Schiffbruch mit Zuschauern
Der geplante Auftritt der antisemitischen Klimaaktivistin Zamzam Ibrahim in der Kulturfabrik Kampnagel sorgt für Empörung. Die Kritik an Ibrahim ist mehr als berechtigt, der Eklat legt jedoch vor allem grundsätzliche Probleme offen.
Eigentlich soll sich auf Kampnagel von Donnerstag bis Samstag alles um die gesellschaftlichen Herausforderungen durch die Klimakatastrophe drehen. Der dreitägige Schwerpunkt unter dem Titel How Low Can We Go? umfasst drei (Theater-)Performances, eine Performance-Installation sowie ein Workshop- und Vortragsprogramm. Gemeinsam sollen diese Formate zu einer kollektiven »Reorientierung« angesichts der Klimakatastrophe, der »wahrscheinlich langfristigsten politischen Mega-Krise unserer Zeit«, beitragen, wie es in der Ankündigung heißt.
Jetzt erhält die Veranstaltungsreihe breite mediale Aufmerksamkeit. Im Fokus stehen jedoch nicht die Herausforderungen der Klimakatastrophe, sondern die Gefahren des Antisemitismus. Grund dafür ist die Einladung der britischen Aktivistin Zamzam Ibrahim, die den Klima-Schwerpunkt mit einem Keynote-Vortrag »über intersektionale Aspekte von Klimagerechtigkeit« eröffnen und einen ›Safer-Space‹-Workshop für BIPoC (Schwarze, Indigene und People of Color) leiten soll.
Der Antisemitismusbeauftragte der Stadt Hamburg, Stefan Hensel, kritisierte diese Einladung in einer Pressemitteilung am Montag scharf: Kampnagel biete »einer ausgewiesenen Antisemitin […] eine Bühne«, lasse damit die Jüdinnen und Juden Hamburgs im Stich und wiederhole die Fehler der Documenta fifteen. Hensels Kritik, die sich zudem an den Kultursenator Carsten Brosda richtete, dessen Behörde den dreitägigen Klimaschwerpunkt finanziell unterstützt, wurde in den Medien schnell und breit rezipiert.
Wo verlaufen die ›roten Linien‹?
Hensel fordert, Ibrahim auszuladen: Sie unterstütze die antisemitische BDS-Kampagne gegen Israel und relativiere den Hamas-Terror, schreibt er mit Verweis auf Social-Media-Aktivität und öffentliche Auftritte Ibrahims. Amelie Deuflhard hingegen, die Intendantin von Kampnagel, verteidigt die Einladung: Man habe Ibrahim eingeladen, weil sie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit verbinde, wird Deuflhard im Hamburg-Journal zitiert. Außerdem werde sie am Donnerstag nicht über den ›Nahostkonflikt‹ sprechen und habe im persönlichen Gespräch auf Nachfrage bestätigt, »dass sie den Anschlag der Hamas [vom 7. Oktober 2023] klar verurteilt«.
Der von Hensel ebenfalls adressierte Kultursenator Carsten Brosda zeigt sich kritischer: Ibrahim sei »aufgrund ihrer teils antisemitischen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt zu Recht auf Kritik gestoßen«, urteilte er in einer Stellungnahme. Politischen Eingriffen in die Programmgestaltung von Kultureinrichtungen stehe er allerdings kritisch gegenüber; die Absage der Veranstaltungen mit Zamzam Ibrahim wollte er nicht fordern. Dass er dabei auf die Kunstfreiheit verwies, erstaunt jedoch, schließlich ist Ibrahim dezidiert als Aktivistin eingeladen, nicht als Künstlerin.
