98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

Vor 98 Jah­ren begann der »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Der letzte Revo­lu­ti­ons­ver­such in Ham­burg schei­terte zwar bei­nahe sofort, wirkte aber in der Kar­riere Ernst Thäl­manns und der Sta­li­ni­sie­rung der KPD nach. Wie kann eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den weit­ge­hend ver­ges­se­nen Ereig­nis­sen von damals heute aussehen?

Eins von offen­bar weni­gen Bil­dern der Auf­stän­di­gen. In Barm­bek (Ham­bur­ger Str. Ecke Schma­len­be­cker Str.) wird eine Bar­ri­kade errich­tet. Foto: unbekannt

Heute, am 23. Okto­ber 2021, jährt sich zum 98. Mal der soge­nannte »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Zwei oder drei, höchs­tens vier Tage lang lie­fer­ten Anhänger*innen der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei sich mit der Poli­zei in Ham­burg und den angren­zen­den preu­ßi­schen Gemein­den Wands­bek und Schiff­bek (heute Bill­stedt) einen bewaff­ne­ten Stra­ßen­kampf. Sie stürm­ten in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 23. Okto­ber Poli­zei­wa­chen in Arbeiter*innenstadtteilen, um Gewehre und Pis­to­len zu erbeu­ten und ver­schanz­ten sich auf Dächern und hin­ter Bar­ri­ka­den. Vor allem in Barm­bek und Schiff­bek konn­ten sie einige Stra­ßen­züge zunächst ver­tei­di­gen, ins­ge­samt aber war der Auf­stands­ver­such von Beginn an zum Schei­tern ver­ur­teilt. Er wurde blu­tig niedergeschlagen.

Dem Auf­stand gin­gen in einer Hoch­phase der Infla­tion spon­tane Hun­ger­re­vol­ten und Plün­de­run­gen vor­aus, zudem rechts­extreme Putsch­ver­su­che in Bay­ern und zuge­spitzte Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen KPD und SPD. Geschei­tert ist er nicht erst mili­tä­risch, son­dern schon poli­tisch im Vor­feld. Er wurde vom »ultra­lin­ken« Flü­gel der Ham­bur­ger KPD unter Füh­rung von Hugo Urbahns, Hans Kip­pen­ber­ger und Ernst Thäl­mann gegen den Mehr­heits­wil­len der Par­tei aus­ge­ru­fen und erhielt keine nen­nens­werte Hilfe von außer­halb. Es waren zwar große Teile des Ham­bur­ger Pro­le­ta­ri­ats poli­tisch in Bewe­gung, doch sie und die breite Bevöl­ke­rung unter­stütz­ten die etwa 300 kämp­fen­den Kommunist*innen offen­bar nicht maßgeblich.

Fol­gen­los blieb der Auf­stand aber kei­nes­wegs. Natio­nale und kon­ser­va­tive Kreise nutz­ten ihn in Ham­burg und der Repu­blik zur Agi­ta­tion für Aus­nah­me­ge­setze und den Abbau demo­kra­ti­scher Rechte. In der KPD dage­gen wurde er schnell zum Mythos. Die Dis­kus­sion über die Schuld für das Schei­tern in Ham­burg ent­schied die Kom­in­tern 1924, indem sie die »rech­ten«, mode­ra­ten Kräfte in der KPD ver­ant­wort­lich machte. So konnte der »ultra­linke« mos­kau­hö­rige Flü­gel in der KPD zur Macht gelan­gen und Ernst Thäl­mann zum Vor­sit­zen­den auf­stei­gen. Damit trug der Ham­bur­ger Auf­stand letzt­lich zur 1924 begin­nen­den Bol­sche­wi­sie­rung und Sta­li­ni­sie­rung, auch der deut­schen KP, bei. Deren »ultra­linke« Poli­tik ab 1929 spielte bekannt­lich eine wesent­li­che Rolle in der Kata­stro­phe, dass keine Ein­heits­front von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu Stande kam. In der Geschichts­schrei­bung der spä­te­ren KPD und der offi­zi­el­len Ver­sion der DDR wurde er den­noch zu einem heroi­schen, aber ver­ra­te­nen Auf­stand sti­li­siert, der Vor­bild für die kom­mende Revo­lu­tion sein sollte. Das wie­derum dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er heute selbst unter radi­ka­len Lin­ken weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Es ist doch nicht »unser« Auf­stand, nicht »unser« Kom­mu­nis­mus, der da geschei­tert ist. Gefei­ert wird er selbst in Ham­burg nur von eini­gen tra­di­tio­nell kom­mu­nis­ti­schen Lin­ken im Umfeld der DKP.

Diese Igno­ranz aber geht in jene Falle, die Bini Adamc­zak in Ges­tern Mor­gen für die kom­mu­nis­ti­sche Auf­ar­bei­tung des Sta­li­nis­mus ins­ge­samt benannt hat:

»In ihrer Rhe­to­rik des Bruchs mit einer Ver­gan­gen­heit, mit der sie nicht bre­chen kön­nen, weil sie sie beschwei­gen, sie nicht ein­mal ken­nen, bestä­ti­gen diese Kom­mu­nis­tin­nen der Gegen­wart die Behaup­tung ihrer Geg­ner, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, weil für sie diese Geschichte been­det ist. Als gäbe es keine Vor­fah­ren, als habe es keine Vor­kämp­fe­rin­nen gege­ben. Aber die ver­gan­ge­nen Kämpfe um die Zukunft zu begra­ben bedeu­tet unter den fort­wir­ken­den Bedin­gun­gen der Nie­der­lage nichts ande­res als die Zukunft selbst, eine andere Zukunft zu begra­ben.« 1Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25

Wer eine kom­mu­nis­ti­sche Revo­lu­tion noch immer für not­wen­dig hält oder gar die Selbst­be­zeich­nung »revo­lu­tio­när« bean­sprucht, muss die geschei­ter­ten Revo­lu­ti­ons­ver­su­che – zumal im eige­nen Land, in der eige­nen Stadt – als Teil der eige­nen Geschichte begrei­fen. Sie als Geschichte der Ande­ren, der Anti­imps, der DKP, der Paläomarxist*innen abzu­tun, gibt den Anspruch Preis, das Befrei­ungs­ver­spre­chen der Ver­gan­gen­heit doch noch Gegen­wart wer­den zu lassen.

Den »Ham­bur­ger Auf­stand« als Teil der eige­nen Geschichte anzu­er­ken­nen kann jedoch nicht hei­ßen, einer blo­ßen (mili­tä­ri­schen, poli­ti­schen, orga­ni­sa­to­ri­schen, stra­te­gi­schen…) Nie­der­lage glo­ri­fi­zie­rend zu geden­ken, also »sol­che Revo­lu­tio­näre zu Iko­nen zu erhe­ben, die star­ben, bevor sie soweit hät­ten kom­men kön­nen« 2Adamc­zak, S. 26. Es muss der Auf­stand auch als Teil eben des Schei­terns begrif­fen wer­den, das er mit­be­wirkt hat: Das sta­li­nis­ti­sche Total­ver­sa­gen der kom­mu­nis­ti­schen Emanzipation.

Wie kann eine sol­che »kom­mu­nis­ti­sche Trau­er­ar­beit« (Hen­drik Wal­lat) heute aus­se­hen, die weder beschö­nigt, noch Frei­heit unter­stellt, wo die Bedin­gun­gen nicht frei gewählt waren? Ein Blick auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen zum »Ham­bur­ger Auf­stand« zeigt, dass von den 1960ern bis in die 1980er recht rege publi­ziert wurde, seit­dem aber immer sel­te­ner. Die fol­gen­den Hin­weise kön­nen viel­leicht zumin­dest die Hür­den sen­ken, die Aus­ein­an­der­set­zung von neuem zu beginnen:

Einen mit­rei­ßen­den, sprach­lich star­ken, aber ebenso stark ver­klä­ren­den »Erleb­nis­be­richt« hat die rus­si­sche Kom­mu­nis­tin Larissa Reis­ner schon 1924 geschrie­ben. Ihrer Ansicht nach blieb der Auf­stand unbe­siegt, da er sich »plan­mä­ßig zurück­ge­zo­gen« habe:

Larissa Reis­ner: Ham­burg auf den Bar­ri­ka­den und andere Repor­ta­gen. Ber­lin 1960

(Die jüngste Neu­auf­lage des Berichts in einem natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Umfeld (neben Tex­ten von u.a. Otto Stras­ser) durch den Haag + Herchen-Verlag ist zwar mit Blick auf die Geschichte der KPD wohl lei­der nicht ganz zufäl­lig, tut aber Reis­ner und ihrem Bericht Gewalt an.)

Knapp zwei Stun­den Inter­views mit Betei­lig­ten des Auf­stands haben die Dokumentarfilmer*innen Klaus Wil­den­hahn und Gisela Tuch­ten­ha­gen 1971 unter dem Titel »Der Ham­bur­ger Auf­stand Okto­ber 1923« ver­öf­fent­licht. Die voll­stän­dige Fas­sung ist lei­der nur vor Ort im Film­ar­chiv Ber­lin ein­seh­bar. Die Ham­bur­ger Staats­bi­blio­thek bie­tet in einer DVD-Box mit Wil­den­hahns Fil­men zumin­dest eine 45-minütige Kurz­ver­sion zur Aus­leihe an:

Klaus Wil­den­hahn, Doku­men­ta­rist im Fern­se­hen; 14 Filme; 1965 ‑1991. Ber­lin 2010.

Einen kur­zen Über­blick mit Fokus auf die Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der KPD und zwi­schen KPD, SPD und Gewerk­schaf­ten hat Wulf D. Hund 1983 veröffentlicht:

Wulf D. Hund: Der Auf­stand der KPD 1923. In: Hamburg-Studien, S. 32–61. Opla­den 1983.

Eine umfang­rei­che wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung aus enga­gier­ter Per­spek­tive und mit gro­ßem Mate­ri­al­teil lie­fert Karl Hein­rich Biehl:

Karl Hein­rich Biehl: Der Thälmann-Putsch in Ham­burg und Umge­bung. Im Anhang 55 Doku­mente zur poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Situa­tion im Herbst 1923. Ham­burg 2001.

