Auf Affirmation getrimmt
Die Szene Hamburg ist in dieser Stadt eine Institution. Seit bald 50 Jahren erscheint das Stadtmagazin monatlich. Es verstand sich nie als Teil einer Gegenöffentlichkeit, lieferte aber dennoch mitunter kritischen Journalismus. Heute, eine Insolvenz und mehrere Eigentümerwechsel später, ist es kaum mehr als ein Anzeigenblatt. Wir haben uns das November-Heft angeschaut.
Aus dem seit 2013 in einigen Hamburger Programmkinos laufenden Werbespot zum vierzigsten Jubiläum der Szene Hamburg wissen wir: Die Idee für diese Zeitschrift hatte Dickie Schubert, Betreiber des Internetcafés Surf n’ Schlurf im Schanzenviertel und einer der Gründer der Band Fraktus. Dickie hatte sich auf »so ’nem kleinen Schmierzettel« seine genialen Einfälle notiert: »verschiedene Rubriken wie zum Beispiel, was ich gut finde – Mode, Musik, Essen und so«. Dann aber entwendeten »die Leute von der Szene« den Zettel – und bauten auf ihm das Konzept ihres Stadtmagazins auf. So jedenfalls geht der von Rocko Schamoni und Regisseur Christian Hornung (»Manche hatten Krokodile«) präsentierte Mythos.
Tatsächlich wurde die Szene Hamburg 1973 von Klaus Heidorn gegründet, der zuvor als Texter in einer Werbeagentur gearbeitet hatte. Ziel war ein Kultur- und Veranstaltungsblatt, das den bis dahin vernachlässigten Bereich zwischen etabliertem Kulturbetrieb und linker Subkultur abdeckt. Er wolle »alle Unternehmungslustigen zwischen 14 und 40, in Anzug und Jeans« erreichen, wird Heidorn 1974 vom Spiegel zitiert. Damit unterscheidet sich die Szene Hamburg von den allermeisten anderen Stadtmagazinen in der BRD, die sich häufig auch als »Stattzeitungen« bezeichneten. Denn egal ob Tip und Zitty in Berlin, der Pflasterstrand in Frankfurt oder die Stadtrevue in Köln, all diese Magazine gründeten sich in den siebziger Jahren als Organe der Gegenöffentlichkeit. Sie verstanden sich – jedenfalls in ihren Anfangszeiten – als nicht-kommerzielle Freiräume für kritischen Journalismus und alternative Kultur und waren unter anderem für ihre wilden Kleinanzeigen-Seiten bekannt.1Eine Sammlung der kuriosesten Kleinanzeigen aus diesen und anderen Magazinen findet sich in Franz-Maria Sonner (Hg.): Werktätiger sucht üppige Partnerin. Die Szene der 70er Jahre in Kleinanzeigen, Antje Kunstmann Verlag: München 2005.
Die Szene Hamburg hingegen verhehlte nie, dass sie vor allem ein lukratives Segment des Anzeigenmarkts erschließen wollte. Das schloss journalistische Qualität nicht unbedingt aus: Heidorn bezeichnete die Zeitschrift gerne als »den Spiegel unter den Stadtmagazinen«. In einer Forschungsarbeit von 1994 wurde der Szene attestiert, sie gehöre »zu den intellektuellsten und geistreichsten Stadtmagazinen Deutschlands«.2 Christian Seidenabel: Der Wandel von Stadtzeitungen. ›Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert‹. Roderer: Regensburg 1994, S. 58. René Martens, zeitweilig Redaktionsleiter der Szene schrieb 2015 in der taz: »Was die Szene schrieb, hatte Gewicht im (Sub-)Kulturbetrieb, und das Blatt stand für eine politische Haltung, die sich abhob von der der etablierten Medien in der Stadt.« Und Christoph Twickel, von 2000 bis 2003 Chefredakteur der Szene, meinte: »Die Szene Hamburg war für viele, die sich nicht nur für Mainstreamkultur interessierten, überlebenswichtig.«
Überleben durch Anpassung
Zu diesem Zeitpunkt, im März 2015, stand die Szene Hamburg allerdings kurz vorm Aus, nachdem sie bereits lange von Krise zu Krise gehangelt war: Im Jahr 2000 hatte der laut Twickel »dauerbetrunkene« Heidorn, kurz vor dem Konkurs stehend, die Zeitschrift verkauft und sich das Leben genommen. 2004 wurde bekannt, dass die Szene systematisch die Auflagezahlen geschönt hatte, und sie wurde an eine Consulting-Firma verkauft. 2015 kam dann die zuvor mehrfach soeben noch verhinderte Insolvenz. Die Szene war damit aber noch nicht Geschichte: Die Vermarktungsgesellschaft VKM sicherte sich die Namensrechte und konnte die Szene auf diese Weise »vor dem scheinbar sicheren Tod […] retten«, wie es auf der Unternehmenshomepage heißt. Inzwischen verzeichnet das Stadtmagazin eine vergleichsweise stabile Auflagenzahl in Höhe von ca. 15.000 verkauften Exemplaren, darüber hinaus gibt es ein gutes Dutzend Sonderhefte, vom »Uni-Extra« bis zum »Summer Guide«.
