Angriff der Stuckstaffel
Die Versuche konservativer und rechter Akteure, durch die Rekonstruktion alter Gebäude das Stadtbild gemäß ihrer politischen Programmatik umzugestalten, nehmen in vielen deutschen Städten zu. Auch in Hamburg plädiert die AfD für den gebauten Geschichtsrevisionismus. Am Schulterblatt wurden derweil steinerne Tatsachen geschaffen.

Es gibt keine genuin rechte Architektur, aber offensichtlich gibt es Architektur, die Konservativen und Rechten gefällt. Ein Beispiel dafür findet sich seit einiger Zeit unweit der Roten Flora, am Schulterblatt 37–39. Wo viele Jahre eine Baulücke klaffte, steht seit etwas mehr als zwei Jahren wieder ein Wohnhaus. Durch seine gründerzeitliche Architektur wirkt es, als blicke seine Fassade bereits seit der Jahrhundertwende über das Kopfsteinpflaster. Es ist jedoch, wie gesagt, ein Neubau.
Der Verein Stadtbild Deutschland zeichnete das Haus 2023 als »Gebäude des Jahres« aus. Drei Jahre zuvor hatte er den umstrittenen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses prämiert; 2018 ein Haus in der sogenannten Neuen Frankfurter Altstadt. Nicht zufällig waren an den beiden letztgenannten Projekten auch Rechte und Rechtsextreme finanziell und ideell beteiligt. Diese Form der Rekonstruktionsarchitektur lässt sich mit dem Architekturkritiker Philipp Oswalt als Identitätspolitik begreifen; der Architekturtheoretiker Stephan Trüby spricht von rechten Räumen. Aus dem Stadtbild werden sowohl die emanzipatorischen Ideen der Moderne als auch die Spuren nationalsozialistischer Herrschaft getilgt. Städtebaulich wird die Zeit zurückgedreht: In der deutschen Geschichte vor dem Ersten Weltkrieg findet sich eine vermeintlich unbelastete Heimat, ein positiver Identitätsanker.

Der Verein, der dem Haus am Schulterblatt den Preis verlieh, lässt sich zumindest als rechtsoffen verstehen. Etwa unterstützte er auch den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam – für Trüby ein »Nexus von rechtem Gedankengut, Geschichtsrevisionismus und Rekonstruktionsengagement«, wie er 2024 in einem Beitrag in der Zeitschrift dérive schrieb. Womöglich ist es auch kein Zufall, dass die Mitglieder des Vereins sich 2023 per Online-Abstimmung für ein Wohnhaus im Schanzenviertel entschieden, das Unkundigen nach wie vor als linksalternativ gilt.
Die Stadt als Arena des Kulturkampfes
Tatsächlich ist die gebaute Umwelt unserer Städte längst zu einer Arena des Kulturkampfes geworden, den die Rechte immer erfolgreicher bestreitet. Davon zeugen nicht zuletzt Instagram-Seiten und Facebook-Gruppen mit tausenden Follower:innen wie der selbsternannten »Architektur-Rebellion«. Als digitaler Arm der Stuckstaffel plädieren auch ihre Mitglieder für alte Baustile als Ausdruck regionaler Identitäten.
Die prominentesten Rekonstruktionsbauten finden sich in Deutschland bislang in Berlin, Potsdam und Frankfurt. Doch auch in Hamburg bringt sich die AfD-Fraktion seit einiger Zeit in Stellung, um das Stadtbild ihrem politischen Programm gemäß umzugestalten. In den Anträgen und Pressemitteilungen der Fraktion ist etwa die Rede von einer Rückkehr zu traditionellen Baustilen im Allgemeinen und zur Backsteingotik im Besonderen sowie vom Erhalt älterer Gebäude aus identitären Gründen. Gefordert werden zudem neue Studiengänge, die sich der Rekonstruktionsarchitektur widmen sollen.
Die Hamburger AfD benennt auch konkrete Vorhaben. Dazu gehört – analog zum Frankfurter Projekt – die »Neue Altstadt Hamburg«, wie es im Programm der Partei zur Bürgerschaftswahl 2025 heißt. Diese soll rund um den Hopfenmarkt, der einst die Nikolaikirche umgab, gebaut werden. In einem Antrag an die Hamburgische Bürgerschaft im Jahr 2021 forderte die Fraktion sogar, die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Nikolaikirche nach historischer Vorlage wiederaufzubauen. Die Ruine ist heute ein zentraler Hamburger Erinnerungsort an die Opfer nationalsozialistischer Herrschaft. Könnte an dessen Stelle nicht, wie es im Antrag heißt, eine »Freifläche mit hoher Aufenthaltsqualität« entstehen?
Zusammen mit weiteren Vorstößen zum Erhalt des Bismarckdenkmals, aber auch zur Rückkehr einer Statue Kaiser Wilhelms I. auf den Rathausmarkt zeigt sich hier eine Funktion neurechter Architektur: Sie soll die Spuren der NS-Herrschaft und der Erinnerung an sie aus dem Stadtbild tilgen. Wie auch in ihrer geschichtspolitischen Programmatik will die Hamburger AfD die »über tausendjährige Geschichte Deutschlands« in ihren vermeintlich positiven Seiten zeigen und darüber eine als verloren geltende nationale Identität – und dazu gehören entsprechende Gebäude – wiederherstellen.
Ideologische Fassaden
Dass ein solches Programm notwendigerweise Illusionen und Ideologie produziert, liegt auf der Hand. Ein älteres Beispiel Hamburgischer Rekonstruktionsarchitektur findet sich in der Neustadt. Unter anderem in der Peter- und der Neanderstraße ließ der Kaufmann Alfred Toepfer seit den 1960er Jahren Wohnhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts wiederaufbauen, die einst an anderen Orten der Stadt das Großbürgertum beherbergten. Zu Recht stand Toepfer, der sich im Nationalsozialismus auch durch volkstumspolitisches Engagement hervortat, mit seinem Vorhaben schon seinerzeit in der Kritik – befand sich doch mit der sogenannten »Judenbörse« hier einst ein Ort jüdischen Lebens.

