Umtausch nicht gestattet

Umtausch nicht gestattet

Der Senat ist in Fei­er­laune. Auf der Son­der­pres­se­kon­fe­renz zum spek­ta­ku­lä­ren Opern-Deal mit der Kühne-Stiftung herrschte pene­trante Selbst­ge­wiss­heit: Nie­mand könne doch ernst­haft etwas gegen die­ses Pro­jekt haben! Doch was hier als »Glücks­fall für Ham­burg« gefei­ert wird, offen­bart in Wahr­heit ein unde­mo­kra­ti­sches Ver­ständ­nis von Stadt und Kul­tur. Und es ist in dop­pel­ter Hin­sicht geschichtsvergessen.

Nicht genug Glanz: 2017 fand auf dem Baa­ken­höft das inter­na­tio­nale Fes­ti­val »Thea­ter der Welt« statt. Foto: Pauli-Pirat | Wiki­me­dia Commons

Der Mul­ti­mil­li­ar­där und Mäzen Klaus-Michael Kühne will Ham­burg eine neue Oper schen­ken. Bür­ger­meis­ter Peter Tsch­ent­scher und Kul­tur­se­na­tor Cars­ten Brosda waren erkenn­bar stolz, als sie auf einer Son­der­pres­se­kon­fe­renz am Frei­tag, den 7. Februar, gemein­sam mit Ver­tre­tern der Kühne-Stiftung und der Kühne Hol­ding ver­kün­den konn­ten, dass der Ver­trag unter­schrie­ben sei. In der »ers­ten Hälfte des nächs­ten Jahr­zehnts« soll die Oper eröff­nen. Zwar muss die Ent­schei­dung noch von der (dann neu kon­sti­tu­ier­ten) Bür­ger­schaft bestä­tigt wer­den, doch der rot-grüne Senat macht sich da wohl zu Recht keine Sor­gen. Erste Reak­tio­nen aus den Par­teien signa­li­sier­ten durch­weg Unter­stüt­zung für das Pro­jekt. Ein­zig Die Linke übte Kri­tik an der Ent­schei­dung.

Aber was ist da eigent­lich geplant? Ent­ste­hen soll ein Opern­neu­bau am Baa­ken­höft, einer Land­spitze im Zen­trum der Hafen­City, fast genau in der Mitte zwi­schen Elb­phil­har­mo­nie und Elb­tower. Die Nähe zum Elb­tower ist dabei kein Zufall. Im Mai 2022, als Kühne seine Idee eines neuen Opern­hau­ses erst­mals in einem Por­trät im Spie­gel prä­sen­tierte, war klar: Das Opern­haus sollte zusam­men mit sei­nem inzwi­schen geschei­ter­ten Hoch­haus­pro­jekt ein Wahr­zei­chen­en­sem­ble bil­den. Nicht nur den Elb­tower, auch die Oper plante Kühne zu die­ser Zeit gemein­sam mit René Benko, dem mitt­ler­weile inhaf­tier­ten Immo­bi­li­en­in­ves­tor. Der Deal, den er vor­schlug, war dabei in mehr­fa­cher Hin­sicht ver­gif­tet: Die Stadt sollte den neuen Opern­bau nicht geschenkt bekom­men, son­dern lea­sen. Und das bis­he­rige Opern­ge­bäude – in unmit­tel­ba­rer Nähe zur ehe­ma­li­gen Gänsemarkt-Passage, die Benko durch einen Kom­plex aus Woh­nun­gen, Büros und Ein­zel­han­del erset­zen wollte – sollte abge­ris­sen und durch ein »moder­nes Immo­bi­li­en­pro­jekt« ersetzt werden.

Der Senat winkte ab: Nein, ein Miet­kauf­mo­dell wolle man nicht, und ein Abriss des bis­he­ri­gen Opern­ge­bäu­des komme auch nicht infrage. Doch der Senats­spre­cher ergänzte damals bereits: »Eine Schen­kung durch Herrn Kühne bezie­hungs­weise seine Stif­tung nach dem Vor­bild der Kopen­ha­ge­ner Oper wäre dage­gen ein bemer­kens­wer­tes mäze­na­ti­sches Enga­ge­ment.« Genau so ist es nun auch gekom­men. Wohl auch im Ange­sicht der andau­ern­den Que­re­len um den Elb­tower war die Freude ver­gan­ge­nen Frei­tag groß, als die Kühne-Stiftung nach kurz­zei­ti­gem Hin und Her die Opern­pläne doch noch besiegelte.

Ein Deal ohne Haken?

Schließ­lich blei­ben bei die­sem Deal, glaubt man dem Senat, keine Fra­gen offen. Der Bau werde auf jeden Fall fer­tig­ge­stellt, ver­si­cherte man. Und abge­se­hen von 147,5 Mio. Euro für die Erschlie­ßung wür­den unter kei­nen Umstän­den zusätz­li­che öffent­li­che Gel­der flie­ßen. Das gesamte Risiko trägt die Kühne-Stiftung. Die fer­tige Oper bekommt die Stadt Ham­burg dann (fast) ohne Bedin­gun­gen geschenkt. Tat­säch­lich ist der Ver­trag für die Stadt, ver­gli­chen mit Küh­nes ursprüng­li­chem Vor­schlag, gera­dezu ver­blüf­fend vor­teil­haft. Und: Der bis­he­rige Opern­bau bleibt, so ver­si­cherte Cars­ten Brosda, als Spiel­stätte erhal­ten – wie genau die Nach­nut­zung aus­se­hen könne, werde man in den nächs­ten Jah­ren über­le­gen. Das heißt: Weder für besorgte Denkmalschützer:innen noch für strenge Wäch­ter über städ­ti­sche Aus­ga­ben gäbe es etwas zu mäkeln. Alles also ein ein­zi­ger Grund zur Freude? 

Kei­nes­wegs. In min­des­tens drei­er­lei Hin­sicht ist der Plan näm­lich ein Skan­dal: Er ist ein Gip­fel unde­mo­kra­ti­scher und intrans­pa­ren­ter Stadt­pla­nung, er offen­bart einen unde­mo­kra­ti­schen und zutiefst ver­ding­lich­ten Begriff von Kul­tur und er ist – auf­grund der Kolo­ni­al­ge­schichte des Baa­ken­ha­fens und der NS-Geschichte von Kühne + Nagel – geschichts­ver­ges­sen, wenn nicht gar ‑revi­sio­nis­tisch.

Hanseatische Geheimdiplomatie

Das »Filet­stück« 85 ist nun ver­plant. Quelle: Flä­chen­ent­wick­lung Hafen­City, Stand: 31.1.2024.

Zwar gibt es für den Baa­ken­höft noch kei­nen Bebau­ungs­plan, doch dass es sich um ein beson­de­res Grund­stück han­delt, ist schon lange klar. Das beton­ten auch alle Betei­lig­ten der Pres­se­kon­fe­renz. Cars­ten Brosda nannte es gar »eines der her­aus­ra­gends­ten Grund­stü­cke Nord­eu­ro­pas«. Und solch ein Grund­stück befin­det sich hier in öffent­li­chem Besitz. Eigent­lich sollte es sich von selbst ver­ste­hen, dass damit auch ein beson­de­res öffent­li­ches Inter­esse ver­bun­den ist, dass damit also die Ver­pflich­tung ein­her­ginge, eine trans­pa­rente und offene Dis­kus­sion über die Nut­zung des Grund­stücks zu ermöglichen.

