die Elbe und Hafen­be­cken ver­tieft und wes­halb Ufer starr gesi­chert wer­den müs­sen. Der Schutz vor der Natur­ge­walt Was­ser erweist sich als gutes Argu­ment bei der Expan­sion von Stadt und Hafen. Nicht die Pro­duk­ti­ons­weise des Men­schen, son­dern die ihm äußere Natur erscheint als jener Wir­kungs­be­reich, den es tech­nisch zu beherr­schen gilt – qua Klimafolgenmanagement. 

Triumph über die Natur?

Die Archi­tek­tur der Elb­phil­har­mo­nie bringt das Ver­hält­nis von Herr­schern und Beherrsch­tem mit den Mit­teln moder­ner Bau­kunst über­spitzt zum Aus­druck: Der Mensch schafft die sta­bilste und größte aller Wel­len selbst, nicht weil er es muss, son­dern weil er es kann. Vor die­sem Hin­ter­grund wird Bug­gen­houts Skulp­tur mit Ver­weis auf die bibli­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel nach­voll­zieh­bar. Ein tech­nisch hoch kom­ple­xes Orches­ter­ge­bäude bedarf kei­ner Kai­mauer. Es wurde inmit­ten der Elbe erbaut, der Aus­sage fol­gend any­thing goes. »Denn nun wird ihnen nichts mehr ver­wehrt wer­den kön­nen von allem was sie sich vor­ge­nom­men haben zu tun«. Das klingt grö­ßen­wahn­sin­nig, aber immer­hin könne nun jede:r Besucher:in ein »biss­chen Fürst« sein – schwärmt Chris­tian Mar­quart in der Archi­tek­tur­zeit­schrift Bau­welt. Die gigan­ti­schen Bau­kos­ten von 866 Mil­lio­nen Euro recht­fer­tigt das nicht. Auch die Plaza, die man wäh­rend der Öff­nungs­zei­ten der Elb­phil­har­mo­nie gegen ein Ein­tritts­geld von 2,00 Euro pro Besucher:in betre­ten darf, lässt sich schwer­lich als öffent­lich bezeichnen. 

Mar­quart sieht in der wel­len­för­mi­gen Krone ein Bild­zi­tat aus dem berühm­ten Werk Die große Welle vor Kana­gawa des japa­ni­schen Holz­schnei­ders Hoku­sai. Hoku­sais Werk jedoch erweckt Ehr­furcht ange­sichts der gewal­ti­gen Natur. Der 110 Meter hohe sta­ti­sche Wel­len­kamm der Elphi ist hin­ge­gen der­ma­ßen gigan­tisch, dass er die rea­len Was­ser­wo­gen, die die Phil­har­mo­nie umge­ben, ihrer Lächer­lich­keit preis­gibt. Das Bau­werk zwingt dem es umge­ben­den Was­ser ihren instru­men­tel­len Begriff von Natur und Natur­be­herr­schung auf. Eine sol­che Ver­keh­rung ist Aus­druck gesell­schaft­li­cher, und spe­zi­ell der Ham­bur­ger, Ver­hält­nisse. Die Rie­sen­welle bringt diese, wenn auch unfrei­wil­lig, so doch gelun­gen zum Aus­druck. Sie macht sich den Begriff des Was­sers zu eigen und kei­nen Hehl dar­aus, wer hier über die Natur tri­um­phiert. Sie ist eine Kampf­an­sage an die Natur. 

Erste Ent­würfe der Elb­phil­har­mo­nie ent­stan­den 2003 mit dem Ziel, ein neues Wahr­zei­chen für die Stadt zu erschaf­fen. Zu jener Zeit war Ger­hard Schrö­der Bun­des­kanz­ler, Ole von Beust Ham­burgs Ers­ter Bür­ger­meis­ter und in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit wurde zag­haft begon­nen, über den Klimawan­del zu dis­ku­tie­ren. Das Bewusst­sein dar­über, dass es sich um eine aus­ge­wach­sene Klimakrise han­delt, folgte all­mäh­lich. So ersetzte der Guar­dian z.B. den Begriff cli­mate change durch dras­ti­sche­res Voka­bu­lar.3The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«. Damit schien sich ein neues Bewusst­sein des Ver­hält­nis­ses von Mensch und Natur zumin­dest anzu­deu­ten, das die bis­he­rige Natur­be­herr­schung irgend­wann ein­mal ablö­sen könnte. Die Elb­phil­har­mo­nie, das tech­nisch per­fekte, hoch­kul­tu­relle Wahr­zei­chen der Stadt Ham­burg, mit inte­grier­tem Park­haus, Hotel und teu­ren Eigen­tums­woh­nun­gen wirkt dage­gen wie eine Trutz­burg der in die­sem Bei­trag nach­ge­zeich­ne­ten Ära. Ihr Bau­stil kann damit als stein­ge­wor­dene Herr­schafts­ar­chi­tek­tur bezeich­net wer­den, errich­tet in einer Zeit, in der eine unbe­herrsch­bare Flut noch nicht vor­stell­bar schien. 

Norika Reh­feld, Mai 2021 

Die Autorin ist Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, arbei­tet aus Über­zeu­gung nicht im Wis­sen­schafts­be­trieb und fin­det die Kaprio­len, die in der Elb­phil­har­mo­nie zur Opti­mie­rung der Akus­tik geschla­gen wur­den, tat­säch­lich super.

  • 1
    Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]
  • 2
    Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1
  • 3
    The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«.