Vor 98 Jahren begann der »Hamburger Aufstand« der KPD. Der letzte Revolutionsversuch in Hamburg scheiterte zwar beinahe sofort, wirkte aber in der Karriere Ernst Thälmanns und der Stalinisierung der KPD nach. Wie kann eine Auseinandersetzung mit den weitgehend vergessenen Ereignissen von damals heute aussehen?
Heute, am 23. Oktober 2021, jährt sich zum 98. Mal der sogenannte »Hamburger Aufstand« der KPD. Zwei oder drei, höchstens vier Tage lang lieferten Anhänger*innen der Kommunistischen Partei sich mit der Polizei in Hamburg und den angrenzenden preußischen Gemeinden Wandsbek und Schiffbek (heute Billstedt) einen bewaffneten Straßenkampf. Sie stürmten in den frühen Morgenstunden des 23. Oktober Polizeiwachen in Arbeiter*innenstadtteilen, um Gewehre und Pistolen zu erbeuten und verschanzten sich auf Dächern und hinter Barrikaden. Vor allem in Barmbek und Schiffbek konnten sie einige Straßenzüge zunächst verteidigen, insgesamt aber war der Aufstandsversuch von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Er wurde blutig niedergeschlagen.
Dem Aufstand gingen in einer Hochphase der Inflation spontane Hungerrevolten und Plünderungen voraus, zudem rechtsextreme Putschversuche in Bayern und zugespitzte Auseinandersetzungen zwischen KPD und SPD. Gescheitert ist er nicht erst militärisch, sondern schon politisch im Vorfeld. Er wurde vom »ultralinken« Flügel der Hamburger KPD unter Führung von Hugo Urbahns, Hans Kippenberger und Ernst Thälmann gegen den Mehrheitswillen der Partei ausgerufen und erhielt keine nennenswerte Hilfe von außerhalb. Es waren zwar große Teile des Hamburger Proletariats politisch in Bewegung, doch sie und die breite Bevölkerung unterstützten die etwa 300 kämpfenden Kommunist*innen offenbar nicht maßgeblich.
Folgenlos blieb der Aufstand aber keineswegs. Nationale und konservative Kreise nutzten ihn in Hamburg und der Republik zur Agitation für Ausnahmegesetze und den Abbau demokratischer Rechte. In der KPD dagegen wurde er schnell zum Mythos. Die Diskussion über die Schuld für das Scheitern in Hamburg entschied die Komintern 1924, indem sie die »rechten«, moderaten Kräfte in der KPD verantwortlich machte. So konnte der »ultralinke« moskauhörige Flügel in der KPD zur Macht gelangen und Ernst Thälmann zum Vorsitzenden aufsteigen. Damit trug der Hamburger Aufstand letztlich zur 1924 beginnenden Bolschewisierung und Stalinisierung, auch der deutschen KP, bei. Deren »ultralinke« Politik ab 1929 spielte bekanntlich eine wesentliche Rolle in der Katastrophe, dass keine Einheitsfront von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen gegen den Nationalsozialismus zu Stande kam. In der Geschichtsschreibung der späteren KPD und der offiziellen Version der DDR wurde er dennoch zu einem heroischen, aber verratenen Aufstand stilisiert, der Vorbild für die kommende Revolution sein sollte. Das wiederum dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er heute selbst unter radikalen Linken weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es ist doch nicht »unser« Aufstand, nicht »unser« Kommunismus, der da gescheitert ist. Gefeiert wird er selbst in Hamburg nur von einigen traditionell kommunistischen Linken im Umfeld der DKP.
Diese Ignoranz aber geht in jene Falle, die Bini Adamczak in Gestern Morgen für die kommunistische Aufarbeitung des Stalinismus insgesamt benannt hat:
»In ihrer Rhetorik des Bruchs mit einer Vergangenheit, mit der sie nicht brechen können, weil sie sie beschweigen, sie nicht einmal kennen, bestätigen diese Kommunistinnen der Gegenwart die Behauptung ihrer Gegner, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, weil für sie diese Geschichte beendet ist. Als gäbe es keine Vorfahren, als habe es keine Vorkämpferinnen gegeben. Aber die vergangenen Kämpfe um die Zukunft zu begraben bedeutet unter den fortwirkenden Bedingungen der Niederlage nichts anderes als die Zukunft selbst, eine andere Zukunft zu begraben.« 1Adamczak, Gestern Morgen, S. 25
Wer eine kommunistische Revolution noch immer für notwendig hält oder gar die Selbstbezeichnung »revolutionär« beansprucht, muss die gescheiterten Revolutionsversuche – zumal im eigenen Land, in der eigenen Stadt – als Teil der eigenen Geschichte begreifen. Sie als Geschichte der Anderen, der Antiimps, der DKP, der Paläomarxist*innen abzutun, gibt den Anspruch Preis, das Befreiungsversprechen der Vergangenheit doch noch Gegenwart werden zu lassen.
Den »Hamburger Aufstand« als Teil der eigenen Geschichte anzuerkennen kann jedoch nicht heißen, einer bloßen (militärischen, politischen, organisatorischen, strategischen…) Niederlage glorifizierend zu gedenken, also »solche Revolutionäre zu Ikonen zu erheben, die starben, bevor sie soweit hätten kommen können« 2Adamczak, S. 26. Es muss der Aufstand auch als Teil eben des Scheiterns begriffen werden, das er mitbewirkt hat: Das stalinistische Totalversagen der kommunistischen Emanzipation.
Wie kann eine solche »kommunistische Trauerarbeit« (Hendrik Wallat) heute aussehen, die weder beschönigt, noch Freiheit unterstellt, wo die Bedingungen nicht frei gewählt waren? Ein Blick auf die Veröffentlichungen zum »Hamburger Aufstand« zeigt, dass von den 1960ern bis in die 1980er recht rege publiziert wurde, seitdem aber immer seltener. Die folgenden Hinweise können vielleicht zumindest die Hürden senken, die Auseinandersetzung von neuem zu beginnen:
Einen mitreißenden, sprachlich starken, aber ebenso stark verklärenden »Erlebnisbericht« hat die russische Kommunistin Larissa Reisner schon 1924 geschrieben. Ihrer Ansicht nach blieb der Aufstand unbesiegt, da er sich »planmäßig zurückgezogen« habe:
(Die jüngste Neuauflage des Berichts in einem nationalbolschewistischen Umfeld (neben Texten von u.a. Otto Strasser) durch den Haag + Herchen-Verlag ist zwar mit Blick auf die Geschichte der KPD wohl leider nicht ganz zufällig, tut aber Reisner und ihrem Bericht Gewalt an.)
Knapp zwei Stunden Interviews mit Beteiligten des Aufstands haben die Dokumentarfilmer*innen Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen 1971 unter dem Titel »Der Hamburger Aufstand Oktober 1923« veröffentlicht. Die vollständige Fassung ist leider nur vor Ort im Filmarchiv Berlin einsehbar. Die Hamburger Staatsbibliothek bietet in einer DVD-Box mit Wildenhahns Filmen zumindest eine 45-minütige Kurzversion zur Ausleihe an:
Einen kurzen Überblick mit Fokus auf die Auseinandersetzungen innerhalb der KPD und zwischen KPD, SPD und Gewerkschaften hat Wulf D. Hund 1983 veröffentlicht:
Eine umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung aus engagierter Perspektive und mit großem Materialteil liefert Karl Heinrich Biehl:
Eine auf Karl Heinrich Biehls Arbeit basierende Broschüre mit (teilweise gewagten) Bezügen zur Gegenwart hat die mittlerweile verflossene Gruppe »Rotes Winterhude« 2003 vorgelegt. Sie sticht als aktivistischer Aneignungsversuch heraus und liefert tolle Details und Beobachtungen zur Erinnerungspolitik. Mit ihrem grottigen Layout und dem post-autonomen Tonfall ist sie dazu selbst auch schon Zeitdokument:
Rotes Winterhude: Der Hamburger Aufstand 1923. Verlauf – Mythos – Lehren. Hamburg 2003. Teil 1 und Teil 2 sind über das Internet Archive abrufbar.