Dass alle Beteiligten an der Debatte ihre anti-antisemitische Haltung betonen, versteht sich. Deuflhard etwa benennt ihre ›roten Linien‹ in Sachen Antisemitismus – »die Absprache des Existenzrechtes Israels, Aufrufe zu Gewalt oder Hass gegenüber Juden und Jüdinnen«. Der Streit scheint sich somit mal wieder um die Frage zu drehen, wo genau diese ›roten Linien‹ verlaufen und wann sie erreicht sind: ob etwa die Unterstützung der BDS-Kampagne oder die Behauptung, Israel begehe in Gaza einen Genozid, auszuhaltende politische Positionen oder eine nicht zu tolerierende Form des Antisemitismus darstellen.
Deuflhard hat – wie auch Kultursenator Carsten Brosda – im Jahr 2020 die Erklärung der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit unterzeichnet, die im Namen der Vielfalt gegen die BDS-Resolution des Bundestags Stellung bezieht: »Unter Berufung auf diese Resolution werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt«, so die Erklärung.
Ist die Debatte also eigentlich nur eine um unterschiedliche Antisemitismusdefinitionen, wie Deuflhard es auch am Dienstag Abend im Hamburg Journal darstellte? Ist es schlicht so, dass Ibrahims Äußerungen gemäß IHRA-Definition antisemitisch sind, qua JDA-Definition jedoch nicht, und dass der Bezug auf die umfassendere IHRA-Antisemitismusdefinition hier eine ›wichtige Stimme beiseitedrängen‹ soll? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es, sich die Äußerungen und Positionen Zamzam Ibrahims genauer anzuschauen, für die sie nun kritisiert wird.
Als Studierendenvertreterin gegen Israel
Zamzam Ibrahim ist eine profilierte und gut vernetzte Klimaaktivistin. Sie hat eine Nachhaltigkeits-NGO gegründet, ist Beraterin der UN und besuchte bereits drei UN-Klimakonferenzen, zuletzt die COP28 in Dubai. Aber auch vor ihrem Klimaaktivismus war sie bereits politisch umtriebig – erst als Präsidentin der Students’ Union ihrer Universität in Salford, dann als Vorsitzende der britischen National Union of Students (NUS) und als Vizepräsidentin der European Students’ Union (ESU). Aktivismus gegen Israel bildet dabei eine Konstante ihres studentischen Engagements.
Als frisch gewählte NUS-Präsidentin versprach sie 2019, Antisemitismus-Trainings für NUS-Funktionär:innen anzubieten, nachdem es in den Jahren zuvor mehrere antisemitische Vorfälle1Im Januar 2023 veröffentlichte die NUS einen unabhängigen Bericht, der den Antisemitismus in der Studierendengewerkschaft aufarbeitet. Zamzam Ibrahim wird darin nicht erwähnt. in der Studierendengewerkschaft gegeben hatte. Der Erfolg dieser Trainings ist allerdings zweifelhaft: Zwei Jahre nach dem Ende von Ibrahims Amtszeit, im März 2022, lud die NUS zu ihrer Jahreskonferenz den antizionistischen und verschwörungsideologischen Rapper Lowkey ein.2Lowkey hatte sich durch Songtexte wie »You say you know about the Zionist lobby / But you put money in their pocket when you’re buying their coffee« und »It’s about time we globalised the intifada« profiliert. Auch zum 7. Oktober hat er antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet. Auf Kritik jüdischer Mitglieder an diesem Programmpunkt reagierte die NUS mit der Aufforderung, diese sollten dann doch einfach den Konzertsaal verlassen.3Vgl. dazu diesen Artikel der Zeitung The Jewish Chronicle. Als daraufhin Forderungen an Spotify laut wurden, Songs von Lowkey mit antisemitischen Lyrics von der Plattform zu nehmen, protestierte Ibrahim auf Twitter gegen diese Unterdrückung ›unseres [!] palästinensischen Aktivismus‹ und drohte mit Boykott: »If Spotify remove a single song of his [i.e. Lowkey], I swear will make it my full time job to campaign for a mass boycott. Don’t play with your bag Oga, ya’ll know how BDS has impacted companies.«
Bereits 2021, da war sie Vizepräsidentin der ESU, kritisierte die European Union of Jewish Students (EUJS) Ibrahim für ihre Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus auf Instagram.4In einer Instagram-Story habe sie einen Post geteilt, in dem es heißt: »If you are silent when it comes to Palestine, you would have been silent at the time of the Holocaust.« Die Aufforderung der EUJS, Ibrahim solle sich von ihrem Instagram-Post distanzieren oder anderenfalls von ihrem Amt entfernt werden, verhallte jedoch wirkungslos.
