Kein Schlussstrich

Kein Schlussstrich

Das Logis­tik­un­ter­neh­men Kühne+Nagel hat sich im NS erheb­lich an jüdi­schem Eigen­tum berei­chert. Vor zwei Jah­ren löste Kri­tik daran auf dem Har­bourfront Lite­ra­tur­fes­ti­val einen klei­nen Eklat aus. Das Fes­ti­val fällt die­ses Jahr nun aus. Mul­ti­mil­li­ar­där Kühne hin­ge­gen scheint kei­nen Scha­den davon­ge­tra­gen zu haben. Doch das letzte Wort ist noch nicht gespro­chen: In Bre­men gibt es seit einem Jahr ein Mahn­mal; und neue Recher­chen eines renom­mier­ten Jour­na­lis­ten könn­ten die Debatte noch ein­mal anfachen.

Das Mahn­mal in Bre­men mag ver­gli­chen mit der Kühne+Nagel-Zen­trale klein sein, doch seine Wir­kung sollte nicht unter­schätzt wer­den. Foto: Niko­lai Wolff/Fotoetage

Vor zwei Jah­ren, Ende August 2022, kam es auf dem Har­bourfront Lite­ra­tur­fes­ti­val zum Eklat: Die Untie­fen-Redak­tion hatte einige Wochen zuvor in einer E‑Mail die acht für den nach Klaus-Michael Kühne benann­ten Debüt­preis des Fes­ti­vals nomi­nier­ten Schriftsteller:innen über die NS-Geschichte von Kühne+Nagel sowie ihre Ver­leug­nung durch den Fami­li­en­er­ben und Unter­neh­mens­in­ha­ber Kühne infor­miert. Einer von ihnen, der für sein Debüt Drau­ßen fei­ern die Leute nomi­nierte Sven Pfi­zen­maier, zog dar­auf­hin seine Teil­nahme zurück.

Das Fes­ti­val ver­suchte noch, Pfi­zen­mai­ers Rück­zug und seine Gründe unter dem Radar der Öffent­lich­keit zu hal­ten, doch es gelang nicht: Die Medien berich­te­ten dar­über, Pfi­zen­mai­ers Kol­le­gin Fran­ziska Gäns­ler zog ihre Teil­nahme eben­falls zurück, das Fes­ti­val und die Kühne-Stiftung, die nicht nur das Preis­geld stif­tete, son­dern auch als Haupt­spon­sor fun­gierte, gerie­ten stark unter Druck. Die­ser öffent­li­che Druck war es, der dann dazu führte, dass bin­nen weni­ger Tage nicht nur der Kühne-Preis umbe­nannt wurde, son­dern auch die Kühne-Stiftung sich aus dem Spon­so­ring zurück­zog. Die Jury des Prei­ses sprach Pfi­zen­maier und Gäns­ler in ihrer Stel­lung­nahme zur Preis­ver­gabe dann aus­drück­lich ihren Respekt und ihre Unter­stüt­zung aus (eine aus­führ­li­che Chro­nik der Ereig­nisse fin­det sich hier).

Aufruhr im Hamburger Literaturbetrieb

Der Aus­stieg Küh­nes als Spon­sor des Har­bourfront Fes­ti­vals war wohl schon zuvor geplant gewe­sen. Doch ein nach­hal­ti­ger Ersatz für den jah­re­lan­gen Haupt­spon­sor scheint sich nicht gefun­den zu haben: Die­ses Jahr fällt das Fes­ti­val erst­mals seit sei­ner Grün­dung vor 15 Jah­ren aus. Es wird zwar sicher nicht nur an dem Eklat von vor zwei Jah­ren lie­gen, dass sich das Fes­ti­val nun »orga­ni­sa­to­risch, per­so­nell und finan­zi­ell neu auf­zu­stel­len« ver­sucht, wie in einer Pres­se­mit­tei­lung vom Februar die­ses Jah­res ver­kün­det wurde. Aber ganz ohne Zusam­men­hang wird es nicht sein, denn mit der Kühne-Stiftung zog sich der zen­trale Geld­ge­ber zurück, ohne den das Fes­ti­val gar nicht hätte ins Leben geru­fen wer­den kön­nen – trotz jähr­lich 100.000 Euro fes­ter För­de­rung von der Kulturbehörde.