Doch eine Dis­kus­sion fand nicht statt. Statt in der Öffent­lich­keit Nut­zungs­mög­lich­kei­ten zu ent­wi­ckeln und zu dis­ku­tie­ren, wurde nun, nach­dem Kühne seine »Idee« im Spie­gel bekannt gege­ben hatte, fast drei Jahre lang hin­ter geschlos­se­nen Türen ver­han­delt. Dass sich im Lauf die­ser Ver­hand­lun­gen die Bedin­gun­gen für die Stadt ver­bes­sert haben – geschenkt! Ent­schei­dend ist: Die Frage, ob über­haupt eine Oper auf dem Baa­ken­höft gebaut wer­den sollte, stand nie zur Debatte. Umtausch nicht gestattet!

Die­ses de-facto-Diktat des Kapi­tals wird vom Ham­bur­ger Senat nun in eine Spra­che offe­nen Aus­tauschs ver­klei­det: Kühne habe ein »Ange­bot« gemacht, der Senat habe es »geprüft«, man hat die Bedin­gun­gen nach­ver­han­delt und ist sich nun »einig gewor­den«. 1Ganz ähn­lich klang es auf der Pres­se­kon­fe­renz, als die Spra­che auf den Elb­tower kam. Der neue Inves­tor, Die­ter Becken, habe den »Vor­schlag« gemacht, das geplante Natur­kun­de­mu­seum, für das es noch keine ande­ren Räume gebe, im Elb­tower unter­zu­brin­gen. Auch die­ser »Vor­schlag« wird »geprüft« – man könne ihn ja nicht »aus Prin­zip ableh­nen«, so Tsch­ent­scher. Für die Pro­gnose, dass die Prü­fung posi­tiv aus­fal­len wird, braucht es frei­lich keine beson­de­ren hell­se­he­ri­schen Fähig­kei­ten. Der Inves­tor kann ja schließ­lich stets mit einem erneu­ten Bau­ab­bruch drohen.

Kühne calls the tune

Andere unde­mo­kra­ti­sche Aspekte wur­den nicht ver­schlei­ert, son­dern auf Dimen­sio­nen des All­tags­ver­stands zurecht­ge­stutzt, wo sie dann plötz­lich völ­lig ganz harm­los und nach­voll­zieh­bar klin­gen. Das betrifft etwa den Archi­tek­tur­wett­be­werb. Es wird zwar eine Jury geben, die unter fünf Ent­wür­fen aus­wäh­len würde, doch Kühne hat ein Veto­recht. Im Abend­blatt kann man erfah­ren, dass sogar schon ein Ent­wurf bereit­liege, den Kühne sich wün­sche, und zwar – wie offen­bar durch­ge­sto­chen wurde – vom Archi­tek­tur­büro Snøhetta. »Es gibt den schö­nen Ent­wurf eines aus­län­di­schen Archi­tek­ten, der wun­der­bar zu dem Stand­ort passt«, sagte Kühne der Zei­tung: »Die Stadt hätte gern noch eine Art Wett­be­werb. Ich finde den Ent­wurf schon sehr überzeugend.«

Unde­mo­kra­tisch? Nein: Dass Kühne (mit)entscheide, was gebaut werde, sei doch völ­lig nor­mal, meinte Peter Tsch­ent­scher, schließ­lich stamme von ihm ja das Geld. In der Sphäre des Poli­ti­schen nennt man diese Logik Plu­to­kra­tie. Bei Tsch­ent­scher hin­ge­gen klingt alles ganz unbe­denk­lich. Denn weiß nicht auch der Volks­mund: »Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik?«

Das könnte in die­sem Fall auch ganz wört­lich gel­ten. Nicht aus­ge­schlos­sen, dass Kühne, sollte er die Fer­tig­stel­lung des Opern­baus noch erle­ben, sich eine Eröff­nungs­oper wün­schen darf. Sol­che Mut­ma­ßun­gen wer­den Poli­tik und Opern­in­ten­danz sicher zurück­wei­sen. Aber man kann Wet­ten dar­auf abschlie­ßen, dass die erste Oper im neuen Haus nichts von György Ligeti oder Hans Wer­ner Henze sein wird, son­dern etwas »rich­tig Schö­nes«. Wie wär’s mit Gia­como Puc­cini?

Die Stadt des Kapitals

Der Denk­mal­ver­ein Ham­burg, der eine Peti­tion gegen den Opern­neu­bau und für den Ver­bleib der Staats­oper an der Damm­tor­straße initi­iert hat, schreibt daher zu Recht: »Eine so wich­tige Ent­schei­dung zur Archi­tek­tur, Stadt­ent­wick­lung und Denk­mal­pflege wie die Zukunft der Oper auf einem öffent­li­chen Grund­stück sollte in einem ergeb­nis­of­fe­nen Pro­zess und auf der Grund­lage einer brei­ten fach­li­chen, zivil­ge­sell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Dis­kus­sion getrof­fen wer­den – und nicht nach den Wün­schen eines ein­zel­nen pri­va­ten Geld­ge­bers.« Die Gestal­tung der Stadt darf nicht eini­gen weni­gen Inves­to­ren, Mil­li­ar­dä­ren und Mäze­nen über­las­sen wer­den – auch wenn dabei weder mit einer Bau­ruine (Elb­tower) noch mit einer Kos­ten­ex­plo­sion zulas­ten der öffent­li­chen Hand (Elb­phil­har­mo­nie) zu rech­nen ist.

Stadt­pla­ne­ri­sche Ent­schei­dun­gen – und ins­be­son­dere sol­che, die die Stadt jahr­zehn­te­lang prä­gen wer­den, bedür­fen der demo­kra­ti­schen Legi­ti­ma­tion. Die wird im Falle des Opern­neu­baus zwar for­mal durch einen Bür­ger­schafts­be­schluss her­ge­stellt wer­den. Doch von tat­säch­li­cher Demo­kra­tie kann nur dann die Rede sein, wenn sie sich auch auf den Pla­nungs­pro­zess bezieht. So hin­ge­gen zeigt der Pro­zess um Küh­nes Oper exem­pla­risch den unde­mo­kra­ti­schen Cha­rak­ter einer »Stadt des Kapitals«.

»Topspitzenweltklassekultur« 

Aber das ist nicht das ein­zige Pro­blem mit der Oper. Auch und gerade das, was durch die­sen Opern­neu­bau angeb­lich geför­dert wird, gerät unter die Räder: die Kul­tur. Wenn man den vier Her­ren bei der Son­der­pres­se­kon­fe­renz zuge­hört hat, konnte man näm­lich den Ein­druck erlan­gen, es gehe nicht um Kunst, son­dern um einen Sport­ver­ein oder ein Dax-Unternehmen.