Die jüngste umfas­sende wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lung hat der Ham­bur­ger His­to­ri­ker Joa­chim Paschen 2010 vorgelegt:

Joa­chim Paschen: Wenn Ham­burg brennt, brennt die Welt. Der kom­mu­nis­ti­sche Griff nach der Macht im Okto­ber 1923. Frank­furt am Main 2010.

Eine auf Karl Hein­rich Biehls Arbeit basie­rende Bro­schüre mit (teil­weise gewag­ten) Bezü­gen zur Gegen­wart hat die mitt­ler­weile ver­flos­sene Gruppe »Rotes Win­ter­hude« 2003 vor­ge­legt. Sie sticht als akti­vis­ti­scher Aneig­nungs­ver­such her­aus und lie­fert tolle Details und Beob­ach­tun­gen zur Erin­ne­rungs­po­li­tik. Mit ihrem grot­ti­gen Lay­out und dem post-autonomen Ton­fall ist sie dazu selbst auch schon Zeitdokument:

Rotes Win­ter­hude: Der Ham­bur­ger Auf­stand 1923. Ver­lauf – Mythos – Leh­ren. Ham­burg 2003. Teil 1 und Teil 2 sind über das Inter­net Archive abrufbar.

Felix Jacob

Der Autor forscht pri­vat zu Ham­bur­ger Aufstandsbewegungen.

  • 1
    Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25
  • 2
    Adamc­zak, S. 26

»Arisieren« und Ausbeuten

»Arisieren« und Ausbeuten 

Ham­bur­ger Han­dels­fir­men betei­lig­ten sich wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs inten­siv an der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zungs­herr­schaft im öst­li­chen Europa. Die Geschichte die­ser Zusam­men­ar­beit spielt in der loka­len Erin­ne­rungs­kul­tur prak­tisch keine Rolle. Unser Autor leuch­tet die Hin­ter­gründe des soge­nann­ten »Ost­ein­sat­zes« der Ham­bur­ger Wirt­schaft aus.  

Der »Ehren­hof« zwi­schen Han­dels­kam­mer und Rat­haus. Foto: Klaus Bär­win­kel / Wiki­me­dia Com­mons, Lizenz: CC BY 4.0

In Ham­burg hat der Gemein­platz, dem­nach Geld die Welt regiere, eine städ­te­bau­li­che Ent­spre­chung: An das impo­sante Ham­bur­ger Rat­haus schließt ein wei­te­res reprä­sen­ta­ti­ves Bau­werk unmit­tel­bar an: Die Börse, Sitz der Ham­bur­ger Han­dels­kam­mer, ist durch einen gemein­sa­men »Ehren­hof« mit den Räu­men der Ham­bur­gi­schen Bür­ger­schaft ver­bun­den. Dass Archi­tek­tur den Zusam­men­hang von poli­ti­scher Herr­schaft und wirt­schaft­li­cher Macht der­art ver­sinn­bild­licht, scheint indes eine han­sea­ti­sche Beson­der­heit zu sein: In Bre­men resi­diert die Han­dels­kam­mer im »Haus Schüt­ting« – mit Blick auf das Rathausgebäude. 

Wie diese Bau­lich­kei­ten erah­nen las­sen, bil­de­ten die han­se­städ­ti­schen Kauf­mann­schaf­ten bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein die unan­ge­foch­te­nen gesell­schaft­li­chen Eli­ten ihre Städte. Dass ins­be­son­dere Ham­burg dabei ein kolo­nia­les Erbe mit sich schleppt, gewinnt lang­sam an erin­ne­rungs­kul­tu­rel­ler Bedeu­tung. So betei­ligte sich eine ganze Reihe von Ham­bur­ger Kauf­leu­ten maß­geb­lich am Erwerb deut­scher Kolo­nien in Afrika. Weni­ger bekannt ist, dass die hie­sige Kauf­mann­schaft – selbst­er­klärte »ehr­bare Kauf­leute« – tief in natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­bre­chen­s­kom­plexe invol­viert waren. Dabei geht es nicht nur um die Teil­habe Ham­bur­ger Unter­neh­mer an der Ver­drän­gung und Ent­eig­nung jüdi­scher Gewer­be­trei­ben­der, der soge­nann­ten »Ari­sie­rung« . Zahl­rei­che his­to­ri­sche Quel­len (und nach wie vor nur wenige For­schungs­ar­bei­ten1Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.
) zei­gen zudem, dass han­se­städ­ti­sche Fir­men wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs im besetz­ten Polen und den besetz­ten Tei­len der Sowjet­union aktiv waren.

Wieso betätigten sich hansestädtische Unternehmen im besetzten Polen?

Als die Wehr­macht am 1. Sep­tem­ber 1939 Polen über­fiel, erklär­ten Frank­reich und Groß­bri­tan­nien Deutsch­land den Krieg. Die Bri­ten errich­te­ten sofort eine See­blo­ckade gegen das Deut­sche Reich, die die Wirt­schaft Ham­burgs und Bre­mens von ihren über­see­ischen Betä­ti­gungs­fel­dern abschnitt. Die Han­dels­kam­mern und ihre Mit­glieds­fir­men such­ten nun hän­de­rin­gend nach alter­na­ti­ven Geschäfts­mög­lich­kei­ten inner­halb Euro­pas. Die Ham­bur­ger Kauf­mann­schaft hatte bereits in den Vor­jah­ren ein dich­tes Lob­by­netz­werk in die Insti­tu­tio­nen des NS-Staats ein­ge­floch­ten und koope­rierte eng mit dem ham­bur­gi­schen NSDAP-Gauleiter Karl Kauf­mann und des­sen Appa­rat. Die Ham­bur­ger Außen­han­dels­kauf­leute lit­ten näm­lich seit 1933 unter der NS-Rüstungspolitik, die der Indus­trie zwar nutzte, den Außen­han­del aber mas­siv ein­schränkte. Auf der Suche nach Kom­pen­sa­tion ban­den sich die Kauf­mann­seli­ten an den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schafts­ap­pa­rat. Die­ser eröff­nete den Kauf­leu­ten wie­derum die Per­spek­tive, an der »Ari­sie­rung« sowie der ter­ri­to­ria­len Expan­si­ons­po­li­tik NS-Deutschlands auf pro­fi­ta­ble Weise teil­zu­ha­ben. So hat­ten die Ham­bur­ger NSDAP-Führung und die Han­dels­kam­mer nach dem »Anschluss« Öster­reichs 1938 dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, dass ham­bur­gi­sche Han­dels­fir­men und Spe­di­tio­nen von der »Ari­sie­rung« in der Han­dels­me­tro­pole Wien profitierten.

Die Erobe­rung Polens nahm han­sea­ti­schen Unter­neh­mern also ihr tra­di­tio­nel­les Arbeits­feld, eröff­nete jedoch gleich­zei­tig neue Fel­der, die Aus­gleich zu ver­spre­chen schie­nen. In den zen­tral­pol­ni­schen Gebie­ten, die die Deut­schen als »Gene­ral­gou­ver­ne­ment« (GG) unter­war­fen, ergab sich im Früh­jahr 1940 eine wirt­schaft­li­che Koope­ra­tion mit dem NS-Besatzungsapparat. Und zwar beschloss die Regie­rung des GG in Kra­kau, han­se­städ­ti­sche Han­dels­fir­men für eine Tätig­keit im besetz­ten Gebiet her­an­zu­zie­hen. Um die pol­ni­sche Wirt­schaft für deut­sche Zwe­cke zu mobi­li­sie­ren, soll­ten die Kauf­leute ein neues Han­dels­sys­tem auf­bauen. Der bis­he­rige pol­ni­sche Han­del galt den Natio­nal­so­zia­lis­ten näm­lich als »ver­ju­det«, denn er wurde bis­lang weit­ge­hend von jüdi­schen Kauf­leu­ten getra­gen. Diese woll­ten die Besat­zer nun verdrängen.

Die Regie­rung des Gene­ral­gou­ver­ne­ments – gute Ver­bin­dun­gen nach Ham­burg. Foto: Naro­dowe Archi­wum Cyfrowe Nr. 2–2817

For­ciert durch das han­sea­ti­sche Lob­by­netz­werk und die Han­dels­kam­mern eröff­nete 1940 einige deut­sche Han­dels­fir­men Filia­len im GG, die meis­ten stamm­ten aus Ham­burg und Bre­men. Als das Gebiet nach dem Angriff auf die Sowjet­union 1941 ver­grö­ßert wurde, soll­ten wei­tere fol­gen. Anhand von Archiv­quel­len las­sen sich ins­ge­samt 51 ham­bur­gi­sche Unter­neh­men benen­nen, die in die­sem Teil Polens tätig wur­den. Elf wei­tere Fir­men stamm­ten aus Bre­men. Die Mehr­heit von ihnen arbei­tete unter stren­gen behörd­li­chen Vor­ga­ben als soge­nannte Kreis­groß­han­dels­fir­men, die in den ein­zel­nen Land­krei­sen des GG Nie­der­las­sun­gen eröff­ne­ten, die die NS-Behörden mit Mono­po­len aus­stat­te­ten. Viele der Fir­men war bis 1939 in Kolo­nien tätig gewe­sen. Es befan­den sich dar­un­ter renom­mierte Über­see­häu­ser mit lan­ger Tra­di­tion, zum Bei­spiel C. Woer­mann, G. L. Gai­ser oder Arnold Otto Meyer.

Judenverfolgung und Ausbeutung: Der »Osteinsatz« hanseatischer Kaufleute

Die Kreis­groß­han­dels­fir­men hat­ten dabei eine Dop­pel­auf­gabe. Die erste Auf­gabe bestand darin, mit ihrem so bezeich­ne­ten »Ost­ein­satz« die wirt­schaft­li­che Exis­tenz­ver­nich­tung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung zu unter­stüt­zen, die die NS-Besatzer schnellst­mög­lich durch­füh­ren woll­ten. Die Expro­pria­tion der Jüd:innen hatte anfangs zu schwe­ren Stö­run­gen der Wirt­schaft geführt, da mit ihr der Han­del zusam­men­ge­bro­chen war. Indem die Ham­bur­ger und Bre­mer die öko­no­mi­sche Rolle der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den über­nah­men, konn­ten uner­wünschte Begleit­erschei­nun­gen der »Ari­sie­rung« gemin­dert wer­den. Die Han­se­städ­ter pro­fi­tier­ten somit von der Juden­ver­fol­gung, indem sie an deren wirt­schaft­li­che Stelle tra­ten und deren Waren­be­stände teil­weise über­eig­net bekamen.

