Im Nebel des Krieges

Im Nebel des Krieges

Vor gut zwei Wochen begann die Inva­sion der rus­si­schen Armee in die Ukraine. Die Sach- und Infor­ma­ti­ons­lage ist unüber­sicht­lich und ver­än­dert sich stän­dig, doch jeder Tag bringt neue Schre­ckens­mel­dun­gen. Mil­lio­nen Men­schen flie­hen nach Wes­ten. Wie reagiert Ham­burgs Linke?

Die aktu­elle kon­kret, erschie­nen am Tag des rus­si­schen Über­falls auf die Ukraine, Screen­shot: www.konkret-magazin.de

»Go East!«, prangt groß auf dem Titel der März­aus­gabe von kon­kret, dar­un­ter: »Die Nato-Aggression gegen Russ­land«. Aus­ge­lie­fert wurde das Heft am sel­ben Tag, an dem Russ­land sei­nen Ein­marsch in die Ukraine begann. Auf Face­book und der kon­kret-Web­site ver­öf­fent­lichte die Redak­tion sogleich eine kurze Stel­lung­nahme, die den Eier­tanz zu voll­füh­ren ver­sucht, zäh­ne­knir­schend die Unan­ge­mes­sen­heit die­ses Titels ein­zu­ge­ste­hen und sich trotz­dem nicht vom Inhalt zu distan­zie­ren. »So war das mit dem Kreml nicht abge­spro­chen« gewe­sen, ver­laut­bart man beschämt-ironisch, um dann die eigene Fehl­ana­lyse – denn wie sicher musste man sich sein, dass Putin kei­nen Krieg beginnt, um so einen Titel zu ver­öf­fent­li­chen?! – als kri­ti­sche Äqui­di­stanz dar­zu­stel­len: kon­kret hege weder Ver­ständ­nis für den Angriffs­krieg und »Mos­kaus macht­po­li­ti­sche Ambi­tio­nen« noch sei man bereit, ein »Bekennt­nis zur freiheitlich-demokratischen Welt­ord­nung des Wes­tens« abzu­le­gen. Am 7. März ver­öf­fent­lichte kon­kret dann noch eine Pod­cast­folge, die wegen des Kriegs, mit dem man nicht gerech­net hatte, neu auf­ge­nom­men wurde (»um uns nicht kom­plett zu bla­mie­ren«). Darin ver­su­chen die Her­aus­ge­be­rin Frie­de­rike Grem­liza und der auf die strategisch-geopolitische Vogel­per­spek­tive spe­zia­li­sierte Autor Jörg Kro­nauer, der in kon­kret lange das »Erfolgs­mo­dell Putin« pries, zu erläu­tern, warum sie nun der­art falsch lagen. Kro­nau­ers kleinlaut-uneinsichtige Erklä­rung: Der Über­fall auf die Ukraine sei ein ihm noch uner­klär­li­cher voll­stän­di­ger Bruch mit der zuvor »völ­lig ratio­nal kal­ku­lier­ten« und im Ver­gleich zur west­li­chen Poli­tik »viel enger am Völ­ker­recht« ori­en­tier­ten rus­si­schen Außen­po­li­tik. Keine Rede davon, dass sich spä­tes­tens im Lichte des jet­zi­gen Kriegs auch der­lei apo­lo­ge­ti­sche Hal­tun­gen gegen­über der puti­nis­ti­schen Außen­po­li­tik der letz­ten Jahre blamieren.

Die alte Friedensbewegung in der Krise

Das Ham­bur­ger Maga­zin befin­det sich mit die­ser Ein­schät­zung in frag­wür­di­ger Gesell­schaft. Die Nach­richt von der rus­si­schen Inva­sion fuhr ins­be­son­dere der tra­di­tio­nell anti­im­pe­ria­lis­ti­schen und oft­mals anti­ame­ri­ka­ni­schen Frie­dens­be­we­gung mas­siv in die Parade. Die Ham­bur­ger DKP etwa hatte einen Krieg im Gegen­satz zu kon­kret zwar offen­bar für rea­lis­tisch gehal­ten, dabei aber in völ­li­ger Ver­ken­nung der Fak­ten die rus­si­sche Kriegs­pro­pa­ganda repro­du­ziert. In der Mitte Februar erschie­ne­nen Aus­gabe 1/2022 der Zei­tung des Lan­des­ver­bands, Ham­bur­ger Utsich­ten, ver­kün­det der Lan­des­vor­sit­zende Michael Götze: »Es ist unglaub­lich, wie ein Krieg um die Ukraine gera­dezu her­bei­ge­re­det und ‑geschrie­ben wird. Tau­sende ukrai­ni­sche Sol­da­ten mar­schier­ten zuerst an die in Minsk ver­ein­barte Grenze zu den Pro­vin­zen Donezk und Lugansk. Die Ukraine wird von den Nato-Staaten mit Waf­fen voll­ge­pumpt. Aber der Russe ist schuld. Man war­tet gera­dezu auf die Mel­dung; ›Seit 5 Uhr früh wird zurück­ge­schos­sen.‹ « Vom unsäg­li­chen NS-Vergleich ganz abge­se­hen: Ein Ein­ge­ständ­nis, dass man mit die­ser War­nung vor einer Nato-Invasion in Russ­land völ­lig falsch lag, sucht man auf der Ham­bur­ger DKP-Seite ver­geb­lich. Statt­des­sen fin­det sich dort eine Erklä­rung des Par­tei­vor­stands, die den von Russ­land seit 2014 unter­stütz­ten Bür­ger­krieg in der Ost­ukraine als einen vom »nationalistische[n] Regime der Ukraine« geführ­ten »achtjährige[n] Krieg gegen den Don­bass« bezeichnet.

Noch ekla­tan­ter war die Fehl­ein­schät­zung der Volks­in­itia­tive gegen Rüs­tungs­exporte. Am 21. Februar, drei Tage vor der rus­si­schen Inva­sion, ver­öf­fent­lichte sie einen Auf­ruf zu einer »Frie­dens­kund­ge­bung« am 26. Februar mit dem Motto »Keine Waf­fen­ex­porte in die Ukraine«. In dem Auf­ruf heißt es: »Das Säbel­ras­seln, die Feind­bild­pro­pa­ganda und Panik­ma­che um einen ver­meint­li­chen Ein­marsch Russ­lands in die Ukraine müs­sen auf­hö­ren. Jetzt müs­sen Dia­log und die ernst­hafte Dis­kus­sion über Sicher­heits­ga­ran­tien für alle Sei­ten auf der Tages­ord­nung ste­hen. Mit dem Abzug der Manö­ver­trup­pen aus der Grenz­nähe zur Ukraine hat die rus­si­sche Regie­rung erneut die Hand dazu aus­ge­streckt.« Geteilt wurde die­ser Auf­ruf unter ande­rem vom Ham­bur­ger Forum und vom frisch aus der Lin­ken aus­ge­tre­te­nen Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­ten und Quer­front­ler Meh­met Yil­diz. Die Kund­ge­bung fand, unter völ­lig neuen Bedin­gun­gen, am 26. Februar statt – doch von Ein­sicht oder gar einem Ein­ge­ständ­nis der ekla­tan­ten Fehl­ein­schät­zung über Russ­lands zur Ver­söh­nung ›aus­ge­streckte Hand‹ war den Redner:innen (unter ihnen Yil­diz und der noto­ri­sche Nor­man Paech) nichts anzu­mer­ken.

Unstimmigkeiten in der Linkspartei

Ähn­lich wie kon­kret und DKP kom­pro­mit­tierte sich die Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete und Lan­des­spre­che­rin der Ham­bur­ger Lin­ken Żaklin Nas­tić mit ein­sei­ti­gen Schuld­zu­wei­sun­gen an den Wes­ten kurz vor Kriegs­be­ginn. In einer Pres­se­mit­tei­lung vom 20. Februar zur Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz beklagte sie, dass »der Wes­ten« nicht »auf rus­si­sche For­de­run­gen nach Sicher­heits­ga­ran­tien« ein­ge­gan­gen sei und dass »Russ­land […] als Aggres­sor und die Ukraine als Opfer dar­ge­stellt« wor­den seien. Nach­dem sich das ver­meint­li­che Zerr­bild Russ­lands als Aggres­sor in bit­tere Rea­li­tät ver­wan­delt hatte, ver­schob sich Nas­tićs Argu­men­ta­tion in Rich­tung ›it takes two to tango‹: Zusam­men mit Sahra Wagen­knecht und eini­gen ande­ren Abge­ord­ne­ten der Par­tei Die Linke ver­fasste sie eine Erklä­rung zum Angriff Russ­lands auf die Ukraine, in wel­cher der »von den USA in den letz­ten Jah­ren betrie­be­nen Poli­tik« eine »maß­geb­li­che Mit­ver­ant­wor­tung« für den jet­zi­gen Krieg zuge­schrie­ben wird.

Der Lan­des­ver­band und die Bür­ger­schafts­frak­tion der Lin­ken hin­ge­gen haben deut­lich gemacht, dass sie einem sol­chen äqui­di­stan­ten Anti­im­pe­ria­lis­mus äußerst kri­tisch gegen­über­ste­hen. Die Par­tei rief zur Teil­nahme an der von Fri­days for Future initi­ier­ten Frie­dens­de­mons­tra­tion in der Ham­bur­ger Innen­stadt am 3. März auf und mobi­li­sierte selbst zu einer anschlie­ßen­den Kund­ge­bung vor dem rus­si­schen Kon­su­lat – unter ande­rem mit dem unmiss­ver­ständ­li­chen Hash­tag #fckptn. Mediale Auf­merk­sam­keit erlangte die Par­tei vor allem mit ihrer For­de­rung, die in Ham­bur­ger Werf­ten lie­gen­den Luxus­jach­ten rus­si­scher Olig­ar­chen fest­zu­set­zen: Man müsse den »Olig­ar­chen in die Suppe spu­cken, damit sie sich gegen Putin wen­den«, zitiert die Mopo den ehe­ma­li­gen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Lin­ken Fabio de Masi. Gleich­zei­tig wen­dete sich Die Linke Ham­burg aber auch gegen den geplan­ten 100-Milliarden-Euro-Sonderetat für die Bun­des­wehr und for­derte, Maß­nah­men zur Kom­pen­sa­tion der mas­si­ven Preis­stei­ge­run­gen bei Gas, Strom und Kraft­stof­fen zu ergrei­fen, von denen vor allem die Armen betrof­fen seien.

Die radikale Linke zwischen Solidarität und Kritik

Der links­ra­di­kale anti­mi­li­ta­ris­ti­sche Block ging am 5. März im blau-gelben Fah­nen­meer unter, Foto: privat

Auch große Teile der post­au­to­no­men und Bewe­gungs­lin­ken in Ham­burg ergrei­fen Par­tei gegen den rus­si­schen Ein­marsch in die Ukraine. Die Inter­ven­tio­nis­ti­sche Linke war mit einem Rede­bei­trag auf der Kund­ge­bung der Links­par­tei vor dem rus­si­schen Kon­su­lat ver­tre­ten. Die Gruppe Pro­jekt Revo­lu­tio­näre Per­spek­tive (PRP) ver­fasste einen Auf­ruf zu einem anti­mi­li­ta­ris­ti­schen Block auf der Demo am Sams­tag – gegen den Krieg und gegen die deut­schen Auf­rüs­tungs­ab­sich­ten –, dem sich meh­rere Grup­pen anschlos­sen. Die auf den Trans­pis sicht­ba­ren For­de­run­gen aus dem Reser­voir der lin­ken Anti­kriegs­be­we­gung (von »Wir wol­len eure Kriege nicht« bis »Der Haupt­feind steht im eige­nen Land«) wirk­ten eher hilf­los und der kon­kre­ten Situa­tion nicht wirk­lich ange­mes­sen. Doch immer­hin arti­ku­lierte die­ser Block den aktu­ell drin­gend not­wen­di­gen Ein­spruch gegen Auf­rüs­tung und Natio­na­lis­mus. Im blau-gelben Fah­nen­meer ging der ziem­lich in der Mitte der Demo gele­gene Block aller­dings weit­ge­hend unter. Ein sym­pto­ma­ti­sches Bild für die aktu­elle Situa­tion der Lin­ken: Jed­we­der Ver­such der Dif­fe­ren­zie­rung wird laut über­tönt. Das gilt nicht nur für die Kri­tik an der deut­schen Auf­rüs­tung und am aggres­si­ven ukrai­ni­schen Natio­na­lis­mus, son­dern auch für die War­nung vor dem Ein­fluss rechts­extre­mer Grup­pie­run­gen in der ukrai­ni­schen Armee und Gesell­schaft (der sich nicht zuletzt in der staat­li­chen Ehrung des Faschis­ten­füh­rers Ste­pan Ban­dera aus­drückt), für die Anpran­ge­rung der ras­sis­ti­schen und anti­zi­ga­nis­ti­schen Dop­pel­mo­ral, die sich in der aktu­el­len Flücht­lings­po­li­tik zeigt, und für Kri­tik an der deut­schen Öffent­lich­keit, die von all dem nichts wis­sen will und der deut­schen Mili­ta­ri­sie­rung sekun­diert.1 Etwa wenn in einem MDR-Beitrag vom 6. März die Ent­schei­dung zum Dienst in der Bun­des­wehr als patrio­ti­scher Akt beju­belt wird.

Die Frei­heit, die sie mei­nen: FDP-Block »für eine freie Ukraine« am 5. März, Foto: privat

In die­ser schwie­ri­gen Lage bie­ten die 14 Punkte, mit denen der Twitter-Account Antifa Info Ham­burg am 2. März eine mög­li­che anti­fa­schis­ti­sche Ant­wort auf die aktu­elle Situa­tion skiz­zierte, eine gute erste Ori­en­tie­rung. Einer der Punkte lau­tet: »Wider­sprü­che aus­hal­ten«. Denn durch die blau-gelbe Brille, die nahezu alle (ver­meint­li­chen) Friedensfreund:innen gerade auf­ha­ben, sind Nuan­cen kaum zu erken­nen – im Gegen­teil, taucht sie doch auch so man­chen brau­nen Gegen­stand in leuch­tende Far­ben. Zu den Wider­sprü­chen, auf die eine radi­kale Linke in die­ser Situa­tion auf­merk­sam machen muss, gehört auch, dass sich unter den Par­tei­gän­gern bei­der Kon­flikt­sei­ten Rechts­extreme und Nazis befin­den: Das Ham­bur­ger Bünd­nis gegen Rechts macht vor allem auf den Puti­nis­mus der Ham­bur­ger AfD auf­merk­sam – die Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­nete Olga Peter­sen etwa war im Sep­tem­ber 2021 als »Wahl­be­ob­ach­te­rin« in Russ­land, wo sie die »Trans­pa­renz« der Duma-Wahl lobte. Antifa Info Ham­burg wie­derum weist auf die Sym­bo­li­ken hin, an denen man die auch in der hie­si­gen Ukraine-Solidarität mit­mi­schen­den rechts­extre­men Kräfte wie den Rech­ten Sek­tor und Asow erkennt. Dar­auf, dass sich in der Ukraine aber auch sich als links ver­ste­hende Grup­pen für einen bewaff­ne­ten Kampf gegen die rus­si­sche Armee ent­schei­den, ver­weist der Account @anarchyinHH. Andere auto­nome Grup­pen wie die Antifa Nor­der­elbe tei­len Auf­rufe, die anar­chis­ti­sche Initia­tive Ope­ra­tion Soli­da­rity zu unter­stüt­zen, die »net­works of mutual aid within Ukraine« auf­bauen möchte.

