»Man sah uns von Beginn an als Feinde«
Die Emanzipatorische Linke.Shalom Hamburg protestiert immer wieder gegen die politische Verharmlosung des IZH. Dabei erhielt sie zuletzt sogar Gegenwind aus der eigenen Partei. Jan Vahlenkamp, einer ihrer Sprecher:innen, erklärt im Interview mit Felix Jacob warum die Hamburger LINKE sich gegen eine Kundgebung der Gruppe stellte und wieso er nun aus der Partei austritt.
Untiefen: Lieber Jan, das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) steht derzeit öffentlich in der Kritik wie lange nicht mehr. Anlässlich der Diskussion um den Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden und, in den letzten Wochen, um einen möglichen Platz für die Schura im NDR-Rundfunkrat ist der Außenposten des iranischen Mullah-Regimes der zentrale Streitpunkt zwischen FDP, CDU und AfD einerseits, SPD und Grünen andererseits. Ihr als Emanzipatorische Linke.Shalom Hamburg beteiligt euch unabhängig von solchen Konjunkturen schon seit langem immer wieder an den Protesten gegen das IZH. Wie bewertet ihr die aktuelle politische Lage? Mit wem arbeitet ihr zusammen?
Vahlenkamp: Wenn die Politik das IZH und den Staatsvertrag thematisiert, dann ist das gut. Wenn das zu einem oberflächlichen Wahlkampfthema zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Bürgerschaft wird, dann ist das schlecht. Ich glaube aber gar nicht, dass das der Fall ist. Auch bei den Grünen wird ja über das IZH diskutiert. Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Gudrun Schittek hat schon mal einen Redebeitrag auf einer der Kundgebungen gehalten, ebenso wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck. Ich habe auch schon Leute von der AG Säkulare der Linken dort gesehen. Die linksliberale Mopo schreibt recht kritisch über das IZH und der SPD-nahe Sascha Lobo hat die Staatsverträge in seiner Spiegel-Kolumne auch schon kritisiert. Ich glaube, da ist einiges in Bewegung.
Bei uns gibt es personelle Überschneidungen mit der »Deutsch-Israelischen Gesellschaft«, die sich zu dem Thema recht klar positioniert. Außerdem haben wir Kontakt zum »Bündnis gegen Antisemitismus Kiel«, die jedes Mal anreisen, wenn gegen das IZH demonstriert wird. Wir arbeiten auch mit den Gruppen »International Women in Power« und »Nasle Barandaz« zusammen, die jeweils Kundgebungen gegen das IZH organisiert haben. Dasselbe gilt auch für den »Zentralrat der Ex-Muslime«.
Untiefen: Am 07. August fand unter dem Motto »1400 Jahre Genozid im Iran – IZH muss geschlossen werden« erneut eine Kundgebung gegen das IZH statt, organisiert von der iranischen Hamburger Gruppe Nasle Barandaz (»Subversive Generation«), mitgetragen von euch. Sie wurde im Vorfeld vom IZH und einigen Zeitungen als »antimuslimische Hetze« diffamiert. Geht diese Strategie eurer Erfahrung nach auf?
Vahlenkamp: Das glaube ich kaum. Ich selbst habe durch die Pressemeldung überhaupt erst davon erfahren, dass da eine Kundgebung geplant ist. Wir haben dann schnell entschieden, dass wir uns öffentlich hinter die Kundgebung stellen, auch wenn uns das Motto etwas fraglich erschien. Hinterher gab es dann ja auch einen ziemlich sachlichen Bericht im Hamburg Journal des NDR. Wenn Leute bereit sind, einfach mal zuzuhören, verpuffen solche Diffamierungen recht schnell.
Ein Beispiel: Vor fünf Jahren hatte die Linksjugend Solid Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime eingeladen. Die Veranstaltung wurde im Vorfeld stark kritisiert und es wurde behauptet, Mina Ahadi sei eine Rassistin. Ich kenne eine Genossin, die damals auch in diese Richtung polemisiert hat. Heute steht dieselbe Genossin mit Mina Ahadi zusammen auf der Bühne und beide applaudieren einander.
Untiefen: Wie ist das Motto »1400 Jahre Genozid im Iran« denn eurer Meinung nach zu verstehen?
