Staatsvertrag mit Mullahs

Staatsvertrag mit Mullahs

In bes­ter Ham­bur­ger Als­ter­lage resi­diert das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg mit sei­ner »Blauen Moschee«. Es fun­giert als euro­päi­sche Ver­tre­tung der isla­mis­ti­schen Des­po­tie im Iran. Seit 2012 wird es durch einen Staats­ver­trag mit der Stadt Ham­burg poli­tisch geför­dert. Nach dem Wil­len von SPD und Grü­nen soll das so wei­ter­ge­hen. Warum?

Die Imam-Ali-Moschee an der Bin­nen­als­ter. Foto: Alt­Sylt Lizenz: CC BY 4.0

In bes­ter Lage an der Außen­als­ter resi­diert seit 1965 die Ham­bur­ger Imam-Ali-Moschee, laut Stadt­mar­ke­ting »eine der schöns­ten Moscheen Deutsch­lands«. Trä­ger des von ira­ni­schen Kauf­leu­ten in den 1960ern finan­zier­ten Pracht­baus ist das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH), das als euro­päi­scher Brü­cken­kopf der schiitisch-islamistischen Des­po­tie im Iran fun­giert. Deren oberste reli­giöse Auto­ri­tät und Revo­lu­ti­ons­füh­rer, Aja­tol­lah Ali Cha­menei, ist nicht nur Macht­ha­ber über die mör­de­ri­schen Revo­lu­ti­ons­gar­den, Holo­caust­leug­ner und obses­si­ver Isra­el­has­ser mit ato­ma­ren Ambi­tio­nen, son­dern ent­sen­det seit 1989 auch per­sön­lich sei­nen Stell­ver­tre­ter für Europa an die Als­ter. Über das IZH reicht Tehe­rans lan­ger Arm bis zu ira­ni­schen Oppo­si­tio­nel­len, die in Ham­burg immer wie­der Opfer von Über­grif­fen aus dem Umfeld der Imam-Ali-Moschee werden.

Den­noch hat die SPD das IZH 2012 im Rah­men des Staats­ver­trags mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den offi­zi­ell zum poli­ti­schen Part­ner auf­ge­wer­tet. Anfang 2021 haben SPD und Grüne sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dar­auf ver­stän­digt, die­sen Staats­ver­trag zu ver­län­gern. Warum wird ira­ni­scher Isla­mis­mus in Ham­burg offen gefördert?

Das Offensichtliche

Dass man es bei den Isla­mis­ten von der Schö­nen Aus­sicht 36 mit Pro­pa­gan­dis­ten und Schlä­gern im Auf­trag der isla­mi­schen Repu­blik zu tun hat, ist offen­sicht­lich. Wer es wis­sen will, kann den Aus­sa­gen der über­schau­ba­ren aber hart­nä­cki­gen Gruppe ira­ni­scher Oppo­si­tio­nel­ler, Ex-Muslime und ver­ein­zel­ter isra­els­o­li­da­ri­scher Links­ra­di­ka­ler zuhö­ren, die sich regel­mä­ßig auf Kund­ge­bun­gen und Demons­tra­tio­nen vor der Moschee ver­sam­meln. Min­des­tens das poli­ti­sche Per­so­nal der regie­ren­den rot-grünen Koali­tion weiß, dass die Kho­mei­nis­ten von der Schö­nen Aus­sicht seit zwei Jahr­zehn­ten mal offen, mal ver­deckt den anti­se­mi­ti­schen Al-Quds-Marsch in Ber­lin mit­or­ga­ni­sie­ren und unter­stüt­zen. Sie wis­sen, dass das IZH eine Anlauf­stelle für Hisbollah-Anhänger:innen in Ham­burg und dar­über hin­aus ist. Sie wis­sen, dass die IZH-Leiter nach außen gemä­ßigt und dia­log­be­reit auf­tre­ten, ideo­lo­gisch aber am Export der isla­mi­schen Revo­lu­tion fest­hal­ten. Sie wis­sen, dass dort Miso­gy­nie und Homo­pho­bie ver­brei­tet wer­den. Sie wis­sen, dass dort jedes Jahr Gedenk­ver­an­stal­tun­gen für Aja­tol­lah Cho­meini abge­hal­ten wer­den, oder, wie letz­tes Jahr, für den Kom­man­deur der Quds-Einheit und Schläch­ter Qasem Soleimani.

