Der neue Garten des Kapitalismus

Der neue Garten des Kapitalismus

Im Her­zen Ham­burgs wurde der ehe­ma­lige Flak­turm IV, der Bun­ker an der Feld­straße, auf­ge­stockt und begrünt. In die­sem Zuge sollte auch ein Dach­gar­ten als Park für die Öffent­lich­keit ent­ste­hen. Her­aus­ge­kom­men ist eine alles andere als ein­la­dende Dau­er­wer­be­flä­che. Sie ist auch ein Fens­ter auf die der­zei­tige Stadt­ent­wick­lung und ‑ver­wer­tung.

Der Bun­ker an der Feld­straße kurz nach der Eröff­nung des Dach­gar­ten­ho­tels. Foto: privat. 

„Ein Park soll zum Ver­wei­len ein­la­den“, hieß es in der im Mai 2015 erschie­ne­nen zwei­ten Aus­gabe des Ideen­jour­nals für eine Stadt­na­tur auf St. Pauli. Her­aus­ge­ge­ben hatte das Heft eine im Jahr 2014 gegrün­dete Initia­tive von Anwohner:innen, die sich für die Begrü­nung des ehe­ma­li­gen Flak­bun­kers an der Feld­straße ein­setzte – so zumin­dest die öffent­li­che Dar­stel­lung. Kri­tik an dem Pro­jekt gab es schon zu die­sem Zeit­punkt. Neben Zwei­feln an der Selbst­dar­stel­lung der Initia­tive warn­ten ansäs­sige urban-gardening-Grup­pen auch vor der Ver­ein­nah­mung stadteil­po­li­ti­scher Anlie­gen durch Inves­to­ren und Krea­tiv­agen­tu­ren. In einer gemein­sa­men Stel­lung­nahme aus dem Jahr 2014 ver­ur­teil­ten sie „die mar­ke­ting­tech­nisch gewitzte Prä­sen­ta­tion des Groß­vor­ha­bens“. Die „Bun­ker­groß­bau­stelle beschert uns eine grüne Aufwertungsspirale.“

Rund zehn Jahre spä­ter, im Juli 2024, fei­er­ten der Dach­gar­ten und mit ihm unter ande­rem ein Hotel in sei­nem Inne­ren ihre Eröff­nung. Die Kri­tik ist mitt­ler­weile fast ver­stummt. Die Lokal­presse über­nahm nicht nur den Marketing-Sprech vom „grü­nen Bun­ker“, sie beju­belt ihn nahezu durch­gän­gig als „neues Wahr­zei­chen Ham­burgs“. Doch ein Blick hin­ter die Fas­sade – oder bes­ser: ihr Gestrüpp – eröff­net ein ande­res Bild. Der Park, wenn er denn so genannt wer­den kann, lädt nicht gerade zum Ver­wei­len ein. Viel­mehr scheint der Dach­gar­ten vor allem ein geschick­tes Mar­ke­ting­tool zu sein, das nicht nur den Bun­ker auf­stockt, son­dern auch das fik­tive Kapi­tal von Immo­bi­li­en­port­fo­lios. Zeit also für eine Bestandsaufnahme. 

Das Versprechen des Parks

In der Moderne trug der Park ein Ver­spre­chen in sich. Im städ­ti­schen Raum gele­gen, sollte er offen für alle und frei zugäng­lich sein; Erho­lung, Sport, Spiel und Ent­span­nung vor allem jenen bie­ten, die – ein­ge­pfercht in Fabri­ken und beengte Wohn­ver­hält­nisse – kei­nen Zugang zur freien Natur hat­ten. Darin unter­schei­det er sich vom herr­schaft­li­chen Gar­ten, der zuvor­derst Macht und Reich­tum reprä­sen­tiert und mehrt. Der Stadt- sowie der Alto­naer Volks­park, die beide um die Jahr­hun­dert­wende erdacht und in der Folge gestal­tet wur­den, kön­nen als Bei­spiele öffent­li­cher Parks die­nen. Sollte nun die­ses Ver­spre­chen nicht in fal­scher Nost­al­gie als Folie der Kri­tik auf­ge­spannt wer­den, so lag es jedoch auch dem nun begrün­ten Bun­ker zugrunde. In der ers­ten Aus­gabe des oben erwähn­ten Ideen­jour­nals war etwa die Rede von einer „völ­lig neuen Stadt­na­tur“, von „Gar­ten­flä­chen, auf denen man sich zum Pick­nick trifft“, es sollte ein „Gar­ten vie­ler wer­den“ – gar ein „Pilot­pro­jekt“, das „nicht zuletzt für mehr Lebens­qua­li­tät in der wach­sen­den Stadt“ sor­gen sollte.