Mit der Übernahme durch VKM wurde eine Entwicklung zum Abschluss gebracht, die Twickel zufolge schon länger im Gange gewesen war. Auf der organisatorischen Ebene lautete sie: weniger Lohn, weniger feste Mitarbeiter:innen, mehr unbezahlte Praktikant:innen.3Die im Impressum der Ausgabe 11/2021 genannte Praktikantin hat tatsächlich einen beträchtlichen Teil der Beiträge verfasst. Und dass das Schlusslektorat, wie Twickel berichtet, schon vor einiger Zeit gestrichen wurde, macht sich auch bemerkbar: Ein Beitrag zu den Hamburger Weihnachtsmärkten bricht mitten im Satz ab. Die Entwicklung auf der inhaltlichen Ebene wird von Twickel mit einer Anekdote beschrieben: »Nachdem ein Verriss des Musicals König der Löwen erschienen war, stand die klagende Anzeigenverkaufsleiterin vor meinem Schreibtisch: ›Du setzt unsere Arbeitsplätze aufs Spiel!‹ Die Musicalbetreiber hatten nach dem Verriss sämtliche Anzeigen storniert.«4Tatsächlich wurde Christoph Twickel 2003 wohl vor allem wegen seiner unbequemen, nicht zu Kompromissen zugunsten von Anzeigenkund:innen bereiten Haltung als Chefredakteur gefeuert. Darüber berichtete damals unter anderem Tino Hanekamp (Link).
Ein positives Anzeigenumfeld
Der Verriss eines Musicals der Stage Entertainment GmbH wäre in der Szene heute undenkbar. Das zeigt auch ein Blick in die November-Ausgabe. Zwischen redaktionellen Beiträgen und Anzeigen ist hier keinerlei Widerspruch zu spüren. In der gemeinsam mit dem Hamburger Sportbund (HSB) verantworteten Sport-Beilage etwa inserieren alle Sponsoring-Partner des HSB. Zu den Anzeigenkund:innen gehören natürlich auch die Kultureinrichtungen, die im Heft mit Interviews und Artikeln bedacht werden. Das Mehr! Theater am Großmarkt etwa revanchiert sich für eine aalglatte Besprechung über sein Harry-Potter-Musical (ein »magisches Spektakel«, das »natürlich nicht nur etwas für Harry-Potter-Anhänger, sondern für alle« sei) mit einer ganzseitigen Anzeige auf der Rückseite des Hefts. Und selbst beim Titelthema »Tod« steht das Anzeigengeschäft nicht hintan. Redaktionelle Beiträge zum Bestattungsunternehmen trostwerk und zu den Erinnerungsgärten, einer ökologischen Bestattungsanlage, werden von Anzeigen ebendieser Unternehmen flankiert (aber nicht auf derselben Seite, sonst könnte es ja wie Content-Marketing aussehen). Dass VKM in den Redaktionsräumen der Szene auch »einige Handelskammer-Magazine« produziert, ist ein Sinnbild dafür, wie symbiotisch die Beziehung zwischen der Zeitschrift und ihren Anzeigenkund:innen ist.5Geradezu grotesk wirkt angesichts dieses offenkundigen quid-pro-quo-Prinzips ein bierernstes Plädoyer für die Presse des Redakteurs Marco Arellano Gomes, das im August 2020 in der Szene erschien. »Die Welt droht eine zu werden, in der das Ich mehr zählt als das Wir«, klagt der Autor angesichts von Social Media und Content Marketing, und fordert die Einhaltung der »journalistischen Grundregeln«, zu denen auch gehöre, »Beiträge nicht im Austausch gegen Anzeigenbuchungen [zu] lancieren«. Ob er wohl mal eine Ausgabe der Szene in der Hand gehabt hat?