Nach dem 7. Oktober
Die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober scheint Ibrahim nie öffentlich verurteilt zu haben. Im Gegenteil, sie veröffentlichte in den Sozialen Medien mehrere Posts, die kaum anders denn als Legitimierung des Massakers gelesen werden können. Am 9. Oktober, zwei Tage nach dem Massaker, schrieb sie auf Twitter: »History will remember those that sided with the oppressor and ignored the oppressed. Justice lies with God, but the resistance is in our hands.« Am 12. Oktober polemisierte sie gegen einen Artikel Naomie Kleins, der die Legitimierung oder gar Feier des Hamas-Massakers durch viele (vermeintlich) Linke kritisiert: »Babe, what did you mean by Radical resistance you spoke about for indigenous communities? Or did that never apply to Palestinians?« Über die Opfer des zum ›(radikalen) Widerstand‹ verklärten Terrors verlor Ibrahim kein Wort.
Ibrahims Twitter-Profil ist seit dem 14. Januar auf ›privat‹ gestellt. Aber auch auf ihrem weiterhin öffentlichen Instagram-Profil ist sie aktiv. Am 15. Januar teilte Ibrahim in ihrer Instagram-Story etwa ein Bild mit dem Spruch: »Palestine has showed the world what resilience is. Yemen has showed the world what courage is. South Africe has showed the world what justice is.« Was genau mit der »palästinensischen Resilienz« gemeint ist, ist hier offen gelassen. Mit dem »Mut« des Jemen ist in diesem Zusammenhang aber unmissverständlich der Terrorismus der vom Iran finanzierten Huthi-Rebellen gemeint.
Gutes Klima mit Islamisten
Der Einwand, dass einzelne Posts in den sozialen Medien als Grundlage für eine Ausladung womöglich nicht ausreichen, hat durchaus seine Berechtigung. Im Falle Ibrahims geht das antiisraelische Engagement jedoch weit über symbolischen Social-Media-Aktivismus hinaus. Dabei offenbaren sich vor allem ihre Verbindungen zum politischen Islam.
Am 29. November etwa war sie eingeladener Gast bei einer Veranstaltung der Friends of Al-Aqsa (FOA), einer der Muslimbruderschaft zugehörigen, die Hamas unterstützenden britischen Organisation.5Ihr Gründer Ismail Patel vertritt einen politischen Islam und ist offener Anhänger der Hamas. 2009 verkündete er auf einer Demonstration für Gaza: »[W]e salute Hamas for standing up to Israel«. Am 7. Oktober postete FOA triumphierend das Video eines Baggers, der im Rahmen des Hamas-Angriffs auf Israel den Zaun an der Grenze von Gaza zerstört. Vgl. für eine palästinasolidarische, aber vergleichsweise antisemitismuskritische Perspektive auf FOA: https://www.workersliberty.org/story/2023–11-22/who-are-friends-al-aqsa. Ibrahims, vorsichtig formuliert, unkritische Nähe zum politischen Islam äußert sich auch in ihrem Aufruf im Februar 2022, für das Forum of European Muslim Youth and Student Organizations (FEMYSO) zu spenden, das vom Landesverfassungsschutz Baden-Württemberg ebenfalls der Muslimbruderschaft zugerechnet wird.6Im Bericht des Landesverfassungsschutzes Baden-Württemberg von 2022 wird FEMYSO als »Dachorganisation für die Jugendarbeit der Muslimbruderschaft« bezeichnet, die »in enger Kooperation mit den nationalen muslimischen Studenten- und Jugendverbänden als breiter Nachwuchspool für die europäische Muslimbruderschaft fungiert«.
