Kühne-Preis: Kulturförderung als Schweigegeld?
Am 18. September wird im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg der renommierte Klaus-Michael Kühne-Preis verliehen. Nun haben zwei Schriftsteller:innen ihre Nominierungen zurückgezogen – weil der Geld- und Namensgeber die NS-Historie seines Familienunternehmens nicht aufarbeite. Wir hatten zuvor sie und die übrigen Nominierten kontaktiert, um über die finanzielle Abhängigkeit des Kulturbetriebes von privater Förderung und die Imagepolitik problematischer Mäzene zu sprechen.
Im Kunst- und Kulturbetrieb rumort es: Das Londoner British Museum benennt alle nach einem Großspender benannten Räume um, die Videokünstlerin Hito Steyerl zieht eines ihrer Werke aus einer angesehenen Sammlung zurück, die Salzburger Festspiele beenden in Reaktion auf einen offenen Brief des Autors Lukas Bärfuss und der Regisseurin Yana Ross die Zusammenarbeit mit einem Sponsor. All diese Auseinandersetzungen ereigneten sich in den letzten Monaten. Und bei allen ging es um ganz ähnliche Fragen: Wer finanziert eigentlich Kulturinstitutionen und Kulturschaffende? Aus welchen Quellen stammen die Milliarden an privaten Mitteln, mit denen Museen, Konzerthäuser, Preise und Festivals gefördert werden? Und wie kann oder soll man sich gegenüber ›schmutzigen‹ Fördergeldern verhalten, die aus fragwürdigen Quellen stammen und von den Geldgeber:innen zum Reinwaschen des eigenen Namens bzw. dem Verdecken von Schandtaten genutzt werden?
Auf die Frage nach dem praktischen Umgang haben Kulturinstitutionen und Künstler:innen in den genannten drei Fällen klare Antworten gefunden. Sie zogen Konsequenzen daraus, dass die Milliardärsfamilie Sackler mit ihrem Unternehmen Purdue Pharma maßgeblich für die Opioidkrise in den USA verantwortlich war; daraus, dass die Unternehmerin und Kunstsammlerin Julia Stoschek ihr Milliardenvermögen ihrem Nazi-Urgroßvater verdankt, der den Automobilzulieferer Brose gründete, den NS-Staat belieferte und als treues NSDAP-Mitglied zum Wehrwirtschaftsführer aufstieg; und daraus, dass das Bergbauunternehmen Solway nicht nur massive Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verantwortet, sondern zudem enge Verbindungen zum Kreml unterhalten soll.
Die Kühne-Stiftung
Eine in Hamburg besonders aktive und ebenfalls fragwürdige Kultursponsorin ist die Kühne-Stiftung: Bei der Elbphilharmonie, dem Philharmonischen Staatsorchester und dem Harbour Front Literaturfestival tritt die Stiftung als Hauptförderin auf. Gegründet wurde sie 1976 vom Unternehmer Alfred Kühne, seiner Frau Mercedes und ihrem gemeinsamem Sohn Klaus-Michael Kühne. Das Stiftungskapital stammt aus den Erträgen der Kühne Holding, also vorrangig aus jenen des Unternehmens Kühne + Nagel (K+N), eines der weltweit größten Transport- und Logistikunternehmen.
Damit aber verdankt sich das Kapital zum einen dem Umstand, dass Alfred Kühne und sein Bruder Werner 1933 ihren jüdischen Teilhaber Adolf Maass aus dem Unternehmen drängten, und zum anderen der maßgeblichen Beteiligung von K+N an der ›Arisierung‹ jüdischen Eigentums in den von Deutschland besetzten Ländern während des Zweiten Weltkriegs. Hinzu kommt: Klaus-Michael Kühne, der das Unternehmen von 1966 bis 1998 leitete und bis heute sowohl die Mehrheit der Aktienanteile als auch die Fäden in der Hand hält, zeigt keinerlei Verständnis dafür, dass die NS-Vergangenheit seines Unternehmens »immer wieder hochgekocht wird«, und wehrt jegliche Aufarbeitung dieser – seiner – Familien- und Unternehmensgeschichte vehement ab.