Die Veranstalter:innen der Kundgebung ziehen hier den Bogen von der Eroberung des Sassanidenreiches im 7. Jahrhundert hin zur Islamischen Republik von heute. So eine Eroberung war natürlich nicht unblutig und die Islamisierung nicht das Ergebnis einer friedlichen Mission. Und bis heute dürfen Iraner, bei Androhung drakonischer Strafen, ihre Religion nicht frei wählen, sie bleiben zwangsislamisiert. Dies wird von manchen als kultureller Genozid angesehen, bei dem der Islam als Ideologie die iranische Nation unterdrückt. Eine solche Sichtweise hat schon etwas Nationalromantisches. Aber wie so oft können wir hier schlecht deutsche Maßstäbe an ein Land legen, dass eine ganz andere Geschichte, Gegenwart, Gesellschaft und Politik vorzuweisen hat. Und dieses Land, also der Iran, hat die Veranstalter:innen nun mal entscheidend geprägt. Die meisten von ihnen sind erst vor wenigen Jahren als Flüchtlinge hierher gekommen.
Untiefen: Vor gut zwei Wochen wurden von Unbekannten politische Parolen auf das IZH gesprüht, offenbar im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Regime in der Provinz Khuzestan. In der Presse war von einem»Anschlag auf eine Moschee« die Rede. Teilt ihr diese Perspektive?
Vahlenkamp: Ein Farbanschlag ist kein Mittel eines demokratischen Diskurses. Dafür stehen andere Mittel zur Verfügung.
Ich kann auch verstehen, dass Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sich hier mit der Schura solidarisiert hat. Synagogen sind ja sehr oft von Farbanschlägen und ähnlichem betroffen und wenn diese Gebäude nicht so aufwändig geschützt wären, dann wären sie es wohl noch viel häufiger. Diese Anschläge wirken bedrohlich und einschüchternd – und das ist ja auch beabsichtigt. Auch Moscheen waren in den letzten Jahren immer wieder das Ziel von xenophoben Angriffen, seien es Brandanschläge oder das Ablegen von Schweineköpfen oder ähnliches. Für so etwas habe ich absolut kein Verständnis.
Beim IZH ist der Fall aber meines Erachtens nach etwas anders gelagert. Es ist ja offensichtlich, dass die Tat durch iranische Dissidenten begangen wurde. Die Parolen waren in persischer Sprache und hatten politischen, auf den Iran bezogenen Inhalt. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Iran eines der sehr wenigen Länder auf der Welt ist, wo Klerus und politische Machthaber nicht bloß eng miteinander verstrickt sind, sondern wo der Klerus selbst die politische Macht innehat. Hier haben sich also Leute quasi an ihren Unterdrückern gerächt und ich denke, das ist etwas anderes, als wenn man einer Minderheit Angst einjagen möchte. Im Iran würde man für so etwas seinen Kopf verlieren, hier droht nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.
Untiefen: Auch die Bürgerschaftsfraktion der Linken hatte vor der Demo in einer Pressemitteilung behauptet, hier würde – grade nach dem genannten »Anschlag« – »gezielt Stimmung gemacht gegen Hamburgs muslimische Bürger:innen« und so das »Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen« in Hamburg gefährdet. Ihr habt diese Darstellung zurückgewiesen. Hat eure Partei in Hamburg eine grundsätzlich andere Haltung zum IZH als ihr?
Vahlenkamp: Die Linke hat ja überhaupt keine Position zum IZH. Arbeit, Wirtschaft und Soziales – das sind die Themen der Linken. Aber weder zum Thema IZH noch zum Thema Islamismus stand irgendetwas im Bürgerschaftswahlprogramm. Darauf angesprochen heißt es dann meist, man wolle keine rechten Diskurse bedienen. Viele verstehen einfach nicht, dass die rechten Diskurse durch das Ignorieren solcher Themen erst recht bedient werden. Diese Unbedarftheit sah man ja auch der Pressemitteilung an. Da wurde die Haltung und Sichtweise der Schura einfach übernommen. Dann haben wohl ein paar Leute dort angerufen und sich beschwert. Daraufhin wurde die Pressemitteilung schnell wieder kommentarlos aus dem Internet entfernt.
Zumindest ein Teil der Linken hegt aber auch mehr oder weniger offen Sympathie mit der Islamischen Republik Iran. Das wirkt natürlich erstmal grotesk, weil es ein strikt antikommunistisches Regime ist. Aber es ist eben auch ein erklärter Feind des »US-Imperialismus« und das ist manchen im Zweifel wichtiger. Besonders die Gruppe Marx21 hat ja immer besonders viel Verständnis für Islamisten aller Couleur. Ich glaube, sie tun das, weil sie den westlichen Liberalismus als gemeinsamen Feind ansehen. Im Fall Iran kommt aber auch noch mit hinzu, dass das Land beste Beziehungen zu den ALBA-Staaten und Putins Russland hat. Von daher hat das Regime für manche Linke den Status eines Verbündeten und da hält man sich dann mit Kritik zurück.
