Was kostet der Spaß?
Der Hamburger Dom ist beliebtes Ausflugsziel für kurzzeitiges Vergnügen. Der Spaß hat jedoch seinen Preis, und den zahlen nicht zuletzt Saisonarbeiter:innen aus dem Ausland. Die Lokalpresse verbreitet hingegen das Glücksversprechen des größten Volksfestes im Norden. Gäbe es nicht bessere Verwendungsmöglichkeiten für eine Freifläche mitten in der Stadt?
Im Frühjahr und Sommer des Jahres 2021 – wie auch bereits im Jahr zuvor – wurde das Heiligengeistfeld zum tatsächlichen Herz von St. Pauli. Waren die Kneipen und Clubs noch pandemiebedingt geschlossen, so fanden sich des Nachts feierwütige Hamburger:innen mit Flaschenbier und Soundsystem auf dem Platz ein – zumindest solange der Stadtstaat nicht seine Muskeln spielen ließ und Wasserwerfer schickte. Tagsüber drohte das nicht und so war das Feld häufig schon mittags Freifläche für spielende Kinder, Skater:innen und Sonnenbadende. Im Juli begannen dann die ersten Schausteller:innen den Platz mit ihren Fahrgeschäften für sich zu reklamieren. Aus der für viele unkommerziell nutzbaren Freifläche wurde die Gated Community einiger weniger, die den öffentlichen Raum kapitalisierten. »Juhu«, freute sich die BILD, »Freitag startet endlich wieder der Dom!«
Der jenseits pandemischer Lagen dreimal jährlich stattfindende Riesenrummel verspreche, so der Artikel weiter, »Sommer, Sonne und viel Spaß«. Für alle, die diese Dreifaltigkeit der Vergnügungskultur schon zuvor auf dem Feld genossen hatten, waren die anrückenden Schausteller:innen jedoch weniger Grund zur Freude. Zwischen den nach und nach zusammengehämmerten Karussells fanden sich immer wieder die vormaligen Nutzer:innen des Heiligengeistfeldes ein – bis der Platz Ende Juli endgültig umzäunt und der Zugang streng kontrolliert wurde. Für viele bot sich so in diesen Juliwochen, quasi als kleiner Ausgleich für die genommene Fläche, die Möglichkeit ethnografischer Studien über das Schausteller:innenleben.
Amusement und Ausbeutung
Den neugierigen Blicken offenbarte sich jedoch nicht jener weit verbreitete Mythos des Familienbetriebs im Wohnwagen. Oder wie es nach wie vor im Volksmund und in der Presseberichterstattung heißt: des »fahrenden Volkes« (dessen Romantisierung gerade in diesem Land mit seiner Geschichte einige Fragen aufwirft). Der real existierende Kapitalismus, dessen Fassade auf dem Hamburger Dom nicht nur metaphorisch glitzert, zeigte hinter den Karussellkulissen seine nur allzu gern verschwiegenen Widersprüche. Um es einmal zuzuspitzen: Das Ticket für den Eintritt ins Schausteller:innenleben ist offenbar ein Mercedes-SUV; Modellreihe irgendetwas mit »G«. Den hohen Anschaffungspreis dieser Statussymbole erwirtschaften auch jene Saisonarbeiter:innen, deren Rumänisch bei Sommerhitze von den halbfertigen Achterbahnen über den Platz schallte. Schätzungsweise 90 Prozent der Hilfsarbeiter:innen, die auf deutschen Jahrmärkten und Volksfesten als »billige Arbeitskräfte« schuften, kommen aus Rumänien.
»Jede Menge Spaß auf St. Pauli«, wie es zum nun auslaufenden Winterdom auf der offiziellen Seite der Stadt Hamburg heißt, beruht eben auch auf der Ausbeutung importierter Arbeitskraft aus Niedriglohnländern. Das ist an sich wenig verwunderlich. Auch Amusement muss unter kapitalistischen Verhältnissen produziert werden. Was beim Hamburger Dom auffällt: Gesprochen wird über diese Verhältnisse höchst ungern.
Mindestlöhne…
Denn wer die Beobachtungen zu teuren Autos und Saisonarbeiter:innen – sie sind in der Tat nur Beobachtungen – belegen will, der findet nicht viel. In der hiesigen Presse und seitens der Stadt wird der Dom zumeist bejubelt und seine glitzernde Fassade, der Schein im wahrsten Sinne des Wortes, als Wahrheit eingekauft. Zur Frage nach der Unterkunft der Saisonarbeiter:innen findet sich indes ein mittlerweile fast 20 Jahre alter Artikel. Der hat es allerdings in sich. Das Hamburger Arbeitsamt war nach der Beschwerde eines rumänischen Arbeiters aktiv geworden. Der Arbeiter hatte weniger Lohn als vereinbart erhalten – musste dafür jedoch mehr Arbeitszeit ableisten (105 Stunden) als vertraglich vereinbart (40 Stunden).