Felix Jacob
Der Autor forscht privat zu Hamburger Aufstandsbewegungen.
Hamburger Handelsfirmen beteiligten sich während des Zweiten Weltkriegs intensiv an der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft im östlichen Europa. Die Geschichte dieser Zusammenarbeit spielt in der lokalen Erinnerungskultur praktisch keine Rolle. Unser Autor leuchtet die Hintergründe des sogenannten »Osteinsatzes« der Hamburger Wirtschaft aus.
In Hamburg hat der Gemeinplatz, demnach Geld die Welt regiere, eine städtebauliche Entsprechung: An das imposante Hamburger Rathaus schließt ein weiteres repräsentatives Bauwerk unmittelbar an: Die Börse, Sitz der Hamburger Handelskammer, ist durch einen gemeinsamen »Ehrenhof« mit den Räumen der Hamburgischen Bürgerschaft verbunden. Dass Architektur den Zusammenhang von politischer Herrschaft und wirtschaftlicher Macht derart versinnbildlicht, scheint indes eine hanseatische Besonderheit zu sein: In Bremen residiert die Handelskammer im »Haus Schütting« – mit Blick auf das Rathausgebäude.
Wie diese Baulichkeiten erahnen lassen, bildeten die hansestädtischen Kaufmannschaften bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die unangefochtenen gesellschaftlichen Eliten ihre Städte. Dass insbesondere Hamburg dabei ein koloniales Erbe mit sich schleppt, gewinnt langsam an erinnerungskultureller Bedeutung. So beteiligte sich eine ganze Reihe von Hamburger Kaufleuten maßgeblich am Erwerb deutscher Kolonien in Afrika. Weniger bekannt ist, dass die hiesige Kaufmannschaft – selbsterklärte »ehrbare Kaufleute« – tief in nationalsozialistische Verbrechenskomplexe involviert waren. Dabei geht es nicht nur um die Teilhabe Hamburger Unternehmer an der Verdrängung und Enteignung jüdischer Gewerbetreibender, der sogenannten »Arisierung« . Zahlreiche historische Quellen (und nach wie vor nur wenige Forschungsarbeiten1Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der »Vernichtung«. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, überarbeitete Neuauflage, Frankfurt am Main 2013 (zuerst Hamburg 1991), 216−221; Frank Bajohr, »Arisierung« in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997, 325−331; Karl Heinz Roth, Ökonomie und politische Macht. Die »Firma Hamburg« 1930–1945, in: Ebbinghaus, Angelika/Linne, Karsten (Hg.), Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im »Dritten Reich«, Hamburg 1997, 15−176; Karsten Linne, Deutsche Afrikafirmen im »Osteinsatz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.) zeigen zudem, dass hansestädtische Firmen während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen und den besetzten Teilen der Sowjetunion aktiv waren.
Wieso betätigten sich hansestädtische Unternehmen im besetzten Polen?
Als die Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfiel, erklärten Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg. Die Briten errichteten sofort eine Seeblockade gegen das Deutsche Reich, die die Wirtschaft Hamburgs und Bremens von ihren überseeischen Betätigungsfeldern abschnitt. Die Handelskammern und ihre Mitgliedsfirmen suchten nun händeringend nach alternativen Geschäftsmöglichkeiten innerhalb Europas. Die Hamburger Kaufmannschaft hatte bereits in den Vorjahren ein dichtes Lobbynetzwerk in die Institutionen des NS-Staats eingeflochten und kooperierte eng mit dem hamburgischen NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann und dessen Apparat. Die Hamburger Außenhandelskaufleute litten nämlich seit 1933 unter der NS-Rüstungspolitik, die der Industrie zwar nutzte, den Außenhandel aber massiv einschränkte. Auf der Suche nach Kompensation banden sich die Kaufmannseliten an den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat. Dieser eröffnete den Kaufleuten wiederum die Perspektive, an der »Arisierung« sowie der territorialen Expansionspolitik NS-Deutschlands auf profitable Weise teilzuhaben. So hatten die Hamburger NSDAP-Führung und die Handelskammer nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 darauf hingearbeitet, dass hamburgische Handelsfirmen und Speditionen von der »Arisierung« in der Handelsmetropole Wien profitierten.
Die Eroberung Polens nahm hanseatischen Unternehmern also ihr traditionelles Arbeitsfeld, eröffnete jedoch gleichzeitig neue Felder, die Ausgleich zu versprechen schienen. In den zentralpolnischen Gebieten, die die Deutschen als »Generalgouvernement« (GG) unterwarfen, ergab sich im Frühjahr 1940 eine wirtschaftliche Kooperation mit dem NS-Besatzungsapparat. Und zwar beschloss die Regierung des GG in Krakau, hansestädtische Handelsfirmen für eine Tätigkeit im besetzten Gebiet heranzuziehen. Um die polnische Wirtschaft für deutsche Zwecke zu mobilisieren, sollten die Kaufleute ein neues Handelssystem aufbauen. Der bisherige polnische Handel galt den Nationalsozialisten nämlich als »verjudet«, denn er wurde bislang weitgehend von jüdischen Kaufleuten getragen. Diese wollten die Besatzer nun verdrängen.
Forciert durch das hanseatische Lobbynetzwerk und die Handelskammern eröffnete 1940 einige deutsche Handelsfirmen Filialen im GG, die meisten stammten aus Hamburg und Bremen. Als das Gebiet nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 vergrößert wurde, sollten weitere folgen. Anhand von Archivquellen lassen sich insgesamt 51 hamburgische Unternehmen benennen, die in diesem Teil Polens tätig wurden. Elf weitere Firmen stammten aus Bremen. Die Mehrheit von ihnen arbeitete unter strengen behördlichen Vorgaben als sogenannte Kreisgroßhandelsfirmen, die in den einzelnen Landkreisen des GG Niederlassungen eröffneten, die die NS-Behörden mit Monopolen ausstatteten. Viele der Firmen war bis 1939 in Kolonien tätig gewesen. Es befanden sich darunter renommierte Überseehäuser mit langer Tradition, zum Beispiel C. Woermann, G. L. Gaiser oder Arnold Otto Meyer.
Judenverfolgung und Ausbeutung: Der »Osteinsatz« hanseatischer Kaufleute
Die Kreisgroßhandelsfirmen hatten dabei eine Doppelaufgabe. Die erste Aufgabe bestand darin, mit ihrem so bezeichneten »Osteinsatz« die wirtschaftliche Existenzvernichtung der jüdischen Bevölkerung zu unterstützen, die die NS-Besatzer schnellstmöglich durchführen wollten. Die Expropriation der Jüd:innen hatte anfangs zu schweren Störungen der Wirtschaft geführt, da mit ihr der Handel zusammengebrochen war. Indem die Hamburger und Bremer die ökonomische Rolle der jüdischen Gewerbetreibenden übernahmen, konnten unerwünschte Begleiterscheinungen der »Arisierung« gemindert werden. Die Hansestädter profitierten somit von der Judenverfolgung, indem sie an deren wirtschaftliche Stelle traten und deren Warenbestände teilweise übereignet bekamen.
