Umtausch nicht gestattet

Umtausch nicht gestattet

Der Senat ist in Fei­er­laune. Auf der Son­der­pres­se­kon­fe­renz zum spek­ta­ku­lä­ren Opern-Deal mit der Kühne-Stiftung herrschte pene­trante Selbst­ge­wiss­heit: Nie­mand könne doch ernst­haft etwas gegen die­ses Pro­jekt haben! Doch was hier als »Glücks­fall für Ham­burg« gefei­ert wird, offen­bart in Wahr­heit ein unde­mo­kra­ti­sches Ver­ständ­nis von Stadt und Kul­tur. Und es ist in dop­pel­ter Hin­sicht geschichtsvergessen.

Nicht genug Glanz: 2017 fand auf dem Baa­ken­höft das inter­na­tio­nale Fes­ti­val »Thea­ter der Welt« statt. Foto: Pauli-Pirat | Wiki­me­dia Commons

Der Mul­ti­mil­li­ar­där und Mäzen Klaus-Michael Kühne will Ham­burg eine neue Oper schen­ken. Bür­ger­meis­ter Peter Tsch­ent­scher und Kul­tur­se­na­tor Cars­ten Brosda waren erkenn­bar stolz, als sie auf einer Son­der­pres­se­kon­fe­renz am Frei­tag, den 7. Februar, gemein­sam mit Ver­tre­tern der Kühne-Stiftung und der Kühne Hol­ding ver­kün­den konn­ten, dass der Ver­trag unter­schrie­ben sei. In der »ers­ten Hälfte des nächs­ten Jahr­zehnts« soll die Oper eröff­nen. Zwar muss die Ent­schei­dung noch von der (dann neu kon­sti­tu­ier­ten) Bür­ger­schaft bestä­tigt wer­den, doch der rot-grüne Senat macht sich da wohl zu Recht keine Sor­gen. Erste Reak­tio­nen aus den Par­teien signa­li­sier­ten durch­weg Unter­stüt­zung für das Pro­jekt. Ein­zig Die Linke übte Kri­tik an der Ent­schei­dung.

Aber was ist da eigent­lich geplant? Ent­ste­hen soll ein Opern­neu­bau am Baa­ken­höft, einer Land­spitze im Zen­trum der Hafen­City, fast genau in der Mitte zwi­schen Elb­phil­har­mo­nie und Elb­tower. Die Nähe zum Elb­tower ist dabei kein Zufall. Im Mai 2022, als Kühne seine Idee eines neuen Opern­hau­ses erst­mals in einem Por­trät im Spie­gel prä­sen­tierte, war klar: Das Opern­haus sollte zusam­men mit sei­nem inzwi­schen geschei­ter­ten Hoch­haus­pro­jekt ein Wahr­zei­chen­en­sem­ble bil­den. Nicht nur den Elb­tower, auch die Oper plante Kühne zu die­ser Zeit gemein­sam mit René Benko, dem mitt­ler­weile inhaf­tier­ten Immo­bi­li­en­in­ves­tor. Der Deal, den er vor­schlug, war dabei in mehr­fa­cher Hin­sicht ver­gif­tet: Die Stadt sollte den neuen Opern­bau nicht geschenkt bekom­men, son­dern lea­sen. Und das bis­he­rige Opern­ge­bäude – in unmit­tel­ba­rer Nähe zur ehe­ma­li­gen Gänsemarkt-Passage, die Benko durch einen Kom­plex aus Woh­nun­gen, Büros und Ein­zel­han­del erset­zen wollte – sollte abge­ris­sen und durch ein »moder­nes Immo­bi­li­en­pro­jekt« ersetzt werden.

Der Senat winkte ab: Nein, ein Miet­kauf­mo­dell wolle man nicht, und ein Abriss des bis­he­ri­gen Opern­ge­bäu­des komme auch nicht infrage. Doch der Senats­spre­cher ergänzte damals bereits: »Eine Schen­kung durch Herrn Kühne bezie­hungs­weise seine Stif­tung nach dem Vor­bild der Kopen­ha­ge­ner Oper wäre dage­gen ein bemer­kens­wer­tes mäze­na­ti­sches Enga­ge­ment.« Genau so ist es nun auch gekom­men. Wohl auch im Ange­sicht der andau­ern­den Que­re­len um den Elb­tower war die Freude ver­gan­ge­nen Frei­tag groß, als die Kühne-Stiftung nach kurz­zei­ti­gem Hin und Her die Opern­pläne doch noch besiegelte.