Untiefen: Gibt es aus der Hamburger Linkspartei Belege für solche Haltungen?
Vahlenkamp: Ja, zum Beispiel postete die Bürgerschaftsfraktion 2017 zum »Internationalen Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Transphobie« bei Facebook einen Aufruf und erinnerte daran, dass viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung flüchten müssen. Darauf folgte eine Liste solcher Unterdrückerstaaten, wie etwa Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Auffällig war aber, dass der Iran, der auch beim Thema Homosexualität der Hinrichtungsweltmeister ist, auf der Liste fehlte, ebenso wie Russland. Dafür stand dort die Ukraine, obwohl dort homosexuelle Handlungen gar nicht verboten sind und sich seit dem Euromaidan die Politik für mehr Toleranz einsetzt. Es waren ausschließlich prowestliche Staaten auf der Liste verzeichnet. Ich fragte dann nach, ob dieses Weglassen der Achse Moskau-Teheran-Damaskus geschuldet sei.
Das Presseteam antwortete: »Das Engagement der LINKEN gegen Diskriminierung ist universell und nimmt weder Rücksicht auf irgendwelche konstruierten ›Achsen‹ noch auf den Iran, auf Russland oder auf sonstwen. Und auch nicht auf diejenigen, die meinen, der LINKEN bei wirklich jeder Gelegenheit die übelsten Absichten unterstellen zu müssen.« Erst Jahre später erfuhr ich von der damaligen Praktikantin, die den Aufruf geschrieben hatte, dass in der ursprünglichen Liste natürlich auch Iran und Russland standen. Allerdings hatte der damalige queerpolitische Sprecher Martin Dolzer die Liste vor der Veröffentlichung abgeändert. Dolzer gehört zu einem Kreis von Putin-Lobbyisten, die oft in Russland zu Gast sind. Und die stehen dann eben auch zu Putins Alliierten.
Untiefen: Die israelsolidarischen Shalom-Arbeitskreise wie ihr waren von Anfang an marginal in der Linksjugend Solid und Dissens besteht sicher nach wie vor in einer ganzen Reihe von Fragen. Wie ist heute das Verhältnis zur Linksjugend?
Vahlenkamp: Der BAK Shalom in der Linksjugend Solid hatte zu Beginn einen schweren Stand, auch wenn das in den einzelnen Landesverbänden unterschiedlich ausgeprägt war. Er wurde natürlich immer vor dem Hintergrund der »AntiD-Antiimp« Kontroverse gesehen. Aber dann gab es 2014 die von der Linksjugend Solid organisierte Demo »Stoppt die Bombardierung Gazas – für ein Ende der Eskalation im Nahen Osten« in Essen. Daran nahmen höchst zweifelhafte Gestalten teil, die antisemitische Sprechchöre riefen, jüdische Einrichtungen anzugreifen versuchten und Gegendemonstranten mit Flaschen bewarfen. Das war eine Art Schockmoment, der dazu führte, dass im Jahr darauf der Antrag »Gegen jeden Antisemitismus« vom Bundeskongress der Linksjugend Solid beschlossen wurde.
Ich glaube, das war das erste Mal, dass ein Antrag vom BAK Shalom angenommen wurde. Heute sind die Strukturen des BAK Shalom relativ gut eingebunden in die Arbeit der Linksjugend Solid, was man ja auch an der diesjährigen Erklärung »Trauer um die Toten – Hass für die Hamas!« erkennen kann. Da haben sich einige aus der jüdischen und israelsolidarischen Community gewundert, dass so etwas von den Linken kommt. Die denken ja oft, dass wir ihnen feindlich gesonnen sind. Ich sehe den Jugendverband insgesamt auf einem guten Weg, auch wenn es vor Ort weiterhin sehr unterschiedlich bleibt.
Untiefen: Und wie sieht es hier in Hamburg für Euch aus?