Führender Kopf dieser Maßnahmen war der Hamburger Ökonom und Wirtschaftsfunktionär Walter Emmerich, der eng mit der Handelskammer sowie der Hamburger NSDAP verbunden war und seit Juni 1940 die Wirtschaftsabteilung der Krakauer Besatzungsregierung leitete. Er konzipierte die Enteignung der jüdischen Gewerbetreibenden als »rassische Neuordnung« der polnischen Wirtschaft. In dieser sollten die hanseatischen Großhändler eine Oberschicht bilden, die über eine nicht-jüdische polnische Mittelschicht herrschte. Als Unterschicht blieben christliche polnische Arbeiter und Bauern, denn die jüdische Bevölkerung sollte vollständig verschwinden. In der Tat übergab die NS-Administration die Positionen im Einzelhandel, die durch die Enteignung der Juden frei wurden, an nicht-jüdische Polen, die damit ebenfalls von der antisemitischen Politik profitierten. Die einheimischen Kleinkaufleute waren dabei den hanseatischen Großhandelsfirmen untergeordnet. Emmerich und insbesondere die Kaufleute mit Erfahrungen in Afrika betrachteten das besetzte Polen und seine Bevölkerung dabei durch eine koloniale Brille. So schrieb etwa der Inhaber einer Firma, die bis 1939 in afrikanischen Territorien tätig gewesen war, in einem Tätigkeitsbericht von 1944, den das Bremer Staatsarchiv verwahrt: »Einen Begriff vom Wert der Zeit hat der polnische Bauer und Kleinhändler – auch der Arbeiter – nicht, und die ganze Primitivität des Handels, der Umgebung und der Menschen erinnerte uns manchmal stark an Afrika.«
Der zweite Teil jener Doppelaufgabe der Firmen, die ihre Betriebe teilweise mit kolonialwirtschaftlichen »Faktoreien« verglichen, bestand darin, die NS-Besatzer bei der Ausbeutung der polnischen Landwirtschaft zu unterstützen. Die Krakauer Administration zwang die polnische Landbevölkerung mit brutaler Gewalt, ihre Feldfrüchte und ihr Vieh an den deutschen Wirtschaftsapparat zu verkaufen – zu niedrigen, behördlich festgelegten Preisen. Die Landwirte schlugen ihre Produkte jedoch lieber auf dem für sie viel rentableren Schwarzmarkt los, der für die hungernde Bevölkerung überlebenswichtig war. Um diesen illegalen Handel zu unterbinden, schufen die Besatzer zusätzliche positive Ablieferungsanreize in Form sogenannter »Prämienwaren«. Bäuer:innen, die ihre Produkte ablieferten, erhielten Bezugsscheine mit denen sie die »Prämien« erwerben konnten, die die hansestädtischen Kreisgroßhandelsfirmen in den Handel einspeisten. Das waren hauptsächlich Textilien und andere industriell hergestellte Konsumprodukte. Mit dem Vertrieb der »Prämien« übernahmen diese Firmen eine tragende Rolle im NS-Ausbeutungsapparat. Das Prämiensystem entwickelte für die Besatzungswirtschaft zentrale Bedeutung. Um die Deutschen zu sättigen, hungerte die NS-Führung skrupellos die Menschen in den besetzten Gebieten aus. Der Landwirtschaft im GG pressten die Besatzer Jahr für Jahr immer größere Getreidemengen ab, allein 1943/44 waren es 1,5 Millionen Tonnen. Die Hamburger und Bremer Kaufleute, die die für dieses System von Peitsche und Zuckerbrot benötigten »Prämien« verkauften, steigerten zugleich ihre Umsätze und Profite.
»Hamburger Kaufleute vom Generalgouvernement bis zum Kaukasus«
Das hansestädtische Engagement in Zentralpolen erwies sich für die beteiligten Deutschen als Erfolg und das GG somit als Versuchslabor für viel weitergehende Aktivitäten im besetzten »Osten«. Nach dem Überfall auf die UdSSR preschten die Hamburger los, um sich an der Ausbeutung dieser Territorien ebenfalls zu beteiligen. Internen Unterlagen der Handelskammer Hamburg zufolge wurden 179 hamburgische Firmen in den besetzen Teilen der Sowjetunion aktiv beziehungsweise waren dafür »vorgemerkt»«. Außerdem arbeiteten demnach 700 Hamburger Kaufleute für die Zentralhandelsgesellschaft Ost, die die sowjetische Landwirtschaft ausbeutete. Der Präses der Handelskammer Joachim de la Camp frohlockte in seiner Silvesteransprache von 1942: »Unternehmerinitiative hat ferner gerade in Hamburg einen Weg gefunden, an den wir vor dem Krieg noch nicht denken konnten. […] Beginnend mit der Westgrenze des Generalgouvernements bis zu den Bergen des Kaukasus, finden Sie zur Erschließung der wirtschaftlichen Möglichkeiten Hamburger Menschen und Hamburger Firmen in großer Zahl.« Zuvor hatte Hans E. B. Kruse, Vizepräses der Kammer, bereits intern festgestellt, es stehe »Hamburg im Osten an führender Stelle«. An zweiter Stelle kamen die zahlreichen Bremer Unternehmen, die in der besetzten UdSSR tätig wurden. Zwar stehen vergleichende Forschungen noch aus, doch allem Anschein nach war das hansestädtische Engagement im besetzten Osteuropa besonders groß.
Die Hamburger Kaufleute begannen, den »Osten« als ihr neues Kolonialgebiet zu betrachten. In den Vorjahren hatten sie noch gehofft, dass Deutschland Kolonien in Afrika zurückerhalte. Doch 1941 hieß es etwa bei der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, einer hamburgischen Handelsfirma, die nun im GG tätig war: »Momentan gilt die Parole: Die Kolonien liegen im Osten!« Die hanseatischen mental maps, die bislang auf Länder und Territorien jenseits der Ozeane konzentriert gewesen waren, hatten sich gewandelt. In Übersee wollten die Kaufmannschaften nach dem erwarteten Kriegsende erneut tätig werden, doch Osteuropa sollte diese Betätigungsfelder nun wesentlich ergänzen. Der Kolonialstandort Hamburg passte seine Ausrichtung somit an die wirtschaftliche Großwetterlage an, die Hitlers Herrschaft brachte, der nicht von Kolonien in Afrika träumte, sondern von »Lebensraum im Osten«.
An die breite Teilhabe hamburgischer Wirtschaftskreise an der NS-Besatzungsherrschaft erinnert in der Stadt fast nichts. Die meisten der beteiligten Unternehmen, die heute noch existieren, wollen von ihrer problematischen Geschichte nichts wissen. Eine Auftragsstudie der Handelskammer von 2015, die beanspruchte die NS-Geschichte der Institution aufzuarbeiten, stieß wegen ihrer beschönigenden Stoßrichtung auf scharfe öffentliche Kritik. Zwar bemühte sich die Kammer in letzter Zeit stärker um die »Aufarbeitung« ihrer NS-Vergangenheit, etwa indem sie ihrer jüdischen Mitglieder gedachte, die während der NS-Zeit verfolgt wurden. Die Diskussion um die historische Schuld der hansestädtischen Wirtschaftseliten ist jedoch längst nicht abgeschlossen.
Felix Matheis, Oktober 2021.
Der Autor ist Historiker in Hamburg und hat im Rahmen seiner Doktorarbeit intensiv zur Beteiligung Hamburger und Bremer Kaufleute an der Besatzungsherrschaft im Generalgouvernement geforscht.
1
Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der »Vernichtung«. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, überarbeitete Neuauflage, Frankfurt am Main 2013 (zuerst Hamburg 1991), 216−221; Frank Bajohr, »Arisierung« in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997, 325−331; Karl Heinz Roth, Ökonomie und politische Macht. Die »Firma Hamburg« 1930–1945, in: Ebbinghaus, Angelika/Linne, Karsten (Hg.), Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im »Dritten Reich«, Hamburg 1997, 15−176; Karsten Linne, Deutsche Afrikafirmen im »Osteinsatz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.
Der Übergriff auf einen Juden bei einer proisraelischen Mahnwache am 18. September in der Mönckebergstraße bewegte bei der Wiederaufnahme der Mahnwache am vergangenen Samstag nur wenige Hamburger:innen. Warum solidarisieren sich nicht mehr mit dem Opfer? Unser Autor hat sich die Veranstaltung angesehen.
