„Der Antifeminismus hat heute eine Scharnierfunktion“

„Der Antifeminismus hat heute eine Scharnierfunktion“

Mit Femi­nis­mus kann heute Staat gemacht wer­den. Zugleich schei­nen anti­fe­mi­nis­ti­sche Posi­tio­nen in den Main­stream vor­zu­drin­gen. Und auch die Gewalt gegen Frauen, Les­ben, Inter- und Trans­per­so­nen sowie Agen­der nimmt zu. Der Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Flo­rian Hes­sel forscht zu Anti­fe­mi­nis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Ver­schwö­rungs­vor­stel­lun­gen, und ist Mit­glied des poli­ti­schen Bil­dungs­ver­eins Bag­rut e.V. Im Gespräch mit Untie­fen erklärt er, wie Anti­fe­mi­nis­mus heute funk­tio­niert und wer ihn in Ham­burg verbreitet.

Flo­rian Hes­sel beim Inter­view in der Zen­tra­len Biblio­thek Frau­en­for­schung, Gen­der und Queer Stu­dies. Foto: Untiefen

Untie­fen: Lie­ber Flo, Du hast Ende Juni in der Zen­tra­len Biblio­thek Frau­en­for­schung, Gen­der und Queer Stu­dies zusam­men mit Rebekka Blum sowie mit Ham­burg ver­netzt gegen Rechts eine Ver­an­stal­tung orga­ni­siert unter dem Titel „Anti­fe­mi­nis­mus (als anti­de­mo­kra­ti­sche Her­aus­for­de­rung) – All­tag und poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung in Ham­burg”. Wir wür­den dazu gern ein paar Fra­gen ver­tie­fen und eure Ein­schät­zun­gen in Bezug auf Ham­burg auch jen­seits der Ver­an­stal­tung zugäng­lich machen. Zunächst würde uns aber inter­es­sie­ren wie Du eigent­lich, per­sön­lich und als Sozi­al­wis­sen­schaft­ler, zum Thema Anti­fe­mi­nis­mus gekom­men bist?

Flo­rian Hes­sel: Dafür war einer­seits ein per­sön­li­cher Kon­takt wich­tig: Meine Ver­eins­kol­le­gin Janne Misie­wicz hat ihre Bache­lor­ar­beit über die Bezie­hung von Anti­fe­mi­nis­mus und Anti­se­mi­tis­mus geschrie­ben und wir haben viel dis­ku­tiert und uns dann ent­schlos­sen, dazu gemein­sam einen Text zu schrei­ben. Auf der ande­ren Seite ist Anti­fe­mi­nis­mus ganz all­ge­mein in den letz­ten 10 Jah­ren viel sicht­ba­rer und wirk­mäch­ti­ger gewor­den. Die Grün­dung und Ent­wick­lung der AfD ist ein Grund dafür, aber viele andere Ent­wick­lun­gen spie­len mit hin­ein. Und als Per­son, als Wis­sen­schaft­ler, der sich im pro­gres­si­ven Spek­trum und als Femi­nist ver­or­tet, fühle ich mich auch ver­pflich­tet, jeder Form von Men­schen­feind­schaft ent­ge­gen zu treten.

Untie­fen: Ihr habt bei der Ver­an­stal­tung ja sicher nicht zufäl­lig den Begriff „Anti­fe­mi­nis­mus“ in den Mit­tel­punkt gestellt, und nicht etwa Frau­en­feind­schaft oder Sexis­mus. Warum habt ihr die­sen Fokus gewählt und was ver­stehst Du, was ver­steht ihr unter Antifeminismus?

Hes­sel: Ich würde die Begriffe erst­mal grund­sätz­lich so sor­tie­ren: Sexis­mus bezieht sich immer in irgend­ei­ner Form auf geschlechts­be­zo­gene Unter­schiede, aber nicht zwangs­läu­fig auf Frauen. Das kann posi­tiv oder nega­tiv for­mu­liert wer­den. Die klas­si­schen Aus­sa­gen, also etwa, dass Frauen emo­tio­na­ler seien und Män­ner sach­li­cher und so wei­ter, schrän­ken – jetzt allein auf die Indi­vi­duen bezo­gen – Men­schen glei­cher­ma­ßen ein, zum Bei­spiel wenn man sich als Mann ver­steht und dann meint, keine Gefühle zei­gen zu dürfen.

