Der Stachel sitzt: Das Bremer ›Arisierungs‹-Mahnmal ist da
In Bremen wird diesen Sonntag, 10.09., ein lang erkämpftes Mahnmal für den Raub jüdischen Eigentums im Nationalsozialismus eingeweiht. Untiefen veröffentlicht den Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung mit dem Initiator Henning Bleyl vom letzten Jahr und erinnert an die offenen Aufgaben für Hamburg.
In Bremen kommt diesen Sonntag, den 10. September, eine lange Auseinandersetzung zu ihrem – vorläufigen – Ende. Zwischen den Weser-Arkaden und der Wilhelm-Kaisen-Brücke, in Sichtweite der Deutschlandzentrale des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, wird ein Mahnmal zur Erinnerung an den Raub jüdischen Eigentums während des Nationalsozialismus eingeweiht. Die Nähe zu Kühne + Nagel ist gewollt: Der 1890 in Bremen gegründete, heute weltweit drittgrößte Logistikonzern hat von den hansestädtischen Transportunternehmen mit Abstand am meisten vom Raubs jüdischen Vermögens in der NS-Zeit profitiert. Mit ihrem faktischen Monopol für den Abtransport geraubten jüdischen Eigentums aus Frankreich und den Benelux-Ländern konnte Kühne + Nagel im Rahmen der sogenannten „M‑Aktion“ (M für „Möbel“) des NS-Staates große Profite machen und ihr Firmennetzwerk internationalisieren. Der Anteilseigner Adolf Maas, der den Hamburger Firmenstandort aufbaute – ein Jude – wurde 1933 aus der Firma gedrängt und später in Auschwitz ermordet.
Trotz dieser bekannten Zusammenhänge weigert sich Kühne + Nagel, vor allem in Person des Patriarchen und Firmenerben Klaus-Michael Kühne (86) bis heute beharrlich, die eigene Mittäterschaft aufzuarbeiten. Das nun fertiggestellte Mahnmal widerspricht mit der Nähe zur K+N‑Zentrale dieser speziellen Vertuschung. Es thematisiert aber zugleich die gesamtgesellschaftlichen Verdrängung des Ausmaßes der „Arisierung“ jüdische Eigentums im Nationalsozialismus. Der Entwurf von Künstler*in Evin Oettingshausen zeigt in einem leeren Raum nur Schatten geraubter Möbel – von diesem Verbrechen ist, ganz wörtlich, fast nichts zu sehen. Der Initiator der Mahnmals-Kampagne, der Bremer Journalist Henning Bleyl, schildert gegenüber Untiefen, was die Kampagne für das Mahnmal politisch erreicht hat:
„Das Mahnmal-Projekt zeigt, dass man den Anspruch auf historische Wahrheit auch gegenüber einem hofierten Investor durchsetzen kann. Es war ein langer Weg – aber jetzt führt dieser Weg zur Einweihung eines unter breiter Bremer und internationaler Beteiligung entstandenen Mahnmals an der Weser, vor Kühnes Haustür. Und das eigentliche Thema, Bremens Rolle als Hafen- und Logistikstadt bei der europaweiten ‚Verwertung‘ jüdischen Eigentums, hatte im Lauf dieses Prozesses viele Gelegenheiten, in der Gesellschaft anzukommen.“
Klaus-Michael Kühne ist natürlich auch in Hamburg kein Unbekannter. Als Sponsor und Mäzen stützt er den HSV, finanziert aber über seine Kühne-Stiftung auch das Philharmonische Staatsorchester, fördert den Betrieb der Elbphilharmonie und hob das das Harbourfront Literaturfestival aus der Traufe. Dort finanzierte er bis 2022 den jährlich vergebenen Klaus-Michael Kühne-Preis für das beste Romandebüt. Bis letztes Jahr – nach einem Anschreiben der Untiefen-Redaktion – zwei der für den Preis nominierten Autor:innen ihre Teilnahme zurückzogen. Grund war Kritik an der verweigerten Aufarbeitung der NS-Geschichte des Unternehmens Kühne + Nagel. Diese Rücktritte sorgten für einen Eklat, der einige öffentliche Kritik an Kühne nach sich zog, während er und seine Stiftung keinerlei Verständnis zeigten. Mit dem anschließenden Rückzug der Kühne-Stiftung aus der Finanzierung des Festivals und der Umbenennung des Preises wurde die Debatte nach wenigen Wochen vorläufig beendet.
Im November 2022 luden wir daher Henning Bleyl ins Gängeviertel ein, um über Kühne + Nagel und die Bremer Kampagne für ein ‚Arisierungs‘-Mahnmal zu sprechen. Wer möchte kann Henning Bleyls Vortrag und das anschließende Diskussion nun hier auf Youtube nachhören.
Die zentralen Fragen für Hamburg bleiben indes auch nach der Mahnmal-Einweihung in Bremen unbeantwortet: Warum gibt es in Hamburg keinen kritischen Umgang mit der NS-Geschichte von Kühne + Nagel? Wie könnten Erinnerung, Aufklärung und Konsequenzen aussehen? Wie kann mit Klaus-Michael Kühne als Kultursponsor umgegangen werden? Welche Probleme der privatisierten Kulturförderung stehen dahinter?
Es bleibt spannend, ob auch an der Elbe ein eindeutiges Eintreten der Stadtgesellschaft für historische Redlichkeit erreichbar ist
Die neue, 15. Ausgabe des Harbour-Front-Literaturfestivals wird am 14. September eröffnet. Bleibt bis auf den Sponsorenwechsel und die Umbenennung in Sachen Kühne + Nagel in Hamburg also alles beim schlechten Alten? Henning Bleyl äußerte gegnüber Untiefen die Erwartung, dass auch hier etwas passiert: „Es bleibt spannend, ob auch an der Elbe ein eindeutiges Eintreten der Stadtgesellschaft für historische Redlichkeit erreichbar ist – trotz des von Kühne aufgewendeten enormen kulturellen und gesellschaftlichen Kapitals. Denn das Eigentum der jüdischen Familien, das Kühne + Nagel im Rahmen der ‚Aktion M‘ aus den besetzten Ländern abtransportierte, wurde natürlich auch in Hamburg sehr bereitwillig von großen Teilen der Bevölkerung ‚übernommen‘. Die Stadt profitierte in großem Stil von der Flucht jüdischer Menschen, deren Eigentum im Hafen zurückblieb, statt verladen zu werden. Ich bin gespannt, welchen Umgang Hamburg mit diesem Erbe findet.“
Wie die Bremer Initiative erfolgreich wurde, lässt sich in dem Mitschnitt von Bleyls Vortrag nachhören. Die Einweihung des Bremer Mahnmals findet am Sonntag, 10.09., um 11 Uhr direkt vor Ort statt. Ab 18 Uhr folgt ein öffentliches Vortrags- und Diskussionsprogramm in der Bremischen Bürgerschaft.
Felix Jacob