Füh­ren­der Kopf die­ser Maß­nah­men war der Ham­bur­ger Öko­nom und Wirt­schafts­funk­tio­när Wal­ter Emme­rich, der eng mit der Han­dels­kam­mer sowie der Ham­bur­ger NSDAP ver­bun­den war und seit Juni 1940 die Wirt­schafts­ab­tei­lung der Kra­kauer Besat­zungs­re­gie­rung lei­tete. Er kon­zi­pierte die Ent­eig­nung der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den als »ras­si­sche Neu­ord­nung« der pol­ni­schen Wirt­schaft. In die­ser soll­ten die han­sea­ti­schen Groß­händ­ler eine Ober­schicht bil­den, die über eine nicht-jüdische pol­ni­sche Mit­tel­schicht herrschte. Als Unter­schicht blie­ben christ­li­che pol­ni­sche Arbei­ter und Bau­ern, denn die jüdi­sche Bevöl­ke­rung sollte voll­stän­dig ver­schwin­den. In der Tat über­gab die NS-Administration die Posi­tio­nen im Ein­zel­han­del, die durch die Ent­eig­nung der Juden frei wur­den, an nicht-jüdische Polen, die damit eben­falls von der anti­se­mi­ti­schen Poli­tik pro­fi­tier­ten. Die ein­hei­mi­schen Klein­kauf­leute waren dabei den han­sea­ti­schen Groß­han­dels­fir­men unter­ge­ord­net. Emme­rich und ins­be­son­dere die Kauf­leute mit Erfah­run­gen in Afrika betrach­te­ten das besetzte Polen und seine Bevöl­ke­rung dabei durch eine kolo­niale Brille. So schrieb etwa der Inha­ber einer Firma, die bis 1939 in afri­ka­ni­schen Ter­ri­to­rien tätig gewe­sen war, in einem Tätig­keits­be­richt von 1944, den das Bre­mer Staats­ar­chiv ver­wahrt: »Einen Begriff vom Wert der Zeit hat der pol­ni­sche Bauer und Klein­händ­ler – auch der Arbei­ter – nicht, und die ganze Pri­mi­ti­vi­tät des Han­dels, der Umge­bung und der Men­schen erin­nerte uns manch­mal stark an Afrika.« 

Der zweite Teil jener Dop­pel­auf­gabe der Fir­men, die ihre Betriebe teil­weise mit kolo­ni­al­wirt­schaft­li­chen »Fak­toreien« ver­gli­chen, bestand darin, die NS-Besatzer bei der Aus­beu­tung der pol­ni­schen Land­wirt­schaft zu unter­stüt­zen. Die Kra­kauer Admi­nis­tra­tion zwang die pol­ni­sche Land­be­völ­ke­rung mit bru­ta­ler Gewalt, ihre Feld­früchte und ihr Vieh an den deut­schen Wirt­schafts­ap­pa­rat zu ver­kau­fen – zu nied­ri­gen, behörd­lich fest­ge­leg­ten Prei­sen. Die Land­wirte schlu­gen ihre Pro­dukte jedoch lie­ber auf dem für sie viel ren­ta­ble­ren Schwarz­markt los, der für die hun­gernde Bevöl­ke­rung über­le­bens­wich­tig war. Um die­sen ille­ga­len Han­del zu unter­bin­den, schu­fen die Besat­zer zusätz­li­che posi­tive Ablie­fe­rungs­an­reize in Form soge­nann­ter »Prä­mi­en­wa­ren«. Bäuer:innen, die ihre Pro­dukte ablie­fer­ten, erhiel­ten Bezugs­scheine mit denen sie die »Prä­mien« erwer­ben konn­ten, die die han­se­städ­ti­schen Kreis­groß­han­dels­fir­men in den Han­del ein­speis­ten. Das waren haupt­säch­lich Tex­ti­lien und andere indus­tri­ell her­ge­stellte Kon­sum­pro­dukte. Mit dem Ver­trieb der »Prä­mien« über­nah­men diese Fir­men eine tra­gende Rolle im NS-Ausbeutungsapparat. Das Prä­mi­en­sys­tem ent­wi­ckelte für die Besat­zungs­wirt­schaft zen­trale Bedeu­tung. Um die Deut­schen zu sät­ti­gen, hun­gerte die NS-Führung skru­pel­los die Men­schen in den besetz­ten Gebie­ten aus. Der Land­wirt­schaft im GG press­ten die Besat­zer Jahr für Jahr immer grö­ßere Getrei­de­men­gen ab, allein 1943/44 waren es 1,5 Mil­lio­nen Ton­nen. Die Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute, die die für die­ses Sys­tem von Peit­sche und Zucker­brot benö­tig­ten »Prä­mien« ver­kauf­ten, stei­ger­ten zugleich ihre Umsätze und Profite. 

»Hamburger Kaufleute vom Generalgouvernement bis zum Kaukasus«

Das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment in Zen­tral­po­len erwies sich für die betei­lig­ten Deut­schen als Erfolg und das GG somit als Ver­suchs­la­bor für viel wei­ter­ge­hende Akti­vi­tä­ten im besetz­ten »Osten«. Nach dem Über­fall auf die UdSSR presch­ten die Ham­bur­ger los, um sich an der Aus­beu­tung die­ser Ter­ri­to­rien eben­falls zu betei­li­gen. Inter­nen Unter­la­gen der Han­dels­kam­mer Ham­burg zufolge wur­den 179 ham­bur­gi­sche Fir­men in den beset­zen Tei­len der Sowjet­union aktiv bezie­hungs­weise waren dafür »vor­ge­merkt»«. Außer­dem arbei­te­ten dem­nach 700 Ham­bur­ger Kauf­leute für die Zen­tral­han­dels­ge­sell­schaft Ost, die die sowje­ti­sche Land­wirt­schaft aus­beu­tete. Der Prä­ses der Han­dels­kam­mer Joa­chim de la Camp froh­lockte in sei­ner Sil­ves­ter­an­spra­che von 1942: »Unter­neh­mer­initia­tive hat fer­ner gerade in Ham­burg einen Weg gefun­den, an den wir vor dem Krieg noch nicht den­ken konn­ten. […] Begin­nend mit der West­grenze des Gene­ral­gou­ver­ne­ments bis zu den Ber­gen des Kau­ka­sus, fin­den Sie zur Erschlie­ßung der wirt­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten Ham­bur­ger Men­schen und Ham­bur­ger Fir­men in gro­ßer Zahl.« Zuvor hatte Hans E. B. Kruse, Vize­prä­ses der Kam­mer, bereits intern fest­ge­stellt, es stehe »Ham­burg im Osten an füh­ren­der Stelle«. An zwei­ter Stelle kamen die zahl­rei­chen Bre­mer Unter­neh­men, die in der besetz­ten UdSSR tätig wur­den. Zwar ste­hen ver­glei­chende For­schun­gen noch aus, doch allem Anschein nach war das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment im besetz­ten Ost­eu­ropa beson­ders groß.

Die Ham­bur­ger Kauf­leute began­nen, den »Osten« als ihr neues Kolo­ni­al­ge­biet zu betrach­ten. In den Vor­jah­ren hat­ten sie noch gehofft, dass Deutsch­land Kolo­nien in Afrika zurück­er­halte. Doch 1941 hieß es etwa bei der Deutsch-Ostafrikanischen Gesell­schaft, einer ham­bur­gi­schen Han­dels­firma, die nun im GG tätig war: »Momen­tan gilt die Parole: Die Kolo­nien lie­gen im Osten!« Die han­sea­ti­schen men­tal maps, die bis­lang auf Län­der und Ter­ri­to­rien jen­seits der Ozeane kon­zen­triert gewe­sen waren, hat­ten sich gewan­delt. In Über­see woll­ten die Kauf­mann­schaf­ten nach dem erwar­te­ten Kriegs­ende erneut tätig wer­den, doch Ost­eu­ropa sollte diese Betä­ti­gungs­fel­der nun wesent­lich ergän­zen. Der Kolo­ni­al­stand­ort Ham­burg passte seine Aus­rich­tung somit an die wirt­schaft­li­che Groß­wet­ter­lage an, die Hit­lers Herr­schaft brachte, der nicht von Kolo­nien in Afrika träumte, son­dern von »Lebens­raum im Osten«. 

An die breite Teil­habe ham­bur­gi­scher Wirt­schafts­kreise an der NS-Besatzungsherrschaft erin­nert in der Stadt fast nichts. Die meis­ten der betei­lig­ten Unter­neh­men, die heute noch exis­tie­ren, wol­len von ihrer pro­ble­ma­ti­schen Geschichte nichts wis­sen. Eine Auf­trags­stu­die der Han­dels­kam­mer von 2015, die bean­spruchte die NS-Geschichte der Insti­tu­tion auf­zu­ar­bei­ten, stieß wegen ihrer beschö­ni­gen­den Stoß­rich­tung auf scharfe öffent­li­che Kri­tik. Zwar bemühte sich die Kam­mer in letz­ter Zeit stär­ker um die »Auf­ar­bei­tung«  ihrer NS-Vergangenheit, etwa indem sie ihrer jüdi­schen Mit­glie­der gedachte, die wäh­rend der NS-Zeit ver­folgt wur­den. Die Dis­kus­sion um die his­to­ri­sche Schuld der han­se­städ­ti­schen Wirt­schafts­eli­ten ist jedoch längst nicht abgeschlossen.

Felix Mat­heis, Okto­ber 2021. 

Der Autor ist His­to­ri­ker in Ham­burg und hat im Rah­men sei­ner Dok­tor­ar­beit inten­siv zur Betei­li­gung Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute an der Besat­zungs­herr­schaft im Gene­ral­gou­ver­ne­ment geforscht.

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    Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
    Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
    Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
    Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.

Begrenzte Solidarität

Begrenzte Solidarität

Der Über­griff auf einen Juden bei einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che am 18. Sep­tem­ber in der Mön­cke­berg­straße bewegte bei der Wie­der­auf­nahme der Mahn­wa­che am ver­gan­ge­nen Sams­tag nur wenige Hamburger:innen. Warum soli­da­ri­sie­ren sich nicht mehr mit dem Opfer? Unser Autor hat sich die Ver­an­stal­tung angesehen.