Frau­en­feind­schaft und Anti­fe­mi­nis­mus hin­ge­gen rich­ten sich immer gegen Frauen. Von­ein­an­der unter­schei­den las­sen sie sich am bes­ten his­to­risch. Frau­en­hass beglei­tet die gesamte Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schichte, seit es patri­ar­chale Geschlecht­er­ord­nun­gen gibt. Anti­fe­mi­nis­mus ist dage­gen ein moder­nes Phä­no­men. Ursprüng­lich rich­tete er sich gegen den Kampf für das Frau­en­wahl­recht und die Gleich­be­rech­ti­gung von Frauen im Kai­ser­reich. Die deut­sche Publi­zis­tin Hed­wig Dohm hat mit ihrer Streit­schrift „Die Anti­fe­mi­nis­ten“ (1902) in die­sem Zusam­men­hang den Begriff erst­mals geprägt. Grund­sätz­lich defi­niert haben ihn dann Forscher:innen wie Her­rad Schenk in den 1980er Jah­ren und Ute Pla­nert in den 1990ern. Die Beschrei­bung, auf die man sich wis­sen­schaft­lich eini­gen kann, ist, dass Anti­fe­mi­nis­mus eine Reak­tion auf Bemü­hun­gen um Gleich­be­rech­ti­gung im Geschlech­ter­ver­hält­nis ist. Diese Defi­ni­tion bezieht sich also zum einen auf das Geschlech­ter­ver­hält­nis. Das mag uns zwar als tra­di­tio­nell und alt­her­ge­bracht erschei­nen. Aber was wir heute dar­un­ter ver­ste­hen, ist erst in der Moderne ent­stan­den, also die bür­ger­li­che Kern­fa­mi­lie, die nor­ma­tiv auf­ge­la­dene Arbeits­ver­tei­lung, die damit ver­bun­de­nen Geschlech­ter­rol­len und Rol­len­ste­reo­type und so wei­ter. Zum ande­ren geht es um die poli­ti­schen Kämpfe um Gleich­stel­lung, die auch ein Phä­no­men der Moderne sind.
Anti­fe­mi­nis­mus bezieht sich also ganz und gar auf die moderne, kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft und die eman­zi­pa­to­ri­schen Ten­den­zen in ihr. Als poli­ti­sche Bewe­gung rich­tet er sich offen gegen Gleich­be­rech­ti­gungs­be­mü­hun­gen. Ein his­to­ri­sches Bei­spiel ist der „Bund zur Ver­hin­de­rung der Frau­en­eman­zi­pa­tion“ im Kai­ser­reich. Auch heute gibt es solch einen orga­ni­sier­ten Anti­fe­mi­nis­mus, das hat etwa in der Grün­dung der AfD eine wich­tige Rolle gespielt. Noch wich­ti­ger als den Blick auf Anti­fe­mi­nis­mus als poli­ti­sche Bewe­gung finde ich aber, ihn auch als ein spe­zi­fi­sches Res­sen­ti­ment zu ver­ste­hen. Also als eine mit bestimm­ten Emo­tio­nen und Affek­ten auf­ge­la­dene und in ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen auf­tre­tende, pro­jek­tive Ableh­nung der Ver­un­si­che­rung und des Unbe­ha­gens im Geschlech­ter­ver­hält­nis in der Moderne.

Untie­fen: Du unter­schei­dest also zwi­schen dem Res­sen­ti­ment als Mas­sen­phä­no­men und dem orga­ni­sier­ten Anti­fe­mi­nis­mus, also den Leu­ten, die sich poli­tisch unter die­sem Ban­ner zusam­men­fin­den. Gibt es denn, auch in Ham­burg, so etwas wie eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Szene? Im Sinne von Leu­ten wie etwa Yan­nic Hendricks, die vor der Abschaf­fung des § 219a Ärzt:innen ange­zeigt haben, die Abtrei­bun­gen durch­füh­ren? Oder sind das in ers­ter Linie rechts­extreme Struk­tu­ren, die auch anti­fe­mi­nis­tisch sind? Wie wür­dest Du das einschätzen?

Hes­sel: Es gibt diese orga­ni­sier­ten Struk­tu­ren, auch in Ham­burg. Das genannte Bei­spiel ist ein klas­sisch anti­fe­mi­nis­ti­scher, frau­en­feind­li­cher Akteur. Zuerst aber: Gewalt gegen Frauen ist, auch in Ham­burg, weit ver­brei­tet. Für 2021 wur­den etwa 5000 Fälle von – teil­weise schwe­rer – Gewalt gegen Frauen gezählt. Und bei den Ham­bur­ger Frau­en­häu­sern suchen im Schnitt 4 Frauen pro Tag Hilfe, zugleich sind die Häu­ser durch­schnitt­lich zu 95 % belegt. Also oft voll­kom­men aus­ge­las­tet. Daher wird ja auch schon län­ger ein wei­te­res Frau­en­haus gefor­dert. Hof­fent­lich kommt das auch bald zu Stande.