Ein Deal ohne Haken?

Schließ­lich blei­ben bei die­sem Deal, glaubt man dem Senat, keine Fra­gen offen. Der Bau werde auf jeden Fall fer­tig­ge­stellt, ver­si­cherte man. Und abge­se­hen von 147,5 Mio. Euro für die Erschlie­ßung wür­den unter kei­nen Umstän­den zusätz­li­che öffent­li­che Gel­der flie­ßen. Das gesamte Risiko trägt die Kühne-Stiftung. Die fer­tige Oper bekommt die Stadt Ham­burg dann (fast) ohne Bedin­gun­gen geschenkt. Tat­säch­lich ist der Ver­trag für die Stadt, ver­gli­chen mit Küh­nes ursprüng­li­chem Vor­schlag, gera­dezu ver­blüf­fend vor­teil­haft. Und: Der bis­he­rige Opern­bau bleibt, so ver­si­cherte Cars­ten Brosda, als Spiel­stätte erhal­ten – wie genau die Nach­nut­zung aus­se­hen könne, werde man in den nächs­ten Jah­ren über­le­gen. Das heißt: Weder für besorgte Denkmalschützer:innen noch für strenge Wäch­ter über städ­ti­sche Aus­ga­ben gäbe es etwas zu mäkeln. Alles also ein ein­zi­ger Grund zur Freude? 

Kei­nes­wegs. In min­des­tens drei­er­lei Hin­sicht ist der Plan näm­lich ein Skan­dal: Er ist ein Gip­fel unde­mo­kra­ti­scher und intrans­pa­ren­ter Stadt­pla­nung, er offen­bart einen unde­mo­kra­ti­schen und zutiefst ver­ding­lich­ten Begriff von Kul­tur und er ist – auf­grund der Kolo­ni­al­ge­schichte des Baa­ken­ha­fens und der NS-Geschichte von Kühne + Nagel – geschichts­ver­ges­sen, wenn nicht gar ‑revi­sio­nis­tisch.

Hanseatische Geheimdiplomatie

Das »Filet­stück« 85 ist nun ver­plant. Quelle: Flä­chen­ent­wick­lung Hafen­City, Stand: 31.1.2024.

Zwar gibt es für den Baa­ken­höft noch kei­nen Bebau­ungs­plan, doch dass es sich um ein beson­de­res Grund­stück han­delt, ist schon lange klar. Das beton­ten auch alle Betei­lig­ten der Pres­se­kon­fe­renz. Cars­ten Brosda nannte es gar »eines der her­aus­ra­gends­ten Grund­stü­cke Nord­eu­ro­pas«. Und solch ein Grund­stück befin­det sich hier in öffent­li­chem Besitz. Eigent­lich sollte es sich von selbst ver­ste­hen, dass damit auch ein beson­de­res öffent­li­ches Inter­esse ver­bun­den ist, dass damit also die Ver­pflich­tung ein­her­ginge, eine trans­pa­rente und offene Dis­kus­sion über die Nut­zung des Grund­stücks zu ermöglichen.

Doch eine Dis­kus­sion fand nicht statt. Statt in der Öffent­lich­keit Nut­zungs­mög­lich­kei­ten zu ent­wi­ckeln und zu dis­ku­tie­ren, wurde nun, nach­dem Kühne seine »Idee« im Spie­gel bekannt gege­ben hatte, fast drei Jahre lang hin­ter geschlos­se­nen Türen ver­han­delt. Dass sich im Lauf die­ser Ver­hand­lun­gen die Bedin­gun­gen für die Stadt ver­bes­sert haben – geschenkt! Ent­schei­dend ist: Die Frage, ob über­haupt eine Oper auf dem Baa­ken­höft gebaut wer­den sollte, stand nie zur Debatte. Umtausch nicht gestattet!

