„Der Antifeminismus hat heute eine Scharnierfunktion“
Mit Feminismus kann heute Staat gemacht werden. Zugleich scheinen antifeministische Positionen in den Mainstream vorzudringen. Und auch die Gewalt gegen Frauen, Lesben, Inter- und Transpersonen sowie Agender nimmt zu. Der Sozialwissenschaftler Florian Hessel forscht zu Antifeminismus, Antisemitismus und Verschwörungsvorstellungen, und ist Mitglied des politischen Bildungsvereins Bagrut e.V. Im Gespräch mit Untiefen erklärt er, wie Antifeminismus heute funktioniert und wer ihn in Hamburg verbreitet.
Untiefen: Lieber Flo, Du hast Ende Juni in der Zentralen Bibliothek Frauenforschung, Gender und Queer Studies zusammen mit Rebekka Blum sowie mit Hamburg vernetzt gegen Rechts eine Veranstaltung organisiert unter dem Titel „Antifeminismus (als antidemokratische Herausforderung) – Alltag und politische Mobilisierung in Hamburg”. Wir würden dazu gern ein paar Fragen vertiefen und eure Einschätzungen in Bezug auf Hamburg auch jenseits der Veranstaltung zugänglich machen. Zunächst würde uns aber interessieren wie Du eigentlich, persönlich und als Sozialwissenschaftler, zum Thema Antifeminismus gekommen bist?
Florian Hessel: Dafür war einerseits ein persönlicher Kontakt wichtig: Meine Vereinskollegin Janne Misiewicz hat ihre Bachelorarbeit über die Beziehung von Antifeminismus und Antisemitismus geschrieben und wir haben viel diskutiert und uns dann entschlossen, dazu gemeinsam einen Text zu schreiben. Auf der anderen Seite ist Antifeminismus ganz allgemein in den letzten 10 Jahren viel sichtbarer und wirkmächtiger geworden. Die Gründung und Entwicklung der AfD ist ein Grund dafür, aber viele andere Entwicklungen spielen mit hinein. Und als Person, als Wissenschaftler, der sich im progressiven Spektrum und als Feminist verortet, fühle ich mich auch verpflichtet, jeder Form von Menschenfeindschaft entgegen zu treten.
Untiefen: Ihr habt bei der Veranstaltung ja sicher nicht zufällig den Begriff „Antifeminismus“ in den Mittelpunkt gestellt, und nicht etwa Frauenfeindschaft oder Sexismus. Warum habt ihr diesen Fokus gewählt und was verstehst Du, was versteht ihr unter Antifeminismus?
Hessel: Ich würde die Begriffe erstmal grundsätzlich so sortieren: Sexismus bezieht sich immer in irgendeiner Form auf geschlechtsbezogene Unterschiede, aber nicht zwangsläufig auf Frauen. Das kann positiv oder negativ formuliert werden. Die klassischen Aussagen, also etwa, dass Frauen emotionaler seien und Männer sachlicher und so weiter, schränken – jetzt allein auf die Individuen bezogen – Menschen gleichermaßen ein, zum Beispiel wenn man sich als Mann versteht und dann meint, keine Gefühle zeigen zu dürfen.
Frauenfeindschaft und Antifeminismus hingegen richten sich immer gegen Frauen. Voneinander unterscheiden lassen sie sich am besten historisch. Frauenhass begleitet die gesamte Zivilisationsgeschichte, seit es patriarchale Geschlechterordnungen gibt. Antifeminismus ist dagegen ein modernes Phänomen. Ursprünglich richtete er sich gegen den Kampf für das Frauenwahlrecht und die Gleichberechtigung von Frauen im Kaiserreich. Die deutsche Publizistin Hedwig Dohm hat mit ihrer Streitschrift „Die Antifeministen“ (1902) in diesem Zusammenhang den Begriff erstmals geprägt. Grundsätzlich definiert haben ihn dann Forscher:innen wie Herrad Schenk in den 1980er Jahren und Ute Planert in den 1990ern. Die Beschreibung, auf die man sich wissenschaftlich einigen kann, ist, dass Antifeminismus eine Reaktion auf Bemühungen um Gleichberechtigung im Geschlechterverhältnis ist. Diese Definition bezieht sich also zum einen auf das Geschlechterverhältnis. Das mag uns zwar als traditionell und althergebracht erscheinen. Aber was wir heute darunter verstehen, ist erst in der Moderne entstanden, also die bürgerliche Kernfamilie, die normativ aufgeladene Arbeitsverteilung, die damit verbundenen Geschlechterrollen und Rollenstereotype und so weiter. Zum anderen geht es um die politischen Kämpfe um Gleichstellung, die auch ein Phänomen der Moderne sind.