Die Mahn­wa­che in der Mön­cke­berg­straße am 2. Okto­ber. Foto: privat

Vor knapp drei Wochen wurde ein 60-jähriger Jude auf einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che in der Ham­bur­ger Mön­cke­berg­straße von einem Jugend­li­chen anti­se­mi­tisch belei­digt und kran­ken­haus­reif geschla­gen. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag fand die Mahn­wa­che zum ers­ten Mal seit dem Über­griff wie­der statt. Die Veranstalter:innen der christ­li­chen Gruppe Fokus Israel hat­ten unter dem Motto »Jetzt erst recht« zu einer »Gedenk­ver­an­stal­tung für alle Opfer anti­se­mi­ti­scher Gewalt« aufgerufen. 

Statt der sonst wohl 15 bis 20 fan­den sich dies­mal etwa 60 Teilnehmer:innen ein, um ihre Soli­da­ri­tät mit dem Betrof­fe­nen zu zei­gen. Der Ange­grif­fene konnte das Kran­ken­haus zwar unter­des­sen ver­las­sen, bangt aber laut den Veranstalter:innen nach wie vor um sein Augen­licht und ließ daher sein Gruß­wort nur ver­le­sen. Darin rief er zur »Ver­tei­di­gung der libe­ra­len Gesell­schaft« auf und beklagte, dass er bis heute mit sei­ner (!) Kon­takt­auf­nahme weder Bür­ger­meis­ter Peter Tsch­ent­scher noch die zweite Bür­ger­meis­te­rin Katha­rina Fege­bank zu einer Ant­wort, geschweige denn einer öffent­li­chen Stel­lung­nahme bewe­gen konnte.

Öffent­lich ein­ge­la­den hatte zur Mahn­wa­che am Sams­tag neben Fokus Israel ein­zig die Ham­bur­ger Junge Union. Deren Lan­des­vor­sit­zen­der Phil­ipp Heiß­ner sprach von »unse­ren Wer­ten« bzw. »unse­rer Kul­tur«, die es zu ver­tei­di­gen gelte, und betonte, dass darin auch »pro­vo­kante Mei­nun­gen« ein­be­grif­fen seien. Damit spielte er offen­bar auf den ihm vor­an­ge­hen­den Red­ner an, Ralf-Andreas Mül­ler, laut eige­ner Angabe Theo­loge und tages­schau-Redak­teur, Initia­tor und Kopf der Gruppe Fokus Israel. In sei­nem Rede­bei­trag hatte er, moti­viert durch eine Art poli­ti­sches Ur-Christentum, in aggres­si­vem Ton­fall einem jüdisch-israelischen Natio­na­lis­mus das Wort gere­det. Er griff weit in die Ver­gan­gen­heit aus, um zu pos­tu­lie­ren, dass es keine authen­ti­sche Ver­bin­dung des Islam zum Gebiet des heu­ti­gen Israel gebe und aus­schließ­lich die Juden das Land als »natio­na­les König­reich für sich bean­sprucht« hät­ten. Nach dem Sieg der Römer über die Juden 70 n. Chr. sei die Pro­vinz Paläs­tina annä­hernd 2000 Jahre ver­elen­det und ver­fal­len, ein lee­res und »wüs­tes Land« gewor­den; erst wie­der ein­wan­dernde Juden hät­ten es bewohn­bar gemacht. Die Pointe, auch auf Mül­lers Web­site zu fin­den, ist: Die Juden ver­füg­ten über eine »ent­schei­dende Ver­bin­dung zwi­schen Gott, Volk und Land« – die Mus­lime nicht. Paläs­tina, Paläs­ti­nen­ser, besetzte Gebiete gebe es alles nicht und sie stell­ten des­halb auch kein Pro­blem dar. Chris­ten hin­ge­gen müss­ten Israel als »Her­zens­thema Got­tes […] im Fokus haben, lie­ben und unter­stüt­zen«, um Gott zu ehren, heißt es in einem ande­ren Text auf der Website. 

Ralf-Andreas Mül­ler (mit Mikro) bei der Kund­ge­bung am Sams­tag. Foto: privat. 

Keine Solidarität für proisraelische Juden?

Diese Geschichts­klit­te­rung ist natür­lich unhalt­bar. Den moder­nen israe­li­schen Staat natio­nal­re­li­giös auf eine Mischung aus christ­li­cher Bibel­ex­egese und völ­ki­schem Ver­wur­ze­lungs­my­thos begrün­den zu wol­len, geht völ­lig fehl. Sollte diese Ideo­lo­gie aber der Grund für die geringe Soli­da­ri­sie­rung mit dem Opfer des Über­griffs sein, wäre das den­noch falsch. Wer dem Ange­grif­fe­nen wegen einer bestimm­ten Vor­stel­lung von Israel die Soli­da­ri­tät ver­wei­gert, ver­kennt den Cha­rak­ter des anti­se­mi­ti­schen Angriffs: Offen­sicht­lich schlug der Täter einen Juden als Juden, weil die­ser selbst­be­wusst mit der israe­li­schen Fahne Stel­lung bezog. 

Der Ange­grif­fene fragte in sei­nem ver­le­se­nen Gruß­wort, ob die ver­hal­tene Reak­tion der Ham­bur­ger Poli­tik und Öffent­lich­keit wohl anders aus­ge­fal­len wäre, hätte er als wei­ßer Mann den mut­maß­li­chen Täter, einen Jugend­li­chen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, ange­grif­fen. Die­ses Umkehr­sze­na­rio braucht es aber gar nicht, um das geringe Inter­esse jen­seits der Sprin­ger-Medien ein­zu­ord­nen. Der Ver­gleich mit dem rech­ten anti­se­mi­ti­schen Angriff am 4. Okto­ber 2020 auf einen jüdi­schen Stu­den­ten vor der Syn­agoge in der Hohen Weide ist deut­lich auf­schluss­rei­cher. Vor einem Jahr gab es neben sofor­ti­gen Stel­lung­nah­men von Tsch­ent­scher, Fege­bank, Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­tine Lam­brecht etc. auch eine Mahn­wa­che des lin­ken Ham­bur­ger Bünd­nis­ses gegen Rechts, der sich trotz stren­ger Corona-Maßnahmen damals immer­hin etwa 200 Per­so­nen anschlossen.

Die Ver­mu­tung liegt nahe und wurde von meh­re­ren am Sams­tag Anwe­sen­den geteilt, dass die Bezug­nahme auf Israel hier einen Unter­schied macht. Dort ein Jude bei der Reli­gi­ons­aus­übung, hier ein Jude, der offen­siv mit der blau-weißen Fahne für Israel ein­tritt. Diese expli­zit pro­is­rae­li­sche Posi­tio­nie­rung des Ange­grif­fe­nen ist sicher für viele, zumal viele Linke, ein Ärgernis.

Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus

Dazu kom­men die unter­schied­li­chen Täter­pro­file: Letz­tes Jahr war es ein offen­bar rech­ter, deutsch-kasachischer Ex-Bundeswehrangehöriger in Uni­form und mit Hakenkreuz-Zettel in der Tasche, der für viele Beobachter:innen Par­al­le­len zum rechts­ter­ro­ris­ti­schen Atten­tat vom Okto­ber 2019 in Halle plau­si­bel erschei­nen ließ. Die­ses Jahr ist der mut­maß­li­che Täter ein Jugend­li­cher mit mög­li­cher­weise arabisch-muslimischem Hin­ter­grund. (Laut der Schau­spiel­agen­tur Kokon, die ihn bis zum Über­griff ver­tre­ten hat, spricht Aram A. Ara­bisch. BILD will her­aus­ge­fun­den haben, dass seine Mut­ter Hisbollah- und Assad-Unterstützerin ist.) Das stellt die deut­li­che Ver­ur­tei­lung des Über­griffs in der Wahr­neh­mung wohl auch vie­ler Lin­ker in ein Span­nungs­ver­hält­nis zum eige­nen anti­ras­sis­ti­schen Anspruch. Die Sorge, mög­li­cher­weise anti­mus­li­mi­schen Ras­sis­mus zu bedie­nen, könnte einer Posi­tio­nie­rung im Wege stehen. 

Zwar ist erst wenig über den mut­maß­li­chen Täter bekannt. Warum der mög­li­che arabisch-muslimische Hin­ter­grund für Ham­bur­ger Jüdin­nen und Juden aber rele­vant ist, ver­deut­licht Phil­ipp Strich­arz, Vor­sit­zen­der der Jüdi­schen Gemeinde Ham­burg, in einer Stel­lung­nahme zu dem Angriff: »Es gibt eine poli­tisch auf­ge­hetzte, gewalt­tä­tige Min­der­heit unter den Mus­li­men, häu­fig junge Leute, die mei­nen, sie müss­ten Rache üben für ver­meint­li­ches Unrecht im Nahen Osten. […] Natür­lich gibt es auch die Gefahr von rechts, aber die größ­ten Sor­gen berei­tet den Juden in Ham­burg die Gefahr, die von die­ser Gruppe ausgeht.« 

Die Kund­ge­bung am Sams­tag ließ die­sen Ein­druck inso­fern als plau­si­bel erschei­nen, als gegen­über klas­sisch anti­se­mi­ti­schen Kom­men­ta­ren von Passant:innen (»Alles Lüge!« oder »Na, wer steckt denn hier wohl dahin­ter?«) die anti­zio­nis­ti­schen Rufe (post-)migrantischer Jugend­li­cher und Kin­der à la »Fuck Israel!« und »Free Pal­es­tine!« deut­lich dominierten. 

Gegen sol­che Herr­schafts­ges­ten ist es sicher rich­tig, die pro­jü­di­sche, pro­is­rae­li­sche öffent­li­che Prä­senz auf­recht zu erhal­ten, gegen die die anti­se­mi­ti­sche Wut sich rich­tet. In Abwe­sen­heit lin­ker Soli­da­ri­tät über­neh­men aller­dings vor­erst andere diese Rolle: Für den 16. Okto­ber ruft die Köl­ner jüdi­sche Akti­vis­tin Malca Goldstein-Wolf auf Face­book zu einem »Soli­da­ri­täts­schwei­ge­marsch« unter dem Titel »Kei­nen Fuß­breit auch dem isla­mis­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus« in der Mön­cke­berg­straße auf. Zu den im Auf­ruf genann­ten, meist liberal-konservativen Unter­stüt­zern zählt auch der Ham­bur­ger Anwalt Joa­chim Stein­hö­fel, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren häu­fi­ger als Red­ner und Kom­men­ta­tor für die neu­rechte Zeit­schrift Junge Frei­heit in Erschei­nung getre­ten ist.