Die­ses de-facto-Diktat des Kapi­tals wird vom Ham­bur­ger Senat nun in eine Spra­che offe­nen Aus­tauschs ver­klei­det: Kühne habe ein »Ange­bot« gemacht, der Senat habe es »geprüft«, man hat die Bedin­gun­gen nach­ver­han­delt und ist sich nun »einig gewor­den«. 1Ganz ähn­lich klang es auf der Pres­se­kon­fe­renz, als die Spra­che auf den Elb­tower kam. Der neue Inves­tor, Die­ter Becken, habe den »Vor­schlag« gemacht, das geplante Natur­kun­de­mu­seum, für das es noch keine ande­ren Räume gebe, im Elb­tower unter­zu­brin­gen. Auch die­ser »Vor­schlag« wird »geprüft« – man könne ihn ja nicht »aus Prin­zip ableh­nen«, so Tsch­ent­scher. Für die Pro­gnose, dass die Prü­fung posi­tiv aus­fal­len wird, braucht es frei­lich keine beson­de­ren hell­se­he­ri­schen Fähig­kei­ten. Der Inves­tor kann ja schließ­lich stets mit einem erneu­ten Bau­ab­bruch drohen.

Kühne calls the tune

Andere unde­mo­kra­ti­sche Aspekte wur­den nicht ver­schlei­ert, son­dern auf Dimen­sio­nen des All­tags­ver­stands zurecht­ge­stutzt, wo sie dann plötz­lich völ­lig ganz harm­los und nach­voll­zieh­bar klin­gen. Das betrifft etwa den Archi­tek­tur­wett­be­werb. Es wird zwar eine Jury geben, die unter fünf Ent­wür­fen aus­wäh­len würde, doch Kühne hat ein Veto­recht. Im Abend­blatt kann man erfah­ren, dass sogar schon ein Ent­wurf bereit­liege, den Kühne sich wün­sche, und zwar – wie offen­bar durch­ge­sto­chen wurde – vom Archi­tek­tur­büro Snøhetta. »Es gibt den schö­nen Ent­wurf eines aus­län­di­schen Archi­tek­ten, der wun­der­bar zu dem Stand­ort passt«, sagte Kühne der Zei­tung: »Die Stadt hätte gern noch eine Art Wett­be­werb. Ich finde den Ent­wurf schon sehr überzeugend.«

Unde­mo­kra­tisch? Nein: Dass Kühne (mit)entscheide, was gebaut werde, sei doch völ­lig nor­mal, meinte Peter Tsch­ent­scher, schließ­lich stamme von ihm ja das Geld. In der Sphäre des Poli­ti­schen nennt man diese Logik Plu­to­kra­tie. Bei Tsch­ent­scher hin­ge­gen klingt alles ganz unbe­denk­lich. Denn weiß nicht auch der Volks­mund: »Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik?«

Das könnte in die­sem Fall auch ganz wört­lich gel­ten. Nicht aus­ge­schlos­sen, dass Kühne, sollte er die Fer­tig­stel­lung des Opern­baus noch erle­ben, sich eine Eröff­nungs­oper wün­schen darf. Sol­che Mut­ma­ßun­gen wer­den Poli­tik und Opern­in­ten­danz sicher zurück­wei­sen. Aber man kann Wet­ten dar­auf abschlie­ßen, dass die erste Oper im neuen Haus nichts von György Ligeti oder Hans Wer­ner Henze sein wird, son­dern etwas »rich­tig Schö­nes«. Wie wär’s mit Gia­como Puc­cini?