Kulturförderung als Schweigegeld
Bislang scheint Klaus-Michael Kühnes Strategie des Relativierens und Verschweigens aufzugehen. Zwar haben insbesondere aus Anlass des 125-jährigen Firmenjubiläums im Jahr 2015 viele Medien kritisch über die Unternehmensgeschichte berichtet, über die man dank der Recherchen des ehemaligen taz-Redakteurs Henning Bleyl und von Historikern wie Wolfgang Dreßen, Frank Bajohr und Johannes Beermann-Schön immerhin einiges weiß. Doch einer breiten Öffentlichkeit sind Klaus-Michael Kühne und sein Unternehmen nach wie vor nicht als NS-Profiteure bekannt. Das öffentliche Bild von Kühne bestimmt vielmehr sein Engagement als Investor und Kulturförderer. Die Hamburger Morgenpost etwa veröffentlichte in den letzten zwei Jahren 50 Artikel über Kühne; nur ein einziger von ihnen behandelt die Geschichte des Unternehmens im Nationalsozialismus und seine Nachgeschichte. Stattdessen produziert Kühne (überwiegend) positive Schlagzeilen mit seinem Engagement beim HSV (dem er die Benennung des Stadions nach Uwe Seeler finanzieren will), mit Investitionen (er hat seine Anteile an der Lufthansa und an der Immobiliengesellschaft Signa Prime erhöht und Anteile am Elbtower erworben) und eben mit seinen Aktivitäten in der Kulturförderung.
Es steht daher außer Frage: Klaus-Michael Kühnes Mäzenatentum dient effektiv der Imagepflege des Familiennamens, dem Verschweigen bzw. Reinwaschen. ›Tue Gutes und sprich darüber‹, sagt man; im Fall von Kühne ließe sich ergänzen: ›damit über das Schlechte nicht gesprochen wird‹. Dass er den von ihm gestifteten Preis für das beste Romandebüt des Jahres ganz unbescheiden nach sich selbst benannt hat, ist davon der wohl krasseste Ausdruck. Es hat zur Folge, dass der Klaus-Michael-Kühne-Preis nicht nur eine Auszeichnung für die Autor:innen darstellt, die ihn erhalten. Vielmehr verschaffen die Preisträger:innen auch dem Mäzen, in dessen an der Außenalster gelegenen Luxushotel The Fontenay die Preisverleihung stattfinden wird, Ansehen und Anerkennung. Und sie drängen damit wider Willen die Beteiligung des Unternehmens an der Enteignung von Jüdinnen und Juden im NS aus dem Blick der Öffentlichkeit. Wenn etwa, wie im Jahr 2014 mit Per Leos Roman Flut und Boden, die literarische Aufarbeitung einer deutschen Familiengeschichte und Abrechnung mit der NS-Täter:innengeneration den Klaus-Michael Kühne-Preis erhält, ohne dass dieser zynische Widerspruch zur Sprache kommt, dient der Preis ganz offenkundig als Feigenblatt.
Suche nach dem angemessenen Umgang
Natürlich haben fast alle deutschen Großunternehmen, die vor 1945 gegründet wurden, eine Verbrechensgeschichte. Der niederländische Politikwissenschaftler David de Jong hat das in seinem Buch Braunes Erbe kürzlich noch einmal eindrücklich dargelegt. Doch das Ausmaß der Kollaboration der Gebrüder Alfred und Werner Kühne mit dem NS-Staat, die anhaltende Weigerung ihres Erben Klaus-Michael Kühne, diese Geschichte aufzuarbeiten und Konsequenzen daraus zu ziehen, sowie die Benennung des Preises nach Kühne selbst machen den Klaus-Michael Kühne-Preis zu einem besonders hervorstechenden Fall.