Besonders schwer wiegt Ibrahims Auftritt in einer antiisraelischen Sendung von Press TV, dem Auslandssender des iranischen Regimes, am 20. Dezember. Schon der Umstand allein, dass Ibrahim sich von einem Sender des antisemitischen iranischen Regimes einladen lässt, das auch Umweltaktivist:innen einsperrt und foltert und das allein in den letzten vier Wochen 100 Menschen hat hinrichten lassen, ist nicht zu entschuldigen. Ihr Auftritt in der Sendung mit dem Titel »Gaza under Attack« ist zudem auch deshalb vielsagend, weil sie darin, eine Woche nach der COP28 in Dubai, explizit als Klimaaktivistin auftritt und adressiert wird.
So fragt der Moderator sie etwa nach der »intersectionality« der Anti-Israel-Proteste am Rande der COP28. Ibrahim antwortet: »Climate justice fundamentally is a global call for the end of destruction, displacement of people and land, which of course perfectly fits into the experience of the Palestinian people. […] The call for climate justice itself is very much intersectional in its practice, and calls for understanding that [in] any form of ethnic cleansing and genocide, wether it’s indigenous communities in the Amazonia forest or it’s the people of Palestine, the issues and the systems of oppression that exist there are very much the same.« Auf die Suggestivfragen des Moderators, etwa danach, ob das Ziel Israels es sei, den Gazastreifen »unbewohnbar« zu machen, antwortet Ibrahim stets zustimmend: »absolutely«.
Zweierlei Antisemitismus?
Zamzam Ibrahim ist also, das zeigen diese Quellen, eine ausgewiesene antizionistische Aktivistin, die es selbst beim Thema Klimagerechtigkeit schafft, in Israel das größte Übel auszumachen. Sie hat zur Unterstützung der BDS-Kampagne aufgerufen und Israels Politik mit der Shoah verglichen, sie hat den antisemitischen Terror der Hamas und der Huthi legitimiert und sie pflegt enge Verbindungen zu Organisationen und Vertretern des politischen Islam. Zusammengenommen sprechen diese Aspekte eine derart deutliche Sprache, dass selbst die Antisemitismusdefinition der – von vielen Antisemitismusforscher:innen als unzureichend kritisierten – Jerusalemer Erklärung hinreicht, um Ibrahims Äußerungen und Positionen als antisemitisch zu erkennen. Das Zusammentreffen all dieser Aspekte unterscheidet sie auch von anderen Eingeladenen im Rahmen des Klimafestivals, die in den sozialen Medien teilweise vergleichbar antisemitische Positionen zu Israel vertreten.7 Da ist zum Beispiel Juneseo Hwang, der auf Twitter ein Posting des rechten antiisraelischen Aktivisten Jackson Hinkle geteilt hat, das die internationale Unterstützung der von Südafrika initiierten Anklage Israels vor dem IGH feiert. Hwang verbindet diesen Tweet mit der Forderung, Israel nicht nur für ›Genozid‹, sondern aufgrund der mit dem Krieg einhergehenden Umweltzerstörung in Gaza auch für ›Ökozid‹ anzuklagen. Und da ist Giulia Casalini, die in einer Instagram-Story einen Post geteilt hat, in dem Gaza als »the world’s largest open-air prison and concentration camp« bezeichnet wird. Dass internationale Klimaaktivist:innen derartige antiisraelische Positionen vertreten, ist wenig überraschend. Dass solche Positionen und Haltungen auch in Deutschland keinerlei öffentliche Kritik hervorrufen, widerlegt zudem die verbreitete Erzählung, man könne angesichts der Zensur durch eine ›proisraelische Lobby‹ gar keine Kritik an Israel üben, ohne mit ›Antisemitismusvorwürfen‹ überzogen zu werden. So wie die allermeisten antiisraelischen und ›israelkritischen‹ Künstler:innen und Aktivist:innen haben Casalini und Hwang nichts zu befürchten.