Praktische Solidarität

Der­lei Netz­werke prak­ti­scher Hilfe haben sich der­weil auch schon in Ham­burg gegrün­det. Aus der Black Com­mu­nity Ham­burgs – maß­geb­lich waren hier die Akti­vis­tin Asmara und die SPD-Bezirksabgeordnete Irene Appiah – wur­den Busse orga­ni­siert, mit denen an der ukrainisch-polnischen Grenze ras­sis­tisch dis­kri­mi­nierte Schwarze Flüch­tende nach Ham­burg gebracht wur­den.2Auch über den Haupt­bahn­hof kamen Afrorukrainer:innen nach Ham­burg. Ein auf Face­book zu sehen­des (lei­der akus­tisch sehr schlecht zu ver­ste­hen­des) Video von Twi Radio Ger­many vom 7. März etwa zeigt ein Inter­view mit einem sieb­zehn­jäh­ri­gen Schü­ler und Nach­wuchs­fuß­bal­ler aus Nige­ria, der aus Kiew geflo­hen ist und von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung wäh­rend der Flucht berich­tet. Es zir­ku­lier­ten Auf­rufe zu Geld- und Sach­spen­den (Power­banks, Ben­zin­ka­nis­ter, Taschen­wär­mer) für den Ein­satz an der ukrai­ni­schen Grenze und natür­lich Auf­rufe, Flüch­tende vor Ort mit Sach­spen­den und Unter­brin­gung zu unter­stüt­zen. Der Ber­li­ner Ver­ein quar­teera e.V., in dem sich rus­sisch­spra­chige LGBT* in Deutsch­land orga­ni­sie­ren, ruft zur Unter­stüt­zung quee­rer Geflüch­te­ter auf und ver­mit­telt Unter­künfte – auch in Ham­burg. Über Tele­gram­grup­pen, etwa die »auto­nom unter anti­na­tio­na­lem Kon­text gegründet[e]« Gruppe Ukraine Sup­port Ham­burg und Umge­bung wer­den Infor­ma­tio­nen wei­ter­ge­ge­ben und wird effi­zi­ent und soli­da­risch Hilfe orga­ni­siert. Ähn­li­che Mes­sen­ger­grup­pen für ein­zelne Vier­tel bil­den sich gerade nahezu täg­lich. Die Hilfe, die hier orga­ni­siert wird, ist wie schon 2015 ange­sichts der kata­stro­phal schlecht vor­be­rei­te­ten öffent­li­chen Anlauf­stel­len drin­gend nötig.

Vor allem über rus­sisch­spra­chige Telegram-Gruppen hat sich schon län­ger ein ehren­amt­li­ches Unter­stüt­zungs­netz­werk am Haupt­bahn­hof gebil­det. Seit Anfang März wer­den dort ankom­mende Flüch­tende in Emp­fang genom­men und bei ihrer Ankunft unter­stützt. Da sie seit dem 6. März auch durch den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) unter­stützt wer­den, gibt es am Haupt­bahn­hof gerade häu­fig mehr frei­wil­lige Helfer:innen als nötig. Ob das aber wei­ter­hin so bleibt, ist frag­lich – die Erfah­run­gen von 2015 haben gezeigt, dass der­lei Aus­brü­che von Hilfs­be­reit­schaft in Ham­burg meist nur von kur­zer Dauer sind.

Redak­tion Untie­fen, März 2022

Die Mit­glie­der der Redak­tion hof­fen, dass ihnen der Spa­gat zwi­schen Vater­lands­ver­rat und prak­ti­scher Soli­da­ri­tät gelingt, ohne dass sie sich schwere Zer­run­gen zuziehen.

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    Etwa wenn in einem MDR-Beitrag vom 6. März die Ent­schei­dung zum Dienst in der Bun­des­wehr als patrio­ti­scher Akt beju­belt wird.
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    Auch über den Haupt­bahn­hof kamen Afrorukrainer:innen nach Ham­burg. Ein auf Face­book zu sehen­des (lei­der akus­tisch sehr schlecht zu ver­ste­hen­des) Video von Twi Radio Ger­many vom 7. März etwa zeigt ein Inter­view mit einem sieb­zehn­jäh­ri­gen Schü­ler und Nach­wuchs­fuß­bal­ler aus Nige­ria, der aus Kiew geflo­hen ist und von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung wäh­rend der Flucht berichtet.

Wie bürgerlich ist »Querdenken«?

Wie bürgerlich ist »Querdenken«?

In den letz­ten Wochen des Jah­res 2021 erhielt der Ham­bur­ger »Quer­den­ken«-Able­ger Auf­trieb und orga­ni­sierte zeit­weise die größ­ten Pro­teste der Bun­des­re­pu­blik. Lokal­presse und manch anti­fa­schis­ti­sche Gruppe spre­chen der Bewe­gung ab, bür­ger­lich zu sein – womög­lich soll­ten Kri­tik und Gegen­pro­test jedoch genau das fokussieren.

Nicht zu fas­sen eine merk­wür­dige Melange aus Kar­ne­val, Neo­na­zis, Hip­pies, Eso­te­rik­messe und Evan­ge­li­ka­len. Foto: privat

Die ste­tig stei­gende Zahl der Teilnehmer:innen bei den soge­nann­ten Querdenken-Demonstrationen im vor­weih­nacht­li­chen Ham­burg hat bei der Lokal­presse Ver­un­si­che­rung aus­ge­löst. Sams­tag für Sams­tag for­mierte sich ein immer grö­ßer wer­den­der Pro­test­zug. Am 18. Dezem­ber waren es dann laut Poli­zei 11.500 Men­schen, die dem Auf­ruf zum »Marsch durch Ham­burg« unter dem Motto »Frei sein« folg­ten. Das Abend­blatt berich­tete und zitierte eine »Ein­schät­zung der Behör­den«, der­zu­folge der Pro­test einen »ins­ge­samt bür­ger­li­chen Cha­rak­ter« habe. »Tat­säch­lich«, wie es mit eini­gem Erstau­nen im Arti­kel wei­ter hieß, sahen die Pro­tes­tie­ren­den auch wirk­lich so aus. Für die Ham­bur­ger Mor­gen­post passte die schmerz­hafte Erkennt­nis, dass »aus­ge­rech­net Ham­burg, die Stadt des nüch­ter­nen Prag­ma­tis­mus, jetzt zur Haupt­stadt der deut­schen Corona-Proteste« gewor­den sei, »kein Stück ins Bild«. Wäh­rend das Abend­blatt hin­ter die Fas­sade blickte und meinte, dass die Paro­len alles »andere als bür­ger­lich« seien, ließ die Mopo einen Hirn­for­scher zu Wort kom­men. So als sei die auf die Straße getra­gene Irra­tio­na­li­tät nicht Aus­druck gesell­schaft­li­cher Ver­hält­nisse, son­dern tief in die Natur des Men­schen eingeschrieben.

Ver­un­si­chert ist offen­sicht­lich auch die links­ra­di­kale Szene der Han­se­stadt: Der Gegen­pro­test fällt bis­lang nicht nur über­ra­schend klein aus, son­dern hat schein­bar auch nur die gegen tat­säch­li­che Nazi­auf­mär­sche erprob­ten Akti­ons­for­men und Paro­len parat.

In der Tat ist es ver­un­si­chernd, was dort Sams­tag für Sams­tag in einem immer grö­ßer wer­den­den Umzug durch die Stra­ßen der Ham­bur­ger Innen­stadt zieht. Eine merk­wür­dige Melange aus Kar­ne­val und Eso­te­rik­messe, aus Neo­na­zis und Hip­pies, Evan­ge­li­ka­len und Kleinunternehmer:innen. Die noch grö­ßere Merk­wür­dig­keit besteht jedoch darin, dass der Pro­test gerade auch das ist, was er nach Ansicht der Ham­bur­ger Lokal­presse und Tei­len der anti­fa­schis­ti­schen Grup­pie­run­gen nicht sein soll: bür­ger­lich. Der Sozio­loge Oli­ver Nachtwey hat mit Kolleg:innen im Jahr 2020 eine Stu­die zu den Coro­na­pro­tes­ten in Deutsch­land und der Schweiz ver­öf­fent­licht. Dem­nach ord­ne­ten sich die Teilnehmer:innen zu einem Groß­teil der Mit­tel­schicht zu, sind berufs­tä­tig und wei­sen über­durch­schnitt­lich hohe Bil­dungs­ab­schlüsse auf. Einem Beob­ach­ter des Ham­bur­ger Querdenker:innenmilieus zufolge, den die Redak­tion Untie­fen befragte, las­sen sich diese Ergeb­nisse recht gut auf die hie­si­gen Pro­teste über­tra­gen. Wer selbst ein­mal am Rand besag­ter Pro­test­um­züge gestan­den hat, wird das bestä­ti­gen kön­nen. So waren Untie­fen-Redak­ti­ons­mit­glie­der, die seit mehr als einem Jahr die Coro­na­pro­teste beob­ach­ten (und gegen sie demons­trie­ren), über­rascht, dass die Selbst­be­zeich­nung des Pro­tes­tes als »bunt« nicht nur eine Wort­hülse war.

Am 18. Dezem­ber folg­ten laut Poli­zei 11.500 Men­schen dem Auf­ruf zum »Marsch durch Ham­burg« unter dem Motto »Frei sein«. Foto: pri­vat

Es sind also durch­aus Teile der viel beschwo­re­nen Mitte der Gesell­schaft, die sich hier im »Wider­stand« wäh­nen – als »rote Linie« gegen die »Corona-Diktatur«. Der Kri­tik und dem Gegen­pro­test ist somit offen­bar wenig gehol­fen, wenn die Pro­teste ohne Wei­te­res als rechts­extre­mes Phä­no­men ver­stan­den wer­den. Skur­ril wurde es etwa am 18. Dezem­ber, als nicht nur wie­der ein­mal Querdenker:innen den anti­fa­schis­ti­schen Gegendemonstrant:innen ihr »Nazis raus!« zurück­ga­ben, son­dern vom Laut­spre­cher­wa­gen dröhnte, dass die Antifa durch ihren Ver­gleich die NS-Verbrechen rela­ti­viere. Die Querdenker:innen grund­sätz­lich als »Nazis« oder »Faschos« anzu­spre­chen trifft weder sie sel­ber noch die Sache. 

Die Bezeich­nung »bür­ger­lich« hin­ge­gen ver­harm­lost die Pro­teste nicht zwangs­läu­fig. Rich­tig ver­stan­den weist sie auf ihren Kern hin: auto­ri­täre Ideo­lo­gien, die in der deut­schen Gesell­schaft weit ver­brei­tet sind. Ent­ge­gen der poli­ti­schen Idea­li­sie­rung der »Mitte« als Sta­bi­li­täts­an­ker der Demo­kra­tie ist es ange­zeigt, immer wie­der den »Rechts­extre­mis­mus der Mitte« (Oli­ver Decker) zu benen­nen, der sich anläss­lich der staat­li­chen Corona-Politik nun neu for­miert. Dass die aller­meis­ten Teilnehmer:innen nicht rechts­extrem orga­ni­siert sind und das wohl auch nicht mit sich ver­ein­ba­ren könn­ten, hin­dert sie nicht daran, omi­nöse Welt­re­gie­run­gen, Phar­ma­lob­bys oder bestimmte Mil­li­ar­däre kryp­to­an­ti­se­mi­tisch für die Pan­de­mie, Bevöl­ke­rungs­kon­trolle und gar geziel­ten Mas­sen­mord ver­ant­wort­lich zu machen. Der Mobi­li­sie­rung hilft es viel­mehr, dass für die Ham­bur­ger Querdenker:innen nicht anstö­ßige ras­sis­ti­sche oder natio­na­lis­ti­sche The­sen zen­tral sind.

Statt­des­sen steht neben Kri­tik an den Ein­schrän­kun­gen für Unge­impfte und der sich abzeich­nen­den Impf­pflicht (»Frie­den, Frei­heit, Selbst­be­stim­mung«) der Schutz von Kin­dern vor der ver­meint­lich unsi­che­ren Corona-Impfung im Vor­der­grund (»Hände weg von unse­ren Kin­dern«). Dafür sind laut unse­rem Beob­ach­ter unter ande­rem Grup­pen des ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Netz­wer­kes »Eltern ste­hen auf« ver­ant­wort­lich, die schon 2020 gegen die Mas­ken­pflicht an Schu­len mobi­li­sier­ten, teil­weise mit haar­sträu­ben­den Gru­sel­ge­schich­ten von Atem­not und Ersti­ckungs­tod. Kin­der­schutz ist in der BRD schon lange ein Thema, mit dem auto­ri­täre Straf­be­dürf­nisse mobi­li­siert wer­den kön­nen (»Todes­strafe für Kin­der­schän­der«; gegen »Früh­sexua­li­sie­rung«). So über­rascht es nicht, dass auch bei »Eltern ste­hen auf« aus dis­ku­ta­blen Beden­ken gegen­über den staat­li­chen Corona-Maßnahmen schnell ein all­ge­mei­ner Vor­wurf der »Kin­des­miss­hand­lung« wird, die auf sata­ni­sche und pädo­phile Eli­ten oder gleich einen »neuen Faschis­mus« hin­deute – gegen des­sen Scher­gen natür­lich auch hand­greif­li­cher Wider­stand als legi­tim gilt. Die beglei­ten­den kon­ser­va­ti­ven Vor­stel­lun­gen von unschul­di­ger Kind­heit, natür­li­chen Geschlech­ter­rol­len, Mut­ter­in­stink­ten und männ­li­chen Beschüt­zern kön­nen weit über das klas­si­sche rechte Publi­kum hin­aus mobi­li­sie­ren, wie Larissa Denk vom Bera­tungs­netz­werk Ham­burg in einer jüngst erschie­ne­nen Exper­tise (S. 26) herausarbeitet.