Vor knapp drei Wochen wurde ein 60-jähriger Jude auf einer proisraelischen Mahnwache in der Hamburger Mönckebergstraße von einem Jugendlichen antisemitisch beleidigt und krankenhausreif geschlagen. Am vergangenen Samstag fand die Mahnwache zum ersten Mal seit dem Übergriff wieder statt. Die Veranstalter:innen der christlichen Gruppe Fokus Israel hatten unter dem Motto »Jetzt erst recht« zu einer »Gedenkveranstaltung für alle Opfer antisemitischer Gewalt« aufgerufen.
Statt der sonst wohl 15 bis 20 fanden sich diesmal etwa 60 Teilnehmer:innen ein, um ihre Solidarität mit dem Betroffenen zu zeigen. Der Angegriffene konnte das Krankenhaus zwar unterdessen verlassen, bangt aber laut den Veranstalter:innen nach wie vor um sein Augenlicht und ließ daher sein Grußwort nur verlesen. Darin rief er zur »Verteidigung der liberalen Gesellschaft« auf und beklagte, dass er bis heute mit seiner (!) Kontaktaufnahme weder Bürgermeister Peter Tschentscher noch die zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank zu einer Antwort, geschweige denn einer öffentlichen Stellungnahme bewegen konnte.
Öffentlich eingeladen hatte zur Mahnwache am Samstag neben Fokus Israel einzig die Hamburger Junge Union. Deren Landesvorsitzender Philipp Heißner sprach von »unseren Werten« bzw. »unserer Kultur«, die es zu verteidigen gelte, und betonte, dass darin auch »provokante Meinungen« einbegriffen seien. Damit spielte er offenbar auf den ihm vorangehenden Redner an, Ralf-Andreas Müller, laut eigener Angabe Theologe und tagesschau-Redakteur, Initiator und Kopf der Gruppe Fokus Israel. In seinem Redebeitrag hatte er, motiviert durch eine Art politisches Ur-Christentum, in aggressivem Tonfall einem jüdisch-israelischen Nationalismus das Wort geredet. Er griff weit in die Vergangenheit aus, um zu postulieren, dass es keine authentische Verbindung des Islam zum Gebiet des heutigen Israel gebe und ausschließlich die Juden das Land als »nationales Königreich für sich beansprucht« hätten. Nach dem Sieg der Römer über die Juden 70 n. Chr. sei die Provinz Palästina annähernd 2000 Jahre verelendet und verfallen, ein leeres und »wüstes Land« geworden; erst wieder einwandernde Juden hätten es bewohnbar gemacht. Die Pointe, auch auf Müllers Website zu finden, ist: Die Juden verfügten über eine »entscheidende Verbindung zwischen Gott, Volk und Land« – die Muslime nicht. Palästina, Palästinenser, besetzte Gebiete gebe es alles nicht und sie stellten deshalb auch kein Problem dar. Christen hingegen müssten Israel als »Herzensthema Gottes […] im Fokus haben, lieben und unterstützen«, um Gott zu ehren, heißt es in einem anderen Text auf der Website.
Keine Solidarität für proisraelische Juden?
Diese Geschichtsklitterung ist natürlich unhaltbar. Den modernen israelischen Staat nationalreligiös auf eine Mischung aus christlicher Bibelexegese und völkischem Verwurzelungsmythos begründen zu wollen, geht völlig fehl. Sollte diese Ideologie aber der Grund für die geringe Solidarisierung mit dem Opfer des Übergriffs sein, wäre das dennoch falsch. Wer dem Angegriffenen wegen einer bestimmten Vorstellung von Israel die Solidarität verweigert, verkennt den Charakter des antisemitischen Angriffs: Offensichtlich schlug der Täter einen Juden als Juden, weil dieser selbstbewusst mit der israelischen Fahne Stellung bezog.
Der Angegriffene fragte in seinem verlesenen Grußwort, ob die verhaltene Reaktion der Hamburger Politik und Öffentlichkeit wohl anders ausgefallen wäre, hätte er als weißer Mann den mutmaßlichen Täter, einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, angegriffen. Dieses Umkehrszenario braucht es aber gar nicht, um das geringe Interesse jenseits der Springer-Medien einzuordnen. Der Vergleich mit dem rechten antisemitischen Angriff am 4. Oktober 2020 auf einen jüdischen Studenten vor der Synagoge in der Hohen Weide ist deutlich aufschlussreicher. Vor einem Jahr gab es neben sofortigen Stellungnahmen von Tschentscher, Fegebank, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht etc. auch eine Mahnwache des linken Hamburger Bündnisses gegen Rechts, der sich trotz strenger Corona-Maßnahmen damals immerhin etwa 200 Personen anschlossen.
Die Vermutung liegt nahe und wurde von mehreren am Samstag Anwesenden geteilt, dass die Bezugnahme auf Israel hier einen Unterschied macht. Dort ein Jude bei der Religionsausübung, hier ein Jude, der offensiv mit der blau-weißen Fahne für Israel eintritt. Diese explizit proisraelische Positionierung des Angegriffenen ist sicher für viele, zumal viele Linke, ein Ärgernis.
Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus
Dazu kommen die unterschiedlichen Täterprofile: Letztes Jahr war es ein offenbar rechter, deutsch-kasachischer Ex-Bundeswehrangehöriger in Uniform und mit Hakenkreuz-Zettel in der Tasche, der für viele Beobachter:innen Parallelen zum rechtsterroristischen Attentat vom Oktober 2019 in Halle plausibel erscheinen ließ. Dieses Jahr ist der mutmaßliche Täter ein Jugendlicher mit möglicherweise arabisch-muslimischem Hintergrund. (Laut der Schauspielagentur Kokon, die ihn bis zum Übergriff vertreten hat, spricht Aram A. Arabisch. BILD will herausgefunden haben, dass seine Mutter Hisbollah- und Assad-Unterstützerin ist.) Das stellt die deutliche Verurteilung des Übergriffs in der Wahrnehmung wohl auch vieler Linker in ein Spannungsverhältnis zum eigenen antirassistischen Anspruch. Die Sorge, möglicherweise antimuslimischen Rassismus zu bedienen, könnte einer Positionierung im Wege stehen.
Zwar ist erst wenig über den mutmaßlichen Täter bekannt. Warum der mögliche arabisch-muslimische Hintergrund für Hamburger Jüdinnen und Juden aber relevant ist, verdeutlicht Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, in einer Stellungnahme zu dem Angriff: »Es gibt eine politisch aufgehetzte, gewalttätige Minderheit unter den Muslimen, häufig junge Leute, die meinen, sie müssten Rache üben für vermeintliches Unrecht im Nahen Osten. […] Natürlich gibt es auch die Gefahr von rechts, aber die größten Sorgen bereitet den Juden in Hamburg die Gefahr, die von dieser Gruppe ausgeht.«
Die Kundgebung am Samstag ließ diesen Eindruck insofern als plausibel erscheinen, als gegenüber klassisch antisemitischen Kommentaren von Passant:innen (»Alles Lüge!« oder »Na, wer steckt denn hier wohl dahinter?«) die antizionistischen Rufe (post-)migrantischer Jugendlicher und Kinder à la »Fuck Israel!« und »Free Palestine!« deutlich dominierten.
Gegen solche Herrschaftsgesten ist es sicher richtig, die projüdische, proisraelische öffentliche Präsenz aufrecht zu erhalten, gegen die die antisemitische Wut sich richtet. In Abwesenheit linker Solidarität übernehmen allerdings vorerst andere diese Rolle: Für den 16. Oktober ruft die Kölner jüdische Aktivistin Malca Goldstein-Wolf auf Facebook zu einem »Solidaritätsschweigemarsch« unter dem Titel »Keinen Fußbreit auch dem islamistischen Antisemitismus« in der Mönckebergstraße auf. Zu den im Aufruf genannten, meist liberal-konservativen Unterstützern zählt auch der Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel, der in den vergangenen Jahren häufiger als Redner und Kommentator für die neurechte Zeitschrift Junge Freiheit in Erscheinung getreten ist.
