Ein Ort der Schlechtigkeit
In Hamburg steht seit 1906 das weltweit größte Bismarck-Denkmal. Dass es von der Stadt nun teuer saniert wurde, hat eine Debatte um die Umgestaltung des Denkmals und Hamburgs Umgang mit seiner Kolonialgeschichte ausgelöst.
Das Bismarck-Denkmal im Hamburger Elbpark ist in Schieflage geraten. Zunächst einmal ganz materiell: Erbaut zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem von Hamburger Kolonialkaufleuten unter Beifall völkischer Verbände, wurden die Gewölbe unterhalb des Denkmals im Zweiten Weltkrieg mit mehreren tausend Tonnen Beton verstärkt und zu einem Luftschutzbunker umfunktioniert. Der Beton war für die Statik zu viel. Risse entstanden, Wasser drang ein, die Statue neigte sich und galt bisweilen als einsturzgefährdet. Der Zugang zum Bunker, den allerlei nationalsozialistische Wandmalerei ziert, etwa ein Sonnenrad mit Hakenkreuz und ein markiger Spruch über die »germanische Rasse«, wurde in den fünziger Jahren für die Öffentlichkeit gesperrt. In den sechziger Jahren erfolgte der Denkmalschutz und bewahrte die Statue vor einem angedachten Abriss. In den folgenden Jahren blickte das weltweit größte Denkmal seiner Art – mal mehr, mal weniger beachtet von alten und neuen Nazis; mal mehr, mal weniger kritisiert – gen Westen über den Hamburger Hafen. Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts kam erneut Bewegung in die Sache: Unter anderem Johannes Kahrs, Burschenschafter und ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, setzte sich für eine Sanierung der Statue ein. Seit 2020 wird das Denkmal für fast neun Millionen Euro saniert. Zunächst wurde die Bismarckstatue rund zwei Monate lang vom Schmutz und Dreck, der sich in den letzten Jahrzehnten abgelagert hatte, gereinigt. Nach der nun erfolgenden baulichen Instandsetzung soll unter anderem der Bunker unter dem Denkmal wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und »über die Geschichte und Bedeutung des Denkmals informiert« werden, so ein Aushang an der Baustelle.
Bis hierhin liest sich dies geradezu als Allegorie deutscher Geschichte und des deutschen Umgangs mit selbiger. Das Ansehen Bismarcks und des Kaiserreichs hat Risse bekommen, da war mal was mit Nazis; in der frühen Bundesrepublik folgte dann notdürftiges Abdichten, Verdrängen und Verschließen, später ein wenig Kritik und schließlich: Öffnen, Ausstellen, Auseinandersetzen. Aber letzteres auch nur mit den NS-Hinterlassenschaften im Keller, während oben darüber das Kaiserreich gekärchert wird: Kultursponsoring im »Niederdruck-Partikelstrahlverfahren« made in Germany – und bereits erprobt am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta Westfalica. Reinigungsrituale, die sich einreihen lassen in den neuerlichen Hype um die ›heile Welt‹ des Wilhelminismus, den damit verbundenen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und das im Jahr 2021 begangene 150jährige Jubiläum des Kaiserreichs.
Bismarck und die koloniale Amnesie der Deutschen – noch mehr Verdrängtes kehrt wieder
Nun ist das Bismarck-Denkmal nicht nur materiell in Schieflage geraten: Im Zuge der von den USA ausgehenden, sich weltweit formierenden Black-Lives-Matter-Protesten im Jahr 2020 und den mit ihnen einhergehenden Denkmalstürzen – prominentester Fall: die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Bristoler Hafenbecken – gerieten auch der Hamburger Bismarck und seine Sanierung in den Blick der Bewegung. Initiativen wie Decolonize Bismarck riefen im Sommer 2020 zu einer Demonstration zu Füßen des Eisernen Kanzlers auf. Die postkoloniale Kritik am Denkmal, seiner Sanierung und weit über dieses hinaus zielt unter anderem auf die koloniale Amnesie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die weißen Narrative in Schulbüchern, die Nichtbeteiligung von BIPoCs an der Debatte und im konkreten Bezug auf Bismarck: seine Verstrickung in den europäischen Kolonialismus. Nicht zuletzt war Bismarck treibende Kraft der sogenannten Kongo-Konferenz 1884/1885 und damit der Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter europäischen Kolonialmächten. Neben den lange Zeit im Kellergewölbe verschlossenen Hinterlassenschaften nationalsozialistischer Herrschaft wurden auch die kolonialen Verstrickungen Deutschlands in die Tiefen des kollektiven Unbewussten verdrängt. Sie sollen nun aufgearbeitet werden.