In den Medien und im Ham­bur­ger Lite­ra­tur­be­trieb wurde die Nach­richt vom Aus­fall des Fes­ti­vals mit Sorge auf­ge­nom­men. Schließ­lich reichte die Aus­strah­lung des Har­bourfront weit über Ham­burg hin­aus. Und es hat, wie Lite­ra­tur­haus­chef Rai­ner Moritz es gegen­über dem NDR im Betriebs­jar­gon aus­drückte, in Ham­burg ›den lite­ra­ri­schen Markt unglaub­lich belebt‹. Auch die Kul­tur­be­hörde wirkte, als sei sie von der Nach­richt über­rascht wor­den. Sie kün­digte zwar an, sich um Ersatz zu küm­mern, doch suchte offen­bar nicht selbst das Gespräch mit den Akteur:innen des Ham­bur­ger Literaturbetriebs.

Die Initia­ti­ven für ›Ersatz­fes­ti­vals‹ kamen statt­des­sen von pri­vat­wirt­schaft­li­chen Akteur:innen. Gleich zwei Fes­ti­vals wol­len nun die Lücke fül­len, die das Har­bourfront die­ses Jahr lässt: Die Blan­ke­ne­ser Buch­hand­lung Was­ser­mann rich­tet in der ers­ten Sep­tem­ber­hälfte mit der Herbst­lese Blan­ke­nese ein eige­nes Lite­ra­tur­fes­ti­val aus. Sogar einen Debüt­preis gibt es. Das Geld für die gro­ßen Namen und den Preis kommt vor allem vom Blan­ke­ne­ser Besitz­bür­ger­tum: Die Lange-Rode-Stiftung, deren Geld ursprüng­lich vor allem aus der Kronkorken-Produktion stammt, ist der Haupt­spon­sor. Das zweite ›Ersatz­fes­ti­val‹ ist umstrit­ten. Das Unter­neh­men hin­ter der lit.COLOGNE hat mit ELB.lit einen Ham­bur­ger Able­ger gestar­tet, der wie das Har­bourfront vor allem auf Events und große Namen setzt. Aber nicht das in wei­ten Tei­len ambi­ti­ons­lose Pro­gramm, son­dern nur der Umstand, dass die 100.000 Euro För­de­rung von der Kul­tur­be­hörde nun nicht an ein Ham­bur­ger, son­dern an ein Köl­ner Unter­neh­men gehen, sorgte hier für Empörung.

Rückblickend auf den Eklat

Bes­ser als der Ham­bur­ger Lite­ra­tur­be­trieb schei­nen die bei­den aus Pro­test gegen Kühne zurück­ge­tre­te­nen Autor:innen den Eklat vor zwei Jah­ren über­stan­den zu haben. Beide haben inzwi­schen ihren zwei­ten Roman ver­öf­fent­licht. Fran­ziska Gäns­lers Wie Inseln im Licht erschien im Früh­jahr, Sven Pfi­zen­mai­ers Schwät­zer ist gerade erschie­nen und fei­ert am 4. Sep­tem­ber in Ber­lin Buch­pre­miere.  

Wie blickt er auf die Geschichte zurück? Gegen­über Untie­fen sagte Pfi­zen­maier, er würde die Ent­schei­dung heute genauso wie­der tref­fen. Es sei zwar ein Kampf gegen Wind­müh­len, aber trotz­dem: »Wo es Lite­ra­tur betrifft, fühlt es sich auch ein biss­chen per­sön­lich an, und ich bin froh, die Gele­gen­heit genutzt zu haben, ein Zei­chen zu setzen.«

Die Befürch­tung, dass die Ent­schei­dung nega­tive Aus­wir­kun­gen auf sein Stan­ding im Lite­ra­tur­be­trieb gehabt hätte, scheint sich nicht bewahr­hei­tet zu haben, sagt Pfi­zen­maier: »Man pro­gnos­ti­zierte mir teil­weise, mich mit der Ent­schei­dung bei Preis­ju­rys womög­lich unbe­liebt zu machen, ich kann das nicht bis­her nicht bestä­ti­gen. Ich habe viel Zuspruch und Unter­stüt­zung von allen mög­li­chen Sei­ten bekommen.« 

Die Kri­tik an Küh­nes ver­wei­ger­ter Auf­ar­bei­tung sei­ner Familien- und Unter­neh­mens­ge­schichte, an sei­nem art washing und an dem Schwei­gen der Öffent­lich­keit dazu scheint jedoch schnell ver­pufft zu sein. Die vom damals eben­falls nomi­nier­ten Schrift­stel­ler Dome­nico Mül­len­sie­fen geäu­ßerte For­de­rung, dem Rück­zug der öffent­li­chen Kul­tur­för­de­rung Ein­halt zu gebie­ten, und sein Behar­ren dar­auf, dass nicht Kühne allein das Pro­blem sei, son­dern dass »deut­scher Reich­tum in vie­len, wenn nicht sogar in den meis­ten Fäl­len auf dem Rücken der Opfer der NS-Zeit ent­stan­den« sei, fan­den kaum Widerhall.