Bevor wir zu kon­kre­ten anti­fe­mi­nis­ti­schen Akteur:innen in Ham­burg kom­men, ist es denke ich wich­tig noch etwas Kon­text her­zu­stel­len: Eine Beson­der­heit von Res­sen­ti­ments heute ist, dass sich fast nie­mand offen zu ihnen bekennt. Nie­mand will Ras­sist oder Anti­se­mit sein. Bei Anti­fe­mi­nis­mus ist das etwas anders: Er wird in der Öffent­lich­keit nur sehr sel­ten als Res­sen­ti­ment benannt, das Pro­blem ist wenig bekannt. Bestimmte Schlag­wör­ter wie „Gen­der­gaga“, „Gen­de­ris­mus“ oder „Frau­en­lobby“ sind in der Öffent­lich­keit ziem­lich frei im Umlauf, z.B. als Click­bait bei Spie­gel Online oder als Signal­wör­ter in sozia­len Medien. Anti­fe­mi­nis­mus hat daher heute eine starke Integrations- und Schar­nier­funk­tion, orga­ni­sa­to­risch aber auch ideo­lo­gisch. Die Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Juliane Lang oder auch die Sozio­lo­gin Rebekka Blum haben das gut her­aus­ge­ar­bei­tet, sie spre­chen auch von einer „Brü­cken­ideo­lo­gie“. Das heißt ein­mal, Anti­fe­mi­nis­mus tritt heute meis­tens nicht allein auf, son­dern ver­bun­den mit ande­ren anti­mo­der­nen Res­sen­ti­ments. Wie diese Ver­schrän­kun­gen in Bezug auf Anti­fe­mi­nis­mus und Anti­se­mi­tis­mus, aber auch Ver­schwö­rungs­vor­stel­lun­gen funk­tio­nie­ren, haben Janne Misie­wicz und ich – hof­fent­lich anschau­lich – an einem exem­pla­ri­schen Fall ana­ly­siert. Der Kern ist in jedem Fall die Behaup­tung, gesell­schaft­li­che Ver­än­de­rungs­pro­zesse oder soziale Bewe­gun­gen seien min­des­tens von außen mani­pu­liert, wür­den viel­leicht gar als Instru­mente zu ande­ren Zwe­cken erzeugt. Damit ein­her geht die Schaf­fung ent­spre­chen­der, meist per­so­nal iden­ti­fi­zier­ba­rer Feindbilder.

Wei­ter wird Anti­fe­mi­nis­mus – wie gesagt – vor allem durch Chif­fren und Schlag­wör­ter kom­mu­ni­ziert. Ein Schlag­wort wie „Gen­der­gaga“ wirkt dann wie ein Schar­nier zwi­schen Spek­tren, von der extre­men, neo­na­zis­ti­schen, völ­ki­schen oder Neuen Rech­ten bis tief in die soge­nannte bür­ger­li­che Mitte hin­ein. Man meint nicht immer genau das Glei­che, aber man kann sich auf eine gewisse Grund­lage eini­gen. Unter ande­rem dar­auf, dass man heute das Geschlech­ter­ver­hält­nis und „die Fami­lie“ vor „dem Femi­nis­mus“ in Schutz neh­men müsse. Dass also die Eman­zi­pa­tion weit­ge­hend rea­li­siert sei und nun aber zu weit gehe, sich jetzt gegen die Frauen selbst richte. Die Scharnier- und Inte­gra­ti­ons­funk­tion ist in die­ser Form eine Beson­der­heit des Anti­fe­mi­nis­mus heute, auch daher fin­det man wenig ori­gi­när anti­fe­mi­nis­ti­sche Akteur:innen.