Die sicht­bare Kri­tik an den staat­li­chen Corona-Maßnahmen wird so an vie­len Stel­len mit alt­be­kann­ten und weit ver­brei­te­ten auto­ri­tä­ren Ideo­lo­gien arti­ku­liert. Das ist nicht allein die Folge des lin­ken Ver­sa­gens, eine über­zeu­gende Kri­tik der staat­li­chen Pan­de­mie­po­li­tik zu ent­wi­ckeln. Viel­mehr begüns­tigt das ideo­lo­gi­sche Feld selbst die Regres­sion. Den Corona-Protesten gelingt etwas, das eman­zi­pa­to­ri­scher Orga­ni­sa­tion grund­sätz­lich ver­wehrt ist. Mit ihren Ver­schwö­rungs­my­then spre­chen sie anti­mo­derne und anti­auf­klä­re­ri­sche Bedürf­nisse an und brin­gen so Men­schen zusam­men, die objek­tiv ver­schie­dene Inter­es­sen und oft sogar auch kon­träre poli­ti­sche Ansich­ten haben. Diese ermu­ti­gende Erfah­rung, Teil einer wach­sen­den Bewe­gung zu sein, öff­net poli­tisch uner­fah­rene und unor­ga­ni­sierte Kleinbürger:innen für die Mobi­li­sie­rung durch rechte Struk­tu­ren (Telegram-Gruppen, Verschwörungsideologie-Netzwerke, AfD).

Das kann womög­lich auch den nur ver­hal­te­nen Gegen­pro­test erklä­ren. Denn dass von den Querdenken-Demonstrationen ähn­lich unmit­tel­bare Gefahr wie von Nazi-Aufmärschen aus­geht, glau­ben wohl nur wenige. Gegen die über­ra­schend hete­ro­ge­nen Milieus, in denen sich das Auto­ri­täre der­zeit for­miert, sind jedoch noch keine über­zeu­gen­den poli­ti­schen Stra­te­gien zur Hand. Dazu kommt die mitt­ler­weile empi­ri­sche Gewiss­heit, dass die Querdenker:innen mit ihrer Leug­nung der Pan­de­mie und der Geg­ner­schaft zur Imp­fung eine abso­lute Min­der­heit dar­stel­len und man also mit der Mehr­heits­ge­sell­schaft im Rücken demons­triert. Das wird man­che dazu füh­ren, gegen den geschla­ge­nen Geg­ner gar nicht erst los­zu­zie­hen – ande­ren mag die fak­ti­sche Gemein­sam­keit mit dem Staat unbe­quem sein.

Teilt man die Ein­schät­zung, dass die Corona-Pandemie nur als Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt für auto­ri­täre Ideo­lo­gie fun­giert, könnte eine anti­fa­schis­ti­sche Ant­wort sein, diese Ideo­lo­gien und die ent­spre­chen­den Netz­werke – von »Eltern ste­hen auf«, über die »Ärzte für Auf­klä­rung« bis hin zu »QAnon« – stär­ker in den Blick zu neh­men. Es hieße, die Kri­tik näher an das beob­acht­bare Phä­no­men her­an­zu­rü­cken und den Gegen­pro­test nicht mit den alt­her­ge­brach­ten Paro­len und Trans­pa­ren­ten zu gestal­ten. Im glei­chen Atem­zug müsste diese Kri­tik den bür­ger­li­chen Stim­men, wie sie in Mopo und Abend­blatt zu fin­den sind, vor­füh­ren, dass die Exter­na­li­sie­rung des Pro­tests als unbür­ger­lich, patho­lo­gisch oder Ähn­li­ches wie­derum ein iden­ti­tä­res Ticket dar­stellt. Es gibt nicht nur das trü­ge­ri­sche Gefühl, auf der rich­ti­gen Seite zu ste­hen, son­dern ver­schlei­ert dar­über hin­aus vor allem jene Ver­hält­nisse, die den Pro­tes­ten zugrunde lie­gen – die auto­ri­tä­ren Sehn­süchte der soge­nann­ten bür­ger­li­chen Mitte.

Redak­tion Untie­fen, Dezem­ber 2021.

98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

98 Jahre »Hamburger Aufstand« der KPD

Vor 98 Jah­ren begann der »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Der letzte Revo­lu­ti­ons­ver­such in Ham­burg schei­terte zwar bei­nahe sofort, wirkte aber in der Kar­riere Ernst Thäl­manns und der Sta­li­ni­sie­rung der KPD nach. Wie kann eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den weit­ge­hend ver­ges­se­nen Ereig­nis­sen von damals heute aussehen?

Eins von offen­bar weni­gen Bil­dern der Auf­stän­di­gen. In Barm­bek (Ham­bur­ger Str. Ecke Schma­len­be­cker Str.) wird eine Bar­ri­kade errich­tet. Foto: unbekannt

Heute, am 23. Okto­ber 2021, jährt sich zum 98. Mal der soge­nannte »Ham­bur­ger Auf­stand« der KPD. Zwei oder drei, höchs­tens vier Tage lang lie­fer­ten Anhänger*innen der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei sich mit der Poli­zei in Ham­burg und den angren­zen­den preu­ßi­schen Gemein­den Wands­bek und Schiff­bek (heute Bill­stedt) einen bewaff­ne­ten Stra­ßen­kampf. Sie stürm­ten in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 23. Okto­ber Poli­zei­wa­chen in Arbeiter*innenstadtteilen, um Gewehre und Pis­to­len zu erbeu­ten und ver­schanz­ten sich auf Dächern und hin­ter Bar­ri­ka­den. Vor allem in Barm­bek und Schiff­bek konn­ten sie einige Stra­ßen­züge zunächst ver­tei­di­gen, ins­ge­samt aber war der Auf­stands­ver­such von Beginn an zum Schei­tern ver­ur­teilt. Er wurde blu­tig niedergeschlagen.

Dem Auf­stand gin­gen in einer Hoch­phase der Infla­tion spon­tane Hun­ger­re­vol­ten und Plün­de­run­gen vor­aus, zudem rechts­extreme Putsch­ver­su­che in Bay­ern und zuge­spitzte Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen KPD und SPD. Geschei­tert ist er nicht erst mili­tä­risch, son­dern schon poli­tisch im Vor­feld. Er wurde vom »ultra­lin­ken« Flü­gel der Ham­bur­ger KPD unter Füh­rung von Hugo Urbahns, Hans Kip­pen­ber­ger und Ernst Thäl­mann gegen den Mehr­heits­wil­len der Par­tei aus­ge­ru­fen und erhielt keine nen­nens­werte Hilfe von außer­halb. Es waren zwar große Teile des Ham­bur­ger Pro­le­ta­ri­ats poli­tisch in Bewe­gung, doch sie und die breite Bevöl­ke­rung unter­stütz­ten die etwa 300 kämp­fen­den Kommunist*innen offen­bar nicht maßgeblich.

Fol­gen­los blieb der Auf­stand aber kei­nes­wegs. Natio­nale und kon­ser­va­tive Kreise nutz­ten ihn in Ham­burg und der Repu­blik zur Agi­ta­tion für Aus­nah­me­ge­setze und den Abbau demo­kra­ti­scher Rechte. In der KPD dage­gen wurde er schnell zum Mythos. Die Dis­kus­sion über die Schuld für das Schei­tern in Ham­burg ent­schied die Kom­in­tern 1924, indem sie die »rech­ten«, mode­ra­ten Kräfte in der KPD ver­ant­wort­lich machte. So konnte der »ultra­linke« mos­kau­hö­rige Flü­gel in der KPD zur Macht gelan­gen und Ernst Thäl­mann zum Vor­sit­zen­den auf­stei­gen. Damit trug der Ham­bur­ger Auf­stand letzt­lich zur 1924 begin­nen­den Bol­sche­wi­sie­rung und Sta­li­ni­sie­rung, auch der deut­schen KP, bei. Deren »ultra­linke« Poli­tik ab 1929 spielte bekannt­lich eine wesent­li­che Rolle in der Kata­stro­phe, dass keine Ein­heits­front von Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu Stande kam. In der Geschichts­schrei­bung der spä­te­ren KPD und der offi­zi­el­len Ver­sion der DDR wurde er den­noch zu einem heroi­schen, aber ver­ra­te­nen Auf­stand sti­li­siert, der Vor­bild für die kom­mende Revo­lu­tion sein sollte. Das wie­derum dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er heute selbst unter radi­ka­len Lin­ken weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Es ist doch nicht »unser« Auf­stand, nicht »unser« Kom­mu­nis­mus, der da geschei­tert ist. Gefei­ert wird er selbst in Ham­burg nur von eini­gen tra­di­tio­nell kom­mu­nis­ti­schen Lin­ken im Umfeld der DKP.

Diese Igno­ranz aber geht in jene Falle, die Bini Adamc­zak in Ges­tern Mor­gen für die kom­mu­nis­ti­sche Auf­ar­bei­tung des Sta­li­nis­mus ins­ge­samt benannt hat:

»In ihrer Rhe­to­rik des Bruchs mit einer Ver­gan­gen­heit, mit der sie nicht bre­chen kön­nen, weil sie sie beschwei­gen, sie nicht ein­mal ken­nen, bestä­ti­gen diese Kom­mu­nis­tin­nen der Gegen­wart die Behaup­tung ihrer Geg­ner, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht, weil für sie diese Geschichte been­det ist. Als gäbe es keine Vor­fah­ren, als habe es keine Vor­kämp­fe­rin­nen gege­ben. Aber die ver­gan­ge­nen Kämpfe um die Zukunft zu begra­ben bedeu­tet unter den fort­wir­ken­den Bedin­gun­gen der Nie­der­lage nichts ande­res als die Zukunft selbst, eine andere Zukunft zu begra­ben.« 1Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25

Wer eine kom­mu­nis­ti­sche Revo­lu­tion noch immer für not­wen­dig hält oder gar die Selbst­be­zeich­nung »revo­lu­tio­när« bean­sprucht, muss die geschei­ter­ten Revo­lu­ti­ons­ver­su­che – zumal im eige­nen Land, in der eige­nen Stadt – als Teil der eige­nen Geschichte begrei­fen. Sie als Geschichte der Ande­ren, der Anti­imps, der DKP, der Paläomarxist*innen abzu­tun, gibt den Anspruch Preis, das Befrei­ungs­ver­spre­chen der Ver­gan­gen­heit doch noch Gegen­wart wer­den zu lassen.

Den »Ham­bur­ger Auf­stand« als Teil der eige­nen Geschichte anzu­er­ken­nen kann jedoch nicht hei­ßen, einer blo­ßen (mili­tä­ri­schen, poli­ti­schen, orga­ni­sa­to­ri­schen, stra­te­gi­schen…) Nie­der­lage glo­ri­fi­zie­rend zu geden­ken, also »sol­che Revo­lu­tio­näre zu Iko­nen zu erhe­ben, die star­ben, bevor sie soweit hät­ten kom­men kön­nen« 2Adamc­zak, S. 26. Es muss der Auf­stand auch als Teil eben des Schei­terns begrif­fen wer­den, das er mit­be­wirkt hat: Das sta­li­nis­ti­sche Total­ver­sa­gen der kom­mu­nis­ti­schen Emanzipation.

Wie kann eine sol­che »kom­mu­nis­ti­sche Trau­er­ar­beit« (Hen­drik Wal­lat) heute aus­se­hen, die weder beschö­nigt, noch Frei­heit unter­stellt, wo die Bedin­gun­gen nicht frei gewählt waren? Ein Blick auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen zum »Ham­bur­ger Auf­stand« zeigt, dass von den 1960ern bis in die 1980er recht rege publi­ziert wurde, seit­dem aber immer sel­te­ner. Die fol­gen­den Hin­weise kön­nen viel­leicht zumin­dest die Hür­den sen­ken, die Aus­ein­an­der­set­zung von neuem zu beginnen:

Einen mit­rei­ßen­den, sprach­lich star­ken, aber ebenso stark ver­klä­ren­den »Erleb­nis­be­richt« hat die rus­si­sche Kom­mu­nis­tin Larissa Reis­ner schon 1924 geschrie­ben. Ihrer Ansicht nach blieb der Auf­stand unbe­siegt, da er sich »plan­mä­ßig zurück­ge­zo­gen« habe:

Larissa Reis­ner: Ham­burg auf den Bar­ri­ka­den und andere Repor­ta­gen. Ber­lin 1960

(Die jüngste Neu­auf­lage des Berichts in einem natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Umfeld (neben Tex­ten von u.a. Otto Stras­ser) durch den Haag + Herchen-Verlag ist zwar mit Blick auf die Geschichte der KPD wohl lei­der nicht ganz zufäl­lig, tut aber Reis­ner und ihrem Bericht Gewalt an.)

Knapp zwei Stun­den Inter­views mit Betei­lig­ten des Auf­stands haben die Dokumentarfilmer*innen Klaus Wil­den­hahn und Gisela Tuch­ten­ha­gen 1971 unter dem Titel »Der Ham­bur­ger Auf­stand Okto­ber 1923« ver­öf­fent­licht. Die voll­stän­dige Fas­sung ist lei­der nur vor Ort im Film­ar­chiv Ber­lin ein­seh­bar. Die Ham­bur­ger Staats­bi­blio­thek bie­tet in einer DVD-Box mit Wil­den­hahns Fil­men zumin­dest eine 45-minütige Kurz­ver­sion zur Aus­leihe an:

Klaus Wil­den­hahn, Doku­men­ta­rist im Fern­se­hen; 14 Filme; 1965 ‑1991. Ber­lin 2010.

Einen kur­zen Über­blick mit Fokus auf die Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der KPD und zwi­schen KPD, SPD und Gewerk­schaf­ten hat Wulf D. Hund 1983 veröffentlicht:

Wulf D. Hund: Der Auf­stand der KPD 1923. In: Hamburg-Studien, S. 32–61. Opla­den 1983.

Eine umfang­rei­che wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung aus enga­gier­ter Per­spek­tive und mit gro­ßem Mate­ri­al­teil lie­fert Karl Hein­rich Biehl:

Karl Hein­rich Biehl: Der Thälmann-Putsch in Ham­burg und Umge­bung. Im Anhang 55 Doku­mente zur poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Situa­tion im Herbst 1923. Ham­burg 2001.

Die jüngste umfas­sende wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lung hat der Ham­bur­ger His­to­ri­ker Joa­chim Paschen 2010 vorgelegt:

Joa­chim Paschen: Wenn Ham­burg brennt, brennt die Welt. Der kom­mu­nis­ti­sche Griff nach der Macht im Okto­ber 1923. Frank­furt am Main 2010.