Was aber wäre ein angemessener Umgang mit dem problematischen Geldgeber? Diese Frage stellten wir, die Redaktion von Untiefen, uns im Vorfeld der diesjährigen Verleihung des Kühne-Preises, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu kommen. Wir versuchten daher im Juli, mit den acht Nominierten des Preises selbst ins Gespräch darüber zu kommen. In einer E‑Mail an die Autor:innen schilderten wir ausführlich die Verstrickung von K+N in die NS-Verbrechen und hoben vor allem die Weigerung Klaus-Michael Kühnes hervor, das Firmenarchiv zu öffnen und die Unternehmensgeschichte von unabhängigen Historiker:innen untersuchen zu lassen. In unserem Schreiben an die Nominierten hoben wir auch die Komplexität der Situation hervor und fragten die Autor:innen nach einem möglichen Umgang:
»Klar ist einerseits: Diese Umstände können und dürfen nicht (weiter) beschwiegen werden. Klar ist andererseits aber auch: Ein Literaturpreis ist für eine Debütantin / einen Debütanten wie Sie auch über das hohe Preisgeld hinaus von beträchtlicher Bedeutung. Hinzu kommt, dass Kühnes eigene Ansichten bei der Entscheidung der Jury gewiss keine Rolle spielen werden. Die Forderung, den Preis oder gar schon die Nominierung zurückzuweisen, wäre daher wohlfeil. Doch wir fragen uns – und Sie: Wenn die öffentliche Ablehnung des Preises keine sinnvolle Option ist, was könnten dann alternative Wege sein, mit dem problematischen Hintergrund des Preises und seines Stifters dennoch einen Umgang zu finden? Diese Frage, auf die wir selbst bislang keine befriedigende Antwort gefunden haben, weist auch über den konkreten Fall hinaus und zieht weitere, grundsätzliche Fragen nach sich: Wie kann man sich zum Widerspruch der Neutralisierung von Kritik durch ihre Vereinnahmung, der auch nur die Zuspitzung eines generellen Widerspruchs im ›wiedergutgewordenen‹ Deutschland ist, ins Verhältnis setzen? Ist das Pathos etwa eines Thomas Brasch bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981 (noch) angemessen? Stellt die Literatur selbst Mittel bereit, sich der Vereinnahmung zu widersetzen, oder ist sie ohnmächtig angesichts der Machtverhältnisse eines Betriebs, in dem man es sich mit seinen Geldgebern nicht ›verscherzen‹ darf?«
Die Antworten der Nominierten: Zwischen Realismus…
Auf unsere Fragen und unsere Bitte um Austausch erhielten wir in den folgenden Wochen von immerhin drei der acht Autor:innen Rückmeldung. Domenico Müllensiefen, der für seinen Roman Aus unseren Feuern nominiert wurde, schreibt: »Ich denke, dass es ein großes Problem ist, dass die öffentliche Kulturförderung in Deutschland stark eingeschränkt ist.« Denn in die Lücke, die die öffentliche Förderung lässt, stießen private Förderer. Was es bräuchte, so Müllensiefen, sei eine »breite und preisunabhängige Förderung von AutorInnen«. Bis dahin bleibe er auch beim Klaus-Michael Kühne-Preis „Realist“, denn: »Die Jury ist hochkarätig besetzt und frei in Ihrem Handeln. Die nominierten SchriftstellerInnen gefallen mir sehr gut. Der Umgang mit den AutorInnen ist erstklassig. […] Und ganz ehrlich, wäre es mir eine sehr große Freude, mal eine Nacht in diesem schicken Hotel von Herrn Kühne zu übernachten.« In einem späteren Statement gegenüber der ZEIT fügt er hinzu: »Deutscher Reichtum ist in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Fällen auf dem Rücken der Opfer der NS-Zeit entstanden. So zu tun, als wäre alles in Ordnung, wenn Herr Kühne die NS-Vergangenheit aufarbeiten ließe, wäre auch falsch. Wir haben ein strukturelles Gesellschaftsproblem, zu dem wir AutorInnen uns individuell verhalten sollen.« Und: »Und wäre es nicht an der Zeit, dass wir, und da darf DIE ZEIT gern vorneweg gehen, ernsthaft über eine Umverteilung der Vermögen in Deutschland sprechen?«
Ähnlich antwortete Daniel Schulz, taz-Redakteur und Autor des Romans Wir waren wie Brüder. Er betont wie Müllensiefen: „Die Unabhängigkeit und Fachkompetenz der Jury stehen außer Zweifel. Klaus-Michael Kühne hat auf ihre Entscheidungen keinen Einfluss“. Vor allem hält er die Autor:innen für die falschen Ansprechpartner:innen für die Frage nach dem Umgang mit dem NS-Erbe von Kühne + Nagel. Schließlich seien sie in der abhängigsten und prekärsten Lage von allen und „auf die wenigen Förderungen angewiesen […], die es noch gibt“. Die Ressourcen und die Verantwortung dafür, einen Umgang mit problematischen Förderern wie Kühne zu finden, sieht er vor allem bei den Verlagen und der Kulturpolitik.
Der Tenor dieser Antworten ist klar: In dieser Gesellschaft als Schriftsteller:in tätig zu sein bedeutet, in zahlreiche Widersprüche verstrickt und nicht wenigen Zwängen unterworfen zu sein. Solange die Kulturförderung maßgeblich über private Stiftungen und Organisationen geleistet wird und die Autor:innen von deren Geld abhängig seien, müsse man letztlich damit leben, dass Gelder im Kulturbetrieb aus fragwürdigen Quellen stammen Das zentrale Problem sehen die beiden Autoren in der privatisierten Kulturförderung in einer postfaschistischen Gesellschaft – und die Verantwortung auf Seiten der öffentlichen Hand.