Kühnes Milliarden: ungefährdet

Struk­tu­rell hat sich tat­säch­lich nichts ver­än­dert. Wäh­rend die Buch­bran­che mehr denn je auf finan­zi­elle För­de­rung – öffent­lich oder pri­vat – ange­wie­sen ist,1Die Krise der Buch­bran­che hat sich ver­schärft, auch in Ham­burg, wo zuletzt die Edi­tion Nau­ti­lus einen Hil­fe­ruf abge­setzt und eine struk­tu­relle Ver­lags­för­de­rung gefor­dert hat, ähn­lich wie es sie schon für Pro­gramm­ki­nos und Thea­ter gibt. sieht die Lage bei den Super­rei­chen gewohnt rosig aus. So ist auch Klaus-Michael Kühne in den letz­ten zwei Jah­ren vor allem rei­cher gewor­den. Auf dem Bloom­berg Bil­lionaires Index wird sein geschätz­tes Ver­mö­gen aktu­ell mit knapp 45 Mrd. US-Dollar ange­ge­ben, womit er nun erst­mals als reichs­ter Deut­scher fir­miert. Und wie eh und je hält er sich mit ›Vor­schlä­gen‹ und State­ments in der (Medien-)Öffentlichkeit: Wie­der und wie­der wirbt er für seine Pläne eines neuen Opern­hau­ses, er ist als Anteils­eig­ner beim Elb­tower ein­ge­stie­gen (und ist dabei, so die Selbst­dar­stel­lung, »dem Charme von Benko erle­gen«), er hat sich über den geplan­ten Teil­ver­kauf der HHLA an den Hapag-Lloyd-Konkurrenten MSC geär­gert und das DB-Konkurrenzunternehmen Flix über­nom­men.

Der Ham­bur­ger Sitz von Kühne+Nagel am Gro­ßen Gras­brook. Hier erin­nert nichts an die Ver­gan­gen­heit des Unter­neh­mens als NS-Profiteur. Foto: Wmein­hart (Wiki­me­dia), Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Den Eklat von vor zwei Jah­ren scheint er gänz­lich unbe­scha­det über­stan­den zu haben. Dass Kühne+Nagel 1933 sei­nen jüdi­schen Teil­ha­ber Adolf Maass aus dem Unter­neh­men drängte, um dann wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs in vie­len besetz­ten Län­dern Euro­pas Nie­der­las­sun­gen zu grün­den, sich so ein Quasi-Monopol auf den Abtrans­port jüdi­schen Eigen­tums zu sichern und dadurch mas­siv von der Ver­fol­gung, Ver­trei­bung und Ermor­dung der euro­päi­schen Jüdin­nen und Juden zu pro­fi­tie­ren – davon ist kaum noch zu lesen oder zu hören. Im Gegen­satz etwa zu der Frage, wel­chen Trai­ner Kühne für ›sei­nen‹ HSV wün­schen würde, hat diese Geschichte offen­bar kei­nen Nach­rich­ten­wert. Und für das Pri­vi­leg eines Exklu­siv­in­ter­views mit Kühne ver­zich­tet man etwa beim Ham­bur­ger Abend­blatt sehr bereit­wil­lig auf kri­ti­sche Fra­gen. Auch eine kri­ti­sche Zivil­ge­sell­schaft hat sich in Ham­burg immer noch nicht for­miert. Küh­nes Wunsch nach einem Schluss­strich scheint sich hier wei­test­ge­hend erfüllt zu haben.