Wie die­ser Park zum Ver­wei­len oder Pick­ni­cken ein­la­den soll, wenn selbst ein But­ter­brot nicht erlaubt ist, bleibt unklar. Foto: privat

Die Rea­li­tät sieht anders aus. Gleich am Ein­gang, der mit mar­tia­li­schen Dreh­kreu­zen (Öff­nungs­zei­ten der­zeit 9 bis 21 Uhr, nicht wie ver­spro­chen 7 bis 23 Uhr) auf­war­tet, pran­gen vier große Ver­bots­schil­der: keine Hunde, keine mit­ge­brach­ten Spei­sen und Getränke, Rauch­ver­bot. Durch­ge­setzt wer­den diese Ver­bote von einem pri­va­ten Sicher­heits­dienst, der die Besucher:innen nicht nur auf Schritt und Tritt beäugt, son­dern am Ein­gang bis­wei­len auch strengs­tens durch­sucht. Der Zutritt zum Dach­gar­ten fühlt sich an wie ein Grenz­über­tritt. Wer es dann über die Grenze schafft, sollte jedoch kein grü­nes Para­dies erwar­ten. Denn wie die­ser Park zum Ver­wei­len oder Pick­ni­cken ein­la­den soll, wenn selbst ein But­ter­brot nicht erlaubt ist und Sitz­mög­lich­kei­ten – zumin­dest sol­che, für die nicht kon­su­miert wer­den muss – rar sind, bleibt unklar. Zumin­dest der­zeit scheint es, als hoffe man auf einen mög­lichst kur­zen Auf­ent­halt der Besucher:innen. Immer­hin ist der Zutritt zum Gar­ten auf 900 Per­so­nen begrenzt und es sol­len ja mög­lichst viele über den soge­nann­ten „Berg­pfad“ auf den Bun­ker stei­gen, um zumin­dest das Ver­spre­chen eines öffent­li­chen Parks gewahrt blei­ben zu las­sen. Bar­rie­re­frei ist der Dach­gar­ten indes nicht. Wer im Roll­stuhl sitzt oder nicht gut zu Fuß ist, kommt „nur auf spe­zi­elle Nach­frage und in Beglei­tung“ ganz nach oben.

Der Dach­gar­ten ist ein tro­ja­ni­sches Pferd aus Beton und Gestrüpp. Unter dem Schein der Gemein­nüt­zig­keit las­sen sich die innen­lie­gen­den Flä­chen nur umso bes­ser vermarkten.

Aber wofür dann der große Auf­wand und die in der Presse genannte Inves­ti­ti­ons­summe von 60 Mil­lio­nen Euro? In der offi­zi­el­len Erzäh­lung heißt es, dass die Ver­mie­tung der Räume im Inne­ren des auf­ge­stock­ten Bun­kers seine Begrü­nung finan­ziere und die lau­fen­den Kos­ten decke. Nun, nach der Eröff­nung, scheint doch ein­ge­trof­fen zu sein, was man­che schon vor eini­ger Zeit befürch­tet hat­ten. Der Dach­gar­ten ist ein tro­ja­ni­sches Pferd aus Beton und Gestrüpp. Unter dem Schein der Gemein­nüt­zig­keit las­sen sich die innen­lie­gen­den Flä­chen nur umso bes­ser ver­mark­ten. So geriert sich der grüne Bun­ker als Park für alle, fällt jedoch hin­ter sein Ver­spre­chen zurück. Ent­stan­den ist ein neu­ar­ti­ger herr­schaft­li­cher Gar­ten – nicht eines früh­neu­zeit­li­chen Mon­ar­chen, son­dern eines Unter­neh­mers im Zeit­al­ter des digi­ta­len Finanz­markt­ka­pi­ta­lis­mus. Der ver­meint­lich öffent­li­che Dach­gar­ten soll nicht Reich­tum zur Schau stel­len, son­dern ein pro­fi­ta­bles Invest­ment ermög­li­chen und gegen Kri­tik schützen.