… und Absagen
Sven Pfizenmaier, nominiert für Draußen feiern die Leute, ist zu einem anderen Schluss für seinen individuellen Umgang mit der Situation gekommen. Er hat seine Nominierung zurückgewiesen und seine Teilnahme am ›Debütantensalon‹ auf dem Harbour Front Literaturfestival abgesagt. In seiner am 29. August veröffentlichten Erklärung schreibt er so knapp wie deutlich: »Da sich Klaus-Michael Kühne aktiv dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten, möchte ich meinen Text nicht in einen Wettbewerb um sein Geld und eine Auszeichnung mit seinem Namen stellen.«
Anderthalb Wochen später, am 07.09., sagte auch Franziska Gänsler, nominiert für Ewig Sommer, ihre Teilnahme am Harbour Front Festival ab. In ihrer Erklärung, die diesmal durch die Festivalleitung veröffentlicht wurde, führt sie die Nicht-Diskussion um die Absage Pfizenmaiers als Grund an:
»Mich hat der Rückzug des mitnominierten Autors Sven Pfizenmaier und die darauf folgende Reaktion sehr beschäftigt. Ich denke, es hätte einen öffentlichen Diskurs gebraucht, der ein Ernstnehmen seiner Kritik erkennbar macht und zeigt, dass es das Anliegen der Stiftung ist, genau das zu fördern – kritische literarische Stimmen. Leider zeigt die Reaktion für mich, dass dies nicht gegeben scheint. Unter diesen Umständen weiter auf die Auszeichnung zu hoffen erscheint mir, unabhängig von der finanziellen Komponente, wie ein Wegsehen, das ich nicht gut mit mir und meinem Schreiben vereinbaren kann.«
Pfizenmaier und Gänsler haben damit drastische Schritte gewählt. Pfizenmaier betont in seiner Erklärung aber auch, dass er seine Entscheidung »explizit nicht als Vorwurf« gegen die Mitnominierten und Mitarbeitenden des Festivals verstanden wissen wolle: »Das Verhältnis zwischen Geldgeber:innen und Kulturschaffenden in Deutschland ist ein dermaßen komplexes Feld, dass es unzählige Wege gibt, einen angemessenen Umgang damit zu finden. Dieser hier ist meiner.«
Drastisch sind diese Entscheidungen nicht nur, weil beide damit auf die Möglichkeit verzichtet, das stattliche Preisgeld von 10.000 Euro zu gewinnen, sondern auch und vor allem, weil der Debütantensalon und der Klaus-Michael Kühne-Preis in den letzten Jahren zu einem wichtigen Sprungbrett für junge Autor:innen geworden sind. Bei Verlagen, Buchhändler:innen und Autor:innen genießt der Preis ebenso hohes Ansehen wie bei Kritik und Leser:innenschaft. Autor:innen, deren Debüt eine Nominierung erhalten oder den Preis gar gewonnen hat, steigern nicht nur die Verkäufe ihres Romans, sondern haben gute Aussichten, sich fest zu etablieren. Zu den bisherigen Preisträger:innen zählen etwa Olga Grjasnowa, Per Leo, Dmitrij Kapitelman, Fatma Aydemir und Christian Baron.
Der Eklat
Pfizenmaiers und Gänslers Entscheidung ist bisher präzedenzlos. Obwohl viele der früheren Nominierten und Preisträger:innen als engagierte Stimmen in der öffentlichen Debatte bekannt (geworden) sind, hatte bisher noch kein:e Autor:in öffentlich Kritik an Kühne geübt – geschweige denn die Nominierung oder den Preis zurückgewiesen.