Man wolle eine »Oper von Welt­rang«  bauen, bekun­dete Peter Tsch­ent­scher. Jörg Drä­ger von der Kühne-Stiftung sekun­dierte, mit dem Opern­neu­bau schaffe man in Ham­burg einen Ort für »exzel­lente Musik, exzel­lente Oper und exzel­len­tes Bal­lett«. Und Cars­ten Brosda brüs­tete sich damit, dass Ham­burg hin­sicht­lich der öffent­li­chen Zuschüsse bereits jetzt »in einer Liga mit den gro­ßen Opern­häu­sern der Welt« spiele.2Dass Tobias Krat­zer, der im Abend­blatt schon die Devise aus­gab, mit der Ham­bur­ger Oper in die »Cham­pi­ons League«  zu wol­len, die Bau­pläne eupho­risch begrüßte, ver­wun­dert daher nicht. Eine ganz ähn­li­che Spra­che wurde zudem schon zur Begrün­dung des Baus der Elb­phil­har­mo­nie ins Feld geführt.

Die Spra­che, die hier ver­wen­det wird, ver­steht Kul­tur als Leis­tungs­wett­be­werb. Eine Stadt wie Ham­burg muss sich die­ser Logik zufolge darum bemü­hen, die Welt­spitze der Kul­tur für sich zu gewin­nen, um dann im Ran­king der »bes­ten Kul­tur­me­tro­po­len der Welt« einen Topp­latz zu ergat­tern; muss die größ­ten inter­na­tio­na­len Künstler:innen in die Stadt holen, die hier dann ihre Best­leis­tun­gen ablie­fern und die Kon­kur­renz nei­disch machen.

Kultur als Hochgenuss 

Nun ist es wenig ver­wun­der­lich, dass in einer Kauf­manns­stadt wie Ham­burg so gedacht wird. Aber Kul­tur ist weder Spit­zen­sport noch ist sie ein Kampf um einen der ers­ten Plätze in der Welt­markt­kon­kur­renz. Kul­tur ist eine Pra­xis. Eine rei­che Kul­tur­land­schaft zeich­net sich nicht durch Super­la­tive und markt­för­mi­gen Star­kult aus, son­dern durch Breite und Viel­stim­mig­keit, durch Wider­sprü­che und Störgeräusche.

Die super­la­ti­vi­sche Mar­ke­ting­spra­che, mit der über den geplan­ten Opern­neu­bau gespro­chen wird, redu­ziert Kunst außer­dem auf ein Genuss­mit­tel. Sie macht zum Maß der Kul­tur, was der Kon­su­ment ›davon hat‹. Kul­tur wird zum Luxus­kon­sum­gut ver­ding­licht. Der Opern­bau wird so zu einer »Inves­ti­tion«, die »ihr Geld wert sein wird«. Die­je­ni­gen, die der­lei Spra­che ver­wen­den, offen­ba­ren sich als Klein­geis­ter und Banaus:innen. Sie wol­len den exqui­si­tes­ten Hör­ge­nuss, die größ­ten Gefühle und die berühm­tes­ten Stars erle­ben; bloß nichts, was sie beun­ru­hi­gen, irri­tie­ren oder gar absto­ßen könnte. 

Neubau? – »Alternativlos« 

Umso anma­ßen­der ist es, dass in der Dar­stel­lung Tsch­ent­schers und Bros­das gerade den Kritiker:innen des Opern­neu­baus impli­zit Banau­sen­tum vor­ge­wor­fen wird. Denn, so wird sug­ge­riert, ist es nicht klein­geis­tig, ange­sichts gro­ßer Visio­nen über die Zukunft gro­ßer Kunst nun Büro­kra­ten­for­de­run­gen wie die nach demo­kra­ti­scher Betei­li­gung oder auch nur nach einem offe­nen Archi­tek­tur­wett­be­werb auf­zu­wer­fen? Ist es nicht kunst­feind­lich, zu for­dern, die Oper müsste sich mit dem bis­he­ri­gen Gebäude und sei­nen Mög­lich­kei­ten begnügen?

Auf die Frage, wozu in aller Welt die Stadt ein neues Opern­haus brau­che, ant­wor­tete Brosda: Die bis­he­rige Oper sei zu alt, zu klein, ein­fach unter­di­men­sio­niert, um den Ansprü­chen eines gegen­wär­ti­gen Opern­be­triebs gerecht zu wer­den. Sanie­ren müsste man ohne­hin, das ist klar. Aber, so Bros­das Behaup­tung, eine Sanie­rung würde noch viel teu­rer als ein Neu­bau. Wäh­rend vor drei Jah­ren, als Kühne den Vor­schlag erst­mals auf­brachte, noch nie­mand so recht den Bedarf nach einem neuen Opern­haus sehen konnte, prä­sen­tierte Brosda den Umzug der Staats­oper in ein neues Haus nun als letzt­lich alternativlos. 

Es ist diese Alter­na­tiv­lo­sig­keits­rhe­to­rik – und nicht der eli­täre Cha­rak­ter der Oper als Kunst­form, wie Benno Schirr­meis­ter in der taz kom­men­tierte –, die das Kul­tur­ver­ständ­nis hin­ter dem Opern­neu­bau als unde­mo­kra­tisch aus­weist. Denn natür­lich wäre es mög­lich, wei­ter­hin Oper im bis­he­ri­gen Opern­haus zu betrei­ben. Laura Weiss­mül­ler hat in der SZ schon vor fünf Jah­ren anläss­lich der Debatte um den geplan­ten Abriss und Neu­bau der Städ­ti­schen Büh­nen in Frank­furt betont, dass die hor­ren­den Sanie­rungs­kos­ten der letz­ten Jahre eben nicht alter­na­tiv­los sind: »Muss es wirk­lich immer die auf­wen­digste Tech­nik sein? Brau­chen all unsere Gebäude über­all und zu jeder Tages- und Nacht­zeit den höchs­ten Kom­fort, die beste Aus­stat­tung, das neu­este Equipment?« 

Mit Ver­weis auf ver­schie­dene Off-Spielstätten kon­sta­tierte Weiss­mül­ler außer­dem: »Viel­leicht würde es dem deut­schen Kul­tur­le­ben gut­tun, mehr sol­cher rauen, unpo­lier­ten, unper­fek­ten Spiel­orte zu haben.«  Tat­säch­lich befand sich auch auf dem Baa­ken­höft schon ein sol­cher Spiel­ort, »eine über­aus pro­duk­tive, sel­ten inter­es­sante und authen­ti­sche Kul­tur­stätte«, wie Ste­phan Maus in einem (äußerst sehens- und lesens­wer­ten) Foto-Essay auf sei­nem Blog betont. »An die­sem beson­de­ren Ort im Hafen fin­den schon seit Jah­ren krea­tive Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Gesell­schaft, Ort und Geschichte statt.« Aber Leute, die – siehe oben – in der »Welt­spit­zen­klasse« der Kul­tur mit­spie­len wol­len, för­dern eben keine »Aus­ein­an­der­set­zung mit Gesell­schaft, Ort und Geschichte«, son­dern: die größte Bühne, die modernste Tech­nik und die beste Akus­tik. 