Felix Jacob
Der Autor war zum ersten Mal auf einer politisch-christlichen Kundgebung und kann auf Wiederholungen gern verzichten.
Die Emanzipatorische Linke.Shalom Hamburg protestiert immer wieder gegen die politische Verharmlosung des IZH. Dabei erhielt sie zuletzt sogar Gegenwind aus der eigenen Partei. Jan Vahlenkamp, einer ihrer Sprecher:innen, erklärt im Interview mit Felix Jacob warum die Hamburger LINKE sich gegen eine Kundgebung der Gruppe stellte und wieso er nun aus der Partei austritt.
Untiefen: Lieber Jan, das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) steht derzeit öffentlich in der Kritik wie lange nicht mehr. Anlässlich der Diskussion um den Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden und, in den letzten Wochen, um einen möglichen Platz für die Schura im NDR-Rundfunkrat ist der Außenposten des iranischen Mullah-Regimes der zentrale Streitpunkt zwischen FDP, CDU und AfD einerseits, SPD und Grünen andererseits. Ihr als Emanzipatorische Linke.Shalom Hamburg beteiligt euch unabhängig von solchen Konjunkturen schon seit langem immer wieder an den Protesten gegen das IZH. Wie bewertet ihr die aktuelle politische Lage? Mit wem arbeitet ihr zusammen?
Vahlenkamp: Wenn die Politik das IZH und den Staatsvertrag thematisiert, dann ist das gut. Wenn das zu einem oberflächlichen Wahlkampfthema zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Bürgerschaft wird, dann ist das schlecht. Ich glaube aber gar nicht, dass das der Fall ist. Auch bei den Grünen wird ja über das IZH diskutiert. Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Gudrun Schittek hat schon mal einen Redebeitrag auf einer der Kundgebungen gehalten, ebenso wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck. Ich habe auch schon Leute von der AG Säkulare der Linken dort gesehen. Die linksliberale Mopo schreibt recht kritisch über das IZH und der SPD-nahe Sascha Lobo hat die Staatsverträge in seiner Spiegel-Kolumne auch schon kritisiert. Ich glaube, da ist einiges in Bewegung.
Bei uns gibt es personelle Überschneidungen mit der »Deutsch-Israelischen Gesellschaft«, die sich zu dem Thema recht klar positioniert. Außerdem haben wir Kontakt zum »Bündnis gegen Antisemitismus Kiel«, die jedes Mal anreisen, wenn gegen das IZH demonstriert wird. Wir arbeiten auch mit den Gruppen »International Women in Power« und »Nasle Barandaz« zusammen, die jeweils Kundgebungen gegen das IZH organisiert haben. Dasselbe gilt auch für den »Zentralrat der Ex-Muslime«.
Untiefen: Am 07. August fand unter dem Motto »1400 Jahre Genozid im Iran – IZH muss geschlossen werden« erneut eine Kundgebung gegen das IZH statt, organisiert von der iranischen Hamburger Gruppe Nasle Barandaz (»Subversive Generation«), mitgetragen von euch. Sie wurde im Vorfeld vom IZH und einigen Zeitungen als »antimuslimische Hetze« diffamiert. Geht diese Strategie eurer Erfahrung nach auf?
Vahlenkamp: Das glaube ich kaum. Ich selbst habe durch die Pressemeldung überhaupt erst davon erfahren, dass da eine Kundgebung geplant ist. Wir haben dann schnell entschieden, dass wir uns öffentlich hinter die Kundgebung stellen, auch wenn uns das Motto etwas fraglich erschien. Hinterher gab es dann ja auch einen ziemlich sachlichen Bericht im Hamburg Journal des NDR. Wenn Leute bereit sind, einfach mal zuzuhören, verpuffen solche Diffamierungen recht schnell.
Ein Beispiel: Vor fünf Jahren hatte die Linksjugend Solid Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime eingeladen. Die Veranstaltung wurde im Vorfeld stark kritisiert und es wurde behauptet, Mina Ahadi sei eine Rassistin. Ich kenne eine Genossin, die damals auch in diese Richtung polemisiert hat. Heute steht dieselbe Genossin mit Mina Ahadi zusammen auf der Bühne und beide applaudieren einander.
Untiefen: Wie ist das Motto »1400 Jahre Genozid im Iran« denn eurer Meinung nach zu verstehen?
Die Veranstalter:innen der Kundgebung ziehen hier den Bogen von der Eroberung des Sassanidenreiches im 7. Jahrhundert hin zur Islamischen Republik von heute. So eine Eroberung war natürlich nicht unblutig und die Islamisierung nicht das Ergebnis einer friedlichen Mission. Und bis heute dürfen Iraner, bei Androhung drakonischer Strafen, ihre Religion nicht frei wählen, sie bleiben zwangsislamisiert. Dies wird von manchen als kultureller Genozid angesehen, bei dem der Islam als Ideologie die iranische Nation unterdrückt. Eine solche Sichtweise hat schon etwas Nationalromantisches. Aber wie so oft können wir hier schlecht deutsche Maßstäbe an ein Land legen, dass eine ganz andere Geschichte, Gegenwart, Gesellschaft und Politik vorzuweisen hat. Und dieses Land, also der Iran, hat die Veranstalter:innen nun mal entscheidend geprägt. Die meisten von ihnen sind erst vor wenigen Jahren als Flüchtlinge hierher gekommen.
Untiefen: Vor gut zwei Wochen wurden von Unbekannten politische Parolen auf das IZH gesprüht, offenbar im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Regime in der Provinz Khuzestan. In der Presse war von einem»Anschlag auf eine Moschee« die Rede. Teilt ihr diese Perspektive?
Vahlenkamp: Ein Farbanschlag ist kein Mittel eines demokratischen Diskurses. Dafür stehen andere Mittel zur Verfügung.
Ich kann auch verstehen, dass Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sich hier mit der Schura solidarisiert hat. Synagogen sind ja sehr oft von Farbanschlägen und ähnlichem betroffen und wenn diese Gebäude nicht so aufwändig geschützt wären, dann wären sie es wohl noch viel häufiger. Diese Anschläge wirken bedrohlich und einschüchternd – und das ist ja auch beabsichtigt. Auch Moscheen waren in den letzten Jahren immer wieder das Ziel von xenophoben Angriffen, seien es Brandanschläge oder das Ablegen von Schweineköpfen oder ähnliches. Für so etwas habe ich absolut kein Verständnis.
Beim IZH ist der Fall aber meines Erachtens nach etwas anders gelagert. Es ist ja offensichtlich, dass die Tat durch iranische Dissidenten begangen wurde. Die Parolen waren in persischer Sprache und hatten politischen, auf den Iran bezogenen Inhalt. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Iran eines der sehr wenigen Länder auf der Welt ist, wo Klerus und politische Machthaber nicht bloß eng miteinander verstrickt sind, sondern wo der Klerus selbst die politische Macht innehat. Hier haben sich also Leute quasi an ihren Unterdrückern gerächt und ich denke, das ist etwas anderes, als wenn man einer Minderheit Angst einjagen möchte. Im Iran würde man für so etwas seinen Kopf verlieren, hier droht nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.
Untiefen: Auch die Bürgerschaftsfraktion der Linken hatte vor der Demo in einer Pressemitteilung behauptet, hier würde – grade nach dem genannten »Anschlag« – »gezielt Stimmung gemacht gegen Hamburgs muslimische Bürger:innen« und so das »Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen« in Hamburg gefährdet. Ihr habt diese Darstellung zurückgewiesen. Hat eure Partei in Hamburg eine grundsätzlich andere Haltung zum IZH als ihr?