Selbstverständlich hat die Szene auch zahlreiche »Kooperationspartner«, u.a. HVV switch, Lotto Hamburg und MINI Hamburg. Die Marke MINI baut hochpreisige Kleinwagen und ist Teil der BMW AG, womit sie natürlich prädestiniert dafür ist, eine im Nachhaltigkeits-Kostüm daherkommende Online-Veranstaltung »über die Zukunft der Stadt« auszurichten. Mit dabei: Tanya Kumst, Geschäftsführerin der Szene Hamburg, und der Gastronom Sebastian Junge. Moment, kennen wir den nicht? Ach ja, der hat den u.a. von MINI Hamburg gesponsorten »Nachhaltigkeitspreis« der Szene gewonnen, wie wir in der Rubrik »Essen+Trinken« erfahren. Er setze sich für eine »wertschätzende Genusskultur« ein, heißt es in der von der Szene angeführten Begründung: »›Alles grün bei uns!‹ ist hier keine leere Worthülse, sondern gelebter Alltag. Beispiele gefällig? Sebastian Junge bezeichnet sich selbst als Aktivist für nachhaltige sowie umweltgerechte Genusskultur und kreiert mit seinem Team handgemachte Gerichte aus regionalen Zutaten, die von Produzenten stammen, mit denen das Restaurant eng und teilweise freundschaftlich verbunden ist.«
Reklamesprache auf der Höhe der Zeit
Man merkt: Hier sind die Worthülsen nicht leer, sondern prall gefüllt mit gut angedicktem Diskursbrei. Denn es finden sich in der Szene nicht nur die üblichen Phrasen vom »schnuckeligen Café« und vom Sterben als dem »letzten Streckenabschnitt des Lebens« oder tautologischer Sprachmüll wie der vom Restaurant, das durch überzeugende Kochkunst überzeugt. Nein, so wie MINI Hamburg ist auch die Szene auf dem aktuellen Stand der Reklamesprache: Alles hier ist ›nachhaltig‹ und ›regional‹, ›divers‹ und ›facettenreich‹. Das ist kein Zufall, kommen doch viele der Beiträger:innen aus Werbung und Marketing und schreiben daher nicht, sondern »texten« oder »erstellen content«.
Einer dieser Texter schreibt beispielsweise eine launige Glosse über den Tod, die witzig sein soll, aber so arm an Witz wie reich an schiefen Metaphern ist (»Da nimmt der eine oder andere die Unsterblichkeit einfach in die eigene Hand, bevor sie kalt ist.«). Am Schluss weiß man zumindest, in welchem Zustand der Autor diesen Stuss geschrieben hat: »Ich sage: Lebe so, dass deine Stammkneipe nach deinem Ableben dichtmachen kann.«
All das heißt nicht, dass das Heft nicht auch manches Interessantes enthält. Ein Beitrag über den Schriftsteller Mesut Bayraktar etwa, dessen Gastarbeitermonologe am 25. November am Schauspielhaus uraufgeführt wurden, ist zwar eine Gefälligkeitsarbeit (der Autor des Beitrags ist wie Bayraktar Teil des Literaturkollektivs nous – konfrontative Literatur), aber eine lesenswerte; Diversität ist in dem Heft, etwa bei der Auswahl der Interviewpartner:innen, mehr als nur eine Phrase; und die Filmkritiken (v.a. diejenigen von Ressortleiter Marco Arellano Gomes) sind trotz ihrer Kürze gehaltvoll und genau.