Überschreibung eines Geschichtsorts

Opern­haf­ter Jubel. Abfahrt eines Trup­pen­trans­por­ters von Ham­burg nach »Deutsch-Südwestafrika«. Quelle: Bun­des­ar­chiv, Bild 146‑2008-0180 / Spen­ker, Franz / CC-BY-SA 3.0

Der geplante Opern­neu­bau muss schließ­lich als geschichts­ver­ges­se­nes, ja, revi­sio­nis­ti­sches Pro­jekt begrif­fen wer­den. Das hängt zunächst mit dem Stand­ort zusam­men. Der Baa­ken­ha­fen, jener Ort, den Kühne für seine Oper aus­ge­wählt hat, wurde im Deut­schen Kai­ser­reich näm­lich zur »logis­ti­schen Dreh­scheibe des kolo­nia­len Völ­ker­mor­des«, wie der His­to­ri­ker Kim Todzi schreibt. Die Woermann-Linie hatte seit 1891 einen regel­mä­ßi­gen Schiffs­ver­kehr zwi­schen Ham­burg und »Deutsch-Südwestafrika«  (so der Name des heu­ti­gen Nami­bias unter deut­scher Kolo­ni­al­herr­schaft) ein­ge­rich­tet und den Peter­sen­kai im Baa­ken­ha­fen gepach­tet. Zwi­schen 1904 und 1908 machte sie ihn zum wich­tigs­ten Ort der Kriegs­lo­gis­tik: »Über 90 Pro­zent aller Abfahr­ten« von Schif­fen mit Kolo­ni­al­sol­da­ten erfolg­ten von dort, so Todzi.

Für ein Geden­ken an die deut­schen Kolo­ni­al­ver­bre­chen, ins­be­son­dere den Völ­ker­mord an den Herero und Nama, ist der Baa­ken­ha­fen daher ein wich­ti­ger Ort und sollte, darin ist dem Ein­spruch der ehe­ma­li­gen For­schungs­stelle »Ham­burgs (post-)koloniales Erbe«  zuzu­stim­men, nicht mit einer Oper über­baut wer­den, ohne dass an die Ver­gan­gen­heit des Orts – etwa durch ein Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum – erin­nert würde.

Es zeugt jedoch von zwei­fel­haf­tem Oppor­tu­nis­mus, dass die For­schungs­stelle nicht für den Bau­stopp der Oper plä­diert, son­dern die Stadt auf­for­dert, »die finan­zi­elle För­de­rung des Opern­pro­jekts durch den Stif­ter mit der Bedin­gung [zu] ver­bin­den, die Errich­tung eines sol­chen Doku­men­ta­ti­ons­zen­trums sub­stan­zi­ell mit­zu­för­dern« . So als sprä­che an sich nichts gegen die­sen Opern­bau, sofern nur auch ein Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum dabei abfiele.

Kämpfe um Erinnerung

Solch eine For­de­rung blen­det vor allem die zweite Dimen­sion der Geschichts­ver­ges­sen­heit des Opern­plans aus: die Quel­len von Klaus-Michael Küh­nes Ver­mö­gen. Der Mul­ti­mil­li­ar­där ver­dankt die Grund­lage sei­nes Reich­tums näm­lich bekann­ter­ma­ßen dem Unter­neh­men Kühne + Nagel, das an der Ver­fol­gung, Ver­nich­tung und Aus­plün­de­rung der euro­päi­schen Jüdin­nen und Juden mas­siv und direkt ver­diente. Zuerst drängte die dama­lige Unter­neh­mens­füh­rung – Klaus-Michael Küh­nes Vater Alfred und sein Onkel Wer­ner – den jüdi­schen Anteils­eig­ner Adolf Maass aus dem Unter­neh­men, dann stieg Kühne + Nagel zum NS-Musterbetrieb auf und nahm eine Schlüs­sel­stel­lung in der M‑Aktion ein.

Klaus-Michael Kühne hat seit jeher eine his­to­ri­sche Auf­ar­bei­tung die­ser Geschichte sabo­tiert. Seit dem 125-jährigen Jubi­läum von Kühne + Nagel vor zehn Jah­ren jedoch wird die Geschichte (und Küh­nes ver­wei­gerte Auf­ar­bei­tung) immer wie­der öffent­lich dis­ku­tiert. Die Vor­würfe wur­den mit immer wei­te­ren Bele­gen unter­füt­tert – zuletzt im Sep­tem­ber letz­ten Jah­res in einem Inves­ti­ga­tiv­ar­ti­kel von David de Jong.

In Bre­men, wo Küh­nes Groß­va­ter das Unter­neh­men 1890 gegrün­det hat, wur­den aus die­ser öffent­li­chen Debatte Kon­se­quen­zen gezo­gen: Im Jahr 2023 wurde dort ein Mahn­mal ein­ge­weiht, das in Sicht­weite von der Deutsch­land­zen­trale von Kühne + Nagel an die Ari­sie­rung und Ent­eig­nung im Natio­nal­so­zia­lis­mus erin­nert und ins­be­son­dere ihre Akteure und Pro­fi­teure in den Blick nimmt.

Hamburg: Kulturförderung als Schweigegeld

In Ham­burg hin­ge­gen gibt es nichts der­glei­chen – obwohl es auch hier, etwa anläss­lich des Eklats um den »Klaus-Michael Kühne Preis«  2022 – Anlässe dafür gege­ben hätte. Die Ham­bur­ger Poli­tik gibt sich, als hätte es diese Debatte nie gege­ben. Peter Tsch­ent­scher war sich auf der Pres­se­kon­fe­renz nicht ein­mal zu blöd, eine kri­ti­sche Nach­frage mit dem Pseu­do­ar­gu­ment zu beant­wor­ten, dass Kühne wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus ja noch ein Kind gewe­sen sei.

Aber Kühne wird nicht nur – mit den dümms­ten Phra­sen – vor Kri­tik in Schutz genom­men. Die Ham­bur­ger Poli­tik ver­säumte in den letz­ten Jah­ren auch kaum eine Gele­gen­heit, um dem reichs­ten Sohn der Stadt Honig ums Maul zu schmie­ren. Zuletzt etwa über­reichte Tsch­ent­scher Kühne im Sep­tem­ber den »Grün­der­preis«  für sein Lebens­werk und wür­digte ihn in sei­ner Lau­da­tio als einen Unter­neh­mer, »der im wahrs­ten Sinne des Wor­tes viel bewegt hat«.3Ver­lie­hen wird der Preis von der Ham­bur­ger Spar­kasse, dem »Ham­bur­ger Abend­blatt«, der Handels- und Hand­werks­kam­mer, dem Lokal­sen­der »Ham­burg 1« und der Film­pro­duk­ti­ons­firma Stu­dio Ham­burg. Egal ob in die­sem Fall oder beim Eklat um den Kühne-Preis: Der Senat hat kri­ti­sche Nach­fra­gen aus Presse und Öffent­lich­keit kon­se­quent ignoriert.

Der Opern­deal offen­bart das Kal­kül hin­ter die­sem Ver­hal­ten. Denn auch wenn es, etwa im Falle der Gründerpreis-Verleihung, kein offe­nes »quid pro quo« gibt: Es ist klar, dass der Senat auf jeg­li­chen kri­ti­schen Ton ver­zich­tet, wenn es darum geht, einen (auch im Wahl­kampf nütz­li­chen) Deal kurz vorm Abschluss nicht noch zu gefährden.