Felix Jacob 

Der Autor war zum ers­ten Mal auf einer politisch-christlichen Kund­ge­bung und kann auf Wie­der­ho­lun­gen gern verzichten.

»Man sah uns von Beginn an als Feinde«

»Man sah uns von Beginn an als Feinde«

Die Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg pro­tes­tiert immer wie­der gegen die poli­ti­sche Ver­harm­lo­sung des IZH. Dabei erhielt sie zuletzt sogar Gegen­wind aus der eige­nen Par­tei. Jan Vah­len­kamp, einer ihrer Sprecher:innen, erklärt im Inter­view mit Felix Jacob warum die Ham­bur­ger LINKE sich gegen eine Kund­ge­bung der Gruppe stellte und wieso er nun aus der Par­tei austritt. 

Jan Vah­len­kamp (Bild­mitte) mit dem der­zei­ti­gen Sprecher:innenrat der Eman­zi­pa­to­ri­schen Linken.Shalom sowie Vol­ker Beck bei einer Demo vorm IZH im Mai 2021. Bild: privat.

Untie­fen: Lie­ber Jan, das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH) steht der­zeit öffent­lich in der Kri­tik wie lange nicht mehr. Anläss­lich der Dis­kus­sion um den Staats­ver­trag mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den und, in den letz­ten Wochen, um einen mög­li­chen Platz für die Schura im NDR-Rundfunkrat ist der Außen­pos­ten des ira­ni­schen Mullah-Regimes der zen­trale Streit­punkt zwi­schen FDP, CDU und AfD einer­seits, SPD und Grü­nen ande­rer­seits. Ihr als Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg betei­ligt euch unab­hän­gig von sol­chen Kon­junk­tu­ren schon seit lan­gem immer wie­der an den Pro­tes­ten gegen das IZH. Wie bewer­tet ihr die aktu­elle poli­ti­sche Lage? Mit wem arbei­tet ihr zusammen?

Vah­len­kamp: Wenn die Poli­tik das IZH und den Staats­ver­trag the­ma­ti­siert, dann ist das gut. Wenn das zu einem ober­fläch­li­chen Wahl­kampf­thema zwi­schen dem rech­ten und dem lin­ken Flü­gel der Bür­ger­schaft wird, dann ist das schlecht. Ich glaube aber gar nicht, dass das der Fall ist. Auch bei den Grü­nen wird ja über das IZH dis­ku­tiert. Die grüne Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­nete Gud­run Schit­tek hat schon mal einen Rede­bei­trag auf einer der Kund­ge­bun­gen gehal­ten, ebenso wie der ehe­ma­lige Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete Vol­ker Beck. Ich habe auch schon Leute von der AG Säku­lare der Lin­ken dort gese­hen. Die links­li­be­rale Mopo schreibt recht kri­tisch über das IZH und der SPD-nahe Sascha Lobo hat die Staats­ver­träge in sei­ner Spiegel-Kolumne auch schon kri­ti­siert. Ich glaube, da ist eini­ges in Bewegung.

Bei uns gibt es per­so­nelle Über­schnei­dun­gen mit der »Deutsch-Israelischen Gesell­schaft«, die sich zu dem Thema recht klar posi­tio­niert. Außer­dem haben wir Kon­takt zum »Bünd­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus Kiel«, die jedes Mal anrei­sen, wenn gegen das IZH demons­triert wird. Wir arbei­ten auch mit den Grup­pen »Inter­na­tio­nal Women in Power« und »Nasle Baran­daz« zusam­men, die jeweils Kund­ge­bun­gen gegen das IZH orga­ni­siert haben. Das­selbe gilt auch für den »Zen­tral­rat der Ex-Muslime«.

Untie­fen: Am 07. August fand unter dem Motto »1400 Jahre Geno­zid im Iran – IZH muss geschlos­sen wer­den« erneut eine Kund­ge­bung gegen das IZH statt, orga­ni­siert von der ira­ni­schen Ham­bur­ger Gruppe Nasle Baran­daz (»Sub­ver­sive Gene­ra­tion«), mit­ge­tra­gen von euch. Sie wurde im Vor­feld vom IZH und eini­gen Zei­tun­gen als »anti­mus­li­mi­sche Hetze« dif­fa­miert. Geht diese Stra­te­gie eurer Erfah­rung nach auf?

Vah­len­kamp: Das glaube ich kaum. Ich selbst habe durch die Pres­se­mel­dung über­haupt erst davon erfah­ren, dass da eine Kund­ge­bung geplant ist. Wir haben dann schnell ent­schie­den, dass wir uns öffent­lich hin­ter die Kund­ge­bung stel­len, auch wenn uns das Motto etwas frag­lich erschien. Hin­ter­her gab es dann ja auch einen ziem­lich sach­li­chen Bericht im Ham­burg Jour­nal des NDR. Wenn Leute bereit sind, ein­fach mal zuzu­hö­ren, ver­puf­fen sol­che Dif­fa­mie­run­gen recht schnell.

Ein Bei­spiel: Vor fünf Jah­ren hatte die Links­ju­gend Solid Mina Ahadi vom Zen­tral­rat der Ex-Muslime ein­ge­la­den. Die Ver­an­stal­tung wurde im Vor­feld stark kri­ti­siert und es wurde behaup­tet, Mina Ahadi sei eine Ras­sis­tin. Ich kenne eine Genos­sin, die damals auch in diese Rich­tung pole­mi­siert hat. Heute steht die­selbe Genos­sin mit Mina Ahadi zusam­men auf der Bühne und beide applau­die­ren einander.

Untie­fen: Wie ist das Motto »1400 Jahre Geno­zid im Iran« denn eurer Mei­nung nach zu verstehen?

Die Veranstalter:innen der Kund­ge­bung zie­hen hier den Bogen von der Erobe­rung des Sas­sa­ni­den­rei­ches im 7. Jahr­hun­dert hin zur Isla­mi­schen Repu­blik von heute. So eine Erobe­rung war natür­lich nicht unblu­tig und die Isla­mi­sie­rung nicht das Ergeb­nis einer fried­li­chen Mis­sion. Und bis heute dür­fen Ira­ner, bei Andro­hung dra­ko­ni­scher Stra­fen, ihre Reli­gion nicht frei wäh­len, sie blei­ben zwangs­is­la­mi­siert. Dies wird von man­chen als kul­tu­rel­ler Geno­zid ange­se­hen, bei dem der Islam als Ideo­lo­gie die ira­ni­sche Nation unter­drückt. Eine sol­che Sicht­weise hat schon etwas Natio­nal­ro­man­ti­sches. Aber wie so oft kön­nen wir hier schlecht deut­sche Maß­stäbe an ein Land legen, dass eine ganz andere Geschichte, Gegen­wart, Gesell­schaft und Poli­tik vor­zu­wei­sen hat. Und die­ses Land, also der Iran, hat die Veranstalter:innen nun mal ent­schei­dend geprägt. Die meis­ten von ihnen sind erst vor weni­gen Jah­ren als Flücht­linge hier­her gekommen.

Untie­fen: Vor gut zwei Wochen wur­den von Unbe­kann­ten poli­ti­sche Paro­len auf das IZH gesprüht, offen­bar im Zusam­men­hang mit den Pro­tes­ten gegen das Regime in der Pro­vinz Khu­ze­stan. In der Presse war von einem»Anschlag auf eine Moschee« die Rede. Teilt ihr diese Perspektive?

Vah­len­kamp: Ein Farb­an­schlag ist kein Mit­tel eines demo­kra­ti­schen Dis­kur­ses. Dafür ste­hen andere Mit­tel zur Verfügung.

Ich kann auch ver­ste­hen, dass Lan­des­rab­bi­ner Shlomo Bis­tritzky sich hier mit der Schura soli­da­ri­siert hat. Syn­ago­gen sind ja sehr oft von Farb­an­schlä­gen und ähn­li­chem betrof­fen und wenn diese Gebäude nicht so auf­wän­dig geschützt wären, dann wären sie es wohl noch viel häu­fi­ger. Diese Anschläge wir­ken bedroh­lich und ein­schüch­ternd  – und das ist ja auch beab­sich­tigt. Auch Moscheen waren in den letz­ten Jah­ren immer wie­der das Ziel von xeno­pho­ben Angrif­fen, seien es Brand­an­schläge oder das Able­gen von Schwei­ne­köp­fen oder ähn­li­ches. Für so etwas habe ich abso­lut kein Verständnis.

Beim IZH ist der Fall aber mei­nes Erach­tens nach etwas anders gela­gert. Es ist ja offen­sicht­lich, dass die Tat durch ira­ni­sche Dis­si­den­ten began­gen wurde. Die Paro­len waren in per­si­scher Spra­che und hat­ten poli­ti­schen, auf den Iran bezo­ge­nen Inhalt. Man muss sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass der Iran eines der sehr weni­gen Län­der auf der Welt ist, wo Kle­rus und poli­ti­sche Macht­ha­ber nicht bloß eng mit­ein­an­der ver­strickt sind, son­dern wo der Kle­rus selbst die poli­ti­sche Macht inne­hat. Hier haben sich also Leute quasi an ihren Unter­drü­ckern gerächt und ich denke, das ist etwas ande­res, als wenn man einer Min­der­heit Angst ein­ja­gen möchte. Im Iran würde man für so etwas sei­nen Kopf ver­lie­ren, hier droht nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Untie­fen: Auch die Bür­ger­schafts­frak­tion der Lin­ken hatte vor der Demo in einer Pres­se­mit­tei­lung behaup­tet, hier würde – grade nach dem genann­ten »Anschlag« –  »gezielt Stim­mung gemacht gegen Ham­burgs mus­li­mi­sche Bürger:innen«  und so das  »Zusam­men­le­ben unter­schied­li­cher Kul­tu­ren und Reli­gio­nen« in Ham­burg gefähr­det. Ihr habt diese Dar­stel­lung zurück­ge­wie­sen. Hat eure Par­tei in Ham­burg eine grund­sätz­lich andere Hal­tung zum IZH als ihr?