Trotz­dem han­delte die Stadt Ham­burg zwi­schen 2006 und 2012, zunächst unter dem CDU-Senat Ole von Beusts, dann unter Olaf Scholz, einen Staats­ver­trag mit dem DITIB Lan­des­ver­band Ham­burg, dem Ver­band der Isla­mi­schen Kul­tur­zen­tren, der ale­vi­ti­schen Gemeinde und der SCHURA – Rat der isla­mi­schen Gemein­schaf­ten in Ham­burg aus. In der Schura stellt das IZH seit jeher einen von drei Vor­sit­zen­den, ent­spre­chend hat sich der Dach­ver­band wie­der­holt hin­ter die Machen­schaf­ten um die Imam-Ali-Moschee gestellt. Inten­tion des 2012 vom dama­li­gen Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz unter­zeich­ne­ten Staats­ver­trags war es – ebenso wie zuvor mit christ­li­chen und jüdi­schen Gemein­den – das Ver­hält­nis zur Stadt Ham­burg zu klä­ren. Neben der Rege­lung prak­ti­scher Fra­gen zu mus­li­mi­schen Fei­er­ta­gen, Fried­hö­fen und isla­mi­schem Reli­gi­ons­un­ter­richt sollte so für Inte­gra­tion und fried­li­ches Mit­ein­an­der gewor­ben sowie inner­halb der Ver­bände die Abgren­zung gegen­über »Extre­mis­ten« gestärkt wer­den. Dafür such­ten sich die Ham­bur­ger Regie­run­gen ihre Part­ner expli­zit danach aus, wer die meis­ten und die diver­ses­ten Moschee­ver­eine etc. reprä­sen­tiert. Gegen die öffent­li­che Kri­tik an den isla­mis­ti­schen »Aus­rut­schern« inner­halb der Part­ner­ver­eine in der Schura – die es nicht nur beim IZH gibt – ver­tei­di­gen SPD und Grüne ihren Staats­ver­trag dann auch im Namen der Inte­gra­tion:
»Die Aus­rich­tung des IZH war beim Abschluss der Ver­träge bekannt. Senat und Bür­ger­schaft hat­ten dies mit dem Nut­zen schrift­li­cher Ver­träge als Grund­lage für eine Zusam­men­ar­beit im Sinne der Inte­gra­tion abzu­wä­gen.« Sicher habe es hier und da »Anlass für Kri­tik und Schwie­rig­kei­ten« gege­ben, ins­ge­samt habe sich der Ver­trag aber doch »bewährt«.

Der Bundesregierung auf der Spur

Ham­burg folgt damit in dop­pel­ter Weise der Stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung. Ers­tens ist die deut­sche Außen­po­li­tik gegen­über dem ira­ni­schen Regime oppor­tu­nis­tisch. Zuguns­ten des Iran-Geschäfts deut­scher Kon­zerne hält die Bun­des­re­gie­rung ent­ge­gen aller Ver­stöße am Atom­ab­kom­men mit den Mul­lahs fest und ver­schließt dabei vor der Bru­ta­li­tät und dem mili­tan­ten Anti­se­mi­tis­mus des Regimes fest die Augen. Die BRD hat sogar – erfolgs­los – ver­sucht, die US-Handelssanktionen aus­zu­he­beln. Ham­burg ist dabei als Finanz­stand­ort mit­ten­drin: Wie Mat­thias Künt­zel zusam­men­ge­tra­gen hat, wur­den bis 2011 Mil­li­ar­den­sum­men für Iranisch-Indische Ölde­als über die Europäisch-Iranische Han­dels­bank im Kon­tor­haus­vier­tel an den Sank­tio­nen der USA vor­bei­ge­scho­ben – gedeckt von der Bun­des­fi­nanz­auf­sicht. Barack Obama rief gar per­sön­lich bei Angela Mer­kel an, um ein Ende die­ser Sabo­tage zu for­dern. Bis heute spielt die eben­falls von den Mul­lahs kon­trol­lierte Nie­der­las­sung der Melli Bank am Ham­bur­ger Niko­laifleet eine Schlüs­sel­rolle im euro­päi­schen Iran-Business. Offen­bar hat die Bun­des­bank ihr noch 2020 ihre Dienste zur Ver­fü­gung gestellt, um das Iran-Geschäft deut­scher Fir­men zu ermög­li­chen. Durch­aus denk­bar also, dass die Zurück­hal­tung der wech­seln­den Ham­bur­ger Senate gegen­über dem IZH auch eine wenig beach­tete geo­po­li­ti­sche Kom­po­nente hat.

Zwei­tens macht die Stadt Ham­burg mit ihrem Staats­ver­trag ebenso wie die Bun­des­re­gie­rung kon­ser­va­tive Islam­ver­bände für die Inte­gra­tion von Migrant:innen und Nach­fah­ren von Migrant:innen aus isla­mi­schen Län­dern mit­ver­ant­wort­lich. Am Bei­spiel des IZH zeigt sich deut­lich wie sonst sel­ten, was damit ein­ge­kauft wird. Wer um jeden Preis Kon­trolle und »Ansprech­part­ner« will, muss sich selbst die radi­kals­ten Isla­mis­ten als irgendwie-auch- Extre­mis­mus­be­kämp­fer zurecht­bie­gen. Ange­sichts der 2022/23 anste­hen­den Neu­ver­hand­lun­gen des Staats­ver­trags will die Rot-Grüne Regie­rung ein Ein­ge­ständ­nis des Schei­terns die­ser Stra­te­gie ent­ge­gen aller Kri­tik vermeiden.