Hanseatische Beutegemeinschaft

Unser Redak­teur Lukas Betz­ler schrieb im Okto­ber im nd dazu:  »Zu ver­mu­ten ist, dass die Hofie­rung Küh­nes vor allem Kal­kül ist. Kühne hat keine Erben. Sein Ver­mö­gen wird nach sei­nem Tod voll­stän­dig an seine Stif­tung über­ge­hen. Die Stadt Ham­burg ver­sucht wohl sicher­zu­stel­len, dann von einem mög­lichst gro­ßen Teil die­ses Ver­mö­gens pro­fi­tie­ren zu kön­nen.«  Wer hätte gedacht, dass sich die Wahr­heit die­ses Urteils so schnell und so offen zei­gen würde.

Der Preis für diese Art des Kal­küls jedoch ist hoch. Denn indem die Stadt Kühne im Gegen­zug für sein mäze­na­ti­sches »Enga­ge­ment«  der­art den Hof berei­tet, trägt sie dazu bei, dass das so pro­du­zierte Bild Küh­nes als gene­rö­ser Stif­ter jenes des Arisierungs-Profiteurs über­deckt oder gar ver­drängt. Der VVN-BdA warnte schon Mitte letz­ter Woche, dass der Opern-Deal »zur Ver­drän­gung his­to­ri­scher Schuld und der per­sön­li­chen Ver­ant­wor­tung für einen ange­mes­se­nen Umgang damit«  bei­trage. Und der Ver­band machte auch deut­lich, wes­sen Stim­men im ein­ver­nehm­li­chen Jubel von Senat, Kühne und der Mehr­heit der Bür­ger­schaft wie­der ein­mal unter­ge­hen: »Wer fragt die Nach­fah­ren der damals in West- und Ost­eu­ropa aus­ge­raub­ten jüdi­schen Fami­lien, was sie von die­sem ver­schwie­ge­nen Umgang mit dem Nazi­pro­fi­teur Alfred Kühne halten?«

Redak­tion Untiefen

  • 1
    Ganz ähn­lich klang es auf der Pres­se­kon­fe­renz, als die Spra­che auf den Elb­tower kam. Der neue Inves­tor, Die­ter Becken, habe den »Vor­schlag« gemacht, das geplante Natur­kun­de­mu­seum, für das es noch keine ande­ren Räume gebe, im Elb­tower unter­zu­brin­gen. Auch die­ser »Vor­schlag« wird »geprüft« – man könne ihn ja nicht »aus Prin­zip ableh­nen«, so Tsch­ent­scher. Für die Pro­gnose, dass die Prü­fung posi­tiv aus­fal­len wird, braucht es frei­lich keine beson­de­ren hell­se­he­ri­schen Fähig­kei­ten. Der Inves­tor kann ja schließ­lich stets mit einem erneu­ten Bau­ab­bruch drohen.
  • 2
    Dass Tobias Krat­zer, der im Abend­blatt schon die Devise aus­gab, mit der Ham­bur­ger Oper in die »Cham­pi­ons League«  zu wol­len, die Bau­pläne eupho­risch begrüßte, ver­wun­dert daher nicht. Eine ganz ähn­li­che Spra­che wurde zudem schon zur Begrün­dung des Baus der Elb­phil­har­mo­nie ins Feld geführt.
  • 3
    Ver­lie­hen wird der Preis von der Ham­bur­ger Spar­kasse, dem »Ham­bur­ger Abend­blatt«, der Handels- und Hand­werks­kam­mer, dem Lokal­sen­der »Ham­burg 1« und der Film­pro­duk­ti­ons­firma Stu­dio Hamburg.

Dokumente der Barbarei

Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann, seit 1890 von Wissmann (* 4. September 1853 in Frankfurt (Oder); † 15. Juni 1905 in Weißenbach bei Liezen, Steiermark) war ein deutscher Abenteurer, Afrikaforscher, Offizier und Kolonialbeamter. Ursprünglicher Standort Dares Salam Tansania, später Universität Hamburg

Dokumente der Barbarei

Der Foto­graf Mar­kus Dorf­mül­ler erhielt 2022 für seine Arbeit zu den Spu­ren des Kolo­nia­lis­mus in Ham­burg den Georg-Koppmann-Preis. Gerade sind die Fotos im Museum der Arbeit zu sehen. Wir doku­men­tie­ren in unse­rer Foto­stre­cke eine Aus­wahl der Bilder.

Das Denk­mal von Her­mann Wiss­mann (1853–1905) wurde 1968 gestürzt. Foto (Aus­schnitt): M. Dorfmüller

»Es ist nie­mals ein Doku­ment der Kul­tur, ohne zugleich ein sol­ches der Bar­ba­rei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Bar­ba­rei, so ist es auch der Pro­zess der Über­lie­fe­rung nicht, in der es von dem einen an den ande­ren gefal­len ist.« Diese Sätze ste­hen in der sieb­ten der berühm­ten The­sen Über den Begriff der Geschichte, die Wal­ter Ben­ja­min 1940 nie­der­schrieb. Sie geben das Prin­zip der Arbei­ten Mar­kus Dorf­mül­lers vor, die aktu­ell in der Aus­stel­lung Eyes on Ham­burg im Museum der Arbeit zu sehen ist.

Unter Ben­ja­mins historisch-materialistischem Blick offen­ba­ren sich die ›Kul­tur­gü­ter‹ als Beute, die die Sie­ger der Geschichte in ihrem Tri­umph­zug mit­füh­ren. Die­sen ebenso prä­zi­sen wie kri­ti­schen Blick hat sich Dorf­mül­ler zu eigen gemacht. Seine Foto­gra­fien doku­men­tie­ren die Spu­ren des Kolo­nia­lis­mus ebenso wie sein Fort­wir­ken in der post­ko­lo­nia­len Gegen­wart Ham­burgs. Damit ste­hen sie quer zum auf­trump­fen­den Titel der Ausstellung.

Nicht immer sind die Spu­ren des Kolo­nia­lis­mus, dem sich der Reich­tum der Han­dels­stadt Ham­burg ver­dankt, über­haupt noch sicht­bar. Auch aus die­sem Grund sind die Fotos mit Bild­un­ter­schrif­ten ver­se­hen. Sie stel­len die ein­zel­nen Bil­der in ihren gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hang, infor­mie­ren über his­to­ri­sche Kon­texte und benen­nen Täter und Pro­fi­teure kolo­nia­ler Gewalt und Aus­beu­tung. In der Aus­stel­lung wird die­ses Kennt­lich­ma­chen von Zusam­men­hän­gen und Struk­tu­ren noch unter­stützt durch die kon­stel­lie­rende Hängung. 

Gegenwärtige Vergangenheit

Man­che der abge­bil­de­ten Orte und ihre kolo­niale Geschichte sind weit­ge­hend bekannt – etwa das Bis­marck­denk­mal oder das Afri­ka­haus (siehe dazu auch unsere eigene Bil­der­stre­cke über kolo­niale Spu­ren in Ham­burg). Viele Gegen­stände und Zusam­men­hänge hin­ge­gen wer­den den meis­ten Besucher:innen neu sein: etwa dass die Pri­vat­bank Don­ner & Reuschel ihr Ver­mö­gen maß­geb­lich kolo­nia­ler Aus­beu­tung ver­dankt; oder dass die Vor­stands­kon­fe­ren­zen der Uni­le­ver bis zu ihrem Umzug in die Hafen­city 2009 vor einer Intar­si­en­wand mit kolo­nia­ler Bild­spra­che statt­fan­den. Andere Foto­gra­fien wie­derum doku­men­tie­ren Spu­ren, die man leicht über­sieht, etwa die Grab­stät­ten und Gedenk­steine für Gene­räle deut­scher Kolo­ni­al­trup­pen oder für Palmölfabrikanten.