Vah­len­kamp: Die Linke hat ja über­haupt keine Posi­tion zum IZH. Arbeit, Wirt­schaft und Sozia­les – das sind die The­men der Lin­ken. Aber weder zum Thema IZH noch zum Thema Isla­mis­mus stand irgend­et­was im Bür­ger­schafts­wahl­pro­gramm. Dar­auf ange­spro­chen heißt es dann meist, man wolle keine rech­ten Dis­kurse bedie­nen. Viele ver­ste­hen ein­fach nicht, dass die rech­ten Dis­kurse durch das Igno­rie­ren sol­cher The­men erst recht bedient wer­den. Diese Unbe­darft­heit sah man ja auch der Pres­se­mit­tei­lung an. Da wurde die Hal­tung und Sicht­weise der Schura ein­fach über­nom­men. Dann haben wohl ein paar Leute dort ange­ru­fen und sich beschwert. Dar­auf­hin wurde die Pres­se­mit­tei­lung schnell wie­der kom­men­tar­los aus dem Inter­net entfernt.

Zumin­dest ein Teil der Lin­ken hegt aber auch mehr oder weni­ger offen Sym­pa­thie mit der Isla­mi­schen Repu­blik Iran. Das wirkt natür­lich erst­mal gro­tesk, weil es ein strikt anti­kom­mu­nis­ti­sches Regime ist. Aber es ist eben auch ein erklär­ter Feind des »US-Imperialismus« und das ist man­chen im Zwei­fel wich­ti­ger. Beson­ders die Gruppe Marx21 hat ja immer beson­ders viel Ver­ständ­nis für Isla­mis­ten aller Cou­leur. Ich glaube, sie tun das, weil sie den west­li­chen Libe­ra­lis­mus als gemein­sa­men Feind anse­hen. Im Fall Iran kommt aber auch noch mit hinzu, dass das Land beste Bezie­hun­gen zu den ALBA-Staaten und Putins Russ­land hat. Von daher hat das Regime für man­che Linke den Sta­tus eines Ver­bün­de­ten und da hält man sich dann mit Kri­tik zurück.

Untie­fen: Gibt es aus der Ham­bur­ger Links­par­tei Belege für sol­che Haltungen?

Vah­len­kamp: Ja, zum Bei­spiel pos­tete die Bür­ger­schafts­frak­tion 2017 zum »Inter­na­tio­na­len Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Trans­pho­bie« bei Face­book einen Auf­ruf und erin­nerte daran, dass viele Men­schen auf­grund ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung flüch­ten müs­sen. Dar­auf folgte eine Liste sol­cher Unter­drü­ck­er­staa­ten, wie etwa Saudi-Arabien oder die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate. Auf­fäl­lig war aber, dass der Iran, der auch beim Thema Homo­se­xua­li­tät der Hin­rich­tungs­welt­meis­ter ist, auf der Liste fehlte, ebenso wie Russ­land. Dafür stand dort die Ukraine, obwohl dort homo­se­xu­elle Hand­lun­gen gar nicht ver­bo­ten sind und sich seit dem Euro­mai­dan die Poli­tik für mehr Tole­ranz ein­setzt. Es waren aus­schließ­lich pro­west­li­che Staa­ten auf der Liste ver­zeich­net. Ich fragte dann nach, ob die­ses Weg­las­sen der Achse Moskau-Teheran-Damaskus geschul­det sei.

Das Pres­se­team ant­wor­tete: »Das Enga­ge­ment der LINKEN gegen Dis­kri­mi­nie­rung ist uni­ver­sell und nimmt weder Rück­sicht auf irgend­wel­che kon­stru­ier­ten Ach­sen‹ noch auf den Iran, auf Russ­land oder auf sonst­wen. Und auch nicht auf die­je­ni­gen, die mei­nen, der LINKEN bei wirk­lich jeder Gele­gen­heit die übels­ten Absich­ten unter­stel­len zu müs­sen.« Erst Jahre spä­ter erfuhr ich von der dama­li­gen Prak­ti­kan­tin, die den Auf­ruf geschrie­ben hatte, dass in der ursprüng­li­chen Liste natür­lich auch Iran und Russ­land stan­den. Aller­dings hatte der dama­lige que­er­po­li­ti­sche Spre­cher Mar­tin Dol­zer die Liste vor der Ver­öf­fent­li­chung abge­än­dert. Dol­zer gehört zu einem Kreis von Putin-Lobbyisten, die oft in Russ­land zu Gast sind. Und die ste­hen dann eben auch zu Putins Alliierten.

Untie­fen: Die isra­els­o­li­da­ri­schen Shalom-Arbeitskreise wie ihr waren von Anfang an mar­gi­nal in der Links­ju­gend Solid und Dis­sens besteht sicher nach wie vor in einer gan­zen Reihe von Fra­gen. Wie ist heute das Ver­hält­nis zur Linksjugend?

Vah­len­kamp: Der BAK Shalom in der Links­ju­gend Solid hatte zu Beginn einen schwe­ren Stand, auch wenn das in den ein­zel­nen Lan­des­ver­bän­den unter­schied­lich aus­ge­prägt war. Er wurde natür­lich immer vor dem Hin­ter­grund der »AntiD-Antiimp« Kon­tro­verse gese­hen. Aber dann gab es 2014 die von der Links­ju­gend Solid orga­ni­sierte Demo »Stoppt die Bom­bar­die­rung Gazas – für ein Ende der Eska­la­tion im Nahen Osten« in Essen. Daran nah­men höchst zwei­fel­hafte Gestal­ten teil, die anti­se­mi­ti­sche Sprech­chöre rie­fen, jüdi­sche Ein­rich­tun­gen anzu­grei­fen ver­such­ten und Gegen­de­mons­tran­ten mit Fla­schen bewar­fen. Das war eine Art Schock­mo­ment, der dazu führte, dass im Jahr dar­auf der Antrag »Gegen jeden Anti­se­mi­tis­mus« vom Bun­des­kon­gress der Links­ju­gend Solid beschlos­sen wurde.

Ich glaube, das war das erste Mal, dass ein Antrag vom BAK Shalom ange­nom­men wurde. Heute sind die Struk­tu­ren des BAK Shalom rela­tiv gut ein­ge­bun­den in die Arbeit der Links­ju­gend Solid, was man ja auch an der dies­jäh­ri­gen Erklä­rung »Trauer um die Toten – Hass für die Hamas!« erken­nen kann. Da haben sich einige aus der jüdi­schen und isra­els­o­li­da­ri­schen Com­mu­nity gewun­dert, dass so etwas von den Lin­ken kommt. Die den­ken ja oft, dass wir ihnen feind­lich geson­nen sind. Ich sehe den Jugend­ver­band ins­ge­samt auf einem guten Weg, auch wenn es vor Ort wei­ter­hin sehr unter­schied­lich bleibt.

Untie­fen: Und wie sieht es hier in Ham­burg für Euch aus?

Vah­len­kamp: Hier hapert es nicht zuletzt mit der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie. Vor zwei Jah­ren haben wir uns als ham­bur­gi­scher Lan­des­ver­band der Eman­zi­pa­to­ri­schen Lin­ken zusam­men­ge­schlos­sen, nach­dem wir zunächst drei Jahre unter dem Dach des BAK Shalom im Jugend­ver­band orga­ni­siert waren. Die Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke ist eine inner­par­tei­li­che Strö­mung, die sich an gesell­schafts­li­be­ra­len, radi­kal­de­mo­kra­ti­schen und eman­zi­pa­to­ri­schen Stand­punk­ten ori­en­tiert. Der Lan­des­vor­stand der Lin­ken wollte uns zunächst gar nicht als Zusam­men­schluss aner­ken­nen, obwohl er laut Sat­zung zur Aner­ken­nung ver­pflich­tet ist, wenn die for­ma­len Kri­te­rien erfüllt sind. Dem­entspre­chend konnte die Lan­des­schieds­kom­mis­sion den Nicht-Anerkennungs-Beschluss schnell wie­der aufheben.

Aber man sah uns im Lan­des­vor­stand wohl von Beginn an als Feinde. Unser Antrag an den Lan­des­par­tei­tag 2020, »Keine Lie­bes­grüße nach Mos­kau«, der sich kri­tisch mit Putins Kriegs­po­li­tik aus­ein­an­der­setzte, wurde von der Antrags­kom­mis­sion »ver­se­hent­lich« lay­out­tech­nisch der­ma­ßen zer­hackt, dass er kaum noch les­bar war, bevor der Par­tei­tag dann die Nicht­be­fas­sung beschloss. Im Früh­jahr 2021 haben wir eine Online-Veranstaltungsreihe zu Ver­schwö­rungs­my­then gemacht. Dafür beka­men wir von der Par­tei ein wenig Geld, was aller­dings im Nach­gang zu wüs­ten Debat­ten im Lan­des­vor­stand führte. Lus­ti­ger­weise hatte nie­mand inhalt­lich etwas an der Ver­an­stal­tungs­reihe aus­zu­set­zen, aber es wurde ein gro­ßer Alarm gemacht, dass man damit ja »Anti­deut­sche« unter­stüt­zen würde.

Untie­fen: Zieht ihr aus sol­chen und den neus­ten Ent­täu­schun­gen rund um die Kund­ge­bung poli­ti­sche Konsequenzen?