Antifeminismus bezieht sich also ganz und gar auf die moderne, kapitalistische Gesellschaft und die emanzipatorischen Tendenzen in ihr. Als politische Bewegung richtet er sich offen gegen Gleichberechtigungsbemühungen. Ein historisches Beispiel ist der „Bund zur Verhinderung der Frauenemanzipation“ im Kaiserreich. Auch heute gibt es solch einen organisierten Antifeminismus, das hat etwa in der Gründung der AfD eine wichtige Rolle gespielt. Noch wichtiger als den Blick auf Antifeminismus als politische Bewegung finde ich aber, ihn auch als ein spezifisches Ressentiment zu verstehen. Also als eine mit bestimmten Emotionen und Affekten aufgeladene und in verschiedenen Ausprägungen auftretende, projektive Ablehnung der Verunsicherung und des Unbehagens im Geschlechterverhältnis in der Moderne.
Untiefen: Du unterscheidest also zwischen dem Ressentiment als Massenphänomen und dem organisierten Antifeminismus, also den Leuten, die sich politisch unter diesem Banner zusammenfinden. Gibt es denn, auch in Hamburg, so etwas wie eine antifeministische Szene? Im Sinne von Leuten wie etwa Yannic Hendricks, die vor der Abschaffung des § 219a Ärzt:innen angezeigt haben, die Abtreibungen durchführen? Oder sind das in erster Linie rechtsextreme Strukturen, die auch antifeministisch sind? Wie würdest Du das einschätzen?
Hessel: Es gibt diese organisierten Strukturen, auch in Hamburg. Das genannte Beispiel ist ein klassisch antifeministischer, frauenfeindlicher Akteur. Zuerst aber: Gewalt gegen Frauen ist, auch in Hamburg, weit verbreitet. Für 2021 wurden etwa 5000 Fälle von – teilweise schwerer – Gewalt gegen Frauen gezählt. Und bei den Hamburger Frauenhäusern suchen im Schnitt 4 Frauen pro Tag Hilfe, zugleich sind die Häuser durchschnittlich zu 95 % belegt. Also oft vollkommen ausgelastet. Daher wird ja auch schon länger ein weiteres Frauenhaus gefordert. Hoffentlich kommt das auch bald zu Stande.
Bevor wir zu konkreten antifeministischen Akteur:innen in Hamburg kommen, ist es denke ich wichtig noch etwas Kontext herzustellen: Eine Besonderheit von Ressentiments heute ist, dass sich fast niemand offen zu ihnen bekennt. Niemand will Rassist oder Antisemit sein. Bei Antifeminismus ist das etwas anders: Er wird in der Öffentlichkeit nur sehr selten als Ressentiment benannt, das Problem ist wenig bekannt. Bestimmte Schlagwörter wie „Gendergaga“, „Genderismus“ oder „Frauenlobby“ sind in der Öffentlichkeit ziemlich frei im Umlauf, z.B. als Clickbait bei Spiegel Online oder als Signalwörter in sozialen Medien. Antifeminismus hat daher heute eine starke Integrations- und Scharnierfunktion, organisatorisch aber auch ideologisch. Die Politikwissenschaftlerin Juliane Lang oder auch die Soziologin Rebekka Blum haben das gut herausgearbeitet, sie sprechen auch von einer „Brückenideologie“. Das heißt einmal, Antifeminismus tritt heute meistens nicht allein auf, sondern verbunden mit anderen antimodernen Ressentiments. Wie diese Verschränkungen in Bezug auf Antifeminismus und Antisemitismus, aber auch Verschwörungsvorstellungen funktionieren, haben Janne Misiewicz und ich – hoffentlich anschaulich – an einem exemplarischen Fall analysiert. Der Kern ist in jedem Fall die Behauptung, gesellschaftliche Veränderungsprozesse oder soziale Bewegungen seien mindestens von außen manipuliert, würden vielleicht gar als Instrumente zu anderen Zwecken erzeugt. Damit einher geht die Schaffung entsprechender, meist personal identifizierbarer Feindbilder.