Es stellt sich daher die Frage: Wie kann es sein, dass dieser Antisemitismus nicht erkannt wurde und dass daraus keine Konsequenzen gezogen wurden? Schließlich wurden informierten Kreisen zufolge nach dem 7. Oktober eigens interne Schulungen zu Antisemitismus angeboten. Und schließlich hat Kampnagel im November selbst gezeigt, dass es auch anders geht, indem eine Lesung des soeben mit antisemitischen Äußerungen hervorgetretenen Fernsehphilosophen Richard David Precht abgesagt wurde. Offiziell geschah die Ausladung bloß, weil am selben Abend der israelische Sänger Asaf Avidan im Haus auftrat und eine »Konfrontation« vermieden werden sollte. Die Kampnagel-Sprecherin Siri Keil machte gegenüber t‑online jedoch ein Bemühen Prechts »um ein tiefergehendes Verständnis der berechtigten Kritik und damit verbundenen Reflexion seiner Äußerungen« zur Bedingung für zukünftige Auftritte. Warum im Falle Ibrahims nicht einmal derartige Bedingungen formuliert werden, ist nicht nachvollziehbar.
Antisemitismus als blinder Fleck
Dass ein Umgang mit dem Problem des Antisemitismus hier gänzlich ausblieb, ist auch deshalb besonders frappierend, weil mit dem Hamburger Schauspieler und Regisseur Dor Aloni, der in Israel geboren und aufgewachsen ist, ein Künstler im Programm des Klimafestivals auftritt, der von Antisemitismus unmittelbar betroffen ist. In seiner gemeinsam mit Meera Theunert entwickelten (und bereits an allen drei Abenden ausverkauften) Performance Atlantis spürt er dem Atlantis-Mythos als »Vorlage für die Verbreitung faschistoider Welterzählungen und Zerstörungsphantasien« nach. Auch Antisemitismus wird in der Performance thematisiert. Die Idee, Aloni über die antisemitischen Haltungen der Eröffnungsrednerin zu informieren und ihn nach seiner Perspektive zu fragen, scheint aber niemandem gekommen zu sein – etwas, das auf Kampnagel im Falle von Rassismus oder Queerfeindlichkeit wohl undenkbar wäre. Es fällt schwer, daraus andere Schlüsse zu ziehen als, wie es der britische Comedian David Baddiel prägnant formuliert hat: Jews don’t count.
Das Leitbild von Kampnagel, man wolle ein von »Rücksichtnahme und Fürsorge« geprägter Ort des (Ver)Lernens sein, der »solidarisch mit marginalisierten, diskriminierten und illegalisierten Künstler:innen, Gästen und Kolleg:innen« ist, wird dadurch konterkariert. Wenn sich Kampnagel in einem Statement »zur Debatte über die Lage im Nahen Osten« zur Aufgabe setzt, »komplexe und widersprüchliche Realitäten von Menschen zu vermitteln«, dann ist das Haus an dieser Aufgabe durch die Einladung Ibrahims und den ungenügenden Umgang mit Kritik krachend gescheitert. Der ›plurale Diskursraum‹ Kampnagel erweist sich in Hinblick auf israelbezogenen Antisemitismus als ziemlich einstimmig. Nonkonformistische jüdische Perspektiven wie die von Dor Aloni sind in diesem Raum offenbar nicht vorgesehen.
Ob sich daran noch einmal etwas ändern wird, muss bezweifelt werden. Denn von Lernfähigkeit und Problembewusstsein ist in einem Statement Amelie Deuflhards gegenüber dem NDR gelinde gesagt wenig zu merken. »Es muss«, warnt sie, »auch in Deutschland möglich sein, die Regierungspolitik von Israel zu kritisieren. Wenn das nicht mehr möglich ist, wäre nicht nur die Kunstfreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheit verloren.« Deuflhard suggeriert hier zum einen, es gehe Zamzam Ibrahim um eine ›Kritik der Regierungspolitik von Israel‹, und impliziert zum anderen ebenso wahrheitswidrig, in Deutschland drohe die Verunmöglichung dieser Kritik und damit das Ende von Kunst- und Meinungsfreiheit. Damit aber malt sie ein derart verzerrtes Bild des öffentlichen Diskurses, dass sich die Frage stellt, zu welchem Grad es sich in dieser Hinsicht von jenem Ibrahims unterscheidet.
