Isolation im Knast
Erst im Januar 2022 kam Corona so richtig in den Hamburger Knästen an. Die Pandemiemaßnahmen der Justiz verschlechtern die Haftbedingungen noch, die seit der Ära Schill ohnehin auf einem niedrigen Niveau sind. Die Pandemie brachte aber auch überraschende Verbesserungen mit sich – die indes wohl nur vorübergehend waren.
Es ist schon erstaunlich, dass es so lange gedauert hat: Erst mit der Omikron-Welle Anfang dieses Jahres infizierten sich zahlreiche Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel. Zuvor hatte es seit Beginn der Covid-19-Pandemie nur wenige einzelne Infektionen in den Hamburger Knästen gegeben, die meisten davon im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Als sogenannte Gemeinschaftseinrichtungen sind Knäste anfällig für die schnelle Verbreitung von Infektionen und ihre Insass:innen gelten als besonders vulnerable Gruppe. Dennoch ist fraglich, welche Maßnahmen zum Schutz der Inhaftierten notwendig sind und bei welchen es sich die Justiz zu einfach macht.
Gleich zu Beginn der Pandemie bildete die Justiz eine teilweise mehrmals wöchentlich tagende Pandemiekommission, um einer schnellen Durchseuchung der Knäste entgegenzuwirken. Für Außenstehende war dennoch während der vergangenen zwei Jahre kaum ersichtlich, welche Regeln in welcher JVA genau galten. Für die etwa 1.800 Inhaftierten in Hamburgs sieben Justizvollzugsanstalten bedeuteten die Coronamaßnahmen eine erhebliche Einschränkung. Betroffen sind weiterhin vor allem jene Angebote, die der Resozialisierung dienen sollen.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 schränkte die Justiz fast alles ein. Besuche von Angehörigen wurden untersagt, externe Sozialarbeiter:innen, etwa von Suchtberatungen, erhielten nur noch in Ausnahmefällen Zutritt und selbst bei diesen Ausnahmen blieb zwischen ihnen und den Inhaftierten eine Trennscheibe. Die Pandemie verschlechterte im Knast noch einmal die Lebensumstände. Doch es gab auch einige wenige kurzfristige Verbesserungen. Überraschend erlaubte die Hamburger Justiz einigen Inhaftierten Handys, um einen Ausgleich zu schaffen. Dies wurde von der Straffälligenhilfe schon seit Jahren gefordert, doch vor der Covid-19-Pandemie war eine Realisierung undenkbar.
Positive Pandemieeffekte?
470 Inhaftierte erhielten nicht-internetfähige Prepaidhandys, mit denen sie zuvor freigeschaltete Nummern anwählen konnten, beispielsweise die ihrer Partner:innen und Familie oder auch die der Drogenhilfe. Gegen die Aufforderung, die Handys Ende September 2020 wieder abzugeben, als die Justiz das strikte Besuchsverbot aufgehoben hatte, legten fast alle Betroffenen Widerspruch ein. Letztlich jedoch ohne Erfolg: Die Justizbehörde beklagte einen angeblich erheblichen Missbrauch. In 180 Fällen habe es eine Ermahnung gegeben oder das Handy sei eingezogen worden – allerdings seien nur in zwei Fällen strafrechtliche Konsequenzen gezogen worden. So schlimm kann der Missbrauch also kaum gewesen sein.
Nicht nur die Inhaftierten selbst, auch das externe Helfersystem bemerkte, dass die Handys den Gefangenen ermöglichten, sich proaktiver um ihre Entlassung zu kümmern. Teilweise stieg die Häufigkeit an Kontakten zu einigen Inhaftierten sogar trotz der isolierenden Umstände an. Die Passivität und Unselbständigkeit, die der Vollzug lehrt, sind für das Leben draußen ungeeignet. Die Möglichkeit, selbstständig freigegebene Nummern anzurufen, setzte dieser erzwungenen Untätigkeit etwas entgegen.
Auch im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen, die dann zum Tragen kommen, wenn jemand eine Geldstrafe nicht bezahlt, machte Corona möglich, was progressive Strafrechtler:innen seit Jahren fordern. Diese Art der Strafe ist die reinste Ausprägung von Klassenjustiz. Sie wurde zwar nicht abgeschafft. Jedoch wurde sie in diesem und dem vorigen Winter ausgesetzt, um den Durchlauf in den Anstalten zu verringern. 70 Inhaftierte kamen Ende Dezember 2021 frei, ab April sollen sie sich dann zurückmelden. Wie bereits im vergangenen Winter dürfte dadurch die Kriminalitätsrate in Hamburg kaum steigen. Möglicherweise wird der eine oder die andere ihre Strafe doch noch abbezahlen oder abarbeiten.