Dementsprechend überfordert und ratlos wirkt der Umgang des Harbour Front-Festivals mit der Situation. Man glaubte dort offenbar, Pfizenmaiers Absage einfach unter den Teppich kehren zu können. Am 24. August wurde in einer Pressenachricht und auf Twitter lapidar ein »Programmupdate« verkündet: Nach Sven Pfizenmaiers Absage trete Przemek Zybowski durch ein Nachrückverfahren an seine Stelle. Bis zur Absage Gänslers ging das Festival weder auf die Gründe für Pfizenmaiers Absage ein, noch drückte es sein Bedauern darüber aus. Auf der Homepage des Festivals wurde Pfizenmaier stillschweigend ersetzt. Nach Gänslers Absage lässt das Festival auf der Website knapp verlautbaren:
»Wir finden diese Absagen sehr bedauerlich. Für die Beweggründe der Betreffenden haben wir Verständnis – auch wir sehen Diskussionsbedarf in dieser Angelegenheit.«
Die Reaktion der Kühne-Stiftung aber übertrifft das anfängliche Schweigen des Festivalsum Längen. Während sie der Mopo noch keinen Kommentar geben wollte und wohl auch hoffte, das Problem löse sich von selbst auf, ging sie gegenüber der taz in die Offensive: Man habe »mit Vorgängen, die ca. 80 Jahre zurückliegen, nichts zu tun«. Und weil sich die Stiftung »in höchstem Maße« ungerecht behandelt fühlte, setzte man dort zum Gegenangriff gegen die undankbaren Kulturschaffenden und ‑liebhaber:innen an: Man werde »die traditionelle Verleihung des Klaus-Michael Kühne-Preises jetzt überdenken« ließ die Kühne-Stiftung auf Anfrage der taz verlauten. Wer Kritik übt, erhält kein Geld – das ist die Botschaft, die die Kühne-Stiftung vermittelt.
Kulturförderung entprivatisieren
Die Reaktion der Kühne-Stiftung zeigt: Man scheint sich dort sehr bewusst darüber zu sein, wer hier am längeren Hebel sitzt. Der Kulturbetrieb ist in hohem Grad abhängig von seinen (privaten) Gönnern. Sie können den von ihnen geförderten Einrichtungen und Veranstaltungen ihre Bedingungen diktieren – und bei Kritik oder Nichtbefolgen die Förderung beenden oder zumindest damit drohen. Die Kühne-Stiftung zeigt mit ihrem Verhalten gegenüber den Kulturschaffenden überdeutlich auf, wo die Grenze(n) der Autonomie der Kunst liegen: Don’t bite the hand that feeds you.
Die ersten Leidtragenden eines Rückzugs wären die Schriftsteller:innen und Künstler:innen, also ausgerechnet die schwächsten Glieder in der Kette. Tatsächlich sind die anderen Nominierten nicht zu beneiden. Durch Pfizenmaiers und Gänslers Absage stehen sie unter Druck, sich zu bekennen, womöglich gar, ihrem Beispiel zu folgen. Vieles hängt davon ab, dass die Debatte solidarisch geführt wird, und das heißt: nicht individualisierend und moralisierend, sondern im Bewusstsein der Widersprüche und des strukturellen Charakters des Problems.
Klar ist: Solange die Kultur den Marktgesetzen unterliegt und die Förderung der Kulturschaffenden nicht durch öffentliche Hand getragen wird, ist sie auf private Förder:innen angewiesen. Denn wenn nicht allein die Marktgängigkeit von Kunst, Musik oder Literatur zählen soll, sondern auch die inhärenten Maßstäbe der Kunst, braucht es Kultursponsoring. An Beispielen wie Kühne zeigt sich aber, zu welchen Problemen es führen kann, wenn dies privat organisiert und zwangsläufig von besonders vermögenden Unternehmen und Einzelpersonen mit eigenen Interessen übernommen wird. Deshalb muss im Sinne einer demokratischen Kulturförderung zumindest eine Reduktion des Anteils privaten Sponsorings durch die (Wieder-)Einführung öffentlicher Förderung durchgesetzt werden. Die Leidtragenden des privaten Kultursponsorings sind letztlich auch die Autor:innen selbst, denen in diesem System mitunter nur eine Wahl bleibt zwischen Verzicht auf das, was ihren Unterhalt finanziert, oder der Annahme fragwürdiger Fördergelder – eine infame Verantwortungsverschiebung.
In Bezug auf den aktuellen Eklat heißt das: Der Kühne-Preis muss umbenannt und öffentlich finanziert werden. Wie wäre es etwa mit einem von der Stadt Hamburg finanzierten Peter-Rühmkorf-Preis? Wenn man sich anschaut, wie schnell die Stadt im Cum-Ex-Skandal bereit war, auf 47 Millionen Euro an Steuern zugunsten der Warburg-Bank zu verzichten, sollten 10.000 Euro Preisgeld sicherlich kein Problem darstellen. Und Kühnes Geld könnte auch in einer unabhängigen, wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Firmengeschichte sehr gute Verwendung finden.
Redaktion Untiefen, 7. September 2022