Das Amt rückte zur Großkontrolle aus: Dabei konnten zwar nur wenige der erwarteten Verstöße festgestellt werden, doch sei eine ganz andere Sache schockierend gewesen. Die Unterkünfte der Arbeiter erinnerten die Kontrolleur:innen an die »Haltung von Tieren«. Die mit dieser Tatsache konfrontierten Schausteller:innen nahmen zur Sache keine Stellung. Empört war man jedoch, dass das Arbeitsamt kurz vor der Eröffnung des Volksfestes offenbar ihren Ruf ruinieren wolle. Und wieviel verdienen Saisonarbeiter:innen nun? Wenn sie Glück haben, wird ihnen offenbar der Mindestlohn ausgezahlt – einem Sprecher des Zolls zufolge gibt es hier nur wenige Verstöße.
Viel mehr findet sich dann allerdings auch nicht über die Arbeitsverhältnisse auf dem Hamburger Dom. Aber auch ein Nichtbefund ist ein Befund – die Saisonarbeiter:innen bleiben unsichtbar. Dies steht erstens im Gegensatz zu jenen Lebewesen, die Tierhaltung im Wortsinne erleiden: Für die Dom-Ponys, die dort auf engstem Raum trist ihre kleinen Kreise ziehen, konnten viele ihr Herz erwärmen – sie schafften es etwa ins Wahlprogramm der Grünen (S. 133/143) für die Bürgerschaftswahl 2020. Das Pony-Karussell sorge »für Unbehagen bei den Besucher*innen«, heißt es dort, man wolle die Tierhaltung bei Volksfestens abschaffen. Zweitens steht die Unsichtbarkeit der Arbeiter:innen im krassen Gegensatz zur Medienpräsenz ihrer Vorgesetzten. Gerade in Zeiten der Pandemie, der Branche ging es ja in der Tat nicht gut, erfuhren die Schausteller:innen viel Aufmerksamkeit. Das dabei in Dauerschleife gespielte Lamento existenzieller Nöte erinnert bisweilen an die Pressearbeit deutscher Polizeigewerkschaften. Wie schlecht es um die Branche tatsächlich bestellt ist, ist dabei schwer zu sagen. Konkrete Zahlen werden nicht genannt.
… und Millionenumsätze
Was verdienen also Schausteller:innen? Genau beziffern lässt sich dies nicht. Aber: Der Umsatz auf Volksfestplätzen, so eine Studie des Deutschen Schaustellerbundes aus dem Jahr 2018, lag bei 4,75 Milliarden Euro. Wenn nun, wie es besagter Studie zu entnehmen ist, der Winterdom rund zwei und der Sommerdom rund zweieinhalb Millionen Besucher:innen anzog – wohlgemerkt: vor Corona – und diese im Schnitt 25 Euro ausgaben, so lag der Umsatz der Fahrgeschäfte und Buden des Doms zwischen 50 und 62,5 Millionen Euro. Was davon tatsächlich als Gewinn bei den Betrieben hängenbleibt, ist ebenfalls unklar. Der ethnografische Blick und der sich ihm zeigende Fuhrpark der Schausteller:innen – die Mercedes-SUVs – lassen jedoch vermuten, dass es zum Leben reicht.
Derzeit neigt sich der Winterdom dem Ende zu. Folgt man der Hamburger Morgenpost, dann war diese Ausgabe des Volksfestes die »wichtigste aller Zeiten«. Denn »selbst im Krieg« hätten die Schausteller:innen mehr verdient als während der Corona-Lockdowns. Es geht also – mal wieder – um die Existenz. Während Mopo und Co. ihre Leser:innen dazu aufrufen, mit ihrem solidarischen Besuch das Bestehen des Doms zu sichern, hätte so manche:r Anwohner:in womöglich nichts dagegen, wenn es der letzte Dom wäre. Die dann ganzjährig freie Fläche (von Events wie dem »Schlagermove« einmal abgesehen, der doch bitte noch dringender der Pandemie zum Opfer fallen soll) haben die Hamburger:innen ja schon für sich zu nutzen gelernt.
Johannes Radczinski, Dezember 2021
Der ethnografische Blick auf das Leben von Schausteller:innen offenbarte sich dem Autor, der das Heiligengeistfeld im Sommer 2021 fast täglich nutzte, eher unfreiwillig. Zuletzt schrieb er auf Untiefen über das nur einen Steinwurf vom Dom entfernte Bismarckdenkmal.
Wüsste gern, inwiefern es zu viel verlang sein soll, vor so einem Text mal herauszufinden, wie viele der Schusteller*innen sich zum Fahrenden Volk zählen – und was es mit dieser Selbstbeschreibung auf sich hat.
Tip: Es handelt sich bei diesem Beruf eher um eine Nische als um Mehrheitskultur, und gegen Schaustellende zu hetzen hat lange Tradition…