Die Neustadt war zudem, wie es an den Resten des Gängeviertels noch zu erahnen ist, zuvor ein proletarisches Viertel. Es zeichnete sich also gerade nicht durch großzügiges Barock, sondern durch beengte Mietskasernen aus. Mit den neuen Bürgerhäusern Toepfers verschwand also auch das, was die AfD in ihrer Schwelgerei für das Kaiserreich nur zu gerne vergisst: Die sozialen Verwerfungen der Industriemoderne, die sich insbesondere in der beschleunigten Industrialisierung des Deutschen Reichs im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Großstädten zeigten.
Aus dieser bereits zeitgenössisch wahrgenommenen Beschleunigung gingen nun wiederum jene gründerzeitlichen Fassaden hervor, die heutzutage nachgebildet werden und etwa am Schulterblatt ein wohliges Gefühl »guter alter Zeit« vermitteln. Der wirtschaftliche Aufschwung nach der Reichsgründung endete 1873 jäh im Gründerkrach; vermehrt traten nun im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die negativen Folgen der Hochindustrialisierung ins Bewusstsein. Die daraufhin einsetzende konservativ-reaktionäre Kulturkritik entdeckte in ihrer Suche nach Ordnung den Wert des Vergangenen. Nicht nur florierten der Heimat- und Denkmalschutz, sondern auch der Historismus.
Die rezente Rekonstruktion gründerzeitlicher Wohnhäuser wiederholt als Farce, was einst Tragödie war. Die verzierten Fassaden fungieren auch heute als Stabilitätsanker in einer erneuten Phase erfahrener Beschleunigung. Ein entfesselter Finanzmarktkapitalismus, der auch die letzten Reste bürgerlicher Behaglichkeit verdampft, produziert diese nun und für jeden sichtbar als Schein. Die Investor:innen des Hauses am Schulterblatt entschieden sich offenbar vor allem deshalb für die gründerzeitliche Architektur, da sie auf dem Immobilienmarkt hohe Profite verspricht. Das Geld für das bis heute nahezu unbewohnte Haus floss von der Familie Landschulze, die für ihre leerstehenden Gründerzeitrekonstruktionen berühmt und berüchtigt ist – aus Spekulationsgründen, wie angenommen wird. Die neoliberale Stadt kapitalisiert ein stärker werdendes – und von ihr produziertes – kompensatorisches Bedürfnis. Jene vermeintliche Wurzellosigkeit die der modernen Architektur vorgehalten wird, bringt heute verschnörkelte Altbauten hervor.
Die Moderne als »Einheitsbrei«?
Es bedarf jedoch offenbar mehr als Ideologiekritik, um dem rechten Rekonstruktionswahn etwas entgegenzusetzen. Unerwartete Schützenhilfe kommt von der AfD selbst. Im Landtag Sachsen-Anhalts brachte die dortige Fraktion einen Antrag ein, der für eine »kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus« plädierte, es sei ein »Irrweg der Moderne« gewesen. Die Rechten stört unter anderem eine, wie sie es ausdrücken, »universelle Ästhetik«, wodurch »individuelle und regionale Besonderheiten verloren« gingen, ebenso wie die vermeintlich »traditionellen und kulturellen verankerten Vorstellungen von Wohn- und Lebensräumen«. Neben der »Nähe zum Kommunismus« führen die AfDler:innen auch den architektonischen »Einheitsbrei« des Bauhauses an, der »lokale Identitäten« verdränge und »regionale Eigenheiten« verwässere.
Im Jahr 2011 schrieb die heutige Leiterin des Hamburger Ortsverbandes des Vereins Stadtbild Deutschland einen Leserbrief an das Hamburger Abendblatt und sprach darin von der »austauschbaren Architektur des nüchternen Pragmatismus«. Es ging um die in der Tat wenig gelungene SAP-Zentrale am Rothenbaum. Doch geriet der Leserbrief zu einer Generalabrechnung: »Dieser moderne architektonische Einheitsbrei ist nicht mehr zu ertragen.«
Nun gibt es, wie einleitend erwähnt, keine rechte Architektur – und damit ebenso wenig eine linke. Die als »Einheitsbrei« diffamierte moderne Architektur konnte ebenso vom Faschismus aufgegriffen werden, wie es sich im italienischen Razionalismo zeigt. Nichtsdestotrotz existiert offenbar eine Formsprache, die im wahrsten Sinne des Wortes zu glatt für identitäre Stabilitätsanker ist. Nicht zuletzt war das, was seitens der AfD und anderen als moderne Architektur verschmäht wird, eine andere Antwort auf die Verwerfungen der Industriemoderne. Statt in eine imaginäre Vergangenheit zurückzukehren, war es der Versuch, mit den Mitteln der Moderne eine bessere Stadt für alle zu schaffen.