Kritik von liberal bis rechtsextrem

Und diese Kri­tik fällt lei­der fast aus­schließ­lich von Sei­ten der Abge­ord­ne­ten von AfD, CDU und FDP deut­lich aus. Immer wie­der for­dern vor allem AfD und CDU, Schritte gegen das IZH zu unter­neh­men: vom Ende der Zusam­men­ar­beit mit dem IZH, über des­sen Aus­schluss aus der Schura bis hin zum Ver­eins­ver­bot, das zuletzt der innen­po­li­ti­sche Spre­cher der CDU-Fraktion Den­nis Gla­dia­tor ins Spiel brachte. Dass die CDU dabei stets die »Freiheitlich-Demokratische Grund­ord­nung« gegen den »reli­giö­sen Extre­mis­mus« ver­tei­di­gen will, um »Span­nun­gen in der Stadt« zu ver­mei­den, lässt ahnen, dass es hier um kon­ser­va­tive Pro­fil­bil­dung und Selbst­dar­stel­lung als staats­tra­gende Par­tei geht. Die AfD indes­sen, ins­be­son­dere ihr rechts­extre­mer Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Alex­an­der Wolf, ver­sucht ihre Agi­ta­tion gegen das IZH als Teil ihres Kul­tur­kamp­fes gegen die »Isla­mi­sie­rung« zu insze­nie­ren. Einen media­len Erfolg konnte sie im Okto­ber 2020 ver­bu­chen, als durch eine große Anfrage der AfD in der Bür­ger­schaft her­aus­kam, dass unter ande­rem der Isla­mi­sches Zen­trum Ham­burg e.V. laut eige­ner Aus­kunft von der Ham­bur­ger Steu­er­ver­wal­tung bis heute als gemein­nüt­zi­ger Ver­ein aner­kannt ist und dadurch erheb­li­che Steu­er­vor­teile genießt. 

Die AfD argu­men­tierte, durch die Ein­stu­fung des IZH als »extre­mis­tisch« durch den Ver­fas­sungs­schutz sei das nicht nur ein poli­ti­scher Skan­dal, son­dern schlicht rechts­wid­rig. Zwar stellte sich Finanz­se­na­tor Andreas Dressel demons­tra­tiv vor seine Behörde und behaup­tete, die Steu­er­ver­wal­tung ent­ziehe als »extre­mis­tisch« ein­ge­stuf­ten Ver­ei­nen kon­se­quent die Gemein­nüt­zig­keit. Aber die AfD konnte nach­set­zen und bekam in einer wei­te­ren Anfrage im Novem­ber her­aus, dass nur wenige Tage nach Ver­öf­fent­li­chung der ers­ten Anfrage zwei wei­tere Ver­fah­ren zur Aberken­nung der Gemein­nüt­zig­keit wegen Extre­mis­mus­ein­stu­fung ein­ge­lei­tet wur­den. Gegen wen blieb mit Ver­weis auf das Steu­er­ge­heim­nis uner­wähnt. Für die AfD ein Coup, sieht es nun doch so aus als habe sie erfolg­reich den Finanz­se­na­tor vor sich her­ge­trie­ben und quasi zum Ein­ge­ständ­nis genö­tigt, dass »extre­mis­ti­sche Ver­eine« von der Finanz­be­hörde gedul­det wer­den. Im Namen des Kamp­fes gegen »Extre­mis­mus« zielte die AfD-Anfrage neben dem IZH auf den mar­xis­ti­schen Lesekreis-Verein Mar­xis­ti­sche Abend­schule (MASCH) e.V., der dann im Januar 2021 bekannt­gab, das Finanz­amt Nord habe ihm die Gemein­nüt­zig­keit mit Ver­weis auf den Ver­fas­sungs­schutz ent­zo­gen. Es ist zu ver­mu­ten, dass ein Zusam­men­hang zur Anfrage der AfD besteht.

Dass ein rot-grüner Senat sich von der Extremismus-Rhetorik von Ver­fas­sungs­schutz und AfD zum Ver­bot eines lin­ken Ver­eins drän­gen lässt – oder es selbst ange­strebt hat, ist ein Skan­dal. Ein wei­te­rer ist es, dass die ira­ni­schen Isla­mis­ten tat­säch­lich auch finan­zi­ell geför­dert wer­den und der Senat bis heute nicht Stel­lung dazu bezo­gen hat. Damit über­lässt er ein wich­ti­ges Thema der kultur-rassistischen Agi­ta­tion der AfD.