Eine auf Karl Hein­rich Biehls Arbeit basie­rende Bro­schüre mit (teil­weise gewag­ten) Bezü­gen zur Gegen­wart hat die mitt­ler­weile ver­flos­sene Gruppe »Rotes Win­ter­hude« 2003 vor­ge­legt. Sie sticht als akti­vis­ti­scher Aneig­nungs­ver­such her­aus und lie­fert tolle Details und Beob­ach­tun­gen zur Erin­ne­rungs­po­li­tik. Mit ihrem grot­ti­gen Lay­out und dem post-autonomen Ton­fall ist sie dazu selbst auch schon Zeitdokument:

Rotes Win­ter­hude: Der Ham­bur­ger Auf­stand 1923. Ver­lauf – Mythos – Leh­ren. Ham­burg 2003. Teil 1 und Teil 2 sind über das Inter­net Archive abrufbar.

Felix Jacob

Der Autor forscht pri­vat zu Ham­bur­ger Aufstandsbewegungen.

  • 1
    Adamc­zak, Ges­tern Mor­gen, S. 25
  • 2
    Adamc­zak, S. 26

»Arisieren« und Ausbeuten

»Arisieren« und Ausbeuten 

Ham­bur­ger Han­dels­fir­men betei­lig­ten sich wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs inten­siv an der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zungs­herr­schaft im öst­li­chen Europa. Die Geschichte die­ser Zusam­men­ar­beit spielt in der loka­len Erin­ne­rungs­kul­tur prak­tisch keine Rolle. Unser Autor leuch­tet die Hin­ter­gründe des soge­nann­ten »Ost­ein­sat­zes« der Ham­bur­ger Wirt­schaft aus.  

Der »Ehren­hof« zwi­schen Han­dels­kam­mer und Rat­haus. Foto: Klaus Bär­win­kel / Wiki­me­dia Com­mons, Lizenz: CC BY 4.0

In Ham­burg hat der Gemein­platz, dem­nach Geld die Welt regiere, eine städ­te­bau­li­che Ent­spre­chung: An das impo­sante Ham­bur­ger Rat­haus schließt ein wei­te­res reprä­sen­ta­ti­ves Bau­werk unmit­tel­bar an: Die Börse, Sitz der Ham­bur­ger Han­dels­kam­mer, ist durch einen gemein­sa­men »Ehren­hof« mit den Räu­men der Ham­bur­gi­schen Bür­ger­schaft ver­bun­den. Dass Archi­tek­tur den Zusam­men­hang von poli­ti­scher Herr­schaft und wirt­schaft­li­cher Macht der­art ver­sinn­bild­licht, scheint indes eine han­sea­ti­sche Beson­der­heit zu sein: In Bre­men resi­diert die Han­dels­kam­mer im »Haus Schüt­ting« – mit Blick auf das Rathausgebäude. 

Wie diese Bau­lich­kei­ten erah­nen las­sen, bil­de­ten die han­se­städ­ti­schen Kauf­mann­schaf­ten bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein die unan­ge­foch­te­nen gesell­schaft­li­chen Eli­ten ihre Städte. Dass ins­be­son­dere Ham­burg dabei ein kolo­nia­les Erbe mit sich schleppt, gewinnt lang­sam an erin­ne­rungs­kul­tu­rel­ler Bedeu­tung. So betei­ligte sich eine ganze Reihe von Ham­bur­ger Kauf­leu­ten maß­geb­lich am Erwerb deut­scher Kolo­nien in Afrika. Weni­ger bekannt ist, dass die hie­sige Kauf­mann­schaft – selbst­er­klärte »ehr­bare Kauf­leute« – tief in natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­bre­chen­s­kom­plexe invol­viert waren. Dabei geht es nicht nur um die Teil­habe Ham­bur­ger Unter­neh­mer an der Ver­drän­gung und Ent­eig­nung jüdi­scher Gewer­be­trei­ben­der, der soge­nann­ten »Ari­sie­rung« . Zahl­rei­che his­to­ri­sche Quel­len (und nach wie vor nur wenige For­schungs­ar­bei­ten1Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.
) zei­gen zudem, dass han­se­städ­ti­sche Fir­men wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs im besetz­ten Polen und den besetz­ten Tei­len der Sowjet­union aktiv waren.

Wieso betätigten sich hansestädtische Unternehmen im besetzten Polen?

Als die Wehr­macht am 1. Sep­tem­ber 1939 Polen über­fiel, erklär­ten Frank­reich und Groß­bri­tan­nien Deutsch­land den Krieg. Die Bri­ten errich­te­ten sofort eine See­blo­ckade gegen das Deut­sche Reich, die die Wirt­schaft Ham­burgs und Bre­mens von ihren über­see­ischen Betä­ti­gungs­fel­dern abschnitt. Die Han­dels­kam­mern und ihre Mit­glieds­fir­men such­ten nun hän­de­rin­gend nach alter­na­ti­ven Geschäfts­mög­lich­kei­ten inner­halb Euro­pas. Die Ham­bur­ger Kauf­mann­schaft hatte bereits in den Vor­jah­ren ein dich­tes Lob­by­netz­werk in die Insti­tu­tio­nen des NS-Staats ein­ge­floch­ten und koope­rierte eng mit dem ham­bur­gi­schen NSDAP-Gauleiter Karl Kauf­mann und des­sen Appa­rat. Die Ham­bur­ger Außen­han­dels­kauf­leute lit­ten näm­lich seit 1933 unter der NS-Rüstungspolitik, die der Indus­trie zwar nutzte, den Außen­han­del aber mas­siv ein­schränkte. Auf der Suche nach Kom­pen­sa­tion ban­den sich die Kauf­mann­seli­ten an den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schafts­ap­pa­rat. Die­ser eröff­nete den Kauf­leu­ten wie­derum die Per­spek­tive, an der »Ari­sie­rung« sowie der ter­ri­to­ria­len Expan­si­ons­po­li­tik NS-Deutschlands auf pro­fi­ta­ble Weise teil­zu­ha­ben. So hat­ten die Ham­bur­ger NSDAP-Führung und die Han­dels­kam­mer nach dem »Anschluss« Öster­reichs 1938 dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, dass ham­bur­gi­sche Han­dels­fir­men und Spe­di­tio­nen von der »Ari­sie­rung« in der Han­dels­me­tro­pole Wien profitierten.

Die Erobe­rung Polens nahm han­sea­ti­schen Unter­neh­mern also ihr tra­di­tio­nel­les Arbeits­feld, eröff­nete jedoch gleich­zei­tig neue Fel­der, die Aus­gleich zu ver­spre­chen schie­nen. In den zen­tral­pol­ni­schen Gebie­ten, die die Deut­schen als »Gene­ral­gou­ver­ne­ment« (GG) unter­war­fen, ergab sich im Früh­jahr 1940 eine wirt­schaft­li­che Koope­ra­tion mit dem NS-Besatzungsapparat. Und zwar beschloss die Regie­rung des GG in Kra­kau, han­se­städ­ti­sche Han­dels­fir­men für eine Tätig­keit im besetz­ten Gebiet her­an­zu­zie­hen. Um die pol­ni­sche Wirt­schaft für deut­sche Zwe­cke zu mobi­li­sie­ren, soll­ten die Kauf­leute ein neues Han­dels­sys­tem auf­bauen. Der bis­he­rige pol­ni­sche Han­del galt den Natio­nal­so­zia­lis­ten näm­lich als »ver­ju­det«, denn er wurde bis­lang weit­ge­hend von jüdi­schen Kauf­leu­ten getra­gen. Diese woll­ten die Besat­zer nun verdrängen.

Die Regie­rung des Gene­ral­gou­ver­ne­ments – gute Ver­bin­dun­gen nach Ham­burg. Foto: Naro­dowe Archi­wum Cyfrowe Nr. 2–2817

For­ciert durch das han­sea­ti­sche Lob­by­netz­werk und die Han­dels­kam­mern eröff­nete 1940 einige deut­sche Han­dels­fir­men Filia­len im GG, die meis­ten stamm­ten aus Ham­burg und Bre­men. Als das Gebiet nach dem Angriff auf die Sowjet­union 1941 ver­grö­ßert wurde, soll­ten wei­tere fol­gen. Anhand von Archiv­quel­len las­sen sich ins­ge­samt 51 ham­bur­gi­sche Unter­neh­men benen­nen, die in die­sem Teil Polens tätig wur­den. Elf wei­tere Fir­men stamm­ten aus Bre­men. Die Mehr­heit von ihnen arbei­tete unter stren­gen behörd­li­chen Vor­ga­ben als soge­nannte Kreis­groß­han­dels­fir­men, die in den ein­zel­nen Land­krei­sen des GG Nie­der­las­sun­gen eröff­ne­ten, die die NS-Behörden mit Mono­po­len aus­stat­te­ten. Viele der Fir­men war bis 1939 in Kolo­nien tätig gewe­sen. Es befan­den sich dar­un­ter renom­mierte Über­see­häu­ser mit lan­ger Tra­di­tion, zum Bei­spiel C. Woer­mann, G. L. Gai­ser oder Arnold Otto Meyer.

Judenverfolgung und Ausbeutung: Der »Osteinsatz« hanseatischer Kaufleute

Die Kreis­groß­han­dels­fir­men hat­ten dabei eine Dop­pel­auf­gabe. Die erste Auf­gabe bestand darin, mit ihrem so bezeich­ne­ten »Ost­ein­satz« die wirt­schaft­li­che Exis­tenz­ver­nich­tung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung zu unter­stüt­zen, die die NS-Besatzer schnellst­mög­lich durch­füh­ren woll­ten. Die Expro­pria­tion der Jüd:innen hatte anfangs zu schwe­ren Stö­run­gen der Wirt­schaft geführt, da mit ihr der Han­del zusam­men­ge­bro­chen war. Indem die Ham­bur­ger und Bre­mer die öko­no­mi­sche Rolle der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den über­nah­men, konn­ten uner­wünschte Begleit­erschei­nun­gen der »Ari­sie­rung« gemin­dert wer­den. Die Han­se­städ­ter pro­fi­tier­ten somit von der Juden­ver­fol­gung, indem sie an deren wirt­schaft­li­che Stelle tra­ten und deren Waren­be­stände teil­weise über­eig­net bekamen.

Füh­ren­der Kopf die­ser Maß­nah­men war der Ham­bur­ger Öko­nom und Wirt­schafts­funk­tio­när Wal­ter Emme­rich, der eng mit der Han­dels­kam­mer sowie der Ham­bur­ger NSDAP ver­bun­den war und seit Juni 1940 die Wirt­schafts­ab­tei­lung der Kra­kauer Besat­zungs­re­gie­rung lei­tete. Er kon­zi­pierte die Ent­eig­nung der jüdi­schen Gewer­be­trei­ben­den als »ras­si­sche Neu­ord­nung« der pol­ni­schen Wirt­schaft. In die­ser soll­ten die han­sea­ti­schen Groß­händ­ler eine Ober­schicht bil­den, die über eine nicht-jüdische pol­ni­sche Mit­tel­schicht herrschte. Als Unter­schicht blie­ben christ­li­che pol­ni­sche Arbei­ter und Bau­ern, denn die jüdi­sche Bevöl­ke­rung sollte voll­stän­dig ver­schwin­den. In der Tat über­gab die NS-Administration die Posi­tio­nen im Ein­zel­han­del, die durch die Ent­eig­nung der Juden frei wur­den, an nicht-jüdische Polen, die damit eben­falls von der anti­se­mi­ti­schen Poli­tik pro­fi­tier­ten. Die ein­hei­mi­schen Klein­kauf­leute waren dabei den han­sea­ti­schen Groß­han­dels­fir­men unter­ge­ord­net. Emme­rich und ins­be­son­dere die Kauf­leute mit Erfah­run­gen in Afrika betrach­te­ten das besetzte Polen und seine Bevöl­ke­rung dabei durch eine kolo­niale Brille. So schrieb etwa der Inha­ber einer Firma, die bis 1939 in afri­ka­ni­schen Ter­ri­to­rien tätig gewe­sen war, in einem Tätig­keits­be­richt von 1944, den das Bre­mer Staats­ar­chiv ver­wahrt: »Einen Begriff vom Wert der Zeit hat der pol­ni­sche Bauer und Klein­händ­ler – auch der Arbei­ter – nicht, und die ganze Pri­mi­ti­vi­tät des Han­dels, der Umge­bung und der Men­schen erin­nerte uns manch­mal stark an Afrika.« 

Der zweite Teil jener Dop­pel­auf­gabe der Fir­men, die ihre Betriebe teil­weise mit kolo­ni­al­wirt­schaft­li­chen »Fak­toreien« ver­gli­chen, bestand darin, die NS-Besatzer bei der Aus­beu­tung der pol­ni­schen Land­wirt­schaft zu unter­stüt­zen. Die Kra­kauer Admi­nis­tra­tion zwang die pol­ni­sche Land­be­völ­ke­rung mit bru­ta­ler Gewalt, ihre Feld­früchte und ihr Vieh an den deut­schen Wirt­schafts­ap­pa­rat zu ver­kau­fen – zu nied­ri­gen, behörd­lich fest­ge­leg­ten Prei­sen. Die Land­wirte schlu­gen ihre Pro­dukte jedoch lie­ber auf dem für sie viel ren­ta­ble­ren Schwarz­markt los, der für die hun­gernde Bevöl­ke­rung über­le­bens­wich­tig war. Um die­sen ille­ga­len Han­del zu unter­bin­den, schu­fen die Besat­zer zusätz­li­che posi­tive Ablie­fe­rungs­an­reize in Form soge­nann­ter »Prä­mi­en­wa­ren«. Bäuer:innen, die ihre Pro­dukte ablie­fer­ten, erhiel­ten Bezugs­scheine mit denen sie die »Prä­mien« erwer­ben konn­ten, die die han­se­städ­ti­schen Kreis­groß­han­dels­fir­men in den Han­del ein­speis­ten. Das waren haupt­säch­lich Tex­ti­lien und andere indus­tri­ell her­ge­stellte Kon­sum­pro­dukte. Mit dem Ver­trieb der »Prä­mien« über­nah­men diese Fir­men eine tra­gende Rolle im NS-Ausbeutungsapparat. Das Prä­mi­en­sys­tem ent­wi­ckelte für die Besat­zungs­wirt­schaft zen­trale Bedeu­tung. Um die Deut­schen zu sät­ti­gen, hun­gerte die NS-Führung skru­pel­los die Men­schen in den besetz­ten Gebie­ten aus. Der Land­wirt­schaft im GG press­ten die Besat­zer Jahr für Jahr immer grö­ßere Getrei­de­men­gen ab, allein 1943/44 waren es 1,5 Mil­lio­nen Ton­nen. Die Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute, die die für die­ses Sys­tem von Peit­sche und Zucker­brot benö­tig­ten »Prä­mien« ver­kauf­ten, stei­ger­ten zugleich ihre Umsätze und Profite. 