Man­che Fotos zei­gen Über­wun­de­nes – beson­ders ein­drück­lich die 1968 von Stu­die­ren­den gestürzte Wissmann-Statue, die nun lädiert, besprüht und mit einer Hals­krause ver­se­hen in einer Depot­kiste liegt. Die Fotos machen aber auch kennt­lich, wie unmit­tel­bar die kolo­niale Ver­gan­gen­heit bis­wei­len in die Gegen­wart hin­ein­reicht. Unver­hoh­len zeigt sich das in einer Skulp­tur auf der soge­nann­ten »Cof­fee Plaza« in der Hafen­city. Sie wurde dort 2009 von der Neu­mann Kaf­fee Gruppe, dem welt­größ­ten Kaf­fee­im­por­teur, errich­tet. Die Inschrift der sti­li­sier­ten Kaf­fee­bohne zeugt von einer Unbe­darft­heit, die sich auf Ver­ro­hung reimt: »Über 1 Mrd. Men­schen trin­ken täg­lich 3 Mrd. Tas­sen Kaf­fee, die 25 Mio. Fami­lien in 70 tro­pi­schen Län­dern ihre Exis­tenz bieten.«

Das Form­prin­zip von Dorf­mül­lers Foto­gra­fien ist so sach­lich wie effekt­voll. In ana­lo­gem 4x5-inch-Format foto­gra­fiert, kom­men sie ohne Gim­micks aus. Es gibt weder dra­ma­ti­sierte Kon­traste, noch Unschär­fen oder extreme Per­spek­ti­ven. Die Wir­kung ver­dankt sich viel­mehr ganz sub­ti­len Ver­fah­ren: Durch distan­zierte Tota­len etwa wird reprä­sen­ta­ti­ven Gebäu­den ihre impo­sante Wir­kung genom­men;1Dass Dorf­mül­ler haupt­be­ruf­lich Archi­tek­tur foto­gra­fiert, macht sich auf die­sen Bil­dern beson­ders bemerk­bar. Auf dem gemein­sam mit sei­ner Kol­le­gin Johanna Klier betrie­be­nen Instagram-Account fin­den sich viele ein­drück­li­che Archi­tek­tur­fo­to­gra­fien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (dro­hen­den) Abriss doku­men­tie­ren. und frag­men­tie­rende Bild­aus­schnitte kon­ter­ka­rie­ren die Wir­kungs­in­ten­tion von Denk­mä­lern, ver­mei­den die Repro­duk­tion ras­sis­ti­scher oder ste­reo­ty­per Darstellungen.

Der his­to­ri­sche Mate­ria­list, schreibt Ben­ja­min, »betrach­tet es als seine Auf­gabe, die Geschichte gegen den Strich zu bürs­ten«. Mar­kus Dorf­mül­ler zeigt ein­drück­lich, wie man die­ser Auf­gabe mit den Mit­teln der Foto­gra­fie gerecht wer­den kann.

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Eine Bro­schüre mit Mar­kus Dorf­mül­lers Fotos und Tex­ten steht zum Ver­kauf in allen Muse­ums­shops der Stif­tung His­to­ri­sche Museen Ham­burg. Die Aus­stel­lung Eyes on Ham­burg ist noch bis zum 3. Okto­ber 2023 im Museum der Arbeit in Barm­bek zu sehen. Neben der Foto­se­rie von Mar­kus Dorf­mül­ler sind in ihr Arbei­ten von Axel Beyer, Robin Hinsch, Sabine Bungert/Stefan Dol­fen, Alex­an­dra Polina und Irina Rup­pert vertreten.

Wir dan­ken Mar­kus Dorf­mül­ler für die freund­li­che Geneh­mi­gung, hier eine Aus­wahl sei­ner Bil­der zei­gen zu dür­fen. Sämt­li­che Rechte an den Bil­dern sowie den Bild­un­ter­schrif­ten lie­gen bei ihm.2Die Bild­un­ter­schrif­ten las­sen sich in der Foto­stre­cke durch Kli­cken bzw. Tip­pen auf das jewei­lige Bild aus- und wie­der einblenden.

Redak­tion Untiefen

  • 1
    Dass Dorf­mül­ler haupt­be­ruf­lich Archi­tek­tur foto­gra­fiert, macht sich auf die­sen Bil­dern beson­ders bemerk­bar. Auf dem gemein­sam mit sei­ner Kol­le­gin Johanna Klier betrie­be­nen Instagram-Account fin­den sich viele ein­drück­li­che Archi­tek­tur­fo­to­gra­fien, die nicht zuletzt Gebäude vor ihrem (dro­hen­den) Abriss dokumentieren.
  • 2
    Die Bild­un­ter­schrif­ten las­sen sich in der Foto­stre­cke durch Kli­cken bzw. Tip­pen auf das jewei­lige Bild aus- und wie­der einblenden.

Ein Ohr für die Forschung

Ein Ohr für die Forschung

Für nur ein Wochen­ende im März war in Ham­burg eine Aus­stel­lung des Künst­lers Ger­rit Frohne-Brinkmann zu sehen. Seine Instal­la­tio­nen waren der Vacanti-Maus gewid­met. Hätte man die­sem skur­ri­len Hybrid­we­sen nur bes­ser gelauscht: Wäh­rend nur wenige Meter ent­fernt die Impfgegner:innen mar­schier­ten, ließ sich von den Mäu­sen etwas von fal­scher Wis­sen­schafts­feind­schaft erfahren.

Detail aus Ger­rit Frohne-Brinkmanns Aus­stel­lung »Ear­mouse«, März 2022. Foto: Hein­rich Holtgreve

1997 ver­öf­fent­lichte eine For­schungs­gruppe aus Mas­sa­chu­setts um den Medi­zi­ner Joseph P. Vacanti die Ergeb­nisse ihrer mehr­jäh­ri­gen For­schung. Dem Team war es gelun­gen, auf dem Rücken von Mäu­sen Knor­pel­ge­webe in Form einer mensch­li­chen Ohr­mu­schel zu züch­ten. Das war eine wis­sen­schaft­li­che, vor allem aber auch eine öffent­li­che Sen­sa­tion: Denn die Ear­mouse, auch unter dem Namen Vacanti-Maus bekannt (es war wohl eine ganze Schar sol­cher Mäuse von­nö­ten, des­halb hat die Maus kei­nen Eigen­na­men wie das Klon­schaf Dolly), bot einen bizar­ren, ja ver­stö­ren­den Anblick.