Weiter wird Antifeminismus – wie gesagt – vor allem durch Chiffren und Schlagwörter kommuniziert. Ein Schlagwort wie „Gendergaga“ wirkt dann wie ein Scharnier zwischen Spektren, von der extremen, neonazistischen, völkischen oder Neuen Rechten bis tief in die sogenannte bürgerliche Mitte hinein. Man meint nicht immer genau das Gleiche, aber man kann sich auf eine gewisse Grundlage einigen. Unter anderem darauf, dass man heute das Geschlechterverhältnis und „die Familie“ vor „dem Feminismus“ in Schutz nehmen müsse. Dass also die Emanzipation weitgehend realisiert sei und nun aber zu weit gehe, sich jetzt gegen die Frauen selbst richte. Die Scharnier- und Integrationsfunktion ist in dieser Form eine Besonderheit des Antifeminismus heute, auch daher findet man wenig originär antifeministische Akteur:innen.
Am nächsten kommt dem in Hamburg die AfD. Andreas Kemper oder auch Juliane Lang weisen schon seit der Parteigründung darauf hin, dass der organisierte Antifeminismus eine zentrale Säule dieser Partei ist – ideologisch und organisatorisch. Das zeigt sich etwa an den kleinen Anfragen der AfD Bürgerschaftsfraktion. 2019 fragte etwa der damalige Abgeordnete Harald Feineis den Senat, wann auch in Hamburg Mutter und Vater zu „Elternteil 1“ und „Elternteil 2“ gegendert würden (Drucksache 21/17515). Kleine Anfragen sind natürlich ein wichtiges parlamentarisches Instrument, aber sie dienen der AfD auch dazu, Strukturen und Institutionen zu beschäftigen und politische Punkte vorzubringen. Die Stimmungsmache gegen die angebliche Rede von „Elternteil 1“ und „Elternteil 2“ ist – neben dem grundsätzlichen Lächerlichmachen realer Diskussionen um Formen geschlechtergerechter Sprache – für verschiedene Rechte anschlussfähig. Sie ist etwa auch ein zentraler Talking point von Vladimir Putin. Wie er setzt die AfD-Anfrage schon voraus, dass es da so etwas wie eine Agenda gibt, Mutter und Vater durch geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu ersetzen und fragt nur noch: Wann wird das passieren?
Untiefen: Und leider war die Antwort des Senats nicht: Danke, dass sie fragen, das wird dann und dann passieren – sondern gewohnt einsilbig.
Hessel: Ja, genau, der Senat sagt nur: „Die zuständige Behörde hat sich damit noch nicht befasst. Der zuständigen Behörde liegen keine Daten entsprechend der Fragestellung vor.“
In derselben Anfrage fragte Feineis den Senat: „Mit welchen geschlechtsneutralen Sprach- und Wortkreationen beschäftigen sich die bei der Hansestadt angestellten Mitarbeiter, vor allem jene im ‚Zentrum Genderwissen‘ [sic!] aktuell?“. Das Zentrum GenderWissen war der Vorgänger des Zentrums Gender und Diversity, zu dem die Bibliothek gehört, in der wir hier gerade sprechen. Diese Anfragen landen dann bei den Mitarbeiter:innen, die sich dann mit der Beantwortung befassen müssen. Mit dem Ergebnis: „Dem Senat ist derzeit keine Beschäftigung des Zentrums Genderwissen [sic!] mit dem Thema ‚geschlechterneutrale Sprache‘ bekannt.“ Von diesen Anfragen zu Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik gibt es Dutzende, die gehen mittlerweile wahrscheinlich in den dreistelligen Bereich. Ebenso in anderen Bundesländern und im Bundestag.
Ein weiterer wichtiger Akteur mit Scharnierfunktion ist zumindest ein Teil der CDU. Der ehemalige Landesvorsitzende Christoph Ploß hat sich da ja sehr hervorgetan. Zum Auftakt des letzten Bundestagswahlkampfs gab es in Hamburg einen Parteitag unter seiner Führung. Hauptthema war die Forderung, „Gendersprache“ zu verbieten. Der Hintergrund war derselbe wie bei der kleinen Anfrage der AfD, nämlich, dass der Senat den Hamburger Behörden erlaubt hat, gendersensible oder genderneutrale Anreden zu verwenden. Die CDU hat daraus gemacht: Hier soll uns etwas verboten werden – das gehört verboten. In dieser Konstellation, dieser Verkehrung, liegt eine anschauliche Illustration der projektiven Logik von Ressentiments. Das zielte ganz eindeutig auf eine öffentliche Wirkung, auf Affekte und Emotionen. Die wollte man mobilisieren und in Wählerstimmen ummünzen.