Ab Sommer 2021 konnten Besucher:innen die Haftanstalten erneut wieder betreten. In den meisten Fällen blieb es jedoch bei der Trennscheibe zwischen ihnen und den Inhaftierten. Das schränkt die Akustik erheblich ein. Viele Gefangene wollten ihren Familien und vor allem kleinen Kindern diese Situation nicht zumuten und verzichteten auf Besuche. Dazu fiel ein Großteil der Maßnahmen aus, zu denen der Vollzug aufgrund seines Resozialisierungsauftrags verpflichtet ist. Aus- und Fortbildungen fanden häufig nicht statt. Die meisten Lockerungen wie Ausführungen zur Wohnungssuche oder andere begleitete oder unbegleitete Ausgänge fielen aus. Freizeitangebote durch Ehrenamtliche entfielen gänzlich. Viele Gefangene verstanden aufgrund von Sprachbarrieren kaum, was draußen los war, die Gebote des Maskentragens setzte der Allgemeine Vollzugsdienst (AVD) gegenüber den Inhaftierten deutlich konsequenter um als im Kolleg:innenkreis.
Endlich Impfen
In der Impfpriorisierung standen Inhaftierte und Angestellte der Justizvollzugsanstalten ziemlich weit oben, zum anfänglichen Unmut der Polizei, die sich umgehend eine Hochstufung erquengelte. Im Mai 2021 ging es dann endlich los. Im Spätsommer waren etwas über 700 der 1.800 Inhaftierten geimpft. Vom AVD sollen bis heute fast neunzig Prozent geimpft sein, behauptet die Justizsenatorin Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen). Während Angehörige und externe Besucher:innen bis heute als Gefahr gelten, fällt der AVD nicht unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter im Justizvollzug kennt ihre Pappenheimer:innen und fordert die Ausweitung auf die Strafvollzugseinrichtungen.
Die Knastbevölkerung ist viel kränker und damit vulnerabler als die Allgemeinbevölkerung. Neben Sucht, Hepatitis C und schlechter Allgemeinverfassung rauchen fast alle Inhaftierten. Viele haben COPD – für sie kann Corona ein Todesurteil sein. Außerdem ist der Bildungsstand gering, das Verständnis für Krankheiten ebenfalls. Ebenso gering ist die Bereitschaft, den Vorgaben des Vollzugs zu folgen – selbst bei objektiv vernünftigen Regeln. Dazu kommt nun, dass alle Inhaftierten bei Haftantritt seit Pandemiebeginn zunächst im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis quarantänisiert werden. Quarantäne im Knast bedeutet völlige Isolation, nur minimale Rechte wie ein täglicher Hofgang werden gewährleistet. Die Justiz stellt »zum Ausgleich« kostenlos Fernseher und Radio – sonst müssen Gefangene Miete für derlei Geräte entrichten.
Dennoch brachten sich in den Jahren 2020/2021 insgesamt sechs Menschen in der Untersuchungshaftanstalt um, 13 weitere versuchten es. 2019 töteten sich zum Vergleich zwei, 2018 drei Menschen in Haft (2017 waren es jedoch acht). Diese Zahlen veröffentlicht die Justiz nicht mehr auf ihrer Website wie noch vor einigen Jahren, sondern nur noch auf Nachfrage. Das habe den Zweck, einen Werther-Effekt, also Nachahmung in einem weiteren Sinne, zu vermeiden. Wer sich auskennt, weiß, dass es dabei nicht um die allgemeine Veröffentlichung von Suizidzahlen geht.
Diese Zahlen sind kein Wunder angesichts enorm hoher Raten psychischer Erkrankung. 44 Prozent der Inhaftierten weisen einen problematischen Drogenkonsum auf, 40 bis 70 Prozent andere psychische Störungen. Dafür gibt es nur wenige Psycholog:innenstellen. In der JVA Billwerder betreut ein:e Psycholog:in 172 Inhaftierte. Wie die Justiz den im Strafvollzugsgesetz festgehaltenen Auftrag, »die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen«, erfüllen soll, bleibt ihr Geheimnis. Denn viele Gefangene werden aufgrund ihrer psychischen Störungen und Sucht straffällig. Infizierte Gefangene, die nicht arbeiten können, haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung für den Verdienstausfall. Der ist auch nicht besonders hoch. Inhaftierte verdienen etwa 1,50 bis 2,80 Euro pro Stunde, bei einer 34-Stunden-Woche.