Unheim­lich und ver­stö­rend war diese Maus, weil da ein nor­mal gro­ßes mensch­li­ches Ohr auf dem Rücken einer klei­nen, nack­ten, rot­äu­gi­gen Maus ›wuchs‹. Die­ses Gewächs, über dem sich die dünne Mau­se­haut spannte, konnte nicht hören, war aber unver­kenn­bar eine hoch­ar­ti­fi­zi­ell geformte mensch­li­che Ohr­mu­schel. Die Maus fun­gierte als Bio­re­ak­tor für die­ses nicht­hö­rende Ohr – ein leben­des Medium, das ein ›Ersatz­teil‹ bis zu sei­ner Ent­nahme spa­zie­ren trägt. Die Ent­nahme des gezüch­te­ten Knor­pel­ge­we­bes ließe sich zwar auch ohne eine Tötung des Medi­ums durch­füh­ren, doch ging es der Vacanti-Maus wie allen ande­ren Labor­mäu­sen auch: Sie wurde ver­braucht bzw. »geop­fert«, wie es in einem Paper der For­schungs­gruppe hieß.[1]

Die Ear­mice und das an ihnen erst­mals erfolg­reich ange­wandte Ver­fah­ren bevöl­kern seit­dem das kol­lek­tive Ima­gi­näre auf der gan­zen Welt. So ließ etwa Stel­arc, ein zypriotisch-australischer Künst­ler, ab 2006 über zehn Jahre lang, von eini­gen Ope­ra­tio­nen beglei­tet, ein lin­kes mensch­li­ches Ohr auf sei­nem Arm wach­sen. Stel­arcs Absicht war es, das Ohr mit dem Inter­net zu ver­bin­den und es so welt­weit ›sen­den‹ zu las­sen, was es an dem Ort ›hört‹, an dem sich sein Medium – der Künst­ler Stel­arc – auf­hält. Auch die­ses knor­pe­lige künst­li­che Ohr konnte natür­lich nicht eigen­stän­dig hören, aber es war mit einem tech­ni­schen Auf­nah­me­ge­rät aus­ge­stat­tet. Das Ohr darum herum war ›nur‹ Kunst.

Der Künst­ler Stel­arc 2011 mit sei­nem künst­li­chen ›drit­ten Ohr‹. Foto: Alt­Sylt Lizenz: CC BY-SA 2.0

Ohrmäuse aus Keramik

25 Jahre nach­dem die Vacanti-Maus zur welt­wei­ten Sen­sa­tion wurde, wid­mete der Ham­bur­ger Künst­ler Ger­rit Frohne-Brinkmann ihr nun eine Aus­stel­lung im Pro­jekt­raum ABC. Benannt nach der gleich­na­mi­gen Straße in der Neu­stadt, ist der Ort ABC – wie so viele Pro­jekt­räume – eine Zwi­schen­raum­nut­zung. Das Gebäude, ein Com­merz­bank-Investment-Piece aus den Neun­zi­gern, passt zeit­lich gut zur Vacanti-Maus. Am 12. und 13. März tum­melte sich dort eine große Fami­lie kera­mi­scher Mäuse auf dem Fuß­bo­den. Sie sind haar­los und rosa wie die nack­ten Vacanti-Mäuse. Und wie die Vacanti-Mäuse tra­gen sie alle ein mensch­li­ches Ohr auf dem Kör­per. Es scheint sie nicht zu stören.

Drei der Mäuse sit­zen in über­gro­ßen Muscheln, kera­mi­schen Fan­ta­sien von Mee­res­schne­cken­ge­häu­sen, an der Wand. Von dort tönt ein wei­ßes Rau­schen. Es sind jedoch nicht die Muscheln, die hier rau­schen, son­dern die Mäuse, bes­ser wohl: die mensch­li­chen Ohr­mu­scheln auf ihren Rücken. Die Mäuse sind ver­ka­belt, so dass sie ent­ge­gen ihrer übli­chen Auf­gabe – und in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zum ›Ohr‹ auf Stel­arcs Arm – Schall sen­den. Sie emp­fan­gen nichts. Mit der­lei Gangart- und Rich­tungs­wech­seln ist bei Aus­stel­lun­gen des 1990 gebo­re­nen Frohne-Brinkmann, der an der HFBK stu­dierte, stets zu rechnen.

Kera­mi­sche For­men, die stark unter­schnit­tig sind, also nega­tiv, kon­kav nach innen gewölbt, las­sen sich nur mit gro­ßem Geschick model­lie­ren. Das mensch­li­che Ohr ist eine maxi­mal kom­pli­zierte Form, sei es als Skulp­tur oder als gezüch­te­tes Ersatz­ohr (Ohren wer­den, weil sie so kom­pli­ziert zu model­lie­ren sind, mitt­ler­weile tat­säch­lich wie bei Stel­arc an unauf­fäl­li­ger Stelle am Kör­per der Patient:innen nach­wach­sen gelas­sen, nach­dem sie zuvor im Labor initial ange­züch­tet wurden).

Genauso wie das nach­ge­züch­tete gehör­lose Ohr ist auch die Form einer Mee­res­schne­cke nur mühe­voll zu model­lie­ren, eben wegen ihrer Unter­schnit­tig­kei­ten. Als kera­mi­scher Hohl­kör­per erzeugt die Form dann aber zwei­fel­los auch ohne Ver­ka­be­lung und künst­li­che Schall­quelle das bekannte ›Mee­res­rau­schen‹, das man hört, wenn man ein Mee­res­schne­cken­ge­häuse oder eine Muschel an sein Ohr legt. Die­ses Rau­schen ist aller­dings weder die ein­ge­fan­gene Auf­nahme eines Süd­see­ur­laubs noch das akus­tisch ver­stärkte Fließ­ge­räusch des eige­nen Bluts, wie häu­fig ange­nom­men wird. Viel­mehr ent­steht es, weil die Muschel die Umge­bungs­ge­räu­sche auf­nimmt, ver­stärkt und als undif­fe­ren­zier­tes Rau­schen wie­der nach drau­ßen sen­det (also wie­der in umge­kehr­ter Rich­tung zur mensch­li­chen Ohr­mu­schel, die den Schall auf­nimmt und ihn, wenn sie denn hören kann, über das Trom­mel­fell nach innen ans Gehirn weitergibt).

Die Maus als Schnittstelle zwischen Mensch und Natur

Die kera­mi­schen Ohr­mäuse, die in den Mee­res­schne­cken sit­zen und das weiße Rau­schen ver­sen­den, sind über ihre sehr lan­gen Schwänze an die Kabel­age hin­ter der Fuß­leiste ange­schlos­sen. Auch die ande­ren Mäuse haben einen Kabel-Schwanz, bei ihnen ist er aller­dings in nor­ma­ler Mäu­se­länge abge­schnit­ten. Damit erin­nern die Mäuse an eine der wohl wich­tigs­ten Schnitt­stel­len zwi­schen Mensch und Maschine seit der Erfin­dung des Per­so­nal Com­pu­ter: die Com­pu­ter­maus. Zu Earmouse-Zeiten hatte sich die heute auf bei­nahe jedem Schreib­tisch zu fin­dende Funk­tech­no­lo­gie noch nicht durch­ge­setzt. Die meiste Zeit seit ihrer Erfin­dung in den 1960er Jah­ren hat­ten alle Mäuse einen ›Kabel­schwanz‹, und so haben schon die Erfinder:innen der »X‑Y-Positionsanzeige für ein Anzei­ge­sys­tem« (so die Bezeich­nung der Patent­an­mel­dung 1963) sie »Maus« getauft. Wäre sie damals bereits durch eine Funk­ver­bin­dung ohne Schwanz aus­ge­kom­men, hätte man sie ver­mut­lich Hams­ter genannt.