Bei der CDU ist das ziemlich instrumentell gedacht. Man hat das auch jetzt im Frühjahr gesehen, bei der berüchtigten Hamburger „Volksinitiative gegen das Gendern in Schulen und Behörden“. Die CDU hat sich einerseits von der Organisatorin Sabine Mertens distanziert, weil die rechtsoffen und homophob auftritt. Zugleich aber will sie von der Initiative und den dadurch erhofften Wählerstimmen nicht ablassen. Sie versucht also von den Affekten zu profitieren, diesem „Man will uns hier von oben etwas aufdrücken“.
Schließlich noch zu den aktivistischen Milieus: Das sind einzelne Personen oder kleine, oft eher lose Gruppen, angefangen mit den bereits von Dir erwähnten Abtreibungsgegner:innen oder christlich-fundamentalistischen Gruppierungen. Die scheinen mir allerdings für Hamburg keine besondere Bedeutung zu haben. Wichtiger sind da gerade Zusammenhänge wie das überschaubare Netzwerk von Personen, das aktuell die Initiative gegen „Gendersprache“ betreibt. Eine ähnliche Struktur hat auch die Querdenken-Szene, und hier wurden antifeministische Topoi im bundesweiten Vergleich in Hamburg sehr stark bedient. Dazu gibt es einen aktuellen Bericht, verfasst unter anderem von Larissa Denk. Vor allem über die schon klassisch zu nennende Chiffre der Kinder, die vor Masken und Pandemiemaßnahmen geschützt werden müssten – oder auch vor staatlichen Schulen und dem, was dort über Geschlecht und Sexualität gelehrt wird. Das zeigte sich dann an Initiativen wie „Eltern stehen auf“. Die knüpft an einen der Kristallisationspunkte des organisierten Antifeminismus in Deutschland an. In den Jahren 2014/2015 entstand aus der Agitation gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg die Bewegung „Demo für alle“. Diese „besorgten Eltern“ richteten und richten sich gegen eine vermeintliche „Frühsexualisierung“ und „Genderisierung“.
Untiefen: Eine tragende Säule ist der Antifeminismus also bei den politischen Parteien eigentlich nur bei der AfD. Auch die Taz hat die CDU im Zusammenhang mit der Volksinitiative gegen „Gendersprache“ als „nützliche Idioten“ statt als Überzeugungstäter bezeichnet. Und sicher stimmt es, dass der Hamburger Landverband liberal ist. Aber: historisch hat das die CDU ja nicht abgehalten – siehe die von Beus/Schill-Koalition 2001–2003 – sich von populistischen radikalen Rechten zur Macht verhelfen zu lassen. Wenn wir momentan von einem Stimmen- und Machtzuwachs der AfD ausgehen müssen: Könnte es sein, dass die CDU den Antifeminismus in Zukunft stärker als Thema (wieder-)entdecken wird? Eben weil er diese Scharnierfunktion hat? Oder ist da das liberale Selbstverständnis doch zu wirksam?
Hessel: Liberal bedeutet bei der Hamburger CDU ja vor allem wirtschaftsliberal – im Sinne von: was gut für Hafen und Handel ist, ist gut für die Stadt.
Untiefen: Auch wenn das heißt, dass z.B. Frauen mit Kindern beim Container-Hafenbetrieb Eurokai Teilzeitarbeit systematisch verwehrt wird.
Hessel: Ja. Aber die CDU vertritt dennoch einen modernisierten Konservatismus. Das ist ja eine der Errungenschaften der deutschen politischen Landschaft nach 1945: Bestimmte Traditionslinien der großen konservativen politischen Parteien konnten wirklich abgeschnitten werden. Für Hamburg teile ich die Einschätzung der Taz, dass der aktuelle Vorsitzende, Dennis Thering, kein Interesse an einer antifeministischen Positionierung hat. Aber dennoch will man es sich mit diesem Wählerpotential nicht verscherzen. Man manövriert, man versucht es nicht zu offensiv anzugehen, will sich diese Themen aber auch nicht ganz nehmen lassen, weil es dann doch ein bestimmtes interessiertes Milieu gibt, das CDU wählt oder vermeintlich wählen könnte.