Was tun?
Stefan Hensels Pressemitteilung zu den Hintergründen der Einladung Zamzam Ibrahims hat starke öffentliche Reaktionen hervorgerufen. Vor allem Jüdinnen und Juden äußerten ihre Bestürzung und ihr Unverständnis angesichts der Entscheidung Kampnagels, an der Einladung festzuhalten. Das Junge Forum der DIG Hamburg und der DIG-Vorsitzende Volker Beck rufen inzwischen für Donnerstag zu einer Kundgebung vor Kampnagel auf.
Weitgehend still ist es bisher hingegen aus der Klimabewegung geblieben. In der Vergangenheit kam es hier, insbesondere angesichts antisemitischer Tendenzen in der weltweiten Klimabewegung, auch immer wieder zu Solidaritätserklärungen mit Jüdinnen und Juden und Bekenntnissen gegen Antisemitismus und Israelfeindschaft, etwa von Fridays for Future (FFF) Hamburg. Nicht so im aktuellen Fall. Eine Anfrage von Untiefen an FFF Hamburg blieb ebenso unbeantwortet wie eine Anfrage an Quang Paasch, ehemaliger Sprecher von FFF Deutschland, der am Samstag zusammen mit Zamzam Ibrahim den intersektionalen BIPoC-Workshop leiten soll.
Es ist wichtig, dass Jüdinnen und Juden in der aktuellen Situation konkrete sicht- und hörbare Solidarität erfahren. Und es gilt, den verbreiteten Versuchen der Selbstviktimisierung antiisraelischer Stimmen entgegenzutreten, mit denen die Gewalt antisemitischer (Sprech-)Handlungen geleugnet und die Rolle von Tätern und Opfern vertauscht wird. Gleichzeitig müssen ressentimentbeladene Reflexe und Instrumentalisierungsversuche der aktuellen Situation aber auch als solche benannt werden. Blickt man auf die Kommentare in den sozialen Medien, drängt sich der Eindruck auf, dass manche sich weniger aus Empörung über den Antisemitismus speisen (der bei einem bayerischen Rechtskonservativen wie Hubert Aiwanger viel eher entschuldigt wird) als aus der Freude über die Gelegenheit, einer jungen schwarzen Muslima die Pest an den Hals zu wünschen. Wenn die Welt den Unternehmer Daniel Sheffer mit der Behauptung zitiert, Ibrahim stehe »auf so fast jeder Liste der gefährlichsten Antisemiten in Europa«, ist das außerdem nicht nur überzogen, sondern schlicht unseriös – wo, bitteschön, soll es solche Listen geben? Die Häme schließlich, mit der den Verantwortlichen auf Kampnagel nun bisweilen »Schämt euch!« zugerufen wird, hat auch deshalb einen faden Beigeschmack, weil hier eine Institution im Fokus steht, die – ungeachtet aller Kritik – als Ort queerer und (post-)migrantischer Kultur in Hamburg einmalig ist.
Fest steht: Zamzam Ibrahim muss zwingend ausgeladen werden. Aber statt polternder Rhetorik und ressentimentgeladener Empörung darüber, was da mit ›unseren Steuergeldern‹ gemacht wird, bedarf es einer grundlegenden Auseinandersetzung mit den Strukturen, die zu der aktuellen Situation geführt haben. In dieser Hinsicht ist Amelie Deuflhard sogar rechtzugeben: Es braucht Diskursräume für Austausch und Auseinandersetzung. Der erste Schritt dahin wäre freilich, zu dieser Auseinandersetzung keine Antisemit:innen einzuladen. Damit sich Jüdinnen und Juden angstfrei in diesen Diskursräumen bewegen können; und damit in ihnen Platz für den Austausch über die drängenden gesellschaftlichen Probleme ist: über die Klimakatastrophe, globale Ausbeutungsverhältnisse und Rassismus – und vor allem über den Antisemitismus, der im Kulturbetrieb wie im Rest der Gesellschaft einen festen Platz hat.