Linker Zweckoptimismus

Auch die oppo­si­tio­nelle Ham­bur­ger Links­frak­tion hat bis­lang keine Stel­lung zum IZH bezo­gen. Sie spricht sich zwar gegen Isla­mis­mus aus, wenn es um den IS und Rojava geht. Zu den schii­ti­schen Isla­mis­ten in Ham­burg schweigt sie aber. Die ein­zige Aus­nahme inner­halb des Lan­des­ver­bands ist die isra­els­o­li­da­ri­sche Split­ter­gruppe Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg. Die lang­jäh­rige ehe­ma­lige innen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Links­frak­tion Chris­tiane Schnei­der erklärte im März 2021, wel­che poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten einer Posi­tio­nie­rung zum IZH ent­ge­gen­ste­hen: Ers­tens hät­ten die Staats­ver­träge eine Ungleich­be­hand­lung von Mus­li­men been­det und seien daher Aus­druck von Reli­gi­ons­frei­heit und kul­tu­rel­ler Viel­falt. Zwei­tens sei die mul­ti­kon­fes­sio­nelle Schura eine Erfolgs­ge­schichte, da sie nicht nur mit dem Ziel gegrün­det wurde, sich zur deut­schen Gesell­schaft hin zu öff­nen, son­dern unter­des­sen tat­säch­lich ein »Selbst­ver­ständ­nis als isla­mi­sche Reli­gi­ons­ge­mein­schaft in einem säku­la­ren, demo­kra­tisch ver­fass­ten Rechts­staat« erar­bei­tet hätte. Drit­tens hät­ten sich CDU und FDP mit ihrer Kri­tik an den isla­mi­schen Ver­bän­den lei­der dem Kurs der AfD ange­schlos­sen, einer ein­ge­bil­de­ten Isla­mi­sie­rung den Kul­tur­kampf zu erklä­ren. Dem­ge­gen­über müsse DIE LINKE am Staats­ver­trag auch mit dem IZH fest­hal­ten, denn:

»Die Ver­träge sind zugleich Grund­lage, Kon­flikte zu the­ma­ti­sie­ren und zu Klä­run­gen zu kom­men. Dass das gelin­gen kann, zeigt die Tat­sa­che, dass das ›Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg‹ (IZH) seine Betei­li­gung an den höchst pro­ble­ma­ti­schen anti­is­rae­li­schen Demons­tra­tio­nen am jähr­li­chen Al Quds-Tag nach 2018 been­det hat.«

Dass der Marsch 2020 wegen der Corona-Pandemie glück­li­cher­weise ganz aus­fiel; dass 2019 zwar keine ira­ni­schen Geist­li­chen, aber den­noch IZH-Anhänger am Marsch teil­nah­men; dass wenn über­haupt, die Angst vor einem Ver­eins­ver­bot hier ein Zuge­ständ­nis des IZH erzwun­gen hat – geschenkt. Ent­schei­dend ist der linke Wille, sich durch ein höchs­tens sym­bo­li­sches Zuge­ständ­nis der IZH-Führung vor­gau­keln zu las­sen, mit Dia­log und Gesprä­chen könn­ten aus Bediens­te­ten eines Terror-Regimes doch noch Freunde von Diver­si­tät und Völ­ker­ver­stän­di­gung wer­den. Ob Schnei­der ihren Dialog-Optimismus wirk­lich sel­ber glaubt oder schlicht Angst hat, bei inhalt­li­cher Nähe zur Kri­tik von rechts und ganz rechts die wahl­tak­tisch wich­tige Glaub­wür­dig­keit in Sachen Anti-Rassismus zu ver­lie­ren, ist unklar. Ein Armuts­zeug­nis ist das linke Schwei­gen in jedem Fall. Es ist ein zwar unspek­ta­ku­lä­rer, aber fort­wäh­ren­der Ver­rat an all jenen, die für Frei­heit im Iran kämpfen.

Felix Jacob, Juni 2021

Der Autor ist Arbeits­lo­ser ohne Gewis­sens­bisse, Seg­ler und Als­ter­spa­zier­gän­ger. Für die Imam-Ali-Moschee schwebt ihm eine Nach­nut­zung als Stadt­teil­zen­trum mit Frei­bad vor.

Die große Welle vor Hamburg

BIld: Norika Rehfeld

Die große Welle vor Hamburg

Die Elb­phil­har­mo­nie ist nicht nur schnell zum Sym­bol für Ham­burg gewor­den, zum Tou­ris­mus­ma­gne­ten und zur Vor­lage für Hei­mat­kitsch. Sie ist auch der vor­läu­fig krö­nende Abschluss einer Stadt­ent­wick­lung nach polit-ökonomischen Erfor­der­nis­sen. Eine Ent­wick­lung, in der die Herr­schaft des Men­schen über die Natur eine wesent­li­che Rolle spielt.

Anläss­lich der Eröff­nung der Elb­phil­har­mo­nie Anfang 2017 stellte der bel­gi­sche Künst­ler Peter Bug­gen­hout eine 15 Meter hohe Skulp­tur mit dem Titel Babel Varia­tio­nen in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len aus. Die­ser Bei­trag zur Aus­stel­lung Elb­phil­har­mo­nie Revi­si­ted, bestand aus gro­ßen Polyester- und Stahl­tei­len, die anmu­te­ten, als habe der Künst­ler Sperr­müll gewagt in die Höhe gesta­pelt: ein fra­gi­ler Riese, der den Ein­druck erweckte, jeder­zeit in sich zusam­men­zu­bre­chen. Die raum­grei­fende Skulp­tur kon­tras­tierte die glit­zernde Ästhe­tik des soeben fer­tig­ge­stell­ten, mas­si­ven Kon­zert­hau­ses an der Elbe. Mit dem Titel Babel Varia­tio­nen spielt Bug­gen­hout auf die alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel (Gen 11,1–9) an und bezieht sie auf die Ham­bur­ger Elbphilharmonie.