Die Stadt des Kapitals

Der Denk­mal­ver­ein Ham­burg, der eine Peti­tion gegen den Opern­neu­bau und für den Ver­bleib der Staats­oper an der Damm­tor­straße initi­iert hat, schreibt daher zu Recht: »Eine so wich­tige Ent­schei­dung zur Archi­tek­tur, Stadt­ent­wick­lung und Denk­mal­pflege wie die Zukunft der Oper auf einem öffent­li­chen Grund­stück sollte in einem ergeb­nis­of­fe­nen Pro­zess und auf der Grund­lage einer brei­ten fach­li­chen, zivil­ge­sell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Dis­kus­sion getrof­fen wer­den – und nicht nach den Wün­schen eines ein­zel­nen pri­va­ten Geld­ge­bers.« Die Gestal­tung der Stadt darf nicht eini­gen weni­gen Inves­to­ren, Mil­li­ar­dä­ren und Mäze­nen über­las­sen wer­den – auch wenn dabei weder mit einer Bau­ruine (Elb­tower) noch mit einer Kos­ten­ex­plo­sion zulas­ten der öffent­li­chen Hand (Elb­phil­har­mo­nie) zu rech­nen ist.

Stadt­pla­ne­ri­sche Ent­schei­dun­gen – und ins­be­son­dere sol­che, die die Stadt jahr­zehn­te­lang prä­gen wer­den, bedür­fen der demo­kra­ti­schen Legi­ti­ma­tion. Die wird im Falle des Opern­neu­baus zwar for­mal durch einen Bür­ger­schafts­be­schluss her­ge­stellt wer­den. Doch von tat­säch­li­cher Demo­kra­tie kann nur dann die Rede sein, wenn sie sich auch auf den Pla­nungs­pro­zess bezieht. So hin­ge­gen zeigt der Pro­zess um Küh­nes Oper exem­pla­risch den unde­mo­kra­ti­schen Cha­rak­ter einer »Stadt des Kapitals«.

»Topspitzenweltklassekultur« 

Aber das ist nicht das ein­zige Pro­blem mit der Oper. Auch und gerade das, was durch die­sen Opern­neu­bau angeb­lich geför­dert wird, gerät unter die Räder: die Kul­tur. Wenn man den vier Her­ren bei der Son­der­pres­se­kon­fe­renz zuge­hört hat, konnte man näm­lich den Ein­druck erlan­gen, es gehe nicht um Kunst, son­dern um einen Sport­ver­ein oder ein Dax-Unternehmen.

Man wolle eine »Oper von Welt­rang«  bauen, bekun­dete Peter Tsch­ent­scher. Jörg Drä­ger von der Kühne-Stiftung sekun­dierte, mit dem Opern­neu­bau schaffe man in Ham­burg einen Ort für »exzel­lente Musik, exzel­lente Oper und exzel­len­tes Bal­lett«. Und Cars­ten Brosda brüs­tete sich damit, dass Ham­burg hin­sicht­lich der öffent­li­chen Zuschüsse bereits jetzt »in einer Liga mit den gro­ßen Opern­häu­sern der Welt« spiele.2Dass Tobias Krat­zer, der im Abend­blatt schon die Devise aus­gab, mit der Ham­bur­ger Oper in die »Cham­pi­ons League«  zu wol­len, die Bau­pläne eupho­risch begrüßte, ver­wun­dert daher nicht. Eine ganz ähn­li­che Spra­che wurde zudem schon zur Begrün­dung des Baus der Elb­phil­har­mo­nie ins Feld geführt.

Die Spra­che, die hier ver­wen­det wird, ver­steht Kul­tur als Leis­tungs­wett­be­werb. Eine Stadt wie Ham­burg muss sich die­ser Logik zufolge darum bemü­hen, die Welt­spitze der Kul­tur für sich zu gewin­nen, um dann im Ran­king der »bes­ten Kul­tur­me­tro­po­len der Welt« einen Topp­latz zu ergat­tern; muss die größ­ten inter­na­tio­na­len Künstler:innen in die Stadt holen, die hier dann ihre Best­leis­tun­gen ablie­fern und die Kon­kur­renz nei­disch machen.

Kultur als Hochgenuss 

Nun ist es wenig ver­wun­der­lich, dass in einer Kauf­manns­stadt wie Ham­burg so gedacht wird. Aber Kul­tur ist weder Spit­zen­sport noch ist sie ein Kampf um einen der ers­ten Plätze in der Welt­markt­kon­kur­renz. Kul­tur ist eine Pra­xis. Eine rei­che Kul­tur­land­schaft zeich­net sich nicht durch Super­la­tive und markt­för­mi­gen Star­kult aus, son­dern durch Breite und Viel­stim­mig­keit, durch Wider­sprü­che und Störgeräusche.