Vahlenkamp: Hier hapert es nicht zuletzt mit der innerparteilichen Demokratie. Vor zwei Jahren haben wir uns als hamburgischer Landesverband der Emanzipatorischen Linken zusammengeschlossen, nachdem wir zunächst drei Jahre unter dem Dach des BAK Shalom im Jugendverband organisiert waren. Die Emanzipatorische Linke ist eine innerparteiliche Strömung, die sich an gesellschaftsliberalen, radikaldemokratischen und emanzipatorischen Standpunkten orientiert. Der Landesvorstand der Linken wollte uns zunächst gar nicht als Zusammenschluss anerkennen, obwohl er laut Satzung zur Anerkennung verpflichtet ist, wenn die formalen Kriterien erfüllt sind. Dementsprechend konnte die Landesschiedskommission den Nicht-Anerkennungs-Beschluss schnell wieder aufheben.
Aber man sah uns im Landesvorstand wohl von Beginn an als Feinde. Unser Antrag an den Landesparteitag 2020, »Keine Liebesgrüße nach Moskau«, der sich kritisch mit Putins Kriegspolitik auseinandersetzte, wurde von der Antragskommission »versehentlich« layouttechnisch dermaßen zerhackt, dass er kaum noch lesbar war, bevor der Parteitag dann die Nichtbefassung beschloss. Im Frühjahr 2021 haben wir eine Online-Veranstaltungsreihe zu Verschwörungsmythen gemacht. Dafür bekamen wir von der Partei ein wenig Geld, was allerdings im Nachgang zu wüsten Debatten im Landesvorstand führte. Lustigerweise hatte niemand inhaltlich etwas an der Veranstaltungsreihe auszusetzen, aber es wurde ein großer Alarm gemacht, dass man damit ja »Antideutsche« unterstützen würde.
Untiefen: Zieht ihr aus solchen und den neusten Enttäuschungen rund um die Kundgebung politische Konsequenzen?
Ich bin gerne bereit, mit allen und über alles zu diskutieren. Aber dann möchte ich über Fakten sprechen und nicht über gestreute Gerüchte oder Dogmen, die sich Leute in den 1970er Jahre so angewöhnt haben. Wenn man sich gegen Antisemitismus einsetzt, hat man ja automatisch eine Menge Feinde, ob nun aus der Nazi-Szene, aus islamistischen Zirkeln oder in den letzten Jahren vermehrt auch aus dem Aluhut-Milieu. Da kann man dann nicht auch noch »Friendly Fire« aus der eigenen Partei gebrauchen. Außerdem haben wir natürlich eine gewisse Verantwortung gegenüber unseren Sympathisanten, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben. Allein bei Facebook folgen uns über 800 Leute. Die meisten sind parteilich nicht gebunden. Die kommen dann zu unseren Infoveranstaltungen und Demos, lesen unsere Texte, hören unsere Redebeiträge und denken sich: »Oh, es gibt stabile Leute in der Linken. Dann wähle ich die.«
Aber wen wählen sie damit in Hamburg? Sie wählen die Spitzenkandidatin Żaklin Nastić. Also die Frau, die Angela Merkel wegen »Beihilfe zum Mord« angezeigt hat, weil sie die Liquidierung des Topterroristen Qasem Soleimani nicht verhindert hat. So ein Vorgehen ist zum einen ziemlich gaga, zum anderen zeigt es aber auch, wo die »Sprecherin für Menschenrechtspolitik« so ihre Prioritäten sieht und bei wem ihre Sympathien liegen. Dann will man aufspringen und schreien: »Nein, nein, wählt sie nicht!« Ich fühle mich da wie Oskar Lafontaine, der ja mittlerweile auch zur Nicht-Wahl der Linken aufruft, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Ich möchte aber authentisch bleiben und trete dann konsequenterweise aus der Partei Die Linke aus. Ich finde mich weder in der Außenpolitik noch in dem ganzen Dogmatismus der Linken heute noch wieder.
Untiefen: Planst Du in eine andere Partei einzutreten? Oder setzt Du deine Arbeit parteilos fort?
Vahlenkamp: Ich sehe mich heutzutage als Sozialliberalen. Und als solcher stimme ich am ehesten mit den Positionen von Bündnis90/Die Grünen überein. Deshalb werde ich dort demnächst einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Ein »Parteisoldat« werde ich aber in diesem Leben wohl nicht mehr. Dafür habe ich dann doch zu oft meinen eigenen Kopf. Glücklicherweise leben wir aber ja in einer Gesellschaft, in der es vielfältige Möglichkeiten gibt, sich einzubringen. Und das werde ich sicherlich auch weiterhin tun.
Untiefen: Danke für das Gespräch!