Bei der Bundes-CDU gibt es dagegen sehr deutliche Zeichen, dass das antifeministische Ticket stärker gezogen werden wird. Äußerungen von Friedrich Merz, aber auch die Rede von Claudia Pechstein lassen das erkennen. Das versucht einen recht weit verbreiteten liberalen, besser vielleicht: libertären Antiliberalismus zu mobilisieren: Hier würde „dem Volk“ von „den Eliten“ in Berlin etwas aufgedrückt und das Leben miesgemacht. Wir sehen hier auch wieder die schon erwähnte Verschränkung und Vermischung mit Elementen anderer Ressentiments, von Intellektuellenfeindlichkeit etwa, Verschwörungsvorstellungen und zumindest die Anschlussfähigkeit an einen gewissen latenten Antisemitismus. Markus Söder hat schon im Frühjahr gegen eine „Woke-Ideologie“ gewettert und gesagt: „Wir brauchen keine Gedankenpolizei, sondern mehr Polizei auf den Straßen.“ Solche Aussagen zeigen schon in ihrer Formulierung, man mobilisiert autoritäre Bedürfnisse en gros, gegen die Verunsicherungen und Herausforderungen einer pluralistischen, diversen, heterogenen Gesellschaft.
Untiefen: Weshalb er dann auch die Grünen als politischen Hauptfeind darstellt, statt die AfD, die ja politisch offensichtlich die viel größere Bedrohung für die CDU/CSU ist.
Hessel: Genau. Und das ist nicht einmal strategisch klug. Die AfD ist mittlerweile eine etablierte Partei und kann mit einem gewissen Erfolgsversprechen locken. Gerade wenn Menschen zwar gefühlt rebellieren wollen, aber sich immer von Autoritäten und „der Mehrheit“, vom „Wir“ gedeckt sehen wollen, warum sollten die in dieser Konstellation CDU wählen statt AfD? Der gefährliche Effekt wird vielmehr eine weitere Normalisierung autoritärer Haltungen und Ideologiefragmente sein.
Untiefen: Wenn wir nochmal auf die Massenebene schauen: Anhand welcher Indikatoren kann man ablesen, dass Antifeminismus als Alltagsphänomen zunimmt? Und: Was gibt er eigentlich den Leuten, warum verfängt dieses Ressentiment immer wieder?
Hessel: Seit der vorletzten Leipziger Autoritarismusstudie werden zum ersten Mal explizit antifeministische Einstellungen abgefragt. Zum Beispiel durch Zustimmung zu Aussagen wie: „Frauen machen sich in der Politik häufig lächerlich.“ Herausgekommen ist, dass aktuell 25 % der Befragten ein zusammenhängendes, antifeministisches Weltbild haben, bei Männern ist es jeder Dritte. Die Zustimmung zu einzelnen Items ist teilweise noch höher. Wir können das aber auch ablesen an der Zunahme alltäglicher, frauen- oder transfeindlicher Gewalt – über ein paar Zahlen haben wir ja schon kurz gesprochen – und an der Zunahme bestimmter Veröffentlichungen und öffentlicher Diskussionen, z.B. um gendersensible Sprache. Und nicht zuletzt eben am Erfolg der AfD, für die Antifeminismus von Beginn an zentral war.
Zur Frage, was es den Leuten gibt: Wie in allen Ressentiments findet hier eine Umkehrung oder Verschiebung statt. Konkret: Statt der Verunsicherung und dem Unbehagen im Geschlechterverhältnis wird die Beschäftigung damit zum eigentlichen Problem erklärt. Zum Beispiel in Form der Gender Studies, über die Chiffre „der Feminismus“, mit den Codes und Schlagwörtern, über die wir bereits gesprochen haben. Es wird also auf eine autoritäre, projektive Weise auf gesellschaftliche Widersprüche und Krisentendenzen der modernen kapitalistischen Gesellschaft reagiert. Man benennt angeblich Schuldige und versucht, das ganz reale Unbehagen durch eine „Rückkehr“ zu einer Ordnung zu beseitigen, die es so nie gegeben hat. Die vorherrschenden Vorstellungen von der bürgerlichen Kernfamilie – Vater, Mutter, gemeinsame Kinder, verheiratet, mit klarer Ordnung von Autorität und Macht – entsprechen seit etwa 30 Jahren zunehmend weniger der Realität. Familienformen haben sich vervielfältigt. Das hat natürlich emanzipatorische Momente, ist aber zugleich für uns alle auch höchst verunsichernd. Dahinter steht ja auch eine gesellschaftliche Veränderung, oft eine Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und Berufsbiographien, generell eine Umverteilung von Bildungsressourcen, von Lebenschancen und von Reichtum auf immer weniger Menschen.