Diese Kritik und die damit einhergehenden Forderungen, die indes schon in der Debatte um das Berliner Stadtschloss und anderswo zu hören waren, sind mit Nachdruck zu unterstreichen und zu unterstützen. Und es ist das Verdienst dieser Kritik, dass die aberwitzig teure Sanierung des Denkmals überhaupt dermaßen in Verruf geraten ist. Fraglich ist nur der bisweilen in den Forderungen anmutende Anspruch auf Alleinvertretung einer postkolonialen Perspektive. Das Bismarck-Denkmal, so ist es einem Arbeitspapier der Initiative Decolonize Bismarck zu entnehmen, sei »auch ein Kolonialdenkmal« und entsprechend sollten an der Debatte um Neu- oder Umgestaltung des Denkmals die »Nachkommen der Kolonisierten, die diasporischen BIPoC-Communities ebenso maßgeblich beteiligt werden wie die Opferverbände aus den ehemaligen Kolonien und die zivilgesellschaftlichen Initiativen«. Jenes auch im zitierten Papier scheint im Hinblick auf die angeführte Begründung bald hinfällig: Das Denkmal erinnere nicht an Bismarck als Reichsgründer, sondern sei »als Dank der hiesigen Kaufmannselite für die Gründung von Kolonien« zu verstehen, es sei damals nicht um Patriotismus, sondern um Wirtschaftsförderung gegangen. »Erst mit einer solchen globalhistorisch verorteten Analyse lässt sich die Bedeutung des Monuments verstehen, debattieren und ein weiterer angemessener Umgang mit ihm begründen.«
Nicht in Stein gemeißelt, oder: Für eine emanzipatorische Geschichtspolitik
Worin liegt das Problem? Es ist zunächst einmal diese in einer ansonsten dekonstruktivistisch informierten Perspektive aufscheinende Eigentlichkeit. So als hätte ein Denkmal eine ihm eigentümliche, in Stein gemeißelte Bedeutung. Könnte ein Denkmal, und das hier betrachtete im Besonderen, nicht vielmehr als ein gleitender Signifikant begriffen werden, dessen Bedeutung immer prekär und instabil ist? Würde dies nicht erklären, warum es einerseits so attraktiv für alte und neue Nazis war und ist und warum andererseits der Umgang mit der Statue bisweilen von derartiger Unbekümmertheit gekennzeichnet ist? Bismarck und das ihm zu Ehre gebaute Denkmal waren eben immer auch Projektionsflächen für verschiedenste reaktionäre und nationalistische Sehnsüchte. Diese Rezeptionsgeschichte ist nicht ohne Weiteres vom Denkmal zu trennen und sollte auch Gegenstand der Kritik bilden. Denn mit dem Hinweis auf die ›eigentliche Bedeutung‹ des Denkmals verschiebt sich zudem die Diskussion hin zu der Frage nach dessen vermeintlich fixierbarem Signifikat und damit zur trügerischen Faktizität historischer Debatten, in denen tatsächlich aber normative Geschichtsbilder verhandelt werden. War Bismarck nun ein Rassist oder hält »die Identifizierung des Kolonialpolitikers Bismarck als Rassist einer genaueren Prüfung nicht stand«? Letzteres schreibt der Historiker und Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung Ulrich Lappenküper für die Konrad Adenauer Stiftung und fügt hinzu, dass es bei den Denkmälern auch weniger um den Kolonialpolitiker gehe, »denn um den Reichskanzler, der Deutschland Einheit und Freiheit gebracht hatte«.