Die super­la­ti­vi­sche Mar­ke­ting­spra­che, mit der über den geplan­ten Opern­neu­bau gespro­chen wird, redu­ziert Kunst außer­dem auf ein Genuss­mit­tel. Sie macht zum Maß der Kul­tur, was der Kon­su­ment ›davon hat‹. Kul­tur wird zum Luxus­kon­sum­gut ver­ding­licht. Der Opern­bau wird so zu einer »Inves­ti­tion«, die »ihr Geld wert sein wird«. Die­je­ni­gen, die der­lei Spra­che ver­wen­den, offen­ba­ren sich als Klein­geis­ter und Banaus:innen. Sie wol­len den exqui­si­tes­ten Hör­ge­nuss, die größ­ten Gefühle und die berühm­tes­ten Stars erle­ben; bloß nichts, was sie beun­ru­hi­gen, irri­tie­ren oder gar absto­ßen könnte. 

Neubau? – »Alternativlos« 

Umso anma­ßen­der ist es, dass in der Dar­stel­lung Tsch­ent­schers und Bros­das gerade den Kritiker:innen des Opern­neu­baus impli­zit Banau­sen­tum vor­ge­wor­fen wird. Denn, so wird sug­ge­riert, ist es nicht klein­geis­tig, ange­sichts gro­ßer Visio­nen über die Zukunft gro­ßer Kunst nun Büro­kra­ten­for­de­run­gen wie die nach demo­kra­ti­scher Betei­li­gung oder auch nur nach einem offe­nen Archi­tek­tur­wett­be­werb auf­zu­wer­fen? Ist es nicht kunst­feind­lich, zu for­dern, die Oper müsste sich mit dem bis­he­ri­gen Gebäude und sei­nen Mög­lich­kei­ten begnügen?

Auf die Frage, wozu in aller Welt die Stadt ein neues Opern­haus brau­che, ant­wor­tete Brosda: Die bis­he­rige Oper sei zu alt, zu klein, ein­fach unter­di­men­sio­niert, um den Ansprü­chen eines gegen­wär­ti­gen Opern­be­triebs gerecht zu wer­den. Sanie­ren müsste man ohne­hin, das ist klar. Aber, so Bros­das Behaup­tung, eine Sanie­rung würde noch viel teu­rer als ein Neu­bau. Wäh­rend vor drei Jah­ren, als Kühne den Vor­schlag erst­mals auf­brachte, noch nie­mand so recht den Bedarf nach einem neuen Opern­haus sehen konnte, prä­sen­tierte Brosda den Umzug der Staats­oper in ein neues Haus nun als letzt­lich alternativlos. 

Es ist diese Alter­na­tiv­lo­sig­keits­rhe­to­rik – und nicht der eli­täre Cha­rak­ter der Oper als Kunst­form, wie Benno Schirr­meis­ter in der taz kom­men­tierte –, die das Kul­tur­ver­ständ­nis hin­ter dem Opern­neu­bau als unde­mo­kra­tisch aus­weist. Denn natür­lich wäre es mög­lich, wei­ter­hin Oper im bis­he­ri­gen Opern­haus zu betrei­ben. Laura Weiss­mül­ler hat in der SZ schon vor fünf Jah­ren anläss­lich der Debatte um den geplan­ten Abriss und Neu­bau der Städ­ti­schen Büh­nen in Frank­furt betont, dass die hor­ren­den Sanie­rungs­kos­ten der letz­ten Jahre eben nicht alter­na­tiv­los sind: »Muss es wirk­lich immer die auf­wen­digste Tech­nik sein? Brau­chen all unsere Gebäude über­all und zu jeder Tages- und Nacht­zeit den höchs­ten Kom­fort, die beste Aus­stat­tung, das neu­este Equipment?« 