Am nächs­ten kommt dem in Ham­burg die AfD. Andreas Kem­per oder auch Juliane Lang wei­sen schon seit der Par­tei­grün­dung dar­auf hin, dass der orga­ni­sierte Anti­fe­mi­nis­mus eine zen­trale Säule die­ser Par­tei ist – ideo­lo­gisch und orga­ni­sa­to­risch. Das zeigt sich etwa an den klei­nen Anfra­gen der AfD Bür­ger­schafts­frak­tion. 2019 fragte etwa der dama­lige Abge­ord­nete Harald Fein­eis den Senat, wann auch in Ham­burg Mut­ter und Vater zu „Eltern­teil 1“ und „Eltern­teil 2“ gegen­dert wür­den (Druck­sa­che 21/17515). Kleine Anfra­gen sind natür­lich ein wich­ti­ges par­la­men­ta­ri­sches Instru­ment, aber sie die­nen der AfD auch dazu, Struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen zu beschäf­ti­gen und poli­ti­sche Punkte vor­zu­brin­gen. Die Stim­mungs­ma­che gegen die angeb­li­che Rede von „Eltern­teil 1“ und „Eltern­teil 2“ ist – neben dem grund­sätz­li­chen Lächer­lich­ma­chen rea­ler Dis­kus­sio­nen um For­men geschlech­ter­ge­rech­ter Spra­che – für ver­schie­dene Rechte anschluss­fä­hig. Sie ist etwa auch ein zen­tra­ler Tal­king point von Vla­di­mir Putin. Wie er setzt die AfD-Anfrage schon vor­aus, dass es da so etwas wie eine Agenda gibt, Mut­ter und Vater durch geschlechts­neu­trale Bezeich­nun­gen zu erset­zen und fragt nur noch: Wann wird das passieren?

Untie­fen: Und lei­der war die Ant­wort des Senats nicht: Danke, dass sie fra­gen, das wird dann und dann pas­sie­ren – son­dern gewohnt einsilbig.

Hes­sel: Ja, genau, der Senat sagt nur: „Die zustän­dige Behörde hat sich damit noch nicht befasst. Der zustän­di­gen Behörde lie­gen keine Daten ent­spre­chend der Fra­ge­stel­lung vor.“

In der­sel­ben Anfrage fragte Fein­eis den Senat: „Mit wel­chen geschlechts­neu­tra­len Sprach- und Wort­krea­tio­nen beschäf­ti­gen sich die bei der Han­se­stadt ange­stell­ten Mit­ar­bei­ter, vor allem jene im ‚Zen­trum Gen­der­wis­sen‘ [sic!] aktu­ell?“. Das Zen­trum Gen­der­Wis­sen war der Vor­gän­ger des Zen­trums Gen­der und Diver­sity, zu dem die Biblio­thek gehört, in der wir hier gerade spre­chen. Diese Anfra­gen lan­den dann bei den Mitarbeiter:innen, die sich dann mit der Beant­wor­tung befas­sen müs­sen. Mit dem Ergeb­nis: „Dem Senat ist der­zeit keine Beschäf­ti­gung des Zen­trums Gen­der­wis­sen [sic!] mit dem Thema ‚geschlecht­er­neu­trale Spra­che‘ bekannt.“ Von die­sen Anfra­gen zu Geschlech­ter­for­schung und Gleich­stel­lungs­po­li­tik gibt es Dut­zende, die gehen mitt­ler­weile wahr­schein­lich in den drei­stel­li­gen Bereich. Ebenso in ande­ren Bun­des­län­dern und im Bundestag.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Akteur mit Schar­nier­funk­tion ist zumin­dest ein Teil der CDU. Der ehe­ma­lige Lan­des­vor­sit­zende Chris­toph Ploß hat sich da ja sehr her­vor­ge­tan. Zum Auf­takt des letz­ten Bun­des­tags­wahl­kampfs gab es in Ham­burg einen Par­tei­tag unter sei­ner Füh­rung. Haupt­thema war die For­de­rung, „Gen­der­spra­che“ zu ver­bie­ten. Der Hin­ter­grund war der­selbe wie bei der klei­nen Anfrage der AfD, näm­lich, dass der Senat den Ham­bur­ger Behör­den erlaubt hat, gen­der­sen­si­ble oder gen­der­neu­trale Anre­den zu ver­wen­den. Die CDU hat dar­aus gemacht: Hier soll uns etwas ver­bo­ten wer­den – das gehört ver­bo­ten. In die­ser Kon­stel­la­tion, die­ser Ver­keh­rung, liegt eine anschau­li­che Illus­tra­tion der pro­jek­ti­ven Logik von Res­sen­ti­ments. Das zielte ganz ein­deu­tig auf eine öffent­li­che Wir­kung, auf Affekte und Emo­tio­nen. Die wollte man mobi­li­sie­ren und in Wäh­ler­stim­men ummünzen.