Romantisch verklärt statt bestraft

Im 21. Jahr­hun­dert scheint die Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel obso­let: Die Kir­chen in Deutsch­land sind wie leer­ge­fegt und Got­tes­furcht taugt nicht mehr als Mit­tel der Poli­tik. Auch für den Namens­ge­ber des der­zeit höchs­ten Gebäu­des der Erde und gleich­zei­tige Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate, Scheich Cha­lifa bin Zayid Al Nahyan blieb eine gött­li­che Strafe bis­her aus. Dem mensch­li­chen Sprach­wirr­war kann heute bequem per Han­dyapp begeg­net wer­den. Wes­halb also ein Kon­zert­haus am Fuße der Elbe zu einem neuen Turm­bau zu Babel erklären? 

In der Selbst­be­schrei­bung der Elb­phil­har­mo­nie heißt es wenig beschei­den, dass »dem tra­di­tio­nel­len Back­stein­so­ckel neues Leben« ein­ge­haucht und dass »das Kon­zert­haus als fun­kelnde Krone oben drauf« gesetzt wor­den sei. Ein Affront, nicht gegen Gott, so doch aber gegen eine dem Men­schen wie über­mäch­tig gegen­über­ste­hende Natur. In der archi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lung der Handels- und Hafen­stadt spie­gelt sich viel­mehr das Ver­hält­nis der Men­schen zur Natur wider. Dass es sich dabei um ein durch­weg polit-ökonomisches Herr­schafts­ver­hält­nis han­delt, kann Epo­che für Epo­che nach­ge­zeich­net werden: 

In der Elb­phil­har­mo­nie wird diese Ent­wick­lung gewis­ser­ma­ßen an meh­re­ren Jah­res­rin­gen sicht­bar. Der untere Teil des Kon­zert­hau­ses besteht aus der back­stei­ner­nen Außen­mauer des 1875 errich­te­ten Kai­spei­cher A, der sei­ner­zeit auch Kai­ser­spei­cher genannt wurde. Mit Hilfe von Krä­nen konn­ten die Waren im dama­li­gen Haupt­ha­fen Ham­burgs direkt vom Schiff in das Spei­cher­ge­bäude gehievt wer­den. Das neu­go­ti­sche Spei­cher­ge­bäude wurde im 2. Welt­krieg zer­stört und in den sech­zi­ger Jah­ren in schlich­ter Form wie­der auf­ge­baut. Mit der glo­ba­len Umstel­lung des See­han­dels von Stück­gut auf den Con­tai­ner­fracht­ver­kehr fand der Schiffs­han­del zuneh­mend im rasant wach­sen­den Con­tai­ner­ha­fen statt, der der Stadt süd­west­lich vor­ge­la­gert wurde. In der Folge wurde der Lager­be­trieb im Kai­spei­cher in den neun­zi­ger Jah­ren voll­stän­dig ein­ge­stellt. Der tra­pez­för­mige Grund­riss des ers­ten Kai­spei­chers blieb erhal­ten und die schlichte Kai­mauer bil­det den Sockel des von den Hamburger:innen mitt­ler­weile Elphi genann­ten Baus. Im Ensem­ble mit der angren­zen­den denk­mal­ge­schütz­ten Spei­cher­stadt ist das Große Gras­brook genannte Gebiet, auf dem nun Elb­phil­har­mo­nie und Hafen­city ste­hen, eine roman­ti­sie­rende Remi­nis­zenz an die Geschichte der Han­se­stadt Ham­burg, die sich seit den zwan­zi­ger Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts als Tor zur Welt beschreibt und deren expan­si­ver See­han­del eine große, rei­che Ober­schicht ent­ste­hen ließ.

Der Kampf gegen die erste Natur

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Metro­pole der See­schiff­fahrt war kei­nes­wegs vor­ge­zeich­net, betrach­tet man die geo­gra­phi­sche Lage und die natür­li­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen der Region Ham­burg: Die Stadt lag, salopp gesagt, im Matsch tief im Bin­nen­land zwi­schen Nord- und Ost­see. Die Stadt­ge­schichte ist geprägt von die­ser und wei­te­ren für Land­wirt­schaft und Han­del ungüns­ti­gen Umwelt­be­din­gun­gen, die bis heute mas­sive Ein­griffe durch den Men­schen nach sich ziehen. 