Nun gilt es zwar wiederum nicht selbst die Vergangenheit als Problemlöserin zu mobilisieren, aber: Ein wohlfahrtstaatlich organisierter Städtebau, der auf funktionale und schnörkellose Gebäude setzt, könnte sowohl eine Antwort auf eine rechte Politik regressiv-identitärer Architektur als auch auf die neoliberale Stadt der hohen Mieten sein. Zudem zeigt sich bei einem Blick auf aktuelle Ideen partizipativer Stadtplanung, wie sie etwa für das zum Spekulationsobjekt verkommene Holstenareal vorliegen, zweierlei. Erstens bedarf es keineswegs traditioneller Baustile und des Stucks, um abwechslungsreiche Stadtviertel zu schaffen. Zweitens integriert der Entwurf auch gründerzeitliche Bestandsbauten, ohne sich in Ewiggestrigkeit zu verlieren. Gemeinschaft entstünde in solchen Stadtvierteln nicht durch das Imaginäre der Nation, sondern durch ein tatsächlich gelebtes Miteinander.
Das Problem der Postmoderne
Jedoch ist das, was die Rechte unter dem Sammelbegriff moderne Architektur fasst und ablehnt, auch von anderer Seite in die Kritik geraten. Ein Hang zu Regionalismen und identitären Formen zeigt sich auch in der heterogenen Strömung postmoderner Architektur.

Etwa wurde gegen Ende des Jahres 2024 im Hamburger Südosten, in Kirchwerder, ein Schulbau fertiggestellt, der an die »ortstypische Bautradition« bäuerlicher Langhäuser angelehnt ist. Dieser Bau, das sei hier unterstrichen, ist weder eine Rekonstruktion nach historischem Vorbild noch wurde er von rechten Spender:innen finanziert. Und auch der Innenausbau ist funktional gehalten, unverputzter Beton. Die Fassade des Hauses jedoch will die Eigen-Artigkeit der regionalen Kulturlandschaft betonen, wie es in einer Pressemitteilung des Jahres 2021 heißt. Als Vorbild diente auch das Rieck Haus – eines der ältesten erhaltenen Bauernhäuser Norddeutschlands, das seit 1940 unter Denkmalschutz steht. Der Architekt des Schulbaus spricht von »identitätsstiftenden historischen Baukörpern«.
Es geht nun nicht darum, die architektonische Leistung zu schmälern – auch nicht das Gebäude selbst, das funktional und in gewisser Hinsicht auch ästhetisch ansprechend ist. In einer Zeit jedoch, in der der gebaute Raum der Stadt wieder derart von Rechten politisiert und vereinnahmt wird, gilt es Orte zu schaffen, die sich qua ihrer Form und Materialität diesen Vereinnahmungen auch dann widersetzen können, wenn die parlamentarische Vertretung der Stuckstaffel weiter auf dem Vormarsch ist.
Johannes Radczinski, September 2025
Der Autor schrieb auf Untiefen bereits über andere Abgründe in Stein gemeißelter Geschichtspolitik wie den sogenannten »Grünen Bunker« an der Feldstraße und das von dort nicht weit entfernte Bismarckdenkmal.