Lukas Betzler
Der Autor hatte bereits länger zu Haltungen zum Antisemitismus im Hamburger Kulturbetrieb recherchiert. Die Diskussion um die Einladung Zamzam Ibrahims hat der Recherche eine unerwartete Brisanz und Tagesaktualität gegeben – und den eigentlichen Artikelplan völlig über den Haufen geworfen.
- 1Im Januar 2023 veröffentlichte die NUS einen unabhängigen Bericht, der den Antisemitismus in der Studierendengewerkschaft aufarbeitet. Zamzam Ibrahim wird darin nicht erwähnt.
- 2Lowkey hatte sich durch Songtexte wie »You say you know about the Zionist lobby / But you put money in their pocket when you’re buying their coffee« und »It’s about time we globalised the intifada« profiliert. Auch zum 7. Oktober hat er antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet.
- 3Vgl. dazu diesen Artikel der Zeitung The Jewish Chronicle.
- 4In einer Instagram-Story habe sie einen Post geteilt, in dem es heißt: »If you are silent when it comes to Palestine, you would have been silent at the time of the Holocaust.«
- 5Ihr Gründer Ismail Patel vertritt einen politischen Islam und ist offener Anhänger der Hamas. 2009 verkündete er auf einer Demonstration für Gaza: »[W]e salute Hamas for standing up to Israel«. Am 7. Oktober postete FOA triumphierend das Video eines Baggers, der im Rahmen des Hamas-Angriffs auf Israel den Zaun an der Grenze von Gaza zerstört. Vgl. für eine palästinasolidarische, aber vergleichsweise antisemitismuskritische Perspektive auf FOA: https://www.workersliberty.org/story/2023–11-22/who-are-friends-al-aqsa.
- 6Im Bericht des Landesverfassungsschutzes Baden-Württemberg von 2022 wird FEMYSO als »Dachorganisation für die Jugendarbeit der Muslimbruderschaft« bezeichnet, die »in enger Kooperation mit den nationalen muslimischen Studenten- und Jugendverbänden als breiter Nachwuchspool für die europäische Muslimbruderschaft fungiert«.
- 7Da ist zum Beispiel Juneseo Hwang, der auf Twitter ein Posting des rechten antiisraelischen Aktivisten Jackson Hinkle geteilt hat, das die internationale Unterstützung der von Südafrika initiierten Anklage Israels vor dem IGH feiert. Hwang verbindet diesen Tweet mit der Forderung, Israel nicht nur für ›Genozid‹, sondern aufgrund der mit dem Krieg einhergehenden Umweltzerstörung in Gaza auch für ›Ökozid‹ anzuklagen. Und da ist Giulia Casalini, die in einer Instagram-Story einen Post geteilt hat, in dem Gaza als »the world’s largest open-air prison and concentration camp« bezeichnet wird. Dass internationale Klimaaktivist:innen derartige antiisraelische Positionen vertreten, ist wenig überraschend. Dass solche Positionen und Haltungen auch in Deutschland keinerlei öffentliche Kritik hervorrufen, widerlegt zudem die verbreitete Erzählung, man könne angesichts der Zensur durch eine ›proisraelische Lobby‹ gar keine Kritik an Israel üben, ohne mit ›Antisemitismusvorwürfen‹ überzogen zu werden. So wie die allermeisten antiisraelischen und ›israelkritischen‹ Künstler:innen und Aktivist:innen haben Casalini und Hwang nichts zu befürchten.