Die Elb­re­gion bestand ursprüng­lich aus frucht­ba­ren, aber dau­er­haft nas­sen Böden, die für eine Bewirt­schaf­tung nicht geeig­net waren. Die vor­neu­zeit­li­chen Siedler:innen der Elb­land­schaft muss­ten sich gegen die Kräfte der Natur weh­ren: Im fla­chen, san­di­gen Fluss­bett der viel­fach ver­zweig­ten Elbe, mit ihren Zuflüs­sen Als­ter und Bille, kämpf­ten sie gegen hohe Grund­was­ser­spie­gel, täg­lich wech­selnde Pegel­stände und dro­hende Sturm­flu­ten. Sie wirk­ten auf die Natur ein, blie­ben ihr aber lange Zeit wei­test­ge­hend aus­ge­lie­fert. Um die Region siche­rer besie­deln und bewirt­schaf­ten zu kön­nen, ent­wi­ckel­ten sie tech­ni­sche Hilfs­mit­tel, zur Steue­rung der Was­ser­mas­sen: Im 12. Jahr­hun­dert instal­lier­ten Siedler:innen eine Unzahl von Ent­wäs­se­rungs­grä­ben und ‑müh­len, leg­ten künst­li­che Erd­hü­gel an, auf denen sie ihre Höfe errich­te­ten, und bau­ten Dei­che, die sie vor den Flu­ten schüt­zen soll­ten. Die heu­ti­gen Kanäle, ja sogar die Elb­in­seln und Flüsse wur­den in Folge der mas­si­ven Umge­stal­tung durch den Men­schen geschaf­fen – sie sind das Resul­tat jahr­hun­der­te­lan­ger Umstruk­tu­rie­run­gen. Zahl­lose Bau­ten wur­den als Wehre zum Schutz vor dem Was­ser der Elbe errich­tet, und zwar sol­cher­art, dass sich zugleich ein öko­no­mi­scher Nut­zen aus der Nähe zum Was­ser zie­hen ließ. Damit wurde der Grund­stein für das Wachs­tum der Ham­bur­ger Wirt­schaft gelegt. 

Wo ein Wille, da ein Wasserweg

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Welt­han­dels­stadt ist das Ergeb­nis eines Wil­lens­ak­tes basie­rend auf einer öko­no­mi­schen Ent­schei­dung. Die Was­ser­straße Elbe führt zwar in die Nord­see, dies jedoch erst nach vie­len Fluss­ki­lo­me­tern. Gleich­zei­tig liegt Ham­burg in räum­li­cher Nähe zur Ost­see. Nicht trotz, son­dern gerade wegen die­ser Bin­nen­lage konnte die Stadt im 13. Jahr­hun­dert zum ent­schei­den­den Bin­de­glied zwi­schen Nord- und Ost­see auf­stei­gen, indem die Elbe in Rich­tung Nord­see ste­tig aus­ge­baut und in Rich­tung Ost­see eine sichere Stra­ßen­ver­bin­dung geschaf­fen wurde. Die Hanse sicherte sich hierzu Wege­rechte und das Recht, Han­dels­schiffe und Waren auf direk­tem Weg und zoll­frei bis nach Ham­burg zu trans­por­tie­ren – auch durch die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt und rechts­wid­ri­gen Mitteln. 

In dem Wirk­ge­füge zwi­schen Acker­bau, Han­del und Mili­tär wurde Natur als waren­för­mige Res­source best­mög­lich genutzt und als Wirt­schafts­grund­lage opti­miert: Dies bezeu­gen z.B. die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Ham­bur­ger Was­ser­bau­di­rek­tors Rein­hart Wolt­man aus dem Jahr 1802. Er schreibt darin: »Inso­fern schiff­bare Kanäle Kunst­werke hydrau­li­scher Archi­tek­tur sind, müs­sen ihre Dimen­sio­nen, und die Grö­ßen ihrer ver­schie­de­nen Theile, in gewis­ser Pro­por­tion zuein­an­der ste­hen, bei wel­cher diese Kanäle die größte Zweck­mä­ßig­keit, Dau­er­haf­tig­keit und Nut­zen errei­chen.«1Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]

Der Kanal gerät in der Vor­stel­lung Wolt­mans zu einem Leis­tungs­trä­ger, des­sen mess­bare Para­me­ter es im öko­no­mi­schen Sinne best­mög­lich zu nut­zen gilt. Die Dop­pel­deu­tig­keit des Begriffs ‘Kunst­werke’ ist bezeich­nend: Es weist nicht nur auf die Künst­lich­keit der Kanäle hin, son­dern unter­streicht gleich­zei­tig die krea­tive und schöp­fe­ri­sche Tätig­keit des Was­ser­bau­ers. Der Begriff ist Aus­druck eines Bestre­bens, die Kräfte der Natur erken­nen und beherr­schen zu wol­len. So wie die tech­no­kra­ti­sche Umfor­mung der Natur die Han­dels­stadt flo­rie­ren ließ, so formte der ver­mehrte Han­del die Archi­tek­tur. Im weit­läu­fi­gen Hafen­be­reich wurde die Nähe zum Was­ser bewusst gesucht: Bau­werke für Han­del und Gewerbe waren eng ver­zahnt mit einem dicht ver­äs­tel­ten Kanal­sys­tem. Den Anfor­de­run­gen ange­passt, wur­den sie z.B. durch Pfahl­grün­dun­gen, damit Mau­ern direkt im Was­ser errich­tet wer­den konn­ten. Andere Bau­werke wie­derum sind eigens zur Beherr­schung der Natur­kräfte ent­stan­den, etwa Schleu­sen und Hochwasser-Schutzanlagen.