Öko-Gentrifizierung: die New Yorker High Line als zweifelhaftes Vorbild

Sowohl in der Lokal­presse als auch von­sei­ten der Macher:innen des Bun­kers wird immer wie­der auf die New Yor­ker High Line als Vor­bild des städ­ti­schen Dach­gar­tens ver­wie­sen. Aus einer alten Bahn­trasse wurde in der US-Metropole ein über zwei Kilo­me­ter lan­ger, mitt­ler­weile welt­be­rühm­ter Park. Eine lokale Inter­es­sens­ge­mein­schaft hatte sich Ende der 1990er Jahre zusam­men­ge­fun­den, um die Bahn­trasse vor ihrem Abriss zu ret­ten und in einen Park umzu­ge­stal­ten. Nach des­sen Eröff­nung wurde die High Line schnell zum Tourist:innen-Magnet. Ins­be­son­dere die umlie­gen­den Gebäude erfuh­ren eine mas­sive Wert­stei­ge­rung. Mitt­ler­weile wird in Ver­bin­dung mit der High Line auch von Öko-Gentrifzierung gespro­chen. Nun war diese Ent­wick­lung kein genui­nes Anlie­gen der High Line-Interessensgemeinschaft; auch man­che ihrer Gründer:innen kri­ti­sie­ren die mas­sive Wert­stei­ge­rung im Umfeld des neu­ge­schaf­fe­nen Parks.

Der Bun­ker ohne Dach­gar­ten im Jahr 2018. Foto: privat.

In der Bericht­erstat­tung um den grü­nen Bun­ker sowie in der Selbst­dar­stel­lung sei­ner Macher:innen erfah­ren diese Fol­gen der High Line keine Erwäh­nung. Es ver­hält sich beim Bun­ker auch anders. Ist zwar zu ver­mu­ten, dass eine wei­tere Attrak­tion im Stadt­teil zu des­sen Auf­wer­tung bei­trägt, so stei­gert die Begrü­nung wohl vor allem den Wert des Bun­kers selbst. Und: anders als bei der High Line war diese Ent­wick­lung hier wohl von vorn­her­ein geplant. Bereits Jahre bevor die ers­ten Besucher:innen den Bun­ker erklim­men konn­ten und noch vor sei­ner tat­säch­li­chen Begrü­nung, wurde er über letz­tere schon vor­aus­ei­lend zur Marke gemacht. Der Instagram-Account unter den Namen „ham­burg­bun­ker“ setzte schon Ende 2021 sei­nen ers­ten Post ab. Nur durch die ver­meint­lich gemein­wohl­ori­en­tierte Begrü­nung erfuhr der Bun­ker ein gro­ßes Medi­en­echo. In den letz­ten Mona­ten berichte die Lokal­presse wöchent­lich, zuletzt gar täg­lich über ihn.

Der Account ver­linkt auf die offi­zi­elle Web­seite der RIMC Bun­ker Ham­burg Hotel­be­triebs­ge­sell­schaft bezie­hungs­weise der RIMC Inter­na­tio­nal Hotels & Resorts GmbH, die den Zuschlag für die Ver­mie­tung und Ver­mark­tung der Innen­flä­chen erhal­ten hatte. Dass die bekannte Hard Rock-Kette nach lan­gem Hin-und-Her ihre neue Hotel­marke unter dem Namen „Reverb“ im Bun­ker plat­zie­ren konnte, dürfte sich für sie aus­zah­len, um diese, wie es im Jar­gon heißt, Brand Exten­sion bekannt zu machen. Die Medi­en­be­richt­erstat­tung häm­merte den Leser:innen bei­läu­fig nicht nur den Namen der neuen Hotel­marke ein, son­dern auch einen offen­bar aus fir­men­ei­ge­nen Pres­se­mit­tei­lugen abge­schrie­ben Pas­sus. Die­ses Hotel sei das erste sei­ner Art in Europa und damit wie der Bun­ker eine Attrak­tion, ja ein „Erleb­nis“. Das anhal­tende Medi­en­echo dürfte sich in den kom­men­den Jah­ren für künf­tige Ver­mie­tun­gen aus­zah­len und ins­ge­samt den Wert des Gebäu­des steigern.