Ich bin gerne bereit, mit allen und über alles zu dis­ku­tie­ren. Aber dann möchte ich über Fak­ten spre­chen und nicht über gestreute Gerüchte oder Dog­men, die sich Leute in den 1970er Jahre so ange­wöhnt haben. Wenn man sich gegen Anti­se­mi­tis­mus ein­setzt, hat man ja auto­ma­tisch eine Menge Feinde, ob nun aus der Nazi-Szene, aus isla­mis­ti­schen Zir­keln oder in den letz­ten Jah­ren ver­mehrt auch aus dem Aluhut-Milieu. Da kann man dann nicht auch noch »Fri­endly Fire« aus der eige­nen Par­tei gebrau­chen. Außer­dem haben wir natür­lich eine gewisse Ver­ant­wor­tung gegen­über unse­ren Sym­pa­thi­san­ten, die wir in den letz­ten Jah­ren gewon­nen haben. Allein bei Face­book fol­gen uns über 800 Leute. Die meis­ten sind par­tei­lich nicht gebun­den. Die kom­men dann zu unse­ren Info­ver­an­stal­tun­gen und Demos, lesen unsere Texte, hören unsere Rede­bei­träge und den­ken sich: »Oh, es gibt sta­bile Leute in der Lin­ken. Dann wähle ich die.«

Aber wen wäh­len sie damit in Ham­burg? Sie wäh­len die Spit­zen­kan­di­da­tin Żaklin Nas­tić. Also die Frau, die Angela Mer­kel wegen »Bei­hilfe zum Mord« ange­zeigt hat, weil sie die Liqui­die­rung des Top­ter­ro­ris­ten Qasem Sol­ei­mani nicht ver­hin­dert hat. So ein Vor­ge­hen ist zum einen ziem­lich gaga, zum ande­ren zeigt es aber auch, wo die »Spre­che­rin für Men­schen­rechts­po­li­tik« so ihre Prio­ri­tä­ten sieht und bei wem ihre Sym­pa­thien lie­gen. Dann will man auf­sprin­gen und schreien: »Nein, nein, wählt sie nicht!« Ich fühle mich da wie Oskar Lafon­taine, der ja mitt­ler­weile auch zur Nicht-Wahl der Lin­ken auf­ruft, wenn auch aus gänz­lich ande­ren Grün­den. Ich möchte aber authen­tisch blei­ben und trete dann kon­se­quen­ter­weise aus der Par­tei Die Linke aus. Ich finde mich weder in der Außen­po­li­tik noch in dem gan­zen Dog­ma­tis­mus der Lin­ken heute noch wieder.

Untie­fen: Planst Du in eine andere Par­tei ein­zu­tre­ten? Oder setzt Du deine Arbeit par­tei­los fort?

Vah­len­kamp: Ich sehe mich heut­zu­tage als Sozi­al­li­be­ra­len. Und als sol­cher stimme ich am ehes­ten mit den Posi­tio­nen von Bündnis90/Die Grü­nen über­ein. Des­halb werde ich dort dem­nächst einen Antrag auf Mit­glied­schaft stel­len. Ein »Par­tei­sol­dat« werde ich aber in die­sem Leben wohl nicht mehr. Dafür habe ich dann doch zu oft mei­nen eige­nen Kopf. Glück­li­cher­weise leben wir aber ja in einer Gesell­schaft, in der es viel­fäl­tige Mög­lich­kei­ten gibt, sich ein­zu­brin­gen. Und das werde ich sicher­lich auch wei­ter­hin tun.

Untie­fen: Danke für das Gespräch!

Staatsvertrag mit Mullahs

Staatsvertrag mit Mullahs

In bes­ter Ham­bur­ger Als­ter­lage resi­diert das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg mit sei­ner »Blauen Moschee«. Es fun­giert als euro­päi­sche Ver­tre­tung der isla­mis­ti­schen Des­po­tie im Iran. Seit 2012 wird es durch einen Staats­ver­trag mit der Stadt Ham­burg poli­tisch geför­dert. Nach dem Wil­len von SPD und Grü­nen soll das so wei­ter­ge­hen. Warum?

Die Imam-Ali-Moschee an der Bin­nen­als­ter. Foto: Alt­Sylt Lizenz: CC BY 4.0

In bes­ter Lage an der Außen­als­ter resi­diert seit 1965 die Ham­bur­ger Imam-Ali-Moschee, laut Stadt­mar­ke­ting »eine der schöns­ten Moscheen Deutsch­lands«. Trä­ger des von ira­ni­schen Kauf­leu­ten in den 1960ern finan­zier­ten Pracht­baus ist das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH), das als euro­päi­scher Brü­cken­kopf der schiitisch-islamistischen Des­po­tie im Iran fun­giert. Deren oberste reli­giöse Auto­ri­tät und Revo­lu­ti­ons­füh­rer, Aja­tol­lah Ali Cha­menei, ist nicht nur Macht­ha­ber über die mör­de­ri­schen Revo­lu­ti­ons­gar­den, Holo­caust­leug­ner und obses­si­ver Isra­el­has­ser mit ato­ma­ren Ambi­tio­nen, son­dern ent­sen­det seit 1989 auch per­sön­lich sei­nen Stell­ver­tre­ter für Europa an die Als­ter. Über das IZH reicht Tehe­rans lan­ger Arm bis zu ira­ni­schen Oppo­si­tio­nel­len, die in Ham­burg immer wie­der Opfer von Über­grif­fen aus dem Umfeld der Imam-Ali-Moschee werden.

Den­noch hat die SPD das IZH 2012 im Rah­men des Staats­ver­trags mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den offi­zi­ell zum poli­ti­schen Part­ner auf­ge­wer­tet. Anfang 2021 haben SPD und Grüne sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dar­auf ver­stän­digt, die­sen Staats­ver­trag zu ver­län­gern. Warum wird ira­ni­scher Isla­mis­mus in Ham­burg offen gefördert?

Das Offensichtliche

Dass man es bei den Isla­mis­ten von der Schö­nen Aus­sicht 36 mit Pro­pa­gan­dis­ten und Schlä­gern im Auf­trag der isla­mi­schen Repu­blik zu tun hat, ist offen­sicht­lich. Wer es wis­sen will, kann den Aus­sa­gen der über­schau­ba­ren aber hart­nä­cki­gen Gruppe ira­ni­scher Oppo­si­tio­nel­ler, Ex-Muslime und ver­ein­zel­ter isra­els­o­li­da­ri­scher Links­ra­di­ka­ler zuhö­ren, die sich regel­mä­ßig auf Kund­ge­bun­gen und Demons­tra­tio­nen vor der Moschee ver­sam­meln. Min­des­tens das poli­ti­sche Per­so­nal der regie­ren­den rot-grünen Koali­tion weiß, dass die Kho­mei­nis­ten von der Schö­nen Aus­sicht seit zwei Jahr­zehn­ten mal offen, mal ver­deckt den anti­se­mi­ti­schen Al-Quds-Marsch in Ber­lin mit­or­ga­ni­sie­ren und unter­stüt­zen. Sie wis­sen, dass das IZH eine Anlauf­stelle für Hisbollah-Anhänger:innen in Ham­burg und dar­über hin­aus ist. Sie wis­sen, dass die IZH-Leiter nach außen gemä­ßigt und dia­log­be­reit auf­tre­ten, ideo­lo­gisch aber am Export der isla­mi­schen Revo­lu­tion fest­hal­ten. Sie wis­sen, dass dort Miso­gy­nie und Homo­pho­bie ver­brei­tet wer­den. Sie wis­sen, dass dort jedes Jahr Gedenk­ver­an­stal­tun­gen für Aja­tol­lah Cho­meini abge­hal­ten wer­den, oder, wie letz­tes Jahr, für den Kom­man­deur der Quds-Einheit und Schläch­ter Qasem Soleimani.

Trotz­dem han­delte die Stadt Ham­burg zwi­schen 2006 und 2012, zunächst unter dem CDU-Senat Ole von Beusts, dann unter Olaf Scholz, einen Staats­ver­trag mit dem DITIB Lan­des­ver­band Ham­burg, dem Ver­band der Isla­mi­schen Kul­tur­zen­tren, der ale­vi­ti­schen Gemeinde und der SCHURA – Rat der isla­mi­schen Gemein­schaf­ten in Ham­burg aus. In der Schura stellt das IZH seit jeher einen von drei Vor­sit­zen­den, ent­spre­chend hat sich der Dach­ver­band wie­der­holt hin­ter die Machen­schaf­ten um die Imam-Ali-Moschee gestellt. Inten­tion des 2012 vom dama­li­gen Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz unter­zeich­ne­ten Staats­ver­trags war es – ebenso wie zuvor mit christ­li­chen und jüdi­schen Gemein­den – das Ver­hält­nis zur Stadt Ham­burg zu klä­ren. Neben der Rege­lung prak­ti­scher Fra­gen zu mus­li­mi­schen Fei­er­ta­gen, Fried­hö­fen und isla­mi­schem Reli­gi­ons­un­ter­richt sollte so für Inte­gra­tion und fried­li­ches Mit­ein­an­der gewor­ben sowie inner­halb der Ver­bände die Abgren­zung gegen­über »Extre­mis­ten« gestärkt wer­den. Dafür such­ten sich die Ham­bur­ger Regie­run­gen ihre Part­ner expli­zit danach aus, wer die meis­ten und die diver­ses­ten Moschee­ver­eine etc. reprä­sen­tiert. Gegen die öffent­li­che Kri­tik an den isla­mis­ti­schen »Aus­rut­schern« inner­halb der Part­ner­ver­eine in der Schura – die es nicht nur beim IZH gibt – ver­tei­di­gen SPD und Grüne ihren Staats­ver­trag dann auch im Namen der Inte­gra­tion:
»Die Aus­rich­tung des IZH war beim Abschluss der Ver­träge bekannt. Senat und Bür­ger­schaft hat­ten dies mit dem Nut­zen schrift­li­cher Ver­träge als Grund­lage für eine Zusam­men­ar­beit im Sinne der Inte­gra­tion abzu­wä­gen.« Sicher habe es hier und da »Anlass für Kri­tik und Schwie­rig­kei­ten« gege­ben, ins­ge­samt habe sich der Ver­trag aber doch »bewährt«.

Der Bundesregierung auf der Spur

Ham­burg folgt damit in dop­pel­ter Weise der Stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung. Ers­tens ist die deut­sche Außen­po­li­tik gegen­über dem ira­ni­schen Regime oppor­tu­nis­tisch. Zuguns­ten des Iran-Geschäfts deut­scher Kon­zerne hält die Bun­des­re­gie­rung ent­ge­gen aller Ver­stöße am Atom­ab­kom­men mit den Mul­lahs fest und ver­schließt dabei vor der Bru­ta­li­tät und dem mili­tan­ten Anti­se­mi­tis­mus des Regimes fest die Augen. Die BRD hat sogar – erfolgs­los – ver­sucht, die US-Handelssanktionen aus­zu­he­beln. Ham­burg ist dabei als Finanz­stand­ort mit­ten­drin: Wie Mat­thias Künt­zel zusam­men­ge­tra­gen hat, wur­den bis 2011 Mil­li­ar­den­sum­men für Iranisch-Indische Ölde­als über die Europäisch-Iranische Han­dels­bank im Kon­tor­haus­vier­tel an den Sank­tio­nen der USA vor­bei­ge­scho­ben – gedeckt von der Bun­des­fi­nanz­auf­sicht. Barack Obama rief gar per­sön­lich bei Angela Mer­kel an, um ein Ende die­ser Sabo­tage zu for­dern. Bis heute spielt die eben­falls von den Mul­lahs kon­trol­lierte Nie­der­las­sung der Melli Bank am Ham­bur­ger Niko­laifleet eine Schlüs­sel­rolle im euro­päi­schen Iran-Business. Offen­bar hat die Bun­des­bank ihr noch 2020 ihre Dienste zur Ver­fü­gung gestellt, um das Iran-Geschäft deut­scher Fir­men zu ermög­li­chen. Durch­aus denk­bar also, dass die Zurück­hal­tung der wech­seln­den Ham­bur­ger Senate gegen­über dem IZH auch eine wenig beach­tete geo­po­li­ti­sche Kom­po­nente hat.