Der Kampf gegen die innere Natur

Auch heute noch meint man sich in Ham­burg der Natur erweh­ren zu müs­sen: gegen die äußere, den Men­schen bedro­hende, ebenso wie gegen die innere. Beide gehö­ren jedoch zusam­men und haben ihre Ein­heit im Men­schen. Was sich an der inne­ren nicht beherr­schen lässt, wird auf die äußere pro­ji­ziert und mit den Mit­teln der instru­men­tel­len Ver­nunft und dem fort­schrei­ten­dem tech­ni­schen Ent­wick­lungs­stand immer effi­zi­en­ter den polit-ökonomischen Prä­mis­sen unter­wor­fen. Die teil­weise Auto­no­mie des Men­schen von der äuße­ren Natur führte bis­her nicht zu einer Neu­ge­stal­tung des Ver­hält­nis­ses, son­dern zu einer Fort­schrei­bung unter ideo­lo­gi­schen Vor­zei­chen.2Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1 

Weil die Hafen­stadt wach­sen muss, so die Ideo­lo­gie, müs­sen sich die Hamburger:innen gegen die Was­ser­mas­sen stel­len. Die Stadt­mauer aus dem 13. Jahr­hun­dert wurde der zufolge im frü­hen 17. Jahr­hun­dert erwei­tert und durch eine mas­sive stern­för­mige Fes­tungs­an­lage ersetzt, durch die der Personen- wie Waren­ver­kehr kon­trol­liert wer­den konnte. Der Hafen wurde mehr­fach aus­ge­baut und dann in Rich­tung Con­tai­ner­ter­mi­nal ver­la­gert. Das Fluss­bett der Elbe wird seit dem 19. Jahr­hun­dert fort­wäh­rend ver­tieft. All das musste gesche­hen, um den immer grö­ßer wer­den­den Schif­fen gerecht zu wer­den – um wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben. Nach dem gro­ßen Elb­hoch­was­ser von 1962 wur­den die Dei­che wie­der­holt erhöht. Mit die­sen Deich­er­hö­hun­gen »konnte eine hohe Sicher­heit zum Schutz der Bevöl­ke­rung und der Sach­werte erreicht wer­den« schreibt der Lan­des­be­trieb Stra­ßen, Brü­cken und Gewäs­ser (LSBG) im Rah­men sei­ner Neu­er­mitt­lung von 2012 des »Sturm­flut­be­mes­sungs­was­ser­stan­des«. Bevöl­ke­rung und Sach­werte fal­len in die­ser Beschrei­bung in eins – sind glei­cher­ma­ßen Res­source. Der LSBG prognostiziert: 

»Auf­grund des Kli­ma­wan­dels ist jedoch ein wei­te­res Anstei­gen der Was­ser­stände abseh­bar. Daher müs­sen die Anstren­gun­gen für den Küs­ten­schutz wei­ter fort­ge­setzt wer­den, um dro­hen­den Gefah­ren zu begegnen.«

Der Kli­ma­wan­del wird als Grund benannt, dafür, dass Dei­che erhöht, die Elbe ver­tieft und die Dove-Elbe als Aus­weich­flä­che für den Tiden­hub erschlos­sen wer­den müs­sen. In einer Stu­die der Inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung von 2009 mit dem bezeich­nen­den Titel Kli­ma­fol­gen­ma­nage­ment hin­ge­gen, wird kein Hehl dar­aus gemacht, dass die Ursa­chen nebst (men­schen­ge­mach­tem) Kli­ma­wan­del in loka­len polit-ökonomischen Ent­schei­dun­gen zu ver­or­ten sind: 

Es sind »die Ver­tie­fung von Elbe und Hafen­be­cken sowie die starre Siche­rung der Ufer, [die] zur Folge [haben], dass die Was­ser­schicht auf einen engen Fließ­raum begrenzt bleibt und sich nicht in die Flä­che, son­dern nur in die Höhe aus­deh­nen kann. Tiden­hub und Sedi­men­ta­tion wer­den auf diese Weise ver­stärkt, folg­lich nimmt auch der Auf­wand für die Aus­bag­ge­rung zu.« 

Die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels könn­ten gemäß der Stu­die nur dann aus­ge­gli­chen wer­den, wenn die dyna­mi­sche Schaf­fung von wei­te­rem Schwemm­land – wie die zur­zeit dis­ku­tierte Anbin­dung der Dove-Elbe an das Tiden­ge­wäs­ser –, eine tech­no­lo­gi­sche Regu­lie­rung der Was­ser­ströme und der Bau immer mas­si­ve­rer Hoch­was­ser­schutz­an­la­gen for­ciert wür­den. All diese Maß­nah­men sind eine Reak­tion auf stei­gende Pegel­stände. Sie stel­len nicht in Frage, wes­halb die Elbe und Hafen­be­cken ver­tieft und wes­halb Ufer starr gesi­chert wer­den müs­sen. Der Schutz vor der Natur­ge­walt Was­ser erweist sich als gutes Argu­ment bei der Expan­sion von Stadt und Hafen. Nicht die Pro­duk­ti­ons­weise des Men­schen, son­dern die ihm äußere Natur erscheint als jener Wir­kungs­be­reich, den es tech­nisch zu beherr­schen gilt – qua Klimafolgenmanagement. 