Mit Ver­weis auf ver­schie­dene Off-Spielstätten kon­sta­tierte Weiss­mül­ler außer­dem: »Viel­leicht würde es dem deut­schen Kul­tur­le­ben gut­tun, mehr sol­cher rauen, unpo­lier­ten, unper­fek­ten Spiel­orte zu haben.«  Tat­säch­lich befand sich auch auf dem Baa­ken­höft schon ein sol­cher Spiel­ort, »eine über­aus pro­duk­tive, sel­ten inter­es­sante und authen­ti­sche Kul­tur­stätte«, wie Ste­phan Maus in einem (äußerst sehens- und lesens­wer­ten) Foto-Essay auf sei­nem Blog betont. »An die­sem beson­de­ren Ort im Hafen fin­den schon seit Jah­ren krea­tive Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Gesell­schaft, Ort und Geschichte statt.« Aber Leute, die – siehe oben – in der »Welt­spit­zen­klasse« der Kul­tur mit­spie­len wol­len, för­dern eben keine »Aus­ein­an­der­set­zung mit Gesell­schaft, Ort und Geschichte«, son­dern: die größte Bühne, die modernste Tech­nik und die beste Akus­tik. 

Überschreibung eines Geschichtsorts

Opern­haf­ter Jubel. Abfahrt eines Trup­pen­trans­por­ters von Ham­burg nach »Deutsch-Südwestafrika«. Quelle: Bun­des­ar­chiv, Bild 146‑2008-0180 / Spen­ker, Franz / CC-BY-SA 3.0

Der geplante Opern­neu­bau muss schließ­lich als geschichts­ver­ges­se­nes, ja, revi­sio­nis­ti­sches Pro­jekt begrif­fen wer­den. Das hängt zunächst mit dem Stand­ort zusam­men. Der Baa­ken­ha­fen, jener Ort, den Kühne für seine Oper aus­ge­wählt hat, wurde im Deut­schen Kai­ser­reich näm­lich zur »logis­ti­schen Dreh­scheibe des kolo­nia­len Völ­ker­mor­des«, wie der His­to­ri­ker Kim Todzi schreibt. Die Woermann-Linie hatte seit 1891 einen regel­mä­ßi­gen Schiffs­ver­kehr zwi­schen Ham­burg und »Deutsch-Südwestafrika«  (so der Name des heu­ti­gen Nami­bias unter deut­scher Kolo­ni­al­herr­schaft) ein­ge­rich­tet und den Peter­sen­kai im Baa­ken­ha­fen gepach­tet. Zwi­schen 1904 und 1908 machte sie ihn zum wich­tigs­ten Ort der Kriegs­lo­gis­tik: »Über 90 Pro­zent aller Abfahr­ten« von Schif­fen mit Kolo­ni­al­sol­da­ten erfolg­ten von dort, so Todzi.

Für ein Geden­ken an die deut­schen Kolo­ni­al­ver­bre­chen, ins­be­son­dere den Völ­ker­mord an den Herero und Nama, ist der Baa­ken­ha­fen daher ein wich­ti­ger Ort und sollte, darin ist dem Ein­spruch der ehe­ma­li­gen For­schungs­stelle »Ham­burgs (post-)koloniales Erbe«  zuzu­stim­men, nicht mit einer Oper über­baut wer­den, ohne dass an die Ver­gan­gen­heit des Orts – etwa durch ein Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum – erin­nert würde.

Es zeugt jedoch von zwei­fel­haf­tem Oppor­tu­nis­mus, dass die For­schungs­stelle nicht für den Bau­stopp der Oper plä­diert, son­dern die Stadt auf­for­dert, »die finan­zi­elle För­de­rung des Opern­pro­jekts durch den Stif­ter mit der Bedin­gung [zu] ver­bin­den, die Errich­tung eines sol­chen Doku­men­ta­ti­ons­zen­trums sub­stan­zi­ell mit­zu­för­dern« . So als sprä­che an sich nichts gegen die­sen Opern­bau, sofern nur auch ein Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum dabei abfiele.