Zwei­tens macht die Stadt Ham­burg mit ihrem Staats­ver­trag ebenso wie die Bun­des­re­gie­rung kon­ser­va­tive Islam­ver­bände für die Inte­gra­tion von Migrant:innen und Nach­fah­ren von Migrant:innen aus isla­mi­schen Län­dern mit­ver­ant­wort­lich. Am Bei­spiel des IZH zeigt sich deut­lich wie sonst sel­ten, was damit ein­ge­kauft wird. Wer um jeden Preis Kon­trolle und »Ansprech­part­ner« will, muss sich selbst die radi­kals­ten Isla­mis­ten als irgendwie-auch- Extre­mis­mus­be­kämp­fer zurecht­bie­gen. Ange­sichts der 2022/23 anste­hen­den Neu­ver­hand­lun­gen des Staats­ver­trags will die Rot-Grüne Regie­rung ein Ein­ge­ständ­nis des Schei­terns die­ser Stra­te­gie ent­ge­gen aller Kri­tik vermeiden.

Kritik von liberal bis rechtsextrem

Und diese Kri­tik fällt lei­der fast aus­schließ­lich von Sei­ten der Abge­ord­ne­ten von AfD, CDU und FDP deut­lich aus. Immer wie­der for­dern vor allem AfD und CDU, Schritte gegen das IZH zu unter­neh­men: vom Ende der Zusam­men­ar­beit mit dem IZH, über des­sen Aus­schluss aus der Schura bis hin zum Ver­eins­ver­bot, das zuletzt der innen­po­li­ti­sche Spre­cher der CDU-Fraktion Den­nis Gla­dia­tor ins Spiel brachte. Dass die CDU dabei stets die »Freiheitlich-Demokratische Grund­ord­nung« gegen den »reli­giö­sen Extre­mis­mus« ver­tei­di­gen will, um »Span­nun­gen in der Stadt« zu ver­mei­den, lässt ahnen, dass es hier um kon­ser­va­tive Pro­fil­bil­dung und Selbst­dar­stel­lung als staats­tra­gende Par­tei geht. Die AfD indes­sen, ins­be­son­dere ihr rechts­extre­mer Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Alex­an­der Wolf, ver­sucht ihre Agi­ta­tion gegen das IZH als Teil ihres Kul­tur­kamp­fes gegen die »Isla­mi­sie­rung« zu insze­nie­ren. Einen media­len Erfolg konnte sie im Okto­ber 2020 ver­bu­chen, als durch eine große Anfrage der AfD in der Bür­ger­schaft her­aus­kam, dass unter ande­rem der Isla­mi­sches Zen­trum Ham­burg e.V. laut eige­ner Aus­kunft von der Ham­bur­ger Steu­er­ver­wal­tung bis heute als gemein­nüt­zi­ger Ver­ein aner­kannt ist und dadurch erheb­li­che Steu­er­vor­teile genießt. 

Die AfD argu­men­tierte, durch die Ein­stu­fung des IZH als »extre­mis­tisch« durch den Ver­fas­sungs­schutz sei das nicht nur ein poli­ti­scher Skan­dal, son­dern schlicht rechts­wid­rig. Zwar stellte sich Finanz­se­na­tor Andreas Dressel demons­tra­tiv vor seine Behörde und behaup­tete, die Steu­er­ver­wal­tung ent­ziehe als »extre­mis­tisch« ein­ge­stuf­ten Ver­ei­nen kon­se­quent die Gemein­nüt­zig­keit. Aber die AfD konnte nach­set­zen und bekam in einer wei­te­ren Anfrage im Novem­ber her­aus, dass nur wenige Tage nach Ver­öf­fent­li­chung der ers­ten Anfrage zwei wei­tere Ver­fah­ren zur Aberken­nung der Gemein­nüt­zig­keit wegen Extre­mis­mus­ein­stu­fung ein­ge­lei­tet wur­den. Gegen wen blieb mit Ver­weis auf das Steu­er­ge­heim­nis uner­wähnt. Für die AfD ein Coup, sieht es nun doch so aus als habe sie erfolg­reich den Finanz­se­na­tor vor sich her­ge­trie­ben und quasi zum Ein­ge­ständ­nis genö­tigt, dass »extre­mis­ti­sche Ver­eine« von der Finanz­be­hörde gedul­det wer­den. Im Namen des Kamp­fes gegen »Extre­mis­mus« zielte die AfD-Anfrage neben dem IZH auf den mar­xis­ti­schen Lesekreis-Verein Mar­xis­ti­sche Abend­schule (MASCH) e.V., der dann im Januar 2021 bekannt­gab, das Finanz­amt Nord habe ihm die Gemein­nüt­zig­keit mit Ver­weis auf den Ver­fas­sungs­schutz ent­zo­gen. Es ist zu ver­mu­ten, dass ein Zusam­men­hang zur Anfrage der AfD besteht.

Dass ein rot-grüner Senat sich von der Extremismus-Rhetorik von Ver­fas­sungs­schutz und AfD zum Ver­bot eines lin­ken Ver­eins drän­gen lässt – oder es selbst ange­strebt hat, ist ein Skan­dal. Ein wei­te­rer ist es, dass die ira­ni­schen Isla­mis­ten tat­säch­lich auch finan­zi­ell geför­dert wer­den und der Senat bis heute nicht Stel­lung dazu bezo­gen hat. Damit über­lässt er ein wich­ti­ges Thema der kultur-rassistischen Agi­ta­tion der AfD.

Linker Zweckoptimismus

Auch die oppo­si­tio­nelle Ham­bur­ger Links­frak­tion hat bis­lang keine Stel­lung zum IZH bezo­gen. Sie spricht sich zwar gegen Isla­mis­mus aus, wenn es um den IS und Rojava geht. Zu den schii­ti­schen Isla­mis­ten in Ham­burg schweigt sie aber. Die ein­zige Aus­nahme inner­halb des Lan­des­ver­bands ist die isra­els­o­li­da­ri­sche Split­ter­gruppe Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg. Die lang­jäh­rige ehe­ma­lige innen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Links­frak­tion Chris­tiane Schnei­der erklärte im März 2021, wel­che poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten einer Posi­tio­nie­rung zum IZH ent­ge­gen­ste­hen: Ers­tens hät­ten die Staats­ver­träge eine Ungleich­be­hand­lung von Mus­li­men been­det und seien daher Aus­druck von Reli­gi­ons­frei­heit und kul­tu­rel­ler Viel­falt. Zwei­tens sei die mul­ti­kon­fes­sio­nelle Schura eine Erfolgs­ge­schichte, da sie nicht nur mit dem Ziel gegrün­det wurde, sich zur deut­schen Gesell­schaft hin zu öff­nen, son­dern unter­des­sen tat­säch­lich ein »Selbst­ver­ständ­nis als isla­mi­sche Reli­gi­ons­ge­mein­schaft in einem säku­la­ren, demo­kra­tisch ver­fass­ten Rechts­staat« erar­bei­tet hätte. Drit­tens hät­ten sich CDU und FDP mit ihrer Kri­tik an den isla­mi­schen Ver­bän­den lei­der dem Kurs der AfD ange­schlos­sen, einer ein­ge­bil­de­ten Isla­mi­sie­rung den Kul­tur­kampf zu erklä­ren. Dem­ge­gen­über müsse DIE LINKE am Staats­ver­trag auch mit dem IZH fest­hal­ten, denn:

»Die Ver­träge sind zugleich Grund­lage, Kon­flikte zu the­ma­ti­sie­ren und zu Klä­run­gen zu kom­men. Dass das gelin­gen kann, zeigt die Tat­sa­che, dass das ›Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg‹ (IZH) seine Betei­li­gung an den höchst pro­ble­ma­ti­schen anti­is­rae­li­schen Demons­tra­tio­nen am jähr­li­chen Al Quds-Tag nach 2018 been­det hat.«

Dass der Marsch 2020 wegen der Corona-Pandemie glück­li­cher­weise ganz aus­fiel; dass 2019 zwar keine ira­ni­schen Geist­li­chen, aber den­noch IZH-Anhänger am Marsch teil­nah­men; dass wenn über­haupt, die Angst vor einem Ver­eins­ver­bot hier ein Zuge­ständ­nis des IZH erzwun­gen hat – geschenkt. Ent­schei­dend ist der linke Wille, sich durch ein höchs­tens sym­bo­li­sches Zuge­ständ­nis der IZH-Führung vor­gau­keln zu las­sen, mit Dia­log und Gesprä­chen könn­ten aus Bediens­te­ten eines Terror-Regimes doch noch Freunde von Diver­si­tät und Völ­ker­ver­stän­di­gung wer­den. Ob Schnei­der ihren Dialog-Optimismus wirk­lich sel­ber glaubt oder schlicht Angst hat, bei inhalt­li­cher Nähe zur Kri­tik von rechts und ganz rechts die wahl­tak­tisch wich­tige Glaub­wür­dig­keit in Sachen Anti-Rassismus zu ver­lie­ren, ist unklar. Ein Armuts­zeug­nis ist das linke Schwei­gen in jedem Fall. Es ist ein zwar unspek­ta­ku­lä­rer, aber fort­wäh­ren­der Ver­rat an all jenen, die für Frei­heit im Iran kämpfen.

Felix Jacob, Juni 2021

Der Autor ist Arbeits­lo­ser ohne Gewis­sens­bisse, Seg­ler und Als­ter­spa­zier­gän­ger. Für die Imam-Ali-Moschee schwebt ihm eine Nach­nut­zung als Stadt­teil­zen­trum mit Frei­bad vor.