Der neue Geist des Kapitalismus und seine Gärten

„Aus grau wird bunt“, lau­tet das Motto des Bun­kers bezie­hungs­weise der Flä­che, die die Betrei­ber­ge­sell­schaft nun ver­mark­tet. Ihr Logo setzt sich ent­spre­chend aus ver­schie­den­far­bi­gen Buch­sta­ben zusam­men. „Sankt Pauli bleibt bunt“, for­dert ein, zu sei­nen Füßen gesprüh­tes Graf­fiti; unweit ent­fernt bekennt ein ande­res ein „Herz für St. Pauli“. Unter­schrie­ben ist die­ses Graf­fiti auch mit Viva con Agua, einer ansäs­si­gen Non-Profit-Organisation, die jedoch in jün­ge­rer Zeit in Kri­tik geriet – unter ande­rem wegen eines von ihr betrie­be­nen Hotels unweit des Ham­bur­ger Hauptbahnhofs.

Die Ver­mark­tung des Bun­kers funk­tio­niert also nicht nur über seine Begrü­nung, son­dern ebenso über den Ver­kauf eines Lebens­ge­fühls. Die­ses Lebens­ge­fühl gene­riert sich über den immer wie­der genann­ten Stadt­teil. Die­sen kenn­zeich­nete einst, gerade nicht ver­markt­bar, son­dern wider­stän­dig zu sein. Das aber ist voll­ends vom Mar­ke­ting auf­ge­so­gen wor­den. So lässt sich gar der im Inne­ren des Bun­kers befind­li­che, bis heute jedoch nicht fer­tig­ge­stellte Informations- und Erin­ne­rungs­ort an Krieg und Zwangs­ar­beit in die Kam­pa­gnen inte­grie­ren. Das neue Hotel bewirbt sei­nen Stand­ort nicht nur mit einem im nach­bar­li­chen Stadt­teil zu fin­den­den „diverse mix of cul­tures“ und dem „artis­tic flair“, son­dern beher­bergte als ers­ten Gast auch öffent­lich­keits­wirk­sam einen Zeit­zeu­gen. Die Web­seite der Betrei­ber­ge­sell­schaft lädt dazu ein, die „Magie die­ses geschichts­träch­ti­gen Ortes selbst zu erle­ben“. Dass die bewor­bene Immo­bi­lie ein Nazi-Bunker war, wird zum Uni­que Sel­ling Point.

Eine unge­heure Mar­ken­samm­lung, Schild am Ein­gang des Bun­kers. Foto: privat

Ohne die Begrü­nung, aber auch nicht ohne die ehren­amt­li­che Arbeit der nach wie vor täti­gen Anwohner:innen-Initiative sowie die Aneig­nung ursprüng­lich lin­ker (stadtteil-)politischer Anlie­gen hätte der Bun­ker wohl nie die ihm nun zukom­mende Auf­merk­sam­keit erfah­ren. Am Bun­ker lässt sich damit eine zwar nicht mehr neue, aber zuneh­mende Form der Stadt­ent­wick­lung und ‑kapi­ta­li­sie­rung erken­nen, die grö­ßere Auf­merk­sam­keit ver­dient. Denn die Ver­wer­tung der Stadt wird heute nicht mehr gegen ihre Kri­tik durch­ge­setzt, son­dern mit ihr und über sie. Die Natur und ihre Rena­tu­rie­rung, die feh­len­den Frei- und Krea­tiv­räume in der beeng­ten Stadt, gar erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Arbeit und damit die Spu­ren natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft, die im Wie­der­auf­bau noch unter grauem Beton ver­schwan­den, wer­den heute zu Ele­men­ten begehr­ter Investitionsobjekte.