Von Bremen lernen

In Bre­men, wo Kühne+Nagel vor 134 Jah­ren gegrün­det wurde und wo immer noch die Deutsch­land­zen­trale ihren Sitz hat, ist das anders. Vor allem dem Enga­ge­ment Hen­ning Bleyls und Evin Oet­tings­hau­sens ist es zu ver­dan­ken, dass das Thema dort, anders als in Ham­burg, wei­ter­hin im öffent­li­chen Bewusst­sein gehal­ten wird. Bleyl und Oet­tings­hau­sen kämpf­ten jah­re­lang für ein Mahn­mal in Bre­men, das an den sys­te­ma­ti­schen Raub und die Ent­eig­nung jüdi­schen Eigen­tums im Natio­nal­so­zia­lis­mus und die Betei­li­gung bre­mi­scher Unter­neh­men, Behör­den und Bür­ge­rin­nen und Bür­ger daran erin­nert. Vor einem Jahr, am 10. Sep­tem­ber 2023, wurde das Mahn­mal ein­ge­weiht, das nun in Sicht­weite des Kühne+Nagel-Gebäu­des an die Opfer der ›Ari­sie­run­gen‹ erinnert.

Gri­gori Pan­ti­je­lew, Vor­stand der jüdi­schen Gemeinde Bre­men, bei sei­ner Rede zur Ein­wei­hung des Mahn­mals. Foto: Niko­lai Wolff/Fotoetage

Zur Ein­wei­hung zeigte sich Gri­gori Pan­ti­je­lew, Ver­tre­ter der jüdi­schen Gemeinde Bre­men, kämp­fe­risch: Das kleine Mahn­mal und das prot­zige Rie­sen­ge­bäude von Kühne+Nagel erin­ner­ten ihn an die Geschichte von David und Goli­ath, sagte er, – und man wisse ja, wer am Ende gewon­nen hat. Bei der Ein­wei­hung sprach auch Bar­bara Maass, eine Enke­lin von Adolf und Käthe Maass, die eigens zu die­sem Anlass zusam­men mit ihrem Mann aus Mon­tréal nach Deutsch­land gekom­men war. Sie hielt in Bre­men eine (hier nach­zu­le­sende) Rede, in der sie die Auf­ar­bei­tung der »skru­pel­lo­sen Hand­lun­gen der Kom­pli­zen und Pro­fi­teure des Holo­causts« – auch und gerade von Kühne+Nagel – for­derte, und zwar »hier und jetzt«. Ihr Deutsch­land­be­such führte Bar­bara Maass auch nach Ham­burg, wo sie das ehe­ma­lige Wohn­haus der Fami­lie Maass in Win­ter­hude besich­tigte, in dem ihr Vater Ger­hard seine Eltern noch 1938 besucht hatte. Außer­dem besuchte sie die Gedenk­stätte Han­no­ver­scher Bahn­hof – den Ort, an dem im Juli 1942 auch jener Zug abfuhr, der ihre Groß­el­tern nach The­re­si­en­stadt deportierte.

Bleyl und Oet­tings­hau­sen enga­gie­ren sich der­weil wei­ter. Sie orga­ni­sie­ren erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Rad­tou­ren, betrei­ben wei­ter Recher­chen und küm­mern sich um das Mahn­mal. Mit Spach­tel und Putz­zeug haben sie eigen­hän­dig Auf­kle­ber und Farbe von den Fens­tern und Rah­men geschrubbt. Und sie haben dafür gesorgt, dass das Mahn­mal nun auch end­lich eine Text­ta­fel erhält, die über seine Bedeu­tung auf­klärt. Am 10. Sep­tem­ber, zum Jah­res­tag der Eröff­nung, wird die neue Tafel in Bre­men ein­ge­weiht werden.

Neue Impulse im Kampf um Aufklärung?

Neue Impulse könnte die öffent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung um den Umgang mit der Geschichte Kühne+Nagels als NS-Profiteur nun aus den USA erhal­ten. Der nie­der­län­di­sche Jour­na­list David de Jong hatte 2022 mit sei­nem Buch Brau­nes Erbe über die NS-Verstrickungen der reichs­ten deut­schen Unter­neh­mer­dy­nas­tien – der Fami­lien Quandt, Flick, von Finck, Porsche-Piëch, Oet­ker und Rei­mann – inter­na­tio­nal für Auf­se­hen gesorgt. Die Fami­lie Kühne fehlte in die­ser Zusam­men­stel­lung. Nun aber hat er andert­halb Jahre recher­chiert, um einen Nach­trag zu Kühne+Nagel zu schrei­ben. Noch im Sep­tem­ber wird sein umfang­rei­cher Inves­ti­ga­tiv­ar­ti­kel in der Zeit­schrift Vanity Fair erschei­nen.