Kämpfe um Erinnerung

Solch eine For­de­rung blen­det vor allem die zweite Dimen­sion der Geschichts­ver­ges­sen­heit des Opern­plans aus: die Quel­len von Klaus-Michael Küh­nes Ver­mö­gen. Der Mul­ti­mil­li­ar­där ver­dankt die Grund­lage sei­nes Reich­tums näm­lich bekann­ter­ma­ßen dem Unter­neh­men Kühne + Nagel, das an der Ver­fol­gung, Ver­nich­tung und Aus­plün­de­rung der euro­päi­schen Jüdin­nen und Juden mas­siv und direkt ver­diente. Zuerst drängte die dama­lige Unter­neh­mens­füh­rung – Klaus-Michael Küh­nes Vater Alfred und sein Onkel Wer­ner – den jüdi­schen Anteils­eig­ner Adolf Maass aus dem Unter­neh­men, dann stieg Kühne + Nagel zum NS-Musterbetrieb auf und nahm eine Schlüs­sel­stel­lung in der M‑Aktion ein.

Klaus-Michael Kühne hat seit jeher eine his­to­ri­sche Auf­ar­bei­tung die­ser Geschichte sabo­tiert. Seit dem 125-jährigen Jubi­läum von Kühne + Nagel vor zehn Jah­ren jedoch wird die Geschichte (und Küh­nes ver­wei­gerte Auf­ar­bei­tung) immer wie­der öffent­lich dis­ku­tiert. Die Vor­würfe wur­den mit immer wei­te­ren Bele­gen unter­füt­tert – zuletzt im Sep­tem­ber letz­ten Jah­res in einem Inves­ti­ga­tiv­ar­ti­kel von David de Jong.

In Bre­men, wo Küh­nes Groß­va­ter das Unter­neh­men 1890 gegrün­det hat, wur­den aus die­ser öffent­li­chen Debatte Kon­se­quen­zen gezo­gen: Im Jahr 2023 wurde dort ein Mahn­mal ein­ge­weiht, das in Sicht­weite von der Deutsch­land­zen­trale von Kühne + Nagel an die Ari­sie­rung und Ent­eig­nung im Natio­nal­so­zia­lis­mus erin­nert und ins­be­son­dere ihre Akteure und Pro­fi­teure in den Blick nimmt.

Hamburg: Kulturförderung als Schweigegeld

In Ham­burg hin­ge­gen gibt es nichts der­glei­chen – obwohl es auch hier, etwa anläss­lich des Eklats um den »Klaus-Michael Kühne Preis«  2022 – Anlässe dafür gege­ben hätte. Die Ham­bur­ger Poli­tik gibt sich, als hätte es diese Debatte nie gege­ben. Peter Tsch­ent­scher war sich auf der Pres­se­kon­fe­renz nicht ein­mal zu blöd, eine kri­ti­sche Nach­frage mit dem Pseu­do­ar­gu­ment zu beant­wor­ten, dass Kühne wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus ja noch ein Kind gewe­sen sei.

Aber Kühne wird nicht nur – mit den dümms­ten Phra­sen – vor Kri­tik in Schutz genom­men. Die Ham­bur­ger Poli­tik ver­säumte in den letz­ten Jah­ren auch kaum eine Gele­gen­heit, um dem reichs­ten Sohn der Stadt Honig ums Maul zu schmie­ren. Zuletzt etwa über­reichte Tsch­ent­scher Kühne im Sep­tem­ber den »Grün­der­preis«  für sein Lebens­werk und wür­digte ihn in sei­ner Lau­da­tio als einen Unter­neh­mer, »der im wahrs­ten Sinne des Wor­tes viel bewegt hat«.3Ver­lie­hen wird der Preis von der Ham­bur­ger Spar­kasse, dem »Ham­bur­ger Abend­blatt«, der Handels- und Hand­werks­kam­mer, dem Lokal­sen­der »Ham­burg 1« und der Film­pro­duk­ti­ons­firma Stu­dio Ham­burg. Egal ob in die­sem Fall oder beim Eklat um den Kühne-Preis: Der Senat hat kri­ti­sche Nach­fra­gen aus Presse und Öffent­lich­keit kon­se­quent ignoriert.