Wie konnte das pas­sie­ren? Einige Hin­weise gibt die Ana­lyse der Soziolog:innen Luc Bol­tan­ski und Ève Chia­pello, die in Anleh­nung an Max Weber von einem „neuen Geist des Kapi­ta­lis­mus“ spre­chen. Die­ser neue Geist, der im All­ge­mei­nen die jeweils hege­mo­niale Form kapi­ta­lis­ti­scher Ver­hält­nisse mit Sinn und Legi­ti­ma­tion aus­stat­tet, zeich­net sich gegen­über sei­nen älte­ren For­men dadurch aus, dass er die einst gegen ihn gewen­dete Kri­tik auf­nahm und pro­duk­tiv wen­dete. Zu Hoch­zei­ten der Indus­trie­mo­derne bezie­hungs­weise des For­dis­mus in den 1960er Jah­ren wurde eine Kri­tik laut, die den Ver­hält­nis­sen etwa Sinn­ver­lust und Ent­frem­dung und damit man­gelnde Mög­lich­kei­ten der Selbst­ver­wirk­li­chung vor­warf. Es waren nun diese und andere Ele­mente der Künst­ler­kri­tik, wie es Bol­tan­ski und Chia­pello aus­drü­cken, die sich der Kapi­ta­lis­mus in der Krise der 1970er mehr und mehr aneig­nete. Heute fin­den sie sich etwa in der Manage­ment­li­te­ra­tur und der Figur krea­ti­ven Unter­neh­mer­tums wie­der. Aber nicht nur Arbeit wurde sub­jek­ti­viert, son­dern auch der Kon­sum – Pro­dukte erzäh­len eine Geschichte, stif­ten Sinn und Selbstverwirklichung.

In Waren trans­for­miert, rückt der Kapi­ta­lis­mus die einst­mals gegen ihn gerich­tete Kri­tik ins Zen­trum der Ver­wer­tung. Foto: privat

Wie an ande­rer Stelle die­ses Blogs gezeigt, las­sen sich auch in der Stadt­ent­wick­lung die öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Trans­for­ma­tio­nen der 1970er und fort­fol­gen­den Jahr­zehnte als Wen­dung vom All­ge­mei­nen der Moderne zum Beson­de­ren der Post­mo­derne beschrei­ben: Sin­gu­la­ri­sie­rung statt Stan­dar­di­sie­rung. Gefragt ist nicht mehr der Wohn­block indus­tri­el­len Bau­ens, son­dern die ver­schnör­kelte Alt­bau­villa, ähn­li­ches gilt für Super­märkte und Hotels. Wer etwas ver­kau­fen will, wirbt mit den Ele­men­ten der Künst­ler­kri­tik wie Authen­ti­zi­tät, Indi­vi­dua­li­tät, Krea­ti­vi­tät, Sinn und Selbst­ver­wirk­li­chung[1]. Die­ses einst abge­lehnte Beson­dere – beim Bun­ker etwa seine Geschichte und das ihn umge­bende Stadt­vier­tel – kann der Kapi­ta­lis­mus jedoch nur bedingt aus sich selbst her­aus erzeu­gen. Er muss es aus exter­ner Quelle aneig­nen. In Waren trans­for­miert, rückt er die einst­mals gegen ihn gerich­tete Kri­tik ins Zen­trum der Ver­wer­tung. Dass der einst ver­spro­chene Park nun als Dach­gar­ten die spe­zi­fi­schen Qua­li­tä­ten eines Parks, also sei­nen Gebrauchs­wert, ver­lo­ren hat, liegt auch daran, dass er als Mar­ke­ting­tool vor allem Tausch­wert ist. Zu hof­fen bleibt der­zeit nur, dass sich aus die­sem Wider­spruch – die Ver­wer­tung zehrt das Beson­dere als Abs­trak­tes auf und beraubt sich somit ihrer eige­nen Quelle – das bal­dige Ende die­ser Form der Stadt­ent­wick­lung ergibt. Gegen diese Hoff­nung spre­chen jedoch die zahl­rei­chen Apologet:innen der neo­li­be­ra­len Stadt.