Wäh­rend die Com­pu­ter­maus als Schnitt­stelle zwi­schen Mensch und Maschine dient, bewe­gen sich medi­zi­ni­sche For­schun­gen mit Labor­tie­ren an einer Schnitt­stelle zwi­schen Mensch und Tier. Seit Jahr­zehn­ten forscht die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin an den Mög­lich­kei­ten, wie Tiere zu Bio­re­ak­to­ren für funk­tio­nie­rende Organe wer­den kön­nen, also wie sie mehr sein kön­nen als Trä­ger tau­ber Ohren aus Knor­pel­zel­len. So tra­gen inzwi­schen spe­zi­elle, gene­tisch mani­pu­lierte Schweine trans­plan­tier­bare Her­zen spa­zie­ren – mit dem im Ver­gleich zur Ohr­maus ent­schei­den­den Unter­schied, dass die­ses Herz zuerst für das Schwein arbei­tet und nicht irgendwo auf sei­nem Rücken als Extra­pos­ten wächst.

Die mit gro­ßer öffent­li­cher Auf­merk­sam­keit ver­folgte Trans­plan­ta­tion eines Schwei­ne­her­zens in einen mensch­li­chen Pati­en­ten am 7. Januar 2022 schien zuerst geglückt zu sein. Zwei Monate nach dem Ein­griff jedoch starb der Mann, der das Implan­tat erhal­ten hatte. Vor­erst ist das Expe­ri­ment also geschei­tert. Den­noch wer­fen der­ar­tige Xeno­trans­plan­ta­tio­nen für die For­schen­den und für die Patient:innen schon jetzt die irrs­ten Fra­gen auf. Nicht zuletzt: Was bedeu­tet es, den Tod eines Säu­ge­tiers zu bil­li­gen, um selbst wei­ter­le­ben zu kön­nen? Anders als bei Men­schen, die einen Organ­spen­de­aus­weis besit­zen, sich im Fall ihres Todes also bereit­erklä­ren Organe abzu­ge­ben, wer­den diese Schweine dezi­diert als Organ­spen­der gezüch­tet. Die an mensch­li­chen Zwe­cken aus­ge­rich­tete Schwei­ne­züch­tung ist dabei kein Skan­dal, sie dient seit Jahr­hun­der­ten der Kotelett- und Wurst­pro­duk­tion. Bemer­kens­wert ist aber der Trans­fer leben­di­ger Organe vom Tier zum Men­schen – nicht als Nah­rung, son­dern als funk­tio­nale Inkor­po­ra­tion eines lebens­wich­ti­gen Organs. In Vor­be­rei­tung der Xeno­trans­plan­ta­tion vom Januar 2022 wur­den etli­che Gesprä­che mit reli­giö­sen Ober­häup­tern diver­ser Kon­fes­sio­nen geführt. Sie alle stell­ten das geret­tete Men­schen­le­ben über das Tierwohl.

Aufklärungsfeindschaft gestern und heute 

Die Ear­mouse des Jah­res 1997 brachte viele erbit­terte Wissenschaftsgegner:innen auf den Plan, die »Got­tes Schöp­fung« in Gefahr sahen. Eine große Anzeige des Tur­ning Point Pro­ject, eines Zusam­men­schlus­ses von mehr als 60 NGOs, warnte mit einem Foto der Ear­mouse vor (roter) Gen­tech­nik und titelte: »Who plays God in the 21st Cen­tury?« Sie sug­ge­rierte fälsch­li­cher­weise, dass die abge­bil­dete Maus gene­tisch modi­fi­ziert sei, und setzte ganz auf den scho­ckie­ren­den Effekt ihres Frankenstein-haften Aus­se­hens. In einem mensch­li­chen Ohr auf dem Rücken einer Maus meinte man den Inbe­griff der zom­bi­fi­ca­tion, der mons­trö­sen Selbst­über­schät­zung der Medi­zin erken­nen zu kön­nen. Auch ohne groß­for­ma­tige Anzei­gen ver­brei­tete sich das Bild der Ear­mouse daher wahn­sin­nig schnell – dank ihrer ver­ka­bel­ten Ver­wand­ten, der Com­pu­ter­maus. Internetnutzer:innen ver­schick­ten das Bild mas­sen­haft und häu­fig gänz­lich dekon­tex­tua­li­siert per E‑Mail.

Eine ver­zerrte Spie­ge­lung durch die Jahr­zehnte zeigt uns eben diese Men­schen heute als soge­nannte »Impfgegner:innen«. Ihnen erscheint das (weiße) Rau­schen des Inter­nets als Rau­schen ihres Bluts, ihres eige­nen, hei­li­gen, gesun­den Kör­pers. Diese Über­zeu­gung ver­sen­den sie, mit einer mitt­ler­weile kabel­lo­sen Com­pu­ter­maus im WWW her­um­kli­ckend, gerne nach außen – nur noch sel­ten via E‑Mail, umso öfter aber in den Echo­kam­mern von Tele­gram-Grup­pen und You­tube-Kanä­len. Sie tun das im Glau­ben, es sei ihr eige­ner Gedanke, der da tönt, dabei sind sie nur eine die Außen­ge­räu­sche ver­stär­kende Hohl­form – leere Muscheln (oder ein­fach Hohlköpfe).

Die Imp­fung wird von die­sen Men­schen abge­lehnt, weil sie in die ein­zel­nen Kör­per ein­dringt. In die­ser Hin­sicht gleicht die Impf­geg­ner­schaft der Ableh­nung von Xeno­trans­plan­ta­tio­nen oder eben der Trans­plan­ta­tion eines auf dem Rücken einer Maus gezüch­te­ten Ohrs. Dabei lässt sich beob­ach­ten, dass der Wider­stand gegen der­ar­tige Ope­ra­tio­nen nicht aus ethi­schen Über­le­gun­gen, aus Sorge um das Tier­wohl erwächst, son­dern aus Angst um die Inte­gri­tät des eige­nen Kör­pers; im Fall der Imp­fun­gen oben­drein abge­mischt mit Sor­gen um Selbst­be­stim­mung, Miss­trauen gegen­über Behör­den und der Sehn­sucht nach einer soli­den Volks‑, also Infek­ti­ons­ge­mein­schaft, die, so die Wunsch­vor­stel­lung, als Herde ins­ge­samt immun wer­den möge. Wir hal­ten uns da lie­ber an die Mäuse: Sie sind zwar durch­aus gesel­lig, aber Her­den­tiere sind sie nicht – ob mit oder ohne Ohr auf dem Rücken. 

Nora Sdun, April 2022

Die Autorin grün­dete vor 18 Jah­ren zusam­men mit Gus­tav Mechlen­burg den Tex­tem Ver­lag. Im Dezem­ber 2016 erschien dort der Band All in, der eine Aus­wahl per­for­ma­ti­ver Arbei­ten Ger­rit Frohne-Brinkmanns dokumentiert.


[1] In Nowo­si­birsk wurde 2013 ein Denk­mal ent­hüllt, das den Labor­mäu­sen und ‑rat­ten, die­sen so unsicht­ba­ren wie uner­müd­li­chen Streiter:innen für Auf­klä­rung und wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritt, gewid­met ist.