»Hamburger Kaufleute vom Generalgouvernement bis zum Kaukasus«

Das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment in Zen­tral­po­len erwies sich für die betei­lig­ten Deut­schen als Erfolg und das GG somit als Ver­suchs­la­bor für viel wei­ter­ge­hende Akti­vi­tä­ten im besetz­ten »Osten«. Nach dem Über­fall auf die UdSSR presch­ten die Ham­bur­ger los, um sich an der Aus­beu­tung die­ser Ter­ri­to­rien eben­falls zu betei­li­gen. Inter­nen Unter­la­gen der Han­dels­kam­mer Ham­burg zufolge wur­den 179 ham­bur­gi­sche Fir­men in den beset­zen Tei­len der Sowjet­union aktiv bezie­hungs­weise waren dafür »vor­ge­merkt»«. Außer­dem arbei­te­ten dem­nach 700 Ham­bur­ger Kauf­leute für die Zen­tral­han­dels­ge­sell­schaft Ost, die die sowje­ti­sche Land­wirt­schaft aus­beu­tete. Der Prä­ses der Han­dels­kam­mer Joa­chim de la Camp froh­lockte in sei­ner Sil­ves­ter­an­spra­che von 1942: »Unter­neh­mer­initia­tive hat fer­ner gerade in Ham­burg einen Weg gefun­den, an den wir vor dem Krieg noch nicht den­ken konn­ten. […] Begin­nend mit der West­grenze des Gene­ral­gou­ver­ne­ments bis zu den Ber­gen des Kau­ka­sus, fin­den Sie zur Erschlie­ßung der wirt­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten Ham­bur­ger Men­schen und Ham­bur­ger Fir­men in gro­ßer Zahl.« Zuvor hatte Hans E. B. Kruse, Vize­prä­ses der Kam­mer, bereits intern fest­ge­stellt, es stehe »Ham­burg im Osten an füh­ren­der Stelle«. An zwei­ter Stelle kamen die zahl­rei­chen Bre­mer Unter­neh­men, die in der besetz­ten UdSSR tätig wur­den. Zwar ste­hen ver­glei­chende For­schun­gen noch aus, doch allem Anschein nach war das han­se­städ­ti­sche Enga­ge­ment im besetz­ten Ost­eu­ropa beson­ders groß.

Die Ham­bur­ger Kauf­leute began­nen, den »Osten« als ihr neues Kolo­ni­al­ge­biet zu betrach­ten. In den Vor­jah­ren hat­ten sie noch gehofft, dass Deutsch­land Kolo­nien in Afrika zurück­er­halte. Doch 1941 hieß es etwa bei der Deutsch-Ostafrikanischen Gesell­schaft, einer ham­bur­gi­schen Han­dels­firma, die nun im GG tätig war: »Momen­tan gilt die Parole: Die Kolo­nien lie­gen im Osten!« Die han­sea­ti­schen men­tal maps, die bis­lang auf Län­der und Ter­ri­to­rien jen­seits der Ozeane kon­zen­triert gewe­sen waren, hat­ten sich gewan­delt. In Über­see woll­ten die Kauf­mann­schaf­ten nach dem erwar­te­ten Kriegs­ende erneut tätig wer­den, doch Ost­eu­ropa sollte diese Betä­ti­gungs­fel­der nun wesent­lich ergän­zen. Der Kolo­ni­al­stand­ort Ham­burg passte seine Aus­rich­tung somit an die wirt­schaft­li­che Groß­wet­ter­lage an, die Hit­lers Herr­schaft brachte, der nicht von Kolo­nien in Afrika träumte, son­dern von »Lebens­raum im Osten«. 

An die breite Teil­habe ham­bur­gi­scher Wirt­schafts­kreise an der NS-Besatzungsherrschaft erin­nert in der Stadt fast nichts. Die meis­ten der betei­lig­ten Unter­neh­men, die heute noch exis­tie­ren, wol­len von ihrer pro­ble­ma­ti­schen Geschichte nichts wis­sen. Eine Auf­trags­stu­die der Han­dels­kam­mer von 2015, die bean­spruchte die NS-Geschichte der Insti­tu­tion auf­zu­ar­bei­ten, stieß wegen ihrer beschö­ni­gen­den Stoß­rich­tung auf scharfe öffent­li­che Kri­tik. Zwar bemühte sich die Kam­mer in letz­ter Zeit stär­ker um die »Auf­ar­bei­tung«  ihrer NS-Vergangenheit, etwa indem sie ihrer jüdi­schen Mit­glie­der gedachte, die wäh­rend der NS-Zeit ver­folgt wur­den. Die Dis­kus­sion um die his­to­ri­sche Schuld der han­se­städ­ti­schen Wirt­schafts­eli­ten ist jedoch längst nicht abgeschlossen.

Felix Mat­heis, Okto­ber 2021. 

Der Autor ist His­to­ri­ker in Ham­burg und hat im Rah­men sei­ner Dok­tor­ar­beit inten­siv zur Betei­li­gung Ham­bur­ger und Bre­mer Kauf­leute an der Besat­zungs­herr­schaft im Gene­ral­gou­ver­ne­ment geforscht.

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    Götz Aly, Susanne Heim, Vor­den­ker der »Ver­nich­tung«. Ausch­witz und die deut­schen Pläne für eine neue euro­päi­sche Ord­nung, über­ar­bei­tete Neu­auf­lage, Frank­furt am Main 2013 (zuerst Ham­burg 1991), 216−221;
    Frank Bajohr, »Ari­sie­rung« in Ham­burg. Die Ver­drän­gung der jüdi­schen Unter­neh­mer 1933–1945, Ham­burg 1997, 325−331;
    Karl Heinz Roth, Öko­no­mie und poli­ti­sche Macht. Die »Firma Ham­burg« 1930–1945, in: Ebbing­haus, Angelika/Linne, Kars­ten (Hg.), Kein abge­schlos­se­nes Kapi­tel. Ham­burg im »Drit­ten Reich«, Ham­burg 1997, 15−176;
    Kars­ten Linne, Deut­sche Afri­ka­fir­men im »Ost­ein­satz«, in: 1999 16 (2001), H. 1, 49–90.

Begrenzte Solidarität

Begrenzte Solidarität

Der Über­griff auf einen Juden bei einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che am 18. Sep­tem­ber in der Mön­cke­berg­straße bewegte bei der Wie­der­auf­nahme der Mahn­wa­che am ver­gan­ge­nen Sams­tag nur wenige Hamburger:innen. Warum soli­da­ri­sie­ren sich nicht mehr mit dem Opfer? Unser Autor hat sich die Ver­an­stal­tung angesehen.

Die Mahn­wa­che in der Mön­cke­berg­straße am 2. Okto­ber. Foto: privat

Vor knapp drei Wochen wurde ein 60-jähriger Jude auf einer pro­is­rae­li­schen Mahn­wa­che in der Ham­bur­ger Mön­cke­berg­straße von einem Jugend­li­chen anti­se­mi­tisch belei­digt und kran­ken­haus­reif geschla­gen. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag fand die Mahn­wa­che zum ers­ten Mal seit dem Über­griff wie­der statt. Die Veranstalter:innen der christ­li­chen Gruppe Fokus Israel hat­ten unter dem Motto »Jetzt erst recht« zu einer »Gedenk­ver­an­stal­tung für alle Opfer anti­se­mi­ti­scher Gewalt« aufgerufen. 

Statt der sonst wohl 15 bis 20 fan­den sich dies­mal etwa 60 Teilnehmer:innen ein, um ihre Soli­da­ri­tät mit dem Betrof­fe­nen zu zei­gen. Der Ange­grif­fene konnte das Kran­ken­haus zwar unter­des­sen ver­las­sen, bangt aber laut den Veranstalter:innen nach wie vor um sein Augen­licht und ließ daher sein Gruß­wort nur ver­le­sen. Darin rief er zur »Ver­tei­di­gung der libe­ra­len Gesell­schaft« auf und beklagte, dass er bis heute mit sei­ner (!) Kon­takt­auf­nahme weder Bür­ger­meis­ter Peter Tsch­ent­scher noch die zweite Bür­ger­meis­te­rin Katha­rina Fege­bank zu einer Ant­wort, geschweige denn einer öffent­li­chen Stel­lung­nahme bewe­gen konnte.

Öffent­lich ein­ge­la­den hatte zur Mahn­wa­che am Sams­tag neben Fokus Israel ein­zig die Ham­bur­ger Junge Union. Deren Lan­des­vor­sit­zen­der Phil­ipp Heiß­ner sprach von »unse­ren Wer­ten« bzw. »unse­rer Kul­tur«, die es zu ver­tei­di­gen gelte, und betonte, dass darin auch »pro­vo­kante Mei­nun­gen« ein­be­grif­fen seien. Damit spielte er offen­bar auf den ihm vor­an­ge­hen­den Red­ner an, Ralf-Andreas Mül­ler, laut eige­ner Angabe Theo­loge und tages­schau-Redak­teur, Initia­tor und Kopf der Gruppe Fokus Israel. In sei­nem Rede­bei­trag hatte er, moti­viert durch eine Art poli­ti­sches Ur-Christentum, in aggres­si­vem Ton­fall einem jüdisch-israelischen Natio­na­lis­mus das Wort gere­det. Er griff weit in die Ver­gan­gen­heit aus, um zu pos­tu­lie­ren, dass es keine authen­ti­sche Ver­bin­dung des Islam zum Gebiet des heu­ti­gen Israel gebe und aus­schließ­lich die Juden das Land als »natio­na­les König­reich für sich bean­sprucht« hät­ten. Nach dem Sieg der Römer über die Juden 70 n. Chr. sei die Pro­vinz Paläs­tina annä­hernd 2000 Jahre ver­elen­det und ver­fal­len, ein lee­res und »wüs­tes Land« gewor­den; erst wie­der ein­wan­dernde Juden hät­ten es bewohn­bar gemacht. Die Pointe, auch auf Mül­lers Web­site zu fin­den, ist: Die Juden ver­füg­ten über eine »ent­schei­dende Ver­bin­dung zwi­schen Gott, Volk und Land« – die Mus­lime nicht. Paläs­tina, Paläs­ti­nen­ser, besetzte Gebiete gebe es alles nicht und sie stell­ten des­halb auch kein Pro­blem dar. Chris­ten hin­ge­gen müss­ten Israel als »Her­zens­thema Got­tes […] im Fokus haben, lie­ben und unter­stüt­zen«, um Gott zu ehren, heißt es in einem ande­ren Text auf der Website. 

Ralf-Andreas Mül­ler (mit Mikro) bei der Kund­ge­bung am Sams­tag. Foto: privat. 

Keine Solidarität für proisraelische Juden?

Diese Geschichts­klit­te­rung ist natür­lich unhalt­bar. Den moder­nen israe­li­schen Staat natio­nal­re­li­giös auf eine Mischung aus christ­li­cher Bibel­ex­egese und völ­ki­schem Ver­wur­ze­lungs­my­thos begrün­den zu wol­len, geht völ­lig fehl. Sollte diese Ideo­lo­gie aber der Grund für die geringe Soli­da­ri­sie­rung mit dem Opfer des Über­griffs sein, wäre das den­noch falsch. Wer dem Ange­grif­fe­nen wegen einer bestimm­ten Vor­stel­lung von Israel die Soli­da­ri­tät ver­wei­gert, ver­kennt den Cha­rak­ter des anti­se­mi­ti­schen Angriffs: Offen­sicht­lich schlug der Täter einen Juden als Juden, weil die­ser selbst­be­wusst mit der israe­li­schen Fahne Stel­lung bezog. 

Der Ange­grif­fene fragte in sei­nem ver­le­se­nen Gruß­wort, ob die ver­hal­tene Reak­tion der Ham­bur­ger Poli­tik und Öffent­lich­keit wohl anders aus­ge­fal­len wäre, hätte er als wei­ßer Mann den mut­maß­li­chen Täter, einen Jugend­li­chen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, ange­grif­fen. Die­ses Umkehr­sze­na­rio braucht es aber gar nicht, um das geringe Inter­esse jen­seits der Sprin­ger-Medien ein­zu­ord­nen. Der Ver­gleich mit dem rech­ten anti­se­mi­ti­schen Angriff am 4. Okto­ber 2020 auf einen jüdi­schen Stu­den­ten vor der Syn­agoge in der Hohen Weide ist deut­lich auf­schluss­rei­cher. Vor einem Jahr gab es neben sofor­ti­gen Stel­lung­nah­men von Tsch­ent­scher, Fege­bank, Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­tine Lam­brecht etc. auch eine Mahn­wa­che des lin­ken Ham­bur­ger Bünd­nis­ses gegen Rechts, der sich trotz stren­ger Corona-Maßnahmen damals immer­hin etwa 200 Per­so­nen anschlossen.

Die Ver­mu­tung liegt nahe und wurde von meh­re­ren am Sams­tag Anwe­sen­den geteilt, dass die Bezug­nahme auf Israel hier einen Unter­schied macht. Dort ein Jude bei der Reli­gi­ons­aus­übung, hier ein Jude, der offen­siv mit der blau-weißen Fahne für Israel ein­tritt. Diese expli­zit pro­is­rae­li­sche Posi­tio­nie­rung des Ange­grif­fe­nen ist sicher für viele, zumal viele Linke, ein Ärgernis.

Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus

Dazu kom­men die unter­schied­li­chen Täter­pro­file: Letz­tes Jahr war es ein offen­bar rech­ter, deutsch-kasachischer Ex-Bundeswehrangehöriger in Uni­form und mit Hakenkreuz-Zettel in der Tasche, der für viele Beobachter:innen Par­al­le­len zum rechts­ter­ro­ris­ti­schen Atten­tat vom Okto­ber 2019 in Halle plau­si­bel erschei­nen ließ. Die­ses Jahr ist der mut­maß­li­che Täter ein Jugend­li­cher mit mög­li­cher­weise arabisch-muslimischem Hin­ter­grund. (Laut der Schau­spiel­agen­tur Kokon, die ihn bis zum Über­griff ver­tre­ten hat, spricht Aram A. Ara­bisch. BILD will her­aus­ge­fun­den haben, dass seine Mut­ter Hisbollah- und Assad-Unterstützerin ist.) Das stellt die deut­li­che Ver­ur­tei­lung des Über­griffs in der Wahr­neh­mung wohl auch vie­ler Lin­ker in ein Span­nungs­ver­hält­nis zum eige­nen anti­ras­sis­ti­schen Anspruch. Die Sorge, mög­li­cher­weise anti­mus­li­mi­schen Ras­sis­mus zu bedie­nen, könnte einer Posi­tio­nie­rung im Wege stehen. 