Triumph über die Natur?

Die Archi­tek­tur der Elb­phil­har­mo­nie bringt das Ver­hält­nis von Herr­schern und Beherrsch­tem mit den Mit­teln moder­ner Bau­kunst über­spitzt zum Aus­druck: Der Mensch schafft die sta­bilste und größte aller Wel­len selbst, nicht weil er es muss, son­dern weil er es kann. Vor die­sem Hin­ter­grund wird Bug­gen­houts Skulp­tur mit Ver­weis auf die bibli­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel nach­voll­zieh­bar. Ein tech­nisch hoch kom­ple­xes Orches­ter­ge­bäude bedarf kei­ner Kai­mauer. Es wurde inmit­ten der Elbe erbaut, der Aus­sage fol­gend any­thing goes. »Denn nun wird ihnen nichts mehr ver­wehrt wer­den kön­nen von allem was sie sich vor­ge­nom­men haben zu tun«. Das klingt grö­ßen­wahn­sin­nig, aber immer­hin könne nun jede:r Besucher:in ein »biss­chen Fürst« sein – schwärmt Chris­tian Mar­quart in der Archi­tek­tur­zeit­schrift Bau­welt. Die gigan­ti­schen Bau­kos­ten von 866 Mil­lio­nen Euro recht­fer­tigt das nicht. Auch die Plaza, die man wäh­rend der Öff­nungs­zei­ten der Elb­phil­har­mo­nie gegen ein Ein­tritts­geld von 2,00 Euro pro Besucher:in betre­ten darf, lässt sich schwer­lich als öffent­lich bezeichnen. 

Mar­quart sieht in der wel­len­för­mi­gen Krone ein Bild­zi­tat aus dem berühm­ten Werk Die große Welle vor Kana­gawa des japa­ni­schen Holz­schnei­ders Hoku­sai. Hoku­sais Werk jedoch erweckt Ehr­furcht ange­sichts der gewal­ti­gen Natur. Der 110 Meter hohe sta­ti­sche Wel­len­kamm der Elphi ist hin­ge­gen der­ma­ßen gigan­tisch, dass er die rea­len Was­ser­wo­gen, die die Phil­har­mo­nie umge­ben, ihrer Lächer­lich­keit preis­gibt. Das Bau­werk zwingt dem es umge­ben­den Was­ser ihren instru­men­tel­len Begriff von Natur und Natur­be­herr­schung auf. Eine sol­che Ver­keh­rung ist Aus­druck gesell­schaft­li­cher, und spe­zi­ell der Ham­bur­ger, Ver­hält­nisse. Die Rie­sen­welle bringt diese, wenn auch unfrei­wil­lig, so doch gelun­gen zum Aus­druck. Sie macht sich den Begriff des Was­sers zu eigen und kei­nen Hehl dar­aus, wer hier über die Natur tri­um­phiert. Sie ist eine Kampf­an­sage an die Natur. 

Erste Ent­würfe der Elb­phil­har­mo­nie ent­stan­den 2003 mit dem Ziel, ein neues Wahr­zei­chen für die Stadt zu erschaf­fen. Zu jener Zeit war Ger­hard Schrö­der Bun­des­kanz­ler, Ole von Beust Ham­burgs Ers­ter Bür­ger­meis­ter und in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit wurde zag­haft begon­nen, über den Klimawan­del zu dis­ku­tie­ren. Das Bewusst­sein dar­über, dass es sich um eine aus­ge­wach­sene Klimakrise han­delt, folgte all­mäh­lich. So ersetzte der Guar­dian z.B. den Begriff cli­mate change durch dras­ti­sche­res Voka­bu­lar.3The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«. Damit schien sich ein neues Bewusst­sein des Ver­hält­nis­ses von Mensch und Natur zumin­dest anzu­deu­ten, das die bis­he­rige Natur­be­herr­schung irgend­wann ein­mal ablö­sen könnte. Die Elb­phil­har­mo­nie, das tech­nisch per­fekte, hoch­kul­tu­relle Wahr­zei­chen der Stadt Ham­burg, mit inte­grier­tem Park­haus, Hotel und teu­ren Eigen­tums­woh­nun­gen wirkt dage­gen wie eine Trutz­burg der in die­sem Bei­trag nach­ge­zeich­ne­ten Ära. Ihr Bau­stil kann damit als stein­ge­wor­dene Herr­schafts­ar­chi­tek­tur bezeich­net wer­den, errich­tet in einer Zeit, in der eine unbe­herrsch­bare Flut noch nicht vor­stell­bar schien. 

Norika Reh­feld, Mai 2021 

Die Autorin ist Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, arbei­tet aus Über­zeu­gung nicht im Wis­sen­schafts­be­trieb und fin­det die Kaprio­len, die in der Elb­phil­har­mo­nie zur Opti­mie­rung der Akus­tik geschla­gen wur­den, tat­säch­lich super.

  • 1
    Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]
  • 2
    Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1
  • 3
    The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«.