Darauf reagiert Antifeminismus, deshalb sind Menschen auch jenseits ultrakonservativer Milieus für ihn empfänglich. Wie jedes Ressentiment kann allerdings auch der Antifeminismus das Versprechen einer stabilen, beruhigenden Ordnung nie erfüllen. Das Geschlechterverhältnis, so hat es Rebekka Blum treffend in unserem Podiumsgespräch formuliert, ist ja immer in der Krise, da bleibt also immer eine offene Wunde. Agitatoren wollen diese Wunde auch offen halten, die Unruhe immer wieder aufwühlen und diese Energien dann in ihrem eigenen Interesse lenken.
Untiefen: Leo Löwenthal hat das mal so ausgedrückt, dass das Unbehagen wie ein Juckreiz ist, und statt zu einer heilenden Therapie rät der Agitator zum Kratzen, was den Juckreiz noch steigert.
Hessel: Ja, genau!
Untiefen: Wir haben jetzt über rechten und bürgerlichen Antifeminismus gesprochen. Wie steht es mit Antifeminismus in migrantischen Communities, wo es patriarchale, konservative Strömungen des Islam gibt? Das ist sicher von der Zahl der Anhänger:innen und vom Mobilisierungspotential her deutlich kleiner, zugleich gibt es da doch viel offenere und umfangreichere patriarchale Ansprüche. Wenn wir allein an die Islamisten vom IZH an der Außenalster denken, die das patriarchale Regime im Iran stützen, aber auch hier Iraner:innen bedrohen, die feministisch kämpfen. Oder an das Al-Azhari Institut in St. Georg mit dem Imam Mahmoud Ahmed, der durch krass patriarchale Predigten aufgefallen ist, und wo es Demos gab mit separaten Frauenblöcken etc. Wie würdest Du das im Verhältnis zum rechten Antifeminismus einschätzen? Ist der zurecht als größeres Problem stärker auf dem Schirm? Oder sollten wir uns mehr auch um den islamischen Antifeminismus kümmern und das im Blick behalten?
Hessel: Ich bin leider kein wirklicher Kenner der islamistischen Szene in Hamburg. Aber ich glaube, das ist ein großes Problem. Wenn etwa die Hizb ut-Tahrir oder ihre Frontorganisationen es schaffen, über Jahre in Hamburg immer wieder Demos im dreistelligen oder gar vierstelligen Bereich zu organisieren, dann muss einem das zu denken geben. Frauenfeindschaft ist ein Kernbestandteil jedes Islamismus, jedes politischen Islam, dazu kommt der Antifeminismus, als Verlängerungen dessen auch Schwulenfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Ressentiments gegen queere Menschen. All das stabilisiert patriarchale Herrschaft. Selbst der österreichische Verfassungsschutz hat kürzlich explizit davor gewarnt, dass sich extrem rechte und islamistische Akteure bis hin zur terroristischen Szene – zusätzlich zum Judenhass – genau darauf einigen können: auf Queer- und Transfeindlichkeit, Schwulenfeindlichkeit und Antifeminismus. Ich glaube nicht, dass sich da offene Allianzen ergeben werden, zumindest nicht in Hamburg. Aber als ein Hintergrundrauschen gibt das zu denken. Erst vor einigen Monaten wurden ja in Hamburg islamistische Anschlagspläne aufgedeckt und verhindert. Andere, rechtsterroristische, zumindest durch Antifeminismus mit grundierte Attentate konnten nicht verhindert werden, etwa der Anschlag auf die Versammlung der Zeugen Jehovas in Alsterdorf im März. Es kann jederzeit zu auch explizit antifeministischen Anschlägen in Hamburg kommen. Wer immer sich feministisch engagiert, ist in den Köpfen von extrem rechten, islamistischen und anderen Antifeministen ein legitimes Ziel.
Dagegen wäre es wichtig, die gerade stattfindenden Kämpfe gegen patriarchale Herrschaft aller Art mehr wahrzunehmen und zu unterstützen, allen voran etwa für mehr Schutzräume wie Frauenhäuser, aber eben auch den Kampf der Deutsch- und Exil-Iraner:innen in Hamburg.
Untiefen: Danke für das Gespräch!