Zwar ist erst wenig über den mut­maß­li­chen Täter bekannt. Warum der mög­li­che arabisch-muslimische Hin­ter­grund für Ham­bur­ger Jüdin­nen und Juden aber rele­vant ist, ver­deut­licht Phil­ipp Strich­arz, Vor­sit­zen­der der Jüdi­schen Gemeinde Ham­burg, in einer Stel­lung­nahme zu dem Angriff: »Es gibt eine poli­tisch auf­ge­hetzte, gewalt­tä­tige Min­der­heit unter den Mus­li­men, häu­fig junge Leute, die mei­nen, sie müss­ten Rache üben für ver­meint­li­ches Unrecht im Nahen Osten. […] Natür­lich gibt es auch die Gefahr von rechts, aber die größ­ten Sor­gen berei­tet den Juden in Ham­burg die Gefahr, die von die­ser Gruppe ausgeht.« 

Die Kund­ge­bung am Sams­tag ließ die­sen Ein­druck inso­fern als plau­si­bel erschei­nen, als gegen­über klas­sisch anti­se­mi­ti­schen Kom­men­ta­ren von Passant:innen (»Alles Lüge!« oder »Na, wer steckt denn hier wohl dahin­ter?«) die anti­zio­nis­ti­schen Rufe (post-)migrantischer Jugend­li­cher und Kin­der à la »Fuck Israel!« und »Free Pal­es­tine!« deut­lich dominierten. 

Gegen sol­che Herr­schafts­ges­ten ist es sicher rich­tig, die pro­jü­di­sche, pro­is­rae­li­sche öffent­li­che Prä­senz auf­recht zu erhal­ten, gegen die die anti­se­mi­ti­sche Wut sich rich­tet. In Abwe­sen­heit lin­ker Soli­da­ri­tät über­neh­men aller­dings vor­erst andere diese Rolle: Für den 16. Okto­ber ruft die Köl­ner jüdi­sche Akti­vis­tin Malca Goldstein-Wolf auf Face­book zu einem »Soli­da­ri­täts­schwei­ge­marsch« unter dem Titel »Kei­nen Fuß­breit auch dem isla­mis­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus« in der Mön­cke­berg­straße auf. Zu den im Auf­ruf genann­ten, meist liberal-konservativen Unter­stüt­zern zählt auch der Ham­bur­ger Anwalt Joa­chim Stein­hö­fel, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren häu­fi­ger als Red­ner und Kom­men­ta­tor für die neu­rechte Zeit­schrift Junge Frei­heit in Erschei­nung getre­ten ist.

Felix Jacob 

Der Autor war zum ers­ten Mal auf einer politisch-christlichen Kund­ge­bung und kann auf Wie­der­ho­lun­gen gern verzichten.

»Man sah uns von Beginn an als Feinde«

»Man sah uns von Beginn an als Feinde«

Die Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg pro­tes­tiert immer wie­der gegen die poli­ti­sche Ver­harm­lo­sung des IZH. Dabei erhielt sie zuletzt sogar Gegen­wind aus der eige­nen Par­tei. Jan Vah­len­kamp, einer ihrer Sprecher:innen, erklärt im Inter­view mit Felix Jacob warum die Ham­bur­ger LINKE sich gegen eine Kund­ge­bung der Gruppe stellte und wieso er nun aus der Par­tei austritt. 

Jan Vah­len­kamp (Bild­mitte) mit dem der­zei­ti­gen Sprecher:innenrat der Eman­zi­pa­to­ri­schen Linken.Shalom sowie Vol­ker Beck bei einer Demo vorm IZH im Mai 2021. Bild: privat.

Untie­fen: Lie­ber Jan, das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH) steht der­zeit öffent­lich in der Kri­tik wie lange nicht mehr. Anläss­lich der Dis­kus­sion um den Staats­ver­trag mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den und, in den letz­ten Wochen, um einen mög­li­chen Platz für die Schura im NDR-Rundfunkrat ist der Außen­pos­ten des ira­ni­schen Mullah-Regimes der zen­trale Streit­punkt zwi­schen FDP, CDU und AfD einer­seits, SPD und Grü­nen ande­rer­seits. Ihr als Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg betei­ligt euch unab­hän­gig von sol­chen Kon­junk­tu­ren schon seit lan­gem immer wie­der an den Pro­tes­ten gegen das IZH. Wie bewer­tet ihr die aktu­elle poli­ti­sche Lage? Mit wem arbei­tet ihr zusammen?

Vah­len­kamp: Wenn die Poli­tik das IZH und den Staats­ver­trag the­ma­ti­siert, dann ist das gut. Wenn das zu einem ober­fläch­li­chen Wahl­kampf­thema zwi­schen dem rech­ten und dem lin­ken Flü­gel der Bür­ger­schaft wird, dann ist das schlecht. Ich glaube aber gar nicht, dass das der Fall ist. Auch bei den Grü­nen wird ja über das IZH dis­ku­tiert. Die grüne Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­nete Gud­run Schit­tek hat schon mal einen Rede­bei­trag auf einer der Kund­ge­bun­gen gehal­ten, ebenso wie der ehe­ma­lige Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete Vol­ker Beck. Ich habe auch schon Leute von der AG Säku­lare der Lin­ken dort gese­hen. Die links­li­be­rale Mopo schreibt recht kri­tisch über das IZH und der SPD-nahe Sascha Lobo hat die Staats­ver­träge in sei­ner Spiegel-Kolumne auch schon kri­ti­siert. Ich glaube, da ist eini­ges in Bewegung.

Bei uns gibt es per­so­nelle Über­schnei­dun­gen mit der »Deutsch-Israelischen Gesell­schaft«, die sich zu dem Thema recht klar posi­tio­niert. Außer­dem haben wir Kon­takt zum »Bünd­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus Kiel«, die jedes Mal anrei­sen, wenn gegen das IZH demons­triert wird. Wir arbei­ten auch mit den Grup­pen »Inter­na­tio­nal Women in Power« und »Nasle Baran­daz« zusam­men, die jeweils Kund­ge­bun­gen gegen das IZH orga­ni­siert haben. Das­selbe gilt auch für den »Zen­tral­rat der Ex-Muslime«.

Untie­fen: Am 07. August fand unter dem Motto »1400 Jahre Geno­zid im Iran – IZH muss geschlos­sen wer­den« erneut eine Kund­ge­bung gegen das IZH statt, orga­ni­siert von der ira­ni­schen Ham­bur­ger Gruppe Nasle Baran­daz (»Sub­ver­sive Gene­ra­tion«), mit­ge­tra­gen von euch. Sie wurde im Vor­feld vom IZH und eini­gen Zei­tun­gen als »anti­mus­li­mi­sche Hetze« dif­fa­miert. Geht diese Stra­te­gie eurer Erfah­rung nach auf?

Vah­len­kamp: Das glaube ich kaum. Ich selbst habe durch die Pres­se­mel­dung über­haupt erst davon erfah­ren, dass da eine Kund­ge­bung geplant ist. Wir haben dann schnell ent­schie­den, dass wir uns öffent­lich hin­ter die Kund­ge­bung stel­len, auch wenn uns das Motto etwas frag­lich erschien. Hin­ter­her gab es dann ja auch einen ziem­lich sach­li­chen Bericht im Ham­burg Jour­nal des NDR. Wenn Leute bereit sind, ein­fach mal zuzu­hö­ren, ver­puf­fen sol­che Dif­fa­mie­run­gen recht schnell.

Ein Bei­spiel: Vor fünf Jah­ren hatte die Links­ju­gend Solid Mina Ahadi vom Zen­tral­rat der Ex-Muslime ein­ge­la­den. Die Ver­an­stal­tung wurde im Vor­feld stark kri­ti­siert und es wurde behaup­tet, Mina Ahadi sei eine Ras­sis­tin. Ich kenne eine Genos­sin, die damals auch in diese Rich­tung pole­mi­siert hat. Heute steht die­selbe Genos­sin mit Mina Ahadi zusam­men auf der Bühne und beide applau­die­ren einander.

Untie­fen: Wie ist das Motto »1400 Jahre Geno­zid im Iran« denn eurer Mei­nung nach zu verstehen?

Die Veranstalter:innen der Kund­ge­bung zie­hen hier den Bogen von der Erobe­rung des Sas­sa­ni­den­rei­ches im 7. Jahr­hun­dert hin zur Isla­mi­schen Repu­blik von heute. So eine Erobe­rung war natür­lich nicht unblu­tig und die Isla­mi­sie­rung nicht das Ergeb­nis einer fried­li­chen Mis­sion. Und bis heute dür­fen Ira­ner, bei Andro­hung dra­ko­ni­scher Stra­fen, ihre Reli­gion nicht frei wäh­len, sie blei­ben zwangs­is­la­mi­siert. Dies wird von man­chen als kul­tu­rel­ler Geno­zid ange­se­hen, bei dem der Islam als Ideo­lo­gie die ira­ni­sche Nation unter­drückt. Eine sol­che Sicht­weise hat schon etwas Natio­nal­ro­man­ti­sches. Aber wie so oft kön­nen wir hier schlecht deut­sche Maß­stäbe an ein Land legen, dass eine ganz andere Geschichte, Gegen­wart, Gesell­schaft und Poli­tik vor­zu­wei­sen hat. Und die­ses Land, also der Iran, hat die Veranstalter:innen nun mal ent­schei­dend geprägt. Die meis­ten von ihnen sind erst vor weni­gen Jah­ren als Flücht­linge hier­her gekommen.

Untie­fen: Vor gut zwei Wochen wur­den von Unbe­kann­ten poli­ti­sche Paro­len auf das IZH gesprüht, offen­bar im Zusam­men­hang mit den Pro­tes­ten gegen das Regime in der Pro­vinz Khu­ze­stan. In der Presse war von einem»Anschlag auf eine Moschee« die Rede. Teilt ihr diese Perspektive?

Vah­len­kamp: Ein Farb­an­schlag ist kein Mit­tel eines demo­kra­ti­schen Dis­kur­ses. Dafür ste­hen andere Mit­tel zur Verfügung.

Ich kann auch ver­ste­hen, dass Lan­des­rab­bi­ner Shlomo Bis­tritzky sich hier mit der Schura soli­da­ri­siert hat. Syn­ago­gen sind ja sehr oft von Farb­an­schlä­gen und ähn­li­chem betrof­fen und wenn diese Gebäude nicht so auf­wän­dig geschützt wären, dann wären sie es wohl noch viel häu­fi­ger. Diese Anschläge wir­ken bedroh­lich und ein­schüch­ternd  – und das ist ja auch beab­sich­tigt. Auch Moscheen waren in den letz­ten Jah­ren immer wie­der das Ziel von xeno­pho­ben Angrif­fen, seien es Brand­an­schläge oder das Able­gen von Schwei­ne­köp­fen oder ähn­li­ches. Für so etwas habe ich abso­lut kein Verständnis.

Beim IZH ist der Fall aber mei­nes Erach­tens nach etwas anders gela­gert. Es ist ja offen­sicht­lich, dass die Tat durch ira­ni­sche Dis­si­den­ten began­gen wurde. Die Paro­len waren in per­si­scher Spra­che und hat­ten poli­ti­schen, auf den Iran bezo­ge­nen Inhalt. Man muss sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass der Iran eines der sehr weni­gen Län­der auf der Welt ist, wo Kle­rus und poli­ti­sche Macht­ha­ber nicht bloß eng mit­ein­an­der ver­strickt sind, son­dern wo der Kle­rus selbst die poli­ti­sche Macht inne­hat. Hier haben sich also Leute quasi an ihren Unter­drü­ckern gerächt und ich denke, das ist etwas ande­res, als wenn man einer Min­der­heit Angst ein­ja­gen möchte. Im Iran würde man für so etwas sei­nen Kopf ver­lie­ren, hier droht nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Untie­fen: Auch die Bür­ger­schafts­frak­tion der Lin­ken hatte vor der Demo in einer Pres­se­mit­tei­lung behaup­tet, hier würde – grade nach dem genann­ten »Anschlag« –  »gezielt Stim­mung gemacht gegen Ham­burgs mus­li­mi­sche Bürger:innen«  und so das  »Zusam­men­le­ben unter­schied­li­cher Kul­tu­ren und Reli­gio­nen« in Ham­burg gefähr­det. Ihr habt diese Dar­stel­lung zurück­ge­wie­sen. Hat eure Par­tei in Ham­burg eine grund­sätz­lich andere Hal­tung zum IZH als ihr?

Vah­len­kamp: Die Linke hat ja über­haupt keine Posi­tion zum IZH. Arbeit, Wirt­schaft und Sozia­les – das sind die The­men der Lin­ken. Aber weder zum Thema IZH noch zum Thema Isla­mis­mus stand irgend­et­was im Bür­ger­schafts­wahl­pro­gramm. Dar­auf ange­spro­chen heißt es dann meist, man wolle keine rech­ten Dis­kurse bedie­nen. Viele ver­ste­hen ein­fach nicht, dass die rech­ten Dis­kurse durch das Igno­rie­ren sol­cher The­men erst recht bedient wer­den. Diese Unbe­darft­heit sah man ja auch der Pres­se­mit­tei­lung an. Da wurde die Hal­tung und Sicht­weise der Schura ein­fach über­nom­men. Dann haben wohl ein paar Leute dort ange­ru­fen und sich beschwert. Dar­auf­hin wurde die Pres­se­mit­tei­lung schnell wie­der kom­men­tar­los aus dem Inter­net entfernt.

Zumin­dest ein Teil der Lin­ken hegt aber auch mehr oder weni­ger offen Sym­pa­thie mit der Isla­mi­schen Repu­blik Iran. Das wirkt natür­lich erst­mal gro­tesk, weil es ein strikt anti­kom­mu­nis­ti­sches Regime ist. Aber es ist eben auch ein erklär­ter Feind des »US-Imperialismus« und das ist man­chen im Zwei­fel wich­ti­ger. Beson­ders die Gruppe Marx21 hat ja immer beson­ders viel Ver­ständ­nis für Isla­mis­ten aller Cou­leur. Ich glaube, sie tun das, weil sie den west­li­chen Libe­ra­lis­mus als gemein­sa­men Feind anse­hen. Im Fall Iran kommt aber auch noch mit hinzu, dass das Land beste Bezie­hun­gen zu den ALBA-Staaten und Putins Russ­land hat. Von daher hat das Regime für man­che Linke den Sta­tus eines Ver­bün­de­ten und da hält man sich dann mit Kri­tik zurück.