Bei der CDU ist das ziem­lich instru­men­tell gedacht. Man hat das auch jetzt im Früh­jahr gese­hen, bei der berüch­tig­ten Ham­bur­ger „Volks­in­itia­tive gegen das Gen­dern in Schu­len und Behör­den“. Die CDU hat sich einer­seits von der Orga­ni­sa­to­rin Sabine Mer­tens distan­ziert, weil die rechts­of­fen und homo­phob auf­tritt. Zugleich aber will sie von der Initia­tive und den dadurch erhoff­ten Wäh­ler­stim­men nicht ablas­sen. Sie ver­sucht also von den Affek­ten zu pro­fi­tie­ren, die­sem „Man will uns hier von oben etwas aufdrücken“.

Schließ­lich noch zu den akti­vis­ti­schen Milieus: Das sind ein­zelne Per­so­nen oder kleine, oft eher lose Grup­pen, ange­fan­gen mit den bereits von Dir erwähn­ten Abtreibungsgegner:innen oder christlich-fundamentalistischen Grup­pie­run­gen. Die schei­nen mir aller­dings für Ham­burg keine beson­dere Bedeu­tung zu haben. Wich­ti­ger sind da gerade Zusam­men­hänge wie das über­schau­bare Netz­werk von Per­so­nen, das aktu­ell die Initia­tive gegen „Gen­der­spra­che“ betreibt. Eine ähn­li­che Struk­tur hat auch die Querdenken-Szene, und hier wur­den anti­fe­mi­nis­ti­sche Topoi im bun­des­wei­ten Ver­gleich in Ham­burg sehr stark bedient. Dazu gibt es einen aktu­el­len Bericht, ver­fasst unter ande­rem von Larissa Denk. Vor allem über die schon klas­sisch zu nen­nende Chif­fre der Kin­der, die vor Mas­ken und Pan­de­mie­maß­nah­men geschützt wer­den müss­ten – oder auch vor staat­li­chen Schu­len und dem, was dort über Geschlecht und Sexua­li­tät gelehrt wird. Das zeigte sich dann an Initia­ti­ven wie „Eltern ste­hen auf“. Die knüpft an einen der Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkte des orga­ni­sier­ten Anti­fe­mi­nis­mus in Deutsch­land an. In den Jah­ren 2014/2015 ent­stand aus der Agi­ta­tion gegen den Bil­dungs­plan in Baden-Württemberg die Bewe­gung „Demo für alle“. Diese „besorg­ten Eltern“ rich­te­ten und rich­ten sich gegen eine ver­meint­li­che „Früh­sexua­li­sie­rung“ und „Gen­de­ri­sie­rung“.

Trieb auch in Ham­burg sein Unwe­sen: Der anti­fe­mi­nis­ti­sche Akti­vist Yan­nic Hendricks. Foto: Hinnerk11 Lizenz: CC BY-SA 4.0

Untie­fen: Eine tra­gende Säule ist der Anti­fe­mi­nis­mus also bei den poli­ti­schen Par­teien eigent­lich nur bei der AfD. Auch die Taz hat die CDU im Zusam­men­hang mit der Volks­in­itia­tive gegen „Gen­der­spra­che“ als „nütz­li­che Idio­ten“ statt als Über­zeu­gungs­tä­ter bezeich­net. Und sicher stimmt es, dass der Ham­bur­ger Land­ver­band libe­ral ist. Aber: his­to­risch hat das die CDU ja nicht abge­hal­ten – siehe die von Beus/Schill-Koalition 2001–2003 – sich von popu­lis­ti­schen radi­ka­len Rech­ten zur Macht ver­hel­fen zu las­sen. Wenn wir momen­tan von einem Stimmen- und Macht­zu­wachs der AfD aus­ge­hen müs­sen: Könnte es sein, dass die CDU den Anti­fe­mi­nis­mus in Zukunft stär­ker als Thema (wieder-)entdecken wird? Eben weil er diese Schar­nier­funk­tion hat? Oder ist da das libe­rale Selbst­ver­ständ­nis doch zu wirksam?

Hes­sel: Libe­ral bedeu­tet bei der Ham­bur­ger CDU ja vor allem wirt­schafts­li­be­ral – im Sinne von: was gut für Hafen und Han­del ist, ist gut für die Stadt.