Auf Affirmation getrimmt
Wollte man das Heft aber auf einen Nenner bringen, wäre es eindeutig: Affirmation. Egal ob es um Gastronomie geht oder um den Tod, nichts möchte hier schlechte Laune machen, für Irritation oder Zweifel sorgen. Wenn einer der vielen als ›Interview‹ bezeichneten Werbebeiträge mit einem kursiv gesetzten »(lacht fröhlich)« endet, ist das für die Stimmung in diesem Heft symptomatisch. Auch die Testimonials von drei Hamburger:innen in der Rubrik »SZENEzeigen« sind weitgehend auf Affirmation getrimmt. »Für mich ist Hamburg die schönste Stadt der Welt«, sagt eingangs etwa die in Rotherbaum aufgewachsene Natascha. Und der Beitrag von John, der sein Geld als Taxifahrer verdient, schließt mit dem Satz: »Manchmal gucke ich aus dem Fenster und sage mir: Du bist im Paradies.«
Um ein gutes Anzeigenumfeld darzustellen (die Inhaberfirma verspricht »maßgeschneidertes Marketing in einem passenden Rahmen«), sendet die Zeitschrift stets eine positive ›Message‹ aus. Damit das gewährleistet ist, muss manchmal etwas herumgewurstelt werden. Etwa wenn die ehemalige FDP-Landesvorsitzende Katja Suding in der Rubrik »Gude Leude« von ihrem schwierigen Quereinstieg in die Politik erzählt und davon, »wie ich dann aber auch Fuß gefasst habe und es gut lief, es mir aber nicht so wirklich gut ging«. Vielleicht, denkt man dann, ist dieser verunglückte Satz nicht nur in sprachlicher Hinsicht charakteristisch für diese Zeitschrift, sondern auch in inhaltlicher: Es läuft gut bei der Szene, sie verkauft Hefte und Anzeigen. Aber misst man sie an ihrem Anspruch, über »gesellschaftliche Themen und stadtpolitische Entwicklungen in Hamburg« zu berichten, also journalistisch zu arbeiten, muss man konstatieren: Es geht ihr nicht so wirklich gut.
Lukas Betzler
Der Autor freut sich trotz allem jedes Mal wieder, wenn er den Szene-Werbespot im Kino sieht.
- 1Eine Sammlung der kuriosesten Kleinanzeigen aus diesen und anderen Magazinen findet sich in Franz-Maria Sonner (Hg.): Werktätiger sucht üppige Partnerin. Die Szene der 70er Jahre in Kleinanzeigen, Antje Kunstmann Verlag: München 2005.
- 2Christian Seidenabel: Der Wandel von Stadtzeitungen. ›Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert‹. Roderer: Regensburg 1994, S. 58.
- 3Die im Impressum der Ausgabe 11/2021 genannte Praktikantin hat tatsächlich einen beträchtlichen Teil der Beiträge verfasst. Und dass das Schlusslektorat, wie Twickel berichtet, schon vor einiger Zeit gestrichen wurde, macht sich auch bemerkbar: Ein Beitrag zu den Hamburger Weihnachtsmärkten bricht mitten im Satz ab.
- 4Tatsächlich wurde Christoph Twickel 2003 wohl vor allem wegen seiner unbequemen, nicht zu Kompromissen zugunsten von Anzeigenkund:innen bereiten Haltung als Chefredakteur gefeuert. Darüber berichtete damals unter anderem Tino Hanekamp (Link).
- 5Geradezu grotesk wirkt angesichts dieses offenkundigen quid-pro-quo-Prinzips ein bierernstes Plädoyer für die Presse des Redakteurs Marco Arellano Gomes, das im August 2020 in der Szene erschien. »Die Welt droht eine zu werden, in der das Ich mehr zählt als das Wir«, klagt der Autor angesichts von Social Media und Content Marketing, und fordert die Einhaltung der »journalistischen Grundregeln«, zu denen auch gehöre, »Beiträge nicht im Austausch gegen Anzeigenbuchungen [zu] lancieren«. Ob er wohl mal eine Ausgabe der Szene in der Hand gehabt hat?
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