Untie­fen: Gibt es aus der Ham­bur­ger Links­par­tei Belege für sol­che Haltungen?

Vah­len­kamp: Ja, zum Bei­spiel pos­tete die Bür­ger­schafts­frak­tion 2017 zum »Inter­na­tio­na­len Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Trans­pho­bie« bei Face­book einen Auf­ruf und erin­nerte daran, dass viele Men­schen auf­grund ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung flüch­ten müs­sen. Dar­auf folgte eine Liste sol­cher Unter­drü­ck­er­staa­ten, wie etwa Saudi-Arabien oder die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate. Auf­fäl­lig war aber, dass der Iran, der auch beim Thema Homo­se­xua­li­tät der Hin­rich­tungs­welt­meis­ter ist, auf der Liste fehlte, ebenso wie Russ­land. Dafür stand dort die Ukraine, obwohl dort homo­se­xu­elle Hand­lun­gen gar nicht ver­bo­ten sind und sich seit dem Euro­mai­dan die Poli­tik für mehr Tole­ranz ein­setzt. Es waren aus­schließ­lich pro­west­li­che Staa­ten auf der Liste ver­zeich­net. Ich fragte dann nach, ob die­ses Weg­las­sen der Achse Moskau-Teheran-Damaskus geschul­det sei.

Das Pres­se­team ant­wor­tete: »Das Enga­ge­ment der LINKEN gegen Dis­kri­mi­nie­rung ist uni­ver­sell und nimmt weder Rück­sicht auf irgend­wel­che kon­stru­ier­ten Ach­sen‹ noch auf den Iran, auf Russ­land oder auf sonst­wen. Und auch nicht auf die­je­ni­gen, die mei­nen, der LINKEN bei wirk­lich jeder Gele­gen­heit die übels­ten Absich­ten unter­stel­len zu müs­sen.« Erst Jahre spä­ter erfuhr ich von der dama­li­gen Prak­ti­kan­tin, die den Auf­ruf geschrie­ben hatte, dass in der ursprüng­li­chen Liste natür­lich auch Iran und Russ­land stan­den. Aller­dings hatte der dama­lige que­er­po­li­ti­sche Spre­cher Mar­tin Dol­zer die Liste vor der Ver­öf­fent­li­chung abge­än­dert. Dol­zer gehört zu einem Kreis von Putin-Lobbyisten, die oft in Russ­land zu Gast sind. Und die ste­hen dann eben auch zu Putins Alliierten.

Untie­fen: Die isra­els­o­li­da­ri­schen Shalom-Arbeitskreise wie ihr waren von Anfang an mar­gi­nal in der Links­ju­gend Solid und Dis­sens besteht sicher nach wie vor in einer gan­zen Reihe von Fra­gen. Wie ist heute das Ver­hält­nis zur Linksjugend?

Vah­len­kamp: Der BAK Shalom in der Links­ju­gend Solid hatte zu Beginn einen schwe­ren Stand, auch wenn das in den ein­zel­nen Lan­des­ver­bän­den unter­schied­lich aus­ge­prägt war. Er wurde natür­lich immer vor dem Hin­ter­grund der »AntiD-Antiimp« Kon­tro­verse gese­hen. Aber dann gab es 2014 die von der Links­ju­gend Solid orga­ni­sierte Demo »Stoppt die Bom­bar­die­rung Gazas – für ein Ende der Eska­la­tion im Nahen Osten« in Essen. Daran nah­men höchst zwei­fel­hafte Gestal­ten teil, die anti­se­mi­ti­sche Sprech­chöre rie­fen, jüdi­sche Ein­rich­tun­gen anzu­grei­fen ver­such­ten und Gegen­de­mons­tran­ten mit Fla­schen bewar­fen. Das war eine Art Schock­mo­ment, der dazu führte, dass im Jahr dar­auf der Antrag »Gegen jeden Anti­se­mi­tis­mus« vom Bun­des­kon­gress der Links­ju­gend Solid beschlos­sen wurde.

Ich glaube, das war das erste Mal, dass ein Antrag vom BAK Shalom ange­nom­men wurde. Heute sind die Struk­tu­ren des BAK Shalom rela­tiv gut ein­ge­bun­den in die Arbeit der Links­ju­gend Solid, was man ja auch an der dies­jäh­ri­gen Erklä­rung »Trauer um die Toten – Hass für die Hamas!« erken­nen kann. Da haben sich einige aus der jüdi­schen und isra­els­o­li­da­ri­schen Com­mu­nity gewun­dert, dass so etwas von den Lin­ken kommt. Die den­ken ja oft, dass wir ihnen feind­lich geson­nen sind. Ich sehe den Jugend­ver­band ins­ge­samt auf einem guten Weg, auch wenn es vor Ort wei­ter­hin sehr unter­schied­lich bleibt.

Untie­fen: Und wie sieht es hier in Ham­burg für Euch aus?

Vah­len­kamp: Hier hapert es nicht zuletzt mit der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie. Vor zwei Jah­ren haben wir uns als ham­bur­gi­scher Lan­des­ver­band der Eman­zi­pa­to­ri­schen Lin­ken zusam­men­ge­schlos­sen, nach­dem wir zunächst drei Jahre unter dem Dach des BAK Shalom im Jugend­ver­band orga­ni­siert waren. Die Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke ist eine inner­par­tei­li­che Strö­mung, die sich an gesell­schafts­li­be­ra­len, radi­kal­de­mo­kra­ti­schen und eman­zi­pa­to­ri­schen Stand­punk­ten ori­en­tiert. Der Lan­des­vor­stand der Lin­ken wollte uns zunächst gar nicht als Zusam­men­schluss aner­ken­nen, obwohl er laut Sat­zung zur Aner­ken­nung ver­pflich­tet ist, wenn die for­ma­len Kri­te­rien erfüllt sind. Dem­entspre­chend konnte die Lan­des­schieds­kom­mis­sion den Nicht-Anerkennungs-Beschluss schnell wie­der aufheben.

Aber man sah uns im Lan­des­vor­stand wohl von Beginn an als Feinde. Unser Antrag an den Lan­des­par­tei­tag 2020, »Keine Lie­bes­grüße nach Mos­kau«, der sich kri­tisch mit Putins Kriegs­po­li­tik aus­ein­an­der­setzte, wurde von der Antrags­kom­mis­sion »ver­se­hent­lich« lay­out­tech­nisch der­ma­ßen zer­hackt, dass er kaum noch les­bar war, bevor der Par­tei­tag dann die Nicht­be­fas­sung beschloss. Im Früh­jahr 2021 haben wir eine Online-Veranstaltungsreihe zu Ver­schwö­rungs­my­then gemacht. Dafür beka­men wir von der Par­tei ein wenig Geld, was aller­dings im Nach­gang zu wüs­ten Debat­ten im Lan­des­vor­stand führte. Lus­ti­ger­weise hatte nie­mand inhalt­lich etwas an der Ver­an­stal­tungs­reihe aus­zu­set­zen, aber es wurde ein gro­ßer Alarm gemacht, dass man damit ja »Anti­deut­sche« unter­stüt­zen würde.

Untie­fen: Zieht ihr aus sol­chen und den neus­ten Ent­täu­schun­gen rund um die Kund­ge­bung poli­ti­sche Konsequenzen?

Ich bin gerne bereit, mit allen und über alles zu dis­ku­tie­ren. Aber dann möchte ich über Fak­ten spre­chen und nicht über gestreute Gerüchte oder Dog­men, die sich Leute in den 1970er Jahre so ange­wöhnt haben. Wenn man sich gegen Anti­se­mi­tis­mus ein­setzt, hat man ja auto­ma­tisch eine Menge Feinde, ob nun aus der Nazi-Szene, aus isla­mis­ti­schen Zir­keln oder in den letz­ten Jah­ren ver­mehrt auch aus dem Aluhut-Milieu. Da kann man dann nicht auch noch »Fri­endly Fire« aus der eige­nen Par­tei gebrau­chen. Außer­dem haben wir natür­lich eine gewisse Ver­ant­wor­tung gegen­über unse­ren Sym­pa­thi­san­ten, die wir in den letz­ten Jah­ren gewon­nen haben. Allein bei Face­book fol­gen uns über 800 Leute. Die meis­ten sind par­tei­lich nicht gebun­den. Die kom­men dann zu unse­ren Info­ver­an­stal­tun­gen und Demos, lesen unsere Texte, hören unsere Rede­bei­träge und den­ken sich: »Oh, es gibt sta­bile Leute in der Lin­ken. Dann wähle ich die.«

Aber wen wäh­len sie damit in Ham­burg? Sie wäh­len die Spit­zen­kan­di­da­tin Żaklin Nas­tić. Also die Frau, die Angela Mer­kel wegen »Bei­hilfe zum Mord« ange­zeigt hat, weil sie die Liqui­die­rung des Top­ter­ro­ris­ten Qasem Sol­ei­mani nicht ver­hin­dert hat. So ein Vor­ge­hen ist zum einen ziem­lich gaga, zum ande­ren zeigt es aber auch, wo die »Spre­che­rin für Men­schen­rechts­po­li­tik« so ihre Prio­ri­tä­ten sieht und bei wem ihre Sym­pa­thien lie­gen. Dann will man auf­sprin­gen und schreien: »Nein, nein, wählt sie nicht!« Ich fühle mich da wie Oskar Lafon­taine, der ja mitt­ler­weile auch zur Nicht-Wahl der Lin­ken auf­ruft, wenn auch aus gänz­lich ande­ren Grün­den. Ich möchte aber authen­tisch blei­ben und trete dann kon­se­quen­ter­weise aus der Par­tei Die Linke aus. Ich finde mich weder in der Außen­po­li­tik noch in dem gan­zen Dog­ma­tis­mus der Lin­ken heute noch wieder.

Untie­fen: Planst Du in eine andere Par­tei ein­zu­tre­ten? Oder setzt Du deine Arbeit par­tei­los fort?

Vah­len­kamp: Ich sehe mich heut­zu­tage als Sozi­al­li­be­ra­len. Und als sol­cher stimme ich am ehes­ten mit den Posi­tio­nen von Bündnis90/Die Grü­nen über­ein. Des­halb werde ich dort dem­nächst einen Antrag auf Mit­glied­schaft stel­len. Ein »Par­tei­sol­dat« werde ich aber in die­sem Leben wohl nicht mehr. Dafür habe ich dann doch zu oft mei­nen eige­nen Kopf. Glück­li­cher­weise leben wir aber ja in einer Gesell­schaft, in der es viel­fäl­tige Mög­lich­kei­ten gibt, sich ein­zu­brin­gen. Und das werde ich sicher­lich auch wei­ter­hin tun.

Untie­fen: Danke für das Gespräch!

Staatsvertrag mit Mullahs

Staatsvertrag mit Mullahs

In bes­ter Ham­bur­ger Als­ter­lage resi­diert das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg mit sei­ner »Blauen Moschee«. Es fun­giert als euro­päi­sche Ver­tre­tung der isla­mis­ti­schen Des­po­tie im Iran. Seit 2012 wird es durch einen Staats­ver­trag mit der Stadt Ham­burg poli­tisch geför­dert. Nach dem Wil­len von SPD und Grü­nen soll das so wei­ter­ge­hen. Warum?

Die Imam-Ali-Moschee an der Bin­nen­als­ter. Foto: Alt­Sylt Lizenz: CC BY 4.0

In bes­ter Lage an der Außen­als­ter resi­diert seit 1965 die Ham­bur­ger Imam-Ali-Moschee, laut Stadt­mar­ke­ting »eine der schöns­ten Moscheen Deutsch­lands«. Trä­ger des von ira­ni­schen Kauf­leu­ten in den 1960ern finan­zier­ten Pracht­baus ist das Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg (IZH), das als euro­päi­scher Brü­cken­kopf der schiitisch-islamistischen Des­po­tie im Iran fun­giert. Deren oberste reli­giöse Auto­ri­tät und Revo­lu­ti­ons­füh­rer, Aja­tol­lah Ali Cha­menei, ist nicht nur Macht­ha­ber über die mör­de­ri­schen Revo­lu­ti­ons­gar­den, Holo­caust­leug­ner und obses­si­ver Isra­el­has­ser mit ato­ma­ren Ambi­tio­nen, son­dern ent­sen­det seit 1989 auch per­sön­lich sei­nen Stell­ver­tre­ter für Europa an die Als­ter. Über das IZH reicht Tehe­rans lan­ger Arm bis zu ira­ni­schen Oppo­si­tio­nel­len, die in Ham­burg immer wie­der Opfer von Über­grif­fen aus dem Umfeld der Imam-Ali-Moschee werden.

Den­noch hat die SPD das IZH 2012 im Rah­men des Staats­ver­trags mit den mus­li­mi­schen Ver­bän­den offi­zi­ell zum poli­ti­schen Part­ner auf­ge­wer­tet. Anfang 2021 haben SPD und Grüne sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dar­auf ver­stän­digt, die­sen Staats­ver­trag zu ver­län­gern. Warum wird ira­ni­scher Isla­mis­mus in Ham­burg offen gefördert?

Das Offensichtliche

Dass man es bei den Isla­mis­ten von der Schö­nen Aus­sicht 36 mit Pro­pa­gan­dis­ten und Schlä­gern im Auf­trag der isla­mi­schen Repu­blik zu tun hat, ist offen­sicht­lich. Wer es wis­sen will, kann den Aus­sa­gen der über­schau­ba­ren aber hart­nä­cki­gen Gruppe ira­ni­scher Oppo­si­tio­nel­ler, Ex-Muslime und ver­ein­zel­ter isra­els­o­li­da­ri­scher Links­ra­di­ka­ler zuhö­ren, die sich regel­mä­ßig auf Kund­ge­bun­gen und Demons­tra­tio­nen vor der Moschee ver­sam­meln. Min­des­tens das poli­ti­sche Per­so­nal der regie­ren­den rot-grünen Koali­tion weiß, dass die Kho­mei­nis­ten von der Schö­nen Aus­sicht seit zwei Jahr­zehn­ten mal offen, mal ver­deckt den anti­se­mi­ti­schen Al-Quds-Marsch in Ber­lin mit­or­ga­ni­sie­ren und unter­stüt­zen. Sie wis­sen, dass das IZH eine Anlauf­stelle für Hisbollah-Anhänger:innen in Ham­burg und dar­über hin­aus ist. Sie wis­sen, dass die IZH-Leiter nach außen gemä­ßigt und dia­log­be­reit auf­tre­ten, ideo­lo­gisch aber am Export der isla­mi­schen Revo­lu­tion fest­hal­ten. Sie wis­sen, dass dort Miso­gy­nie und Homo­pho­bie ver­brei­tet wer­den. Sie wis­sen, dass dort jedes Jahr Gedenk­ver­an­stal­tun­gen für Aja­tol­lah Cho­meini abge­hal­ten wer­den, oder, wie letz­tes Jahr, für den Kom­man­deur der Quds-Einheit und Schläch­ter Qasem Soleimani.