Untie­fen: Auch wenn das heißt, dass z.B. Frauen mit Kin­dern beim Container-Hafenbetrieb Euro­kai Teil­zeit­ar­beit sys­te­ma­tisch ver­wehrt wird.

Hes­sel: Ja. Aber die CDU ver­tritt den­noch einen moder­ni­sier­ten Kon­ser­va­tis­mus. Das ist ja eine der Errun­gen­schaf­ten der deut­schen poli­ti­schen Land­schaft nach 1945: Bestimmte Tra­di­ti­ons­li­nien der gro­ßen kon­ser­va­ti­ven poli­ti­schen Par­teien konn­ten wirk­lich abge­schnit­ten wer­den. Für Ham­burg teile ich die Ein­schät­zung der Taz, dass der aktu­elle Vor­sit­zende, Den­nis The­ring, kein Inter­esse an einer anti­fe­mi­nis­ti­schen Posi­tio­nie­rung hat. Aber den­noch will man es sich mit die­sem Wäh­ler­po­ten­tial nicht ver­scher­zen. Man manö­vriert, man ver­sucht es nicht zu offen­siv anzu­ge­hen, will sich diese The­men aber auch nicht ganz neh­men las­sen, weil es dann doch ein bestimm­tes inter­es­sier­tes Milieu gibt, das CDU wählt oder ver­meint­lich wäh­len könnte.

Bei der Bundes-CDU gibt es dage­gen sehr deut­li­che Zei­chen, dass das anti­fe­mi­nis­ti­sche Ticket stär­ker gezo­gen wer­den wird. Äuße­run­gen von Fried­rich Merz, aber auch die Rede von Clau­dia Pech­stein las­sen das erken­nen. Das ver­sucht einen recht weit ver­brei­te­ten libe­ra­len, bes­ser viel­leicht: liber­tä­ren Anti­li­be­ra­lis­mus zu mobi­li­sie­ren: Hier würde „dem Volk“ von „den Eli­ten“ in Ber­lin etwas auf­ge­drückt und das Leben mies­ge­macht. Wir sehen hier auch wie­der die schon erwähnte Ver­schrän­kung und Ver­mi­schung mit Ele­men­ten ande­rer Res­sen­ti­ments, von Intel­lek­tu­el­len­feind­lich­keit etwa, Ver­schwö­rungs­vor­stel­lun­gen und zumin­dest die Anschluss­fä­hig­keit an einen gewis­sen laten­ten Anti­se­mi­tis­mus. Mar­kus Söder hat schon im Früh­jahr gegen eine „Woke-Ideologie“ gewet­tert und gesagt: „Wir brau­chen keine Gedan­ken­po­li­zei, son­dern mehr Poli­zei auf den Stra­ßen.“ Sol­che Aus­sa­gen zei­gen schon in ihrer For­mu­lie­rung, man mobi­li­siert auto­ri­täre Bedürf­nisse en gros, gegen die Ver­un­si­che­run­gen und Her­aus­for­de­run­gen einer plu­ra­lis­ti­schen, diver­sen, hete­ro­ge­nen Gesellschaft.

Untie­fen: Wes­halb er dann auch die Grü­nen als poli­ti­schen Haupt­feind dar­stellt, statt die AfD, die ja poli­tisch offen­sicht­lich die viel grö­ßere Bedro­hung für die CDU/CSU ist.

Hes­sel: Genau. Und das ist nicht ein­mal stra­te­gisch klug. Die AfD ist mitt­ler­weile eine eta­blierte Par­tei und kann mit einem gewis­sen Erfolgs­ver­spre­chen locken. Gerade wenn Men­schen zwar gefühlt rebel­lie­ren wol­len, aber sich immer von Auto­ri­tä­ten und „der Mehr­heit“, vom „Wir“ gedeckt sehen wol­len, warum soll­ten die in die­ser Kon­stel­la­tion CDU wäh­len statt AfD? Der gefähr­li­che Effekt wird viel­mehr eine wei­tere Nor­ma­li­sie­rung auto­ri­tä­rer Hal­tun­gen und Ideo­lo­gie­frag­mente sein.

Untie­fen: Wenn wir noch­mal auf die Mas­se­ne­bene schauen: Anhand wel­cher Indi­ka­to­ren kann man able­sen, dass Anti­fe­mi­nis­mus als All­tags­phä­no­men zunimmt? Und: Was gibt er eigent­lich den Leu­ten, warum ver­fängt die­ses Res­sen­ti­ment immer wieder?