Vahlenkamp: Die Linke hat ja überhaupt keine Position zum IZH. Arbeit, Wirtschaft und Soziales – das sind die Themen der Linken. Aber weder zum Thema IZH noch zum Thema Islamismus stand irgendetwas im Bürgerschaftswahlprogramm. Darauf angesprochen heißt es dann meist, man wolle keine rechten Diskurse bedienen. Viele verstehen einfach nicht, dass die rechten Diskurse durch das Ignorieren solcher Themen erst recht bedient werden. Diese Unbedarftheit sah man ja auch der Pressemitteilung an. Da wurde die Haltung und Sichtweise der Schura einfach übernommen. Dann haben wohl ein paar Leute dort angerufen und sich beschwert. Daraufhin wurde die Pressemitteilung schnell wieder kommentarlos aus dem Internet entfernt.
Zumindest ein Teil der Linken hegt aber auch mehr oder weniger offen Sympathie mit der Islamischen Republik Iran. Das wirkt natürlich erstmal grotesk, weil es ein strikt antikommunistisches Regime ist. Aber es ist eben auch ein erklärter Feind des »US-Imperialismus« und das ist manchen im Zweifel wichtiger. Besonders die Gruppe Marx21 hat ja immer besonders viel Verständnis für Islamisten aller Couleur. Ich glaube, sie tun das, weil sie den westlichen Liberalismus als gemeinsamen Feind ansehen. Im Fall Iran kommt aber auch noch mit hinzu, dass das Land beste Beziehungen zu den ALBA-Staaten und Putins Russland hat. Von daher hat das Regime für manche Linke den Status eines Verbündeten und da hält man sich dann mit Kritik zurück.
Untiefen: Gibt es aus der Hamburger Linkspartei Belege für solche Haltungen?
Vahlenkamp: Ja, zum Beispiel postete die Bürgerschaftsfraktion 2017 zum »Internationalen Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Transphobie« bei Facebook einen Aufruf und erinnerte daran, dass viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung flüchten müssen. Darauf folgte eine Liste solcher Unterdrückerstaaten, wie etwa Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Auffällig war aber, dass der Iran, der auch beim Thema Homosexualität der Hinrichtungsweltmeister ist, auf der Liste fehlte, ebenso wie Russland. Dafür stand dort die Ukraine, obwohl dort homosexuelle Handlungen gar nicht verboten sind und sich seit dem Euromaidan die Politik für mehr Toleranz einsetzt. Es waren ausschließlich prowestliche Staaten auf der Liste verzeichnet. Ich fragte dann nach, ob dieses Weglassen der Achse Moskau-Teheran-Damaskus geschuldet sei.
Das Presseteam antwortete: »Das Engagement der LINKEN gegen Diskriminierung ist universell und nimmt weder Rücksicht auf irgendwelche konstruierten ›Achsen‹ noch auf den Iran, auf Russland oder auf sonstwen. Und auch nicht auf diejenigen, die meinen, der LINKEN bei wirklich jeder Gelegenheit die übelsten Absichten unterstellen zu müssen.« Erst Jahre später erfuhr ich von der damaligen Praktikantin, die den Aufruf geschrieben hatte, dass in der ursprünglichen Liste natürlich auch Iran und Russland standen. Allerdings hatte der damalige queerpolitische Sprecher Martin Dolzer die Liste vor der Veröffentlichung abgeändert. Dolzer gehört zu einem Kreis von Putin-Lobbyisten, die oft in Russland zu Gast sind. Und die stehen dann eben auch zu Putins Alliierten.
Untiefen: Die israelsolidarischen Shalom-Arbeitskreise wie ihr waren von Anfang an marginal in der Linksjugend Solid und Dissens besteht sicher nach wie vor in einer ganzen Reihe von Fragen. Wie ist heute das Verhältnis zur Linksjugend?
Vahlenkamp: Der BAK Shalom in der Linksjugend Solid hatte zu Beginn einen schweren Stand, auch wenn das in den einzelnen Landesverbänden unterschiedlich ausgeprägt war. Er wurde natürlich immer vor dem Hintergrund der »AntiD-Antiimp« Kontroverse gesehen. Aber dann gab es 2014 die von der Linksjugend Solid organisierte Demo »Stoppt die Bombardierung Gazas – für ein Ende der Eskalation im Nahen Osten« in Essen. Daran nahmen höchst zweifelhafte Gestalten teil, die antisemitische Sprechchöre riefen, jüdische Einrichtungen anzugreifen versuchten und Gegendemonstranten mit Flaschen bewarfen. Das war eine Art Schockmoment, der dazu führte, dass im Jahr darauf der Antrag »Gegen jeden Antisemitismus« vom Bundeskongress der Linksjugend Solid beschlossen wurde.
Ich glaube, das war das erste Mal, dass ein Antrag vom BAK Shalom angenommen wurde. Heute sind die Strukturen des BAK Shalom relativ gut eingebunden in die Arbeit der Linksjugend Solid, was man ja auch an der diesjährigen Erklärung »Trauer um die Toten – Hass für die Hamas!« erkennen kann. Da haben sich einige aus der jüdischen und israelsolidarischen Community gewundert, dass so etwas von den Linken kommt. Die denken ja oft, dass wir ihnen feindlich gesonnen sind. Ich sehe den Jugendverband insgesamt auf einem guten Weg, auch wenn es vor Ort weiterhin sehr unterschiedlich bleibt.
Untiefen: Und wie sieht es hier in Hamburg für Euch aus?
Vahlenkamp: Hier hapert es nicht zuletzt mit der innerparteilichen Demokratie. Vor zwei Jahren haben wir uns als hamburgischer Landesverband der Emanzipatorischen Linken zusammengeschlossen, nachdem wir zunächst drei Jahre unter dem Dach des BAK Shalom im Jugendverband organisiert waren. Die Emanzipatorische Linke ist eine innerparteiliche Strömung, die sich an gesellschaftsliberalen, radikaldemokratischen und emanzipatorischen Standpunkten orientiert. Der Landesvorstand der Linken wollte uns zunächst gar nicht als Zusammenschluss anerkennen, obwohl er laut Satzung zur Anerkennung verpflichtet ist, wenn die formalen Kriterien erfüllt sind. Dementsprechend konnte die Landesschiedskommission den Nicht-Anerkennungs-Beschluss schnell wieder aufheben.
Aber man sah uns im Landesvorstand wohl von Beginn an als Feinde. Unser Antrag an den Landesparteitag 2020, »Keine Liebesgrüße nach Moskau«, der sich kritisch mit Putins Kriegspolitik auseinandersetzte, wurde von der Antragskommission »versehentlich« layouttechnisch dermaßen zerhackt, dass er kaum noch lesbar war, bevor der Parteitag dann die Nichtbefassung beschloss. Im Frühjahr 2021 haben wir eine Online-Veranstaltungsreihe zu Verschwörungsmythen gemacht. Dafür bekamen wir von der Partei ein wenig Geld, was allerdings im Nachgang zu wüsten Debatten im Landesvorstand führte. Lustigerweise hatte niemand inhaltlich etwas an der Veranstaltungsreihe auszusetzen, aber es wurde ein großer Alarm gemacht, dass man damit ja »Antideutsche« unterstützen würde.
Untiefen: Zieht ihr aus solchen und den neusten Enttäuschungen rund um die Kundgebung politische Konsequenzen?