Die Engführung des Denkmals auf die historische Figur Bismarck und seine Rolle als Kolonialpolitiker eröffnet erst den Raum für Kritik von konservativer sowie rechter Seite und ermöglicht die Bewertung Bismarcks als »ambivalente historische Figur«, wie Lappenküper schreibt, der im selben Atemzug vor Cancel Culture warnt – schließlich müsse der Reichskanzler auch aus seiner Zeit heraus bewertet werden. Nun ist es vor dem Hintergrund von einer Kanzlerkultur der sogenannten Sozialistengesetze und der Verfolgung von Sozialist:innen und Kommunist:innen verwunderlich, gerade mit Bismarck gegen eine vermeintliche Cancel Culture zu argumentieren. Verwiesen werden müsste auch auf die antipolnische Politik Bismarcks: etwa die ab 1885 in die Wege geleitete Ausweisung von über 30.000 Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, was zumeist Polen und Juden betraf; oder die 1886 erfolgte Begründung der sogenannten Ansiedlungskommission, die bisweilen als erste ethnisch motivierte bevölkerungspolitische Maßnahme innerhalb Europas gilt. Indes werden diese nach Osten gerichteten Politiken in jüngerer Zeit auch als Ausdruck eines kontinentalen, mit dem überseeischen verwobenen Kolonialismus verstanden. Von all dem will indes die Hamburger AfD nichts wissen und setzt sich mit einem pathetischen Video dafür ein, ein Bild Bismarcks als »Kanzler der Einheit« zu installieren.
Für ein Verständnis von Geschichtspolitik als normatives Narrativ
Aber geht es nun um Bismarck als historischen Akteur und darum, wie er denn nun eigentlich war und warum er handelte, wie er handelte? Und geht es darum, zu fragen, wer das Denkmal eigentlich aufstellte und wofür? Ginge es nicht vielmehr darum, sich zur Normativität geschichtspolitischer Debatten zu bekennen und diese aktiv zu gestalten? Darunter kann verstanden werden, nicht zu versuchen, die ›eigentliche‹ Rolle Bismarcks zu fixieren, ihn nicht ›aus seiner Zeit heraus‹ verstehen zu wollen, aber eben auch nicht die vermeintlich eigentliche Bedeutung des Denkmals in den Vordergrund zu rücken.
Es geht um die Installation eines Narrativs, eines notwendigerweise normativen, idealiter emanzipatorischen und auf Gegenwart wie Zukunft gerichteten Geschichtsbildes. Einerseits müsste genau darin die koloniale Amnesie der Deutschen und das Verdrängen kolonialer Gräueltaten sichtbar werden – dem stimmt allerdings auch Lappenküper zu (der blinde Fleck »in der deutschen Erinnerungskultur [muss] beseitigt werden«, bekennt er). Andererseits ginge es wohl auch darum, Sand in das Getriebe der deutschen Wiedergutmachungsmaschine zu streuen und etwa die Rezeption des Denkmals zwischen Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Bundesrepublik zu kritisieren. Das (neue) Bismarck-Denkmal sollte keine Wohlfühloase deutscher Aufarbeitungsweltmeister:innen werden, sondern zu dem werden, was es immer schon war: ein Ort der Schlechtigkeit. Gerade als solcher kann aber das Denkmal in seiner Negation für vieles stehen, was emanzipatorische Politik verspricht. Ob das Denkmal dann am Ende abgerissen wird und etwas anderes an seiner Stelle entsteht, oder ob es in einer anderen Form gebrochen wird, ist dabei zunächst zweitrangig.
Johannes Radczinski, Mai 2021
Der Autor studiert Kulturwissenschaften in Lüneburg, lebt aber in Hamburg. Dort radelt er fast täglich am Bismarck-Denkmal vorbei und hofft (nicht nur deshalb!) auf dessen baldige Umgestaltung.
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