Hes­sel: Seit der vor­letz­ten Leip­zi­ger Auto­ri­ta­ris­mus­stu­die wer­den zum ers­ten Mal expli­zit anti­fe­mi­nis­ti­sche Ein­stel­lun­gen abge­fragt. Zum Bei­spiel durch Zustim­mung zu Aus­sa­gen wie: „Frauen machen sich in der Poli­tik häu­fig lächer­lich.“ Her­aus­ge­kom­men ist, dass aktu­ell 25 % der Befrag­ten ein zusam­men­hän­gen­des, anti­fe­mi­nis­ti­sches Welt­bild haben, bei Män­nern ist es jeder Dritte. Die Zustim­mung zu ein­zel­nen Items ist teil­weise noch höher. Wir kön­nen das aber auch able­sen an der Zunahme all­täg­li­cher, frauen- oder trans­feind­li­cher Gewalt – über ein paar Zah­len haben wir ja schon kurz gespro­chen – und an der Zunahme bestimm­ter Ver­öf­fent­li­chun­gen und öffent­li­cher Dis­kus­sio­nen, z.B. um gen­der­sen­si­ble Spra­che. Und nicht zuletzt eben am Erfolg der AfD, für die Anti­fe­mi­nis­mus von Beginn an zen­tral war.

Zur Frage, was es den Leu­ten gibt: Wie in allen Res­sen­ti­ments fin­det hier eine Umkeh­rung oder Ver­schie­bung statt. Kon­kret: Statt der Ver­un­si­che­rung und dem Unbe­ha­gen im Geschlech­ter­ver­hält­nis wird die Beschäf­ti­gung damit zum eigent­li­chen Pro­blem erklärt. Zum Bei­spiel in Form der Gen­der Stu­dies, über die Chif­fre „der Femi­nis­mus“, mit den Codes und Schlag­wör­tern, über die wir bereits gespro­chen haben. Es wird also auf eine auto­ri­täre, pro­jek­tive Weise auf gesell­schaft­li­che Wider­sprü­che und Kri­sen­ten­den­zen der moder­nen kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft reagiert. Man benennt angeb­lich Schul­dige und ver­sucht, das ganz reale Unbe­ha­gen durch eine „Rück­kehr“ zu einer Ord­nung zu besei­ti­gen, die es so nie gege­ben hat. Die vor­herr­schen­den Vor­stel­lun­gen von der bür­ger­li­chen Kern­fa­mi­lie – Vater, Mut­ter, gemein­same Kin­der, ver­hei­ra­tet, mit kla­rer Ord­nung von Auto­ri­tät und Macht – ent­spre­chen seit etwa 30 Jah­ren zuneh­mend weni­ger der Rea­li­tät. Fami­li­en­for­men haben sich ver­viel­fäl­tigt. Das hat natür­lich eman­zi­pa­to­ri­sche Momente, ist aber zugleich für uns alle auch höchst ver­un­si­chernd. Dahin­ter steht ja auch eine gesell­schaft­li­che Ver­än­de­rung, oft eine Pre­ka­ri­sie­rung der Arbeits­ver­hält­nisse und Berufs­bio­gra­phien, gene­rell eine Umver­tei­lung von Bil­dungs­res­sour­cen, von Lebens­chan­cen und von Reich­tum auf immer weni­ger Menschen.

Dar­auf reagiert Anti­fe­mi­nis­mus, des­halb sind Men­schen auch jen­seits ultra­kon­ser­va­ti­ver Milieus für ihn emp­fäng­lich. Wie jedes Res­sen­ti­ment kann aller­dings auch der Anti­fe­mi­nis­mus das Ver­spre­chen einer sta­bi­len, beru­hi­gen­den Ord­nung nie erfül­len. Das Geschlech­ter­ver­hält­nis, so hat es Rebekka Blum tref­fend in unse­rem Podi­ums­ge­spräch for­mu­liert, ist ja immer in der Krise, da bleibt also immer eine offene Wunde. Agi­ta­to­ren wol­len diese Wunde auch offen hal­ten, die Unruhe immer wie­der auf­wüh­len und diese Ener­gien dann in ihrem eige­nen Inter­esse lenken.

Untie­fen: Leo Löwen­thal hat das mal so aus­ge­drückt, dass das Unbe­ha­gen wie ein Juck­reiz ist, und statt zu einer hei­len­den The­ra­pie rät der Agi­ta­tor zum Krat­zen, was den Juck­reiz noch steigert.

Hes­sel: Ja, genau!