Grüne Justizpolitik
Trotz einiger überraschender Maßnahmen wie der kurzzeitigen Handyeinführung und der Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafen ist die Justizpolitik in Hamburg wenig progressiv. Die Umstrukturierung Anfang der Nullerjahre durch den damaligen Justizsenator Roger Kusch (damals CDU) und den damaligen Innensenator Ronald Schill ging weg von kleinen spezialisierten und auf die Freiheit ausgerichteten Haftanstalten hin zu riesigen geschlossenen Großanstalten. Die JVA Billwerder-Moorfleet war als Ersatz für die recht offenen Anstalten auf dem ehemaligen KZ-Gelände Neuengamme geplant, die 2006 nach jahrelangem Protest endlich geschlossen wurden. Es sollte eine offene JVA werden, doch Schill änderte das Konzept und fügte eine hohe Mauer, einen Zaun und einen Graben hinzu. Heute erhalten Insass:innen nur ausnahmsweise Lockerungsausgänge. Der Frauenvollzug auf der Elbinsel Hahnöfersand wechselte ebenfalls nach Billwerder und ist baulich kaum von den Männern abgetrennt. 2025 kommt noch der Jugendvollzug hinzu, der derzeit ebenfalls auf Hahnöfersand ist.
Es handelt sich also um eine ziemlich geschlossene Großanstalt für Gruppen, die laut Gesetz möglichst getrennt sein sollten. Seitdem änderten weder CDU-Justizsenatoren noch der Grüne Till Steffen in seinen drei Amtszeiten etwas an der Grundstruktur des Hamburger Vollzugs. Kuschs Linie wird noch Jahrzehnte, wenn nicht länger, Hamburgs Knäste dominieren. Die aktuelle Justizsenatorin Anna Gallina war vor ihrem Amtsantritt völlig unerfahren in Justizangelegenheiten. Privat ist sie hingegen von Betrugsermittlungen gegen ihren Ex-Mann betroffen und muss sich einer Verleumdungsklage, angestrengt von ehemaligen Parteifreund:innen, stellen.
Corona geht, der Justizvollzug bleibt, wie er ist
Falls Corona dann doch endlich bald vorbei sein sollte, kehrt die Gesellschaft erleichtert zurück zur schlechten Normalität und mit ihr der Justizvollzug. Trotz der vielgelobten aber zeitlich befristeten Experimente mit der Aussetzung von Ersatzfreiheitsstrafen oder der Einführung von Mobiltelefonen wird der Hamburger Vollzug sich erleichtert zurücklehnen und nichts daraus lernen wollen. Mit der Erinnerung an die Lockdowns wird das kurzfristig gestiegene öffentliche Interesse an den tatsächlich Eingesperrten versanden, denen man sich plötzlich so nahe fühlte durch die Restriktion auf die eigenen 90 Quadratmeter. Wer in dieser Zeit im Knast war, wird noch weiter weg von der gemeinschaftlichen Erinnerung an leere Straßen und selbstgenähte Masken sein.
Wie es den Inhaftierten so genau geht, weiß niemand – erhoben oder erfragt wird das nicht. Hamburg präsentiert nicht einmal Rückfallzahlen. Die gibt es zwar für alle Bundesländer, sie werden aber in vielen Fällen, so auch Hamburg, nicht veröffentlicht. Auch sonst weiß man wenig über die da drinnen. Abgesehen von Alter, Geschlecht und Nationalität erhebt die Justiz nicht einmal, wie viele Menschen beispielsweise jährlich eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Genauere Daten könnten ja zeigen, dass da überwiegend die ungebildete, arme und kranke Unterschicht im Knast sitzt und kaum besser raus- als reinkommt. Diese Probleme sind nicht nur einzelnen verbohrten Knastleitern oder ahnungslosen Justizsenatorinnen anzulasten, sondern einer Gesellschaft, die für Kriminelle kein Geld ausgeben will. Bessere Gesundheitsversorgung oder Bildungsmaßnahmen für Knackis? Wer sitzt, sei selbst schuld.
Das scheint auch für Linke zu gelten, die sich nur dann für diese geschlossene Institution interessieren, wenn ihre eigenen Leute hineingeraten (RAF/G 20) oder wenn es um Transgendermenschen hinter Gittern geht. Mit den gewöhnlichen inhaftierten Männern und Frauen, die mit Gendersternchen und Ähnlichem nichts anfangen können, wollen Linke nichts zu tun haben. Denn diese Ausgeschlossenen sind ganz überwiegend weder achtsam noch linksprogressiv, zwar mit Migrationshintergrund, aber rassistisch, nehmen zwar auch Drogen, aber aus Verzweiflung und nicht aus Hedonismus, sind gewalttätig, weil selbst von Gewalt betroffen. Und wer überall mehr Regeln fordert, wird auch keinen Begriff dafür haben, wie Gesellschaft, Recht, Gesetz und Freiheitsstrafen zusammenhängen und sich dafür auch nicht interessieren.
Hannah Hennings, Februar 2022
Die Autorin hadert mit ihrem Job als Sozialarbeiterin genauso wie mit ihrem Wohnort Hamburg.