Die versuchte Ehrenrettung der neoliberalen Stadt

Es wird kaum jeman­den über­ra­schen, dass die Ham­bur­ger Sozi­al­de­mo­kra­tie nicht als Ver­tei­di­ge­rin der Wohl­fahrts­staat­lich­keit gegen die pri­vat­wirt­schaft­li­che Aneig­nung der Stadt auf­tritt. Bereits im Jahr 1983 hatte der dama­lige Ham­bur­ger Bür­ger­meis­ter und Sozi­al­de­mo­krat Klaus von Dohn­anyi  das „Unter­neh­men Ham­burg“ aus­ge­ru­fen und die Stadt zur Marke gemacht, wie es Chris­toph Twi­ckel in sei­nem nach wie vor lesens­wer­ten Gen­tri­fi­dings­bums beschreibt (kauft mehr Nautilus-Bücher!). Gerade diese Poli­tik und damit die Pri­va­ti­sie­rung der Stadt(-entwicklung) als Ort der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­tion geriet jedoch im Herbst 2023 in die Krise. Der Elb­tower ist – neben ande­ren inner­städ­ti­schen Brach­flä­chen – deren sicht­bars­tes Zei­chen. Die Pleite der von René Benko gegrün­de­ten Signa Hol­ding führte indes nicht nur zum Bau­stopp zuvor gerühm­ter Pres­ti­ge­bau­ten, son­dern auch zu Zwei­feln, ob Investor:innen für die Gestal­tung des öffent­li­chen Rau­mes ver­ant­wort­lich sein soll­ten. Letzt­lich geriet die gesamte Erzäh­lung, der neue Geist des Kapi­ta­lis­mus, ins Wan­ken: René Benko, einst zur Licht­ge­stalt krea­ti­ven Unter­neh­mer­tums hoch­ge­schrie­ben, ist ein Betrüger.

Das neue Ant­litz der neo­li­be­ra­len Stadt? Die­ses Signa-Projekt am Gän­se­markt liegt seit län­ge­rer Zeit brach. Foto: privat.

Das seit Wochen zu ver­neh­mende über­schwäng­li­che Lob des begrün­ten Bun­kers dient inso­fern auch zur Ehren­ret­tung der neo­li­be­ra­len Stadt und sei­ner Unternehmer:innen. Etwa war Andreas Dressel, Finanz­se­na­tor und Sozi­al­de­mo­krat, bei der Eröff­nungs­feier des grü­nen Bun­kers „geflasht“. Er „lobte den Bau­her­ren über­schwäng­lich, der das gesamte Pro­jekt“, wie die Ham­bur­ger Mor­gen­post schreibt, „ohne einen Euro öffent­li­chen Gel­des durch­zog.“ Geret­tet ist damit offen­sicht­lich die Idee der neo­li­be­ra­len Stadt; einen öffent­li­chen Park gab es dafür jedoch nicht. Vor allem die Anwohner:innen pro­fi­tie­ren nicht von den Früch­ten, die in den neuen Gär­ten des Kapi­ta­lis­mus wach­sen – sie dür­fen dort ja nicht ein­mal einen Apfel essen.

Johan­nes Rad­c­zinski, August 2024

Der Autor genoss beim Ver­fas­sen die­ses Arti­kels alle Annehm­lich­kei­ten eines öffent­li­chen Parks (u.a. Sitz­ge­le­gen­hei­ten, mit­ge­brachte Getränke, Ziga­ret­ten) in Sicht­weite des begrün­ten Bun­kers. Auf Untie­fen blickte er bereits auf andere, in Schief­lage befind­li­che Orte der Ham­bur­ger Stadt­ent­wick­lung wie das Bis­marck­denk­mal oder auch die Rindermarkthalle.

[1] Dass die soge­nannte Rin­der­markt­halle in Nach­bar­schaft des Bun­kers, die durch die Frei­le­gung ihrer Back­stein­fas­sade vor rund zehn Jah­ren zu einem beson­de­ren, da authen­ti­schen und geschichts­träch­ti­gem Ort ver­mark­tet wurde, nun mit dem grü­nen Bun­ker auf ihrer Web­seite wirbt, ist kein Zufall. 

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