Dass Kühne in sei­nem Buch nicht auf­tauchte, hatte einen ein­fa­chen Grund: Klaus-Michael Kühne hat zwar ein ›brau­nes Erbe‹ ange­tre­ten, doch er selbst hat keine Erben. Sein Ver­mö­gen wird nach sei­nem Tod einer Stif­tung ver­macht wer­den. Der Impuls, nun trotz­dem noch über Kühne zu recher­chie­ren und zu schrei­ben, kam zunächst von außen, berich­tet de Jong im Gespräch mit Untie­fen: Er sei 2022 nach dem Erschei­nen sei­nes Buchs von meh­re­ren Leser:innen – dar­un­ter der in Eng­land leben­den Groß­nichte von Adolf und Käthe Maass – ange­regt wor­den, auch noch zur Geschichte der Küh­nes zu recherchieren.

David De Jongs Buch Brau­nes Erbe erschien 2022 bei Kie­pen­heuer & Witsch.

Die Recher­chen führ­ten im Ver­lauf der andert­halb Jahre in vier ver­schie­dene Län­der, berich­tet de Jong. So sprach er in Mon­tréal mit Bar­bara Maass und sich­tete Bestände des Mont­real Holo­caust Museum; er besuchte in Bre­men die Eröff­nung des Mahn­mals und recher­chierte in Ham­burg im hie­si­gen Staats­ar­chiv. Obwohl Klaus-Michael Kühne den Zugang zum Unter­neh­mens­ar­chiv immer noch ver­sperrt, ver­spricht de Jongs Arti­kel bri­sante neue Erkennt­nisse – und zwar nicht nur über das Aus­maß der Betei­li­gung von Kühne+Nagel an der M‑Aktion, son­dern auch über das Aus­maß der Ver­schleie­rung und Ver­drän­gung die­ser Ver­bre­chen nach dem Zwei­ten Welt­krieg, nicht zuletzt durch Klaus-Michael Kühne selbst.

Die deut­sche Aus­gabe der Vanity Fair wurde vor 15 Jah­ren ein­ge­stellt. De Jongs Arti­kel wird also zunächst nicht auf Deutsch zu lesen sein. Es steht zu hof­fen, dass seine Ent­hül­lun­gen trotz­dem auch hier gebüh­rende Wir­kung ent­fal­ten wer­den. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Her­stel­lung einer inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit für den ent­schei­den­den Impuls in einer Debatte um die NS-Aufarbeitung sorgt – erin­nert sei hier etwa an die Debatte um die Ent­schä­di­gung von Zwangsarbeiter:innen Ende der neun­zi­ger Jahre. Dass erst auf inter­na­tio­na­len Druck hin gehan­delt wird, ist bezeich­nend für den in Deutsch­land übli­chen Wider­wil­len, die Ver­gan­gen­heit ernst­haft auf­zu­ar­bei­ten. Aber es zeigt auch: Beharr­lich­keit lohnt sich; und nie­mand sitzt so fest auf sei­nem Thron, dass er nicht ins Wan­ken gebracht wer­den kann. Der HSV, von Kühne maß­geb­lich finan­zi­ell unter­stützt, galt lange als »unab­steig­bar« und düm­pelt nun seit sechs Jah­ren in der zwei­ten Bun­des­liga herum. Auch Kühne, der manch­mal als unbe­zwing­bar erscheint, wird mit sei­ner For­de­rung nach einem Schluss­strich unter die Ver­gan­gen­heit und sei­ner Behin­de­rung der Auf­ar­bei­tung nicht mehr lange durchkommen.

Lukas Betz­ler, Sep­tem­ber 2024

Der Autor ist Mit­glie­der der Redak­tion Untie­fen. Er hat hier schon vor zwei Jah­ren Bei­träge zu Kühne+Nagel ver­öf­fent­licht und einen auf You­tube nach­zu­hö­ren­den Vor­trag von Hen­ning Bleyl zu dem Thema mode­riert. Den neuen Roman von Sven Pfi­zen­maier hat er gerade mit im Urlaubsgepäck.

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    Die Krise der Buch­bran­che hat sich ver­schärft, auch in Ham­burg, wo zuletzt die Edi­tion Nau­ti­lus einen Hil­fe­ruf abge­setzt und eine struk­tu­relle Ver­lags­för­de­rung gefor­dert hat, ähn­lich wie es sie schon für Pro­gramm­ki­nos und Thea­ter gibt.

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