Ich bin gerne bereit, mit allen und über alles zu diskutieren. Aber dann möchte ich über Fakten sprechen und nicht über gestreute Gerüchte oder Dogmen, die sich Leute in den 1970er Jahre so angewöhnt haben. Wenn man sich gegen Antisemitismus einsetzt, hat man ja automatisch eine Menge Feinde, ob nun aus der Nazi-Szene, aus islamistischen Zirkeln oder in den letzten Jahren vermehrt auch aus dem Aluhut-Milieu. Da kann man dann nicht auch noch »Friendly Fire« aus der eigenen Partei gebrauchen. Außerdem haben wir natürlich eine gewisse Verantwortung gegenüber unseren Sympathisanten, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben. Allein bei Facebook folgen uns über 800 Leute. Die meisten sind parteilich nicht gebunden. Die kommen dann zu unseren Infoveranstaltungen und Demos, lesen unsere Texte, hören unsere Redebeiträge und denken sich: »Oh, es gibt stabile Leute in der Linken. Dann wähle ich die.«
Aber wen wählen sie damit in Hamburg? Sie wählen die Spitzenkandidatin Żaklin Nastić. Also die Frau, die Angela Merkel wegen »Beihilfe zum Mord« angezeigt hat, weil sie die Liquidierung des Topterroristen Qasem Soleimani nicht verhindert hat. So ein Vorgehen ist zum einen ziemlich gaga, zum anderen zeigt es aber auch, wo die »Sprecherin für Menschenrechtspolitik« so ihre Prioritäten sieht und bei wem ihre Sympathien liegen. Dann will man aufspringen und schreien: »Nein, nein, wählt sie nicht!« Ich fühle mich da wie Oskar Lafontaine, der ja mittlerweile auch zur Nicht-Wahl der Linken aufruft, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Ich möchte aber authentisch bleiben und trete dann konsequenterweise aus der Partei Die Linke aus. Ich finde mich weder in der Außenpolitik noch in dem ganzen Dogmatismus der Linken heute noch wieder.
Untiefen: Planst Du in eine andere Partei einzutreten? Oder setzt Du deine Arbeit parteilos fort?
Vahlenkamp: Ich sehe mich heutzutage als Sozialliberalen. Und als solcher stimme ich am ehesten mit den Positionen von Bündnis90/Die Grünen überein. Deshalb werde ich dort demnächst einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Ein »Parteisoldat« werde ich aber in diesem Leben wohl nicht mehr. Dafür habe ich dann doch zu oft meinen eigenen Kopf. Glücklicherweise leben wir aber ja in einer Gesellschaft, in der es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich einzubringen. Und das werde ich sicherlich auch weiterhin tun.
In bester Hamburger Alsterlage residiert das Islamische Zentrum Hamburg mit seiner »Blauen Moschee«. Es fungiert als europäische Vertretung der islamistischen Despotie im Iran. Seit 2012 wird es durch einen Staatsvertrag mit der Stadt Hamburg politisch gefördert. Nach dem Willen von SPD und Grünen soll das so weitergehen. Warum?
In bester Lage an der Außenalster residiert seit 1965 die Hamburger Imam-Ali-Moschee, laut Stadtmarketing »eine der schönsten Moscheen Deutschlands«. Träger des von iranischen Kaufleuten in den 1960ern finanzierten Prachtbaus ist das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das als europäischer Brückenkopf der schiitisch-islamistischen Despotie im Iran fungiert. Deren oberste religiöse Autorität und Revolutionsführer, Ajatollah Ali Chamenei, ist nicht nur Machthaber über die mörderischen Revolutionsgarden, Holocaustleugner und obsessiver Israelhasser mit atomaren Ambitionen, sondern entsendet seit 1989 auch persönlich seinen Stellvertreter für Europa an die Alster. Über das IZH reicht Teherans langer Arm bis zu iranischen Oppositionellen, die in Hamburg immer wieder Opfer von Übergriffen aus dem Umfeld der Imam-Ali-Moschee werden.
Dennoch hat die SPD das IZH 2012 im Rahmen des Staatsvertrags mit den muslimischen Verbänden offiziell zum politischen Partner aufgewertet. Anfang 2021 haben SPD und Grüne sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, diesen Staatsvertrag zu verlängern. Warum wird iranischer Islamismus in Hamburg offen gefördert?
Das Offensichtliche
Dass man es bei den Islamisten von der Schönen Aussicht 36 mit Propagandisten und Schlägern im Auftrag der islamischen Republik zu tun hat, ist offensichtlich. Wer es wissen will, kann den Aussagen der überschaubaren aber hartnäckigen Gruppe iranischer Oppositioneller, Ex-Muslime und vereinzelter israelsolidarischer Linksradikaler zuhören, die sich regelmäßig auf Kundgebungen und Demonstrationen vor der Moschee versammeln. Mindestens das politische Personal der regierenden rot-grünen Koalition weiß, dass die Khomeinisten von der Schönen Aussicht seit zwei Jahrzehnten mal offen, mal verdeckt den antisemitischen Al-Quds-Marsch in Berlin mitorganisieren und unterstützen. Sie wissen, dass das IZH eine Anlaufstelle für Hisbollah-Anhänger:innen in Hamburg und darüber hinaus ist. Sie wissen, dass die IZH-Leiter nach außen gemäßigt und dialogbereit auftreten, ideologisch aber am Export der islamischen Revolution festhalten. Sie wissen, dass dort Misogynie und Homophobie verbreitet werden. Sie wissen, dass dort jedes Jahr Gedenkveranstaltungen für Ajatollah Chomeini abgehalten werden, oder, wie letztes Jahr, für den Kommandeur der Quds-Einheit und Schlächter Qasem Soleimani.
Trotzdem handelte die Stadt Hamburg zwischen 2006 und 2012, zunächst unter dem CDU-Senat Ole von Beusts, dann unter Olaf Scholz, einen Staatsvertrag mit dem DITIB Landesverband Hamburg, dem Verband der Islamischen Kulturzentren, der alevitischen Gemeinde und der SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg aus. In der Schura stellt das IZH seit jeher einen von drei Vorsitzenden, entsprechend hat sich der Dachverband wiederholt hinter die Machenschaften um die Imam-Ali-Moschee gestellt. Intention des 2012 vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz unterzeichneten Staatsvertrags war es – ebenso wie zuvor mit christlichen und jüdischen Gemeinden – das Verhältnis zur Stadt Hamburg zu klären. Neben der Regelung praktischer Fragen zu muslimischen Feiertagen, Friedhöfen und islamischem Religionsunterricht sollte so für Integration und friedliches Miteinander geworben sowie innerhalb der Verbände die Abgrenzung gegenüber »Extremisten« gestärkt werden. Dafür suchten sich die Hamburger Regierungen ihre Partner explizit danach aus, wer die meisten und die diversesten Moscheevereine etc. repräsentiert. Gegen die öffentliche Kritik an den islamistischen »Ausrutschern« innerhalb der Partnervereine in der Schura – die es nicht nur beim IZH gibt – verteidigen SPD und Grüne ihren Staatsvertrag dann auch im Namen der Integration: »Die Ausrichtung des IZH war beim Abschluss der Verträge bekannt. Senat und Bürgerschaft hatten dies mit dem Nutzen schriftlicher Verträge als Grundlage für eine Zusammenarbeit im Sinne der Integration abzuwägen.« Sicher habe es hier und da »Anlass für Kritik und Schwierigkeiten« gegeben, insgesamt habe sich der Vertrag aber doch »bewährt«.
Der Bundesregierung auf der Spur
Hamburg folgt damit in doppelter Weise der Strategie der Bundesregierung. Erstens ist die deutsche Außenpolitik gegenüber dem iranischen Regime opportunistisch. Zugunsten des Iran-Geschäfts deutscher Konzerne hält die Bundesregierung entgegen aller Verstöße am Atomabkommen mit den Mullahs fest und verschließt dabei vor der Brutalität und dem militanten Antisemitismus des Regimes fest die Augen. Die BRD hat sogar – erfolgslos – versucht, die US-Handelssanktionen auszuhebeln. Hamburg ist dabei als Finanzstandort mittendrin: Wie Matthias Küntzel zusammengetragen hat, wurden bis 2011 Milliardensummen für Iranisch-Indische Öldeals über die Europäisch-Iranische Handelsbank im Kontorhausviertel an den Sanktionen der USA vorbeigeschoben – gedeckt von der Bundesfinanzaufsicht. Barack Obama rief gar persönlich bei Angela Merkel an, um ein Ende dieser Sabotage zu fordern. Bis heute spielt die ebenfalls von den Mullahs kontrollierte Niederlassung der Melli Bank am Hamburger Nikolaifleet eine Schlüsselrolle im europäischen Iran-Business. Offenbar hat die Bundesbank ihr noch 2020 ihre Dienste zur Verfügung gestellt, um das Iran-Geschäft deutscher Firmen zu ermöglichen. Durchaus denkbar also, dass die Zurückhaltung der wechselnden Hamburger Senate gegenüber dem IZH auch eine wenig beachtete geopolitische Komponente hat.