Der Opern­deal offen­bart das Kal­kül hin­ter die­sem Ver­hal­ten. Denn auch wenn es, etwa im Falle der Gründerpreis-Verleihung, kein offe­nes »quid pro quo« gibt: Es ist klar, dass der Senat auf jeg­li­chen kri­ti­schen Ton ver­zich­tet, wenn es darum geht, einen (auch im Wahl­kampf nütz­li­chen) Deal kurz vorm Abschluss nicht noch zu gefährden.

Hanseatische Beutegemeinschaft

Unser Redak­teur Lukas Betz­ler schrieb im Okto­ber im nd dazu:  »Zu ver­mu­ten ist, dass die Hofie­rung Küh­nes vor allem Kal­kül ist. Kühne hat keine Erben. Sein Ver­mö­gen wird nach sei­nem Tod voll­stän­dig an seine Stif­tung über­ge­hen. Die Stadt Ham­burg ver­sucht wohl sicher­zu­stel­len, dann von einem mög­lichst gro­ßen Teil die­ses Ver­mö­gens pro­fi­tie­ren zu kön­nen.«  Wer hätte gedacht, dass sich die Wahr­heit die­ses Urteils so schnell und so offen zei­gen würde.

Der Preis für diese Art des Kal­küls jedoch ist hoch. Denn indem die Stadt Kühne im Gegen­zug für sein mäze­na­ti­sches »Enga­ge­ment«  der­art den Hof berei­tet, trägt sie dazu bei, dass das so pro­du­zierte Bild Küh­nes als gene­rö­ser Stif­ter jenes des Arisierungs-Profiteurs über­deckt oder gar ver­drängt. Der VVN-BdA warnte schon Mitte letz­ter Woche, dass der Opern-Deal »zur Ver­drän­gung his­to­ri­scher Schuld und der per­sön­li­chen Ver­ant­wor­tung für einen ange­mes­se­nen Umgang damit«  bei­trage. Und der Ver­band machte auch deut­lich, wes­sen Stim­men im ein­ver­nehm­li­chen Jubel von Senat, Kühne und der Mehr­heit der Bür­ger­schaft wie­der ein­mal unter­ge­hen: »Wer fragt die Nach­fah­ren der damals in West- und Ost­eu­ropa aus­ge­raub­ten jüdi­schen Fami­lien, was sie von die­sem ver­schwie­ge­nen Umgang mit dem Nazi­pro­fi­teur Alfred Kühne halten?«

Redak­tion Untiefen

  • 1
    Ganz ähn­lich klang es auf der Pres­se­kon­fe­renz, als die Spra­che auf den Elb­tower kam. Der neue Inves­tor, Die­ter Becken, habe den »Vor­schlag« gemacht, das geplante Natur­kun­de­mu­seum, für das es noch keine ande­ren Räume gebe, im Elb­tower unter­zu­brin­gen. Auch die­ser »Vor­schlag« wird »geprüft« – man könne ihn ja nicht »aus Prin­zip ableh­nen«, so Tsch­ent­scher. Für die Pro­gnose, dass die Prü­fung posi­tiv aus­fal­len wird, braucht es frei­lich keine beson­de­ren hell­se­he­ri­schen Fähig­kei­ten. Der Inves­tor kann ja schließ­lich stets mit einem erneu­ten Bau­ab­bruch drohen.
  • 2
    Dass Tobias Krat­zer, der im Abend­blatt schon die Devise aus­gab, mit der Ham­bur­ger Oper in die »Cham­pi­ons League«  zu wol­len, die Bau­pläne eupho­risch begrüßte, ver­wun­dert daher nicht. Eine ganz ähn­li­che Spra­che wurde zudem schon zur Begrün­dung des Baus der Elb­phil­har­mo­nie ins Feld geführt.
  • 3
    Ver­lie­hen wird der Preis von der Ham­bur­ger Spar­kasse, dem »Ham­bur­ger Abend­blatt«, der Handels- und Hand­werks­kam­mer, dem Lokal­sen­der »Ham­burg 1« und der Film­pro­duk­ti­ons­firma Stu­dio Hamburg.

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