Trotz­dem han­delte die Stadt Ham­burg zwi­schen 2006 und 2012, zunächst unter dem CDU-Senat Ole von Beusts, dann unter Olaf Scholz, einen Staats­ver­trag mit dem DITIB Lan­des­ver­band Ham­burg, dem Ver­band der Isla­mi­schen Kul­tur­zen­tren, der ale­vi­ti­schen Gemeinde und der SCHURA – Rat der isla­mi­schen Gemein­schaf­ten in Ham­burg aus. In der Schura stellt das IZH seit jeher einen von drei Vor­sit­zen­den, ent­spre­chend hat sich der Dach­ver­band wie­der­holt hin­ter die Machen­schaf­ten um die Imam-Ali-Moschee gestellt. Inten­tion des 2012 vom dama­li­gen Bür­ger­meis­ter Olaf Scholz unter­zeich­ne­ten Staats­ver­trags war es – ebenso wie zuvor mit christ­li­chen und jüdi­schen Gemein­den – das Ver­hält­nis zur Stadt Ham­burg zu klä­ren. Neben der Rege­lung prak­ti­scher Fra­gen zu mus­li­mi­schen Fei­er­ta­gen, Fried­hö­fen und isla­mi­schem Reli­gi­ons­un­ter­richt sollte so für Inte­gra­tion und fried­li­ches Mit­ein­an­der gewor­ben sowie inner­halb der Ver­bände die Abgren­zung gegen­über »Extre­mis­ten« gestärkt wer­den. Dafür such­ten sich die Ham­bur­ger Regie­run­gen ihre Part­ner expli­zit danach aus, wer die meis­ten und die diver­ses­ten Moschee­ver­eine etc. reprä­sen­tiert. Gegen die öffent­li­che Kri­tik an den isla­mis­ti­schen »Aus­rut­schern« inner­halb der Part­ner­ver­eine in der Schura – die es nicht nur beim IZH gibt – ver­tei­di­gen SPD und Grüne ihren Staats­ver­trag dann auch im Namen der Inte­gra­tion:
»Die Aus­rich­tung des IZH war beim Abschluss der Ver­träge bekannt. Senat und Bür­ger­schaft hat­ten dies mit dem Nut­zen schrift­li­cher Ver­träge als Grund­lage für eine Zusam­men­ar­beit im Sinne der Inte­gra­tion abzu­wä­gen.« Sicher habe es hier und da »Anlass für Kri­tik und Schwie­rig­kei­ten« gege­ben, ins­ge­samt habe sich der Ver­trag aber doch »bewährt«.

Der Bundesregierung auf der Spur

Ham­burg folgt damit in dop­pel­ter Weise der Stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung. Ers­tens ist die deut­sche Außen­po­li­tik gegen­über dem ira­ni­schen Regime oppor­tu­nis­tisch. Zuguns­ten des Iran-Geschäfts deut­scher Kon­zerne hält die Bun­des­re­gie­rung ent­ge­gen aller Ver­stöße am Atom­ab­kom­men mit den Mul­lahs fest und ver­schließt dabei vor der Bru­ta­li­tät und dem mili­tan­ten Anti­se­mi­tis­mus des Regimes fest die Augen. Die BRD hat sogar – erfolgs­los – ver­sucht, die US-Handelssanktionen aus­zu­he­beln. Ham­burg ist dabei als Finanz­stand­ort mit­ten­drin: Wie Mat­thias Künt­zel zusam­men­ge­tra­gen hat, wur­den bis 2011 Mil­li­ar­den­sum­men für Iranisch-Indische Ölde­als über die Europäisch-Iranische Han­dels­bank im Kon­tor­haus­vier­tel an den Sank­tio­nen der USA vor­bei­ge­scho­ben – gedeckt von der Bun­des­fi­nanz­auf­sicht. Barack Obama rief gar per­sön­lich bei Angela Mer­kel an, um ein Ende die­ser Sabo­tage zu for­dern. Bis heute spielt die eben­falls von den Mul­lahs kon­trol­lierte Nie­der­las­sung der Melli Bank am Ham­bur­ger Niko­laifleet eine Schlüs­sel­rolle im euro­päi­schen Iran-Business. Offen­bar hat die Bun­des­bank ihr noch 2020 ihre Dienste zur Ver­fü­gung gestellt, um das Iran-Geschäft deut­scher Fir­men zu ermög­li­chen. Durch­aus denk­bar also, dass die Zurück­hal­tung der wech­seln­den Ham­bur­ger Senate gegen­über dem IZH auch eine wenig beach­tete geo­po­li­ti­sche Kom­po­nente hat.

Zwei­tens macht die Stadt Ham­burg mit ihrem Staats­ver­trag ebenso wie die Bun­des­re­gie­rung kon­ser­va­tive Islam­ver­bände für die Inte­gra­tion von Migrant:innen und Nach­fah­ren von Migrant:innen aus isla­mi­schen Län­dern mit­ver­ant­wort­lich. Am Bei­spiel des IZH zeigt sich deut­lich wie sonst sel­ten, was damit ein­ge­kauft wird. Wer um jeden Preis Kon­trolle und »Ansprech­part­ner« will, muss sich selbst die radi­kals­ten Isla­mis­ten als irgendwie-auch- Extre­mis­mus­be­kämp­fer zurecht­bie­gen. Ange­sichts der 2022/23 anste­hen­den Neu­ver­hand­lun­gen des Staats­ver­trags will die Rot-Grüne Regie­rung ein Ein­ge­ständ­nis des Schei­terns die­ser Stra­te­gie ent­ge­gen aller Kri­tik vermeiden.

Kritik von liberal bis rechtsextrem

Und diese Kri­tik fällt lei­der fast aus­schließ­lich von Sei­ten der Abge­ord­ne­ten von AfD, CDU und FDP deut­lich aus. Immer wie­der for­dern vor allem AfD und CDU, Schritte gegen das IZH zu unter­neh­men: vom Ende der Zusam­men­ar­beit mit dem IZH, über des­sen Aus­schluss aus der Schura bis hin zum Ver­eins­ver­bot, das zuletzt der innen­po­li­ti­sche Spre­cher der CDU-Fraktion Den­nis Gla­dia­tor ins Spiel brachte. Dass die CDU dabei stets die »Freiheitlich-Demokratische Grund­ord­nung« gegen den »reli­giö­sen Extre­mis­mus« ver­tei­di­gen will, um »Span­nun­gen in der Stadt« zu ver­mei­den, lässt ahnen, dass es hier um kon­ser­va­tive Pro­fil­bil­dung und Selbst­dar­stel­lung als staats­tra­gende Par­tei geht. Die AfD indes­sen, ins­be­son­dere ihr rechts­extre­mer Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Alex­an­der Wolf, ver­sucht ihre Agi­ta­tion gegen das IZH als Teil ihres Kul­tur­kamp­fes gegen die »Isla­mi­sie­rung« zu insze­nie­ren. Einen media­len Erfolg konnte sie im Okto­ber 2020 ver­bu­chen, als durch eine große Anfrage der AfD in der Bür­ger­schaft her­aus­kam, dass unter ande­rem der Isla­mi­sches Zen­trum Ham­burg e.V. laut eige­ner Aus­kunft von der Ham­bur­ger Steu­er­ver­wal­tung bis heute als gemein­nüt­zi­ger Ver­ein aner­kannt ist und dadurch erheb­li­che Steu­er­vor­teile genießt. 

Die AfD argu­men­tierte, durch die Ein­stu­fung des IZH als »extre­mis­tisch« durch den Ver­fas­sungs­schutz sei das nicht nur ein poli­ti­scher Skan­dal, son­dern schlicht rechts­wid­rig. Zwar stellte sich Finanz­se­na­tor Andreas Dressel demons­tra­tiv vor seine Behörde und behaup­tete, die Steu­er­ver­wal­tung ent­ziehe als »extre­mis­tisch« ein­ge­stuf­ten Ver­ei­nen kon­se­quent die Gemein­nüt­zig­keit. Aber die AfD konnte nach­set­zen und bekam in einer wei­te­ren Anfrage im Novem­ber her­aus, dass nur wenige Tage nach Ver­öf­fent­li­chung der ers­ten Anfrage zwei wei­tere Ver­fah­ren zur Aberken­nung der Gemein­nüt­zig­keit wegen Extre­mis­mus­ein­stu­fung ein­ge­lei­tet wur­den. Gegen wen blieb mit Ver­weis auf das Steu­er­ge­heim­nis uner­wähnt. Für die AfD ein Coup, sieht es nun doch so aus als habe sie erfolg­reich den Finanz­se­na­tor vor sich her­ge­trie­ben und quasi zum Ein­ge­ständ­nis genö­tigt, dass »extre­mis­ti­sche Ver­eine« von der Finanz­be­hörde gedul­det wer­den. Im Namen des Kamp­fes gegen »Extre­mis­mus« zielte die AfD-Anfrage neben dem IZH auf den mar­xis­ti­schen Lesekreis-Verein Mar­xis­ti­sche Abend­schule (MASCH) e.V., der dann im Januar 2021 bekannt­gab, das Finanz­amt Nord habe ihm die Gemein­nüt­zig­keit mit Ver­weis auf den Ver­fas­sungs­schutz ent­zo­gen. Es ist zu ver­mu­ten, dass ein Zusam­men­hang zur Anfrage der AfD besteht.

Dass ein rot-grüner Senat sich von der Extremismus-Rhetorik von Ver­fas­sungs­schutz und AfD zum Ver­bot eines lin­ken Ver­eins drän­gen lässt – oder es selbst ange­strebt hat, ist ein Skan­dal. Ein wei­te­rer ist es, dass die ira­ni­schen Isla­mis­ten tat­säch­lich auch finan­zi­ell geför­dert wer­den und der Senat bis heute nicht Stel­lung dazu bezo­gen hat. Damit über­lässt er ein wich­ti­ges Thema der kultur-rassistischen Agi­ta­tion der AfD.

Linker Zweckoptimismus

Auch die oppo­si­tio­nelle Ham­bur­ger Links­frak­tion hat bis­lang keine Stel­lung zum IZH bezo­gen. Sie spricht sich zwar gegen Isla­mis­mus aus, wenn es um den IS und Rojava geht. Zu den schii­ti­schen Isla­mis­ten in Ham­burg schweigt sie aber. Die ein­zige Aus­nahme inner­halb des Lan­des­ver­bands ist die isra­els­o­li­da­ri­sche Split­ter­gruppe Eman­zi­pa­to­ri­sche Linke.Shalom Ham­burg. Die lang­jäh­rige ehe­ma­lige innen­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Links­frak­tion Chris­tiane Schnei­der erklärte im März 2021, wel­che poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten einer Posi­tio­nie­rung zum IZH ent­ge­gen­ste­hen: Ers­tens hät­ten die Staats­ver­träge eine Ungleich­be­hand­lung von Mus­li­men been­det und seien daher Aus­druck von Reli­gi­ons­frei­heit und kul­tu­rel­ler Viel­falt. Zwei­tens sei die mul­ti­kon­fes­sio­nelle Schura eine Erfolgs­ge­schichte, da sie nicht nur mit dem Ziel gegrün­det wurde, sich zur deut­schen Gesell­schaft hin zu öff­nen, son­dern unter­des­sen tat­säch­lich ein »Selbst­ver­ständ­nis als isla­mi­sche Reli­gi­ons­ge­mein­schaft in einem säku­la­ren, demo­kra­tisch ver­fass­ten Rechts­staat« erar­bei­tet hätte. Drit­tens hät­ten sich CDU und FDP mit ihrer Kri­tik an den isla­mi­schen Ver­bän­den lei­der dem Kurs der AfD ange­schlos­sen, einer ein­ge­bil­de­ten Isla­mi­sie­rung den Kul­tur­kampf zu erklä­ren. Dem­ge­gen­über müsse DIE LINKE am Staats­ver­trag auch mit dem IZH fest­hal­ten, denn:

»Die Ver­träge sind zugleich Grund­lage, Kon­flikte zu the­ma­ti­sie­ren und zu Klä­run­gen zu kom­men. Dass das gelin­gen kann, zeigt die Tat­sa­che, dass das ›Isla­mi­sche Zen­trum Ham­burg‹ (IZH) seine Betei­li­gung an den höchst pro­ble­ma­ti­schen anti­is­rae­li­schen Demons­tra­tio­nen am jähr­li­chen Al Quds-Tag nach 2018 been­det hat.«

Dass der Marsch 2020 wegen der Corona-Pandemie glück­li­cher­weise ganz aus­fiel; dass 2019 zwar keine ira­ni­schen Geist­li­chen, aber den­noch IZH-Anhänger am Marsch teil­nah­men; dass wenn über­haupt, die Angst vor einem Ver­eins­ver­bot hier ein Zuge­ständ­nis des IZH erzwun­gen hat – geschenkt. Ent­schei­dend ist der linke Wille, sich durch ein höchs­tens sym­bo­li­sches Zuge­ständ­nis der IZH-Führung vor­gau­keln zu las­sen, mit Dia­log und Gesprä­chen könn­ten aus Bediens­te­ten eines Terror-Regimes doch noch Freunde von Diver­si­tät und Völ­ker­ver­stän­di­gung wer­den. Ob Schnei­der ihren Dialog-Optimismus wirk­lich sel­ber glaubt oder schlicht Angst hat, bei inhalt­li­cher Nähe zur Kri­tik von rechts und ganz rechts die wahl­tak­tisch wich­tige Glaub­wür­dig­keit in Sachen Anti-Rassismus zu ver­lie­ren, ist unklar. Ein Armuts­zeug­nis ist das linke Schwei­gen in jedem Fall. Es ist ein zwar unspek­ta­ku­lä­rer, aber fort­wäh­ren­der Ver­rat an all jenen, die für Frei­heit im Iran kämpfen.

Felix Jacob, Juni 2021

Der Autor ist Arbeits­lo­ser ohne Gewis­sens­bisse, Seg­ler und Als­ter­spa­zier­gän­ger. Für die Imam-Ali-Moschee schwebt ihm eine Nach­nut­zung als Stadt­teil­zen­trum mit Frei­bad vor.