Zweitens macht die Stadt Hamburg mit ihrem Staatsvertrag ebenso wie die Bundesregierung konservative Islamverbände für die Integration von Migrant:innen und Nachfahren von Migrant:innen aus islamischen Ländern mitverantwortlich. Am Beispiel des IZH zeigt sich deutlich wie sonst selten, was damit eingekauft wird. Wer um jeden Preis Kontrolle und »Ansprechpartner« will, muss sich selbst die radikalsten Islamisten als irgendwie-auch- Extremismusbekämpfer zurechtbiegen. Angesichts der 2022/23 anstehenden Neuverhandlungen des Staatsvertrags will die Rot-Grüne Regierung ein Eingeständnis des Scheiterns dieser Strategie entgegen aller Kritik vermeiden.
Kritik von liberal bis rechtsextrem
Und diese Kritik fällt leider fast ausschließlich von Seiten der Abgeordneten von AfD, CDU und FDP deutlich aus. Immer wieder fordern vor allem AfD und CDU, Schritte gegen das IZH zu unternehmen: vom Ende der Zusammenarbeit mit dem IZH, über dessen Ausschluss aus der Schura bis hin zum Vereinsverbot, das zuletzt der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Dennis Gladiator ins Spiel brachte. Dass die CDU dabei stets die »Freiheitlich-Demokratische Grundordnung« gegen den »religiösen Extremismus« verteidigen will, um »Spannungen in der Stadt« zu vermeiden, lässt ahnen, dass es hier um konservative Profilbildung und Selbstdarstellung als staatstragende Partei geht. Die AfD indessen, insbesondere ihr rechtsextremer Fraktionsvorsitzender Alexander Wolf, versucht ihre Agitation gegen das IZH als Teil ihres Kulturkampfes gegen die »Islamisierung« zu inszenieren. Einen medialen Erfolg konnte sie im Oktober 2020 verbuchen, als durch eine große Anfrage der AfD in der Bürgerschaft herauskam, dass unter anderem der Islamisches Zentrum Hamburg e.V. laut eigener Auskunft von der Hamburger Steuerverwaltung bis heute als gemeinnütziger Verein anerkannt ist und dadurch erhebliche Steuervorteile genießt.
Die AfD argumentierte, durch die Einstufung des IZH als »extremistisch« durch den Verfassungsschutz sei das nicht nur ein politischer Skandal, sondern schlicht rechtswidrig. Zwar stellte sich Finanzsenator Andreas Dressel demonstrativ vor seine Behörde und behauptete, die Steuerverwaltung entziehe als »extremistisch« eingestuften Vereinen konsequent die Gemeinnützigkeit. Aber die AfD konnte nachsetzen und bekam in einer weiteren Anfrage im November heraus, dass nur wenige Tage nach Veröffentlichung der ersten Anfrage zwei weitere Verfahren zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit wegen Extremismuseinstufung eingeleitet wurden. Gegen wen blieb mit Verweis auf das Steuergeheimnis unerwähnt. Für die AfD ein Coup, sieht es nun doch so aus als habe sie erfolgreich den Finanzsenator vor sich hergetrieben und quasi zum Eingeständnis genötigt, dass »extremistische Vereine« von der Finanzbehörde geduldet werden. Im Namen des Kampfes gegen »Extremismus« zielte die AfD-Anfrage neben dem IZH auf den marxistischen Lesekreis-Verein Marxistische Abendschule (MASCH) e.V., der dann im Januar 2021 bekanntgab, das Finanzamt Nord habe ihm die Gemeinnützigkeit mit Verweis auf den Verfassungsschutz entzogen. Es ist zu vermuten, dass ein Zusammenhang zur Anfrage der AfD besteht.
Dass ein rot-grüner Senat sich von der Extremismus-Rhetorik von Verfassungsschutz und AfD zum Verbot eines linken Vereins drängen lässt – oder es selbst angestrebt hat, ist ein Skandal. Ein weiterer ist es, dass die iranischen Islamisten tatsächlich auch finanziell gefördert werden und der Senat bis heute nicht Stellung dazu bezogen hat. Damit überlässt er ein wichtiges Thema der kultur-rassistischen Agitation der AfD.
Linker Zweckoptimismus
Auch die oppositionelle Hamburger Linksfraktion hat bislang keine Stellung zum IZH bezogen. Sie spricht sich zwar gegen Islamismus aus, wenn es um den IS und Rojava geht. Zu den schiitischen Islamisten in Hamburg schweigt sie aber. Die einzige Ausnahme innerhalb des Landesverbands ist die israelsolidarische Splittergruppe Emanzipatorische Linke.Shalom Hamburg. Die langjährige ehemalige innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Christiane Schneider erklärte im März 2021, welche politischen Prioritäten einer Positionierung zum IZH entgegenstehen: Erstens hätten die Staatsverträge eine Ungleichbehandlung von Muslimen beendet und seien daher Ausdruck von Religionsfreiheit und kultureller Vielfalt. Zweitens sei die multikonfessionelle Schura eine Erfolgsgeschichte, da sie nicht nur mit dem Ziel gegründet wurde, sich zur deutschen Gesellschaft hin zu öffnen, sondern unterdessen tatsächlich ein »Selbstverständnis als islamische Religionsgemeinschaft in einem säkularen, demokratisch verfassten Rechtsstaat« erarbeitet hätte. Drittens hätten sich CDU und FDP mit ihrer Kritik an den islamischen Verbänden leider dem Kurs der AfD angeschlossen, einer eingebildeten Islamisierung den Kulturkampf zu erklären. Demgegenüber müsse DIE LINKE am Staatsvertrag auch mit dem IZH festhalten, denn:
»Die Verträge sind zugleich Grundlage, Konflikte zu thematisieren und zu Klärungen zu kommen. Dass das gelingen kann, zeigt die Tatsache, dass das ›Islamische Zentrum Hamburg‹ (IZH) seine Beteiligung an den höchst problematischen antiisraelischen Demonstrationen am jährlichen Al Quds-Tag nach 2018 beendet hat.«
Dass der Marsch 2020 wegen der Corona-Pandemie glücklicherweise ganz ausfiel; dass 2019 zwar keine iranischen Geistlichen, aber dennoch IZH-Anhänger am Marsch teilnahmen; dass wenn überhaupt, die Angst vor einem Vereinsverbot hier ein Zugeständnis des IZH erzwungen hat – geschenkt. Entscheidend ist der linke Wille, sich durch ein höchstens symbolisches Zugeständnis der IZH-Führung vorgaukeln zu lassen, mit Dialog und Gesprächen könnten aus Bediensteten eines Terror-Regimes doch noch Freunde von Diversität und Völkerverständigung werden. Ob Schneider ihren Dialog-Optimismus wirklich selber glaubt oder schlicht Angst hat, bei inhaltlicher Nähe zur Kritik von rechts und ganz rechts die wahltaktisch wichtige Glaubwürdigkeit in Sachen Anti-Rassismus zu verlieren, ist unklar. Ein Armutszeugnis ist das linke Schweigen in jedem Fall. Es ist ein zwar unspektakulärer, aber fortwährender Verrat an all jenen, die für Freiheit im Iran kämpfen.
Felix Jacob, Juni 2021
Der Autor ist Arbeitsloser ohne Gewissensbisse, Segler und Alsterspaziergänger. Für die Imam-Ali-Moschee schwebt ihm eine Nachnutzung als Stadtteilzentrum mit Freibad vor.