Untie­fen: Wir haben jetzt über rech­ten und bür­ger­li­chen Anti­fe­mi­nis­mus gespro­chen. Wie steht es mit Anti­fe­mi­nis­mus in migran­ti­schen Com­mu­ni­ties, wo es patri­ar­chale, kon­ser­va­tive Strö­mun­gen des Islam gibt? Das ist sicher von der Zahl der Anhänger:innen und vom Mobi­li­sie­rungs­po­ten­tial her deut­lich klei­ner, zugleich gibt es da doch viel offe­nere und umfang­rei­chere patri­ar­chale Ansprü­che. Wenn wir allein an die Isla­mis­ten vom IZH an der Außen­als­ter den­ken, die das patri­ar­chale Regime im Iran stüt­zen, aber auch hier Iraner:innen bedro­hen, die femi­nis­tisch kämp­fen. Oder an das Al-Azhari Insti­tut in St. Georg mit dem Imam Mah­moud Ahmed, der durch krass patri­ar­chale Pre­dig­ten auf­ge­fal­len ist, und wo es Demos gab mit sepa­ra­ten Frau­en­blö­cken etc. Wie wür­dest Du das im Ver­hält­nis zum rech­ten Anti­fe­mi­nis­mus ein­schät­zen? Ist der zurecht als grö­ße­res Pro­blem stär­ker auf dem Schirm? Oder soll­ten wir uns mehr auch um den isla­mi­schen Anti­fe­mi­nis­mus küm­mern und das im Blick behalten?

Hes­sel: Ich bin lei­der kein wirk­li­cher Ken­ner der isla­mis­ti­schen Szene in Ham­burg. Aber ich glaube, das ist ein gro­ßes Pro­blem. Wenn etwa die Hizb ut-Tahrir oder ihre Front­or­ga­ni­sa­tio­nen es schaf­fen, über Jahre in Ham­burg immer wie­der Demos im drei­stel­li­gen oder gar vier­stel­li­gen Bereich zu orga­ni­sie­ren, dann muss einem das zu den­ken geben. Frau­en­feind­schaft ist ein Kern­be­stand­teil jedes Isla­mis­mus, jedes poli­ti­schen Islam, dazu kommt der Anti­fe­mi­nis­mus, als Ver­län­ge­run­gen des­sen auch Schwu­len­feind­lich­keit, Trans­feind­lich­keit, Res­sen­ti­ments gegen que­ere Men­schen. All das sta­bi­li­siert patri­ar­chale Herr­schaft. Selbst der öster­rei­chi­sche Ver­fas­sungs­schutz hat kürz­lich expli­zit davor gewarnt, dass sich extrem rechte und isla­mis­ti­sche Akteure bis hin zur ter­ro­ris­ti­schen Szene – zusätz­lich zum Juden­hass – genau dar­auf eini­gen kön­nen: auf Queer- und Trans­feind­lich­keit, Schwu­len­feind­lich­keit und Anti­fe­mi­nis­mus. Ich glaube nicht, dass sich da offene Alli­an­zen erge­ben wer­den, zumin­dest nicht in Ham­burg. Aber als ein Hin­ter­grund­rau­schen gibt das zu den­ken. Erst vor eini­gen Mona­ten wur­den ja in Ham­burg isla­mis­ti­sche Anschlags­pläne auf­ge­deckt und ver­hin­dert. Andere, rechts­ter­ro­ris­ti­sche, zumin­dest durch Anti­fe­mi­nis­mus mit grun­dierte Atten­tate konn­ten nicht ver­hin­dert wer­den, etwa der Anschlag auf die Ver­samm­lung der Zeu­gen Jeho­vas in Als­ter­dorf im März. Es kann jeder­zeit zu auch expli­zit anti­fe­mi­nis­ti­schen Anschlä­gen in Ham­burg kom­men. Wer immer sich femi­nis­tisch enga­giert, ist in den Köp­fen von extrem rech­ten, isla­mis­ti­schen und ande­ren Anti­fe­mi­nis­ten ein legi­ti­mes Ziel.

Dage­gen wäre es wich­tig, die gerade statt­fin­den­den Kämpfe gegen patri­ar­chale Herr­schaft aller Art mehr wahr­zu­neh­men und zu unter­stüt­zen, allen voran etwa für mehr Schutz­räume wie Frau­en­häu­ser, aber eben auch den Kampf der Deutsch- und Exil-Iraner:innen in Hamburg.

Untie­fen: Danke für das Gespräch!

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