Spuren kolonialer Herrschaft

Spuren kolonialer Herrschaft

Die deut­sche Phase direk­ter Kolo­ni­al­herr­schaft war im euro­päi­schen Ver­gleich kurz, dafür nicht min­der gewalt­tä­tig. Ihre Spu­ren hat sie ins­be­son­dere in Ham­burg, einem zen­tra­len Ort des deut­schen Kolo­nia­lis­mus, hin­ter­las­sen – sie sind bis heute sicht­bar. Diese Fotoreihe führt ins Zen­trum der Stadt. Erstaun­lich ist vor allem der Kon­trast zwi­schen den bis­wei­len an den Gebäu­den ange­brach­ten »Blauen Tafeln« des Denk­mal­schutz­am­tes und der hier erzähl­ten Geschichte. 

Ein Ort der Schlechtigkeit

Bauschild am Bismarck-Denkmal, Januar 2021

Ein Ort der Schlechtigkeit

In Ham­burg steht seit 1906 das welt­weit größte Bismarck-Denkmal. Dass es von der Stadt nun teuer saniert wurde, hat eine Debatte um die Umge­stal­tung des Denk­mals und Ham­burgs Umgang mit sei­ner Kolo­ni­al­ge­schichte ausgelöst.

Ein ers­ter Vor­schlag zur Umge­stal­tung: Tafel vor der Bau­stelle des Bis­marck­denk­mals. Foto: pri­vat (Januar 2021). 

Das Bismarck-Denkmal im Ham­bur­ger Elb­park ist in Schief­lage gera­ten. Zunächst ein­mal ganz mate­ri­ell: Erbaut zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts unter ande­rem von Ham­bur­ger Kolo­ni­al­kauf­leu­ten unter Bei­fall völ­ki­scher Ver­bände, wur­den die Gewölbe unter­halb des Denk­mals im Zwei­ten Welt­krieg mit meh­re­ren tau­send Ton­nen Beton ver­stärkt und zu einem Luft­schutz­bun­ker umfunk­tio­niert. Der Beton war für die Sta­tik zu viel. Risse ent­stan­den, Was­ser drang ein, die Sta­tue neigte sich und galt bis­wei­len als ein­sturz­ge­fähr­det. Der Zugang zum Bun­ker, den aller­lei natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Wand­ma­le­rei ziert, etwa ein Son­nen­rad mit Haken­kreuz und ein mar­ki­ger Spruch über die »ger­ma­ni­sche Rasse«, wurde in den fünz­i­ger Jah­ren für die Öffent­lich­keit gesperrt. In den sech­zi­ger Jah­ren erfolgte der Denk­mal­schutz und bewahrte die Sta­tue vor einem ange­dach­ten Abriss. In den fol­gen­den Jah­ren blickte das welt­weit größte Denk­mal sei­ner Art – mal mehr, mal weni­ger beach­tet von alten und neuen Nazis; mal mehr, mal weni­ger kri­ti­siert – gen Wes­ten über den Ham­bur­ger Hafen. Zu Beginn des ver­gan­ge­nen Jahr­zehnts kam erneut Bewe­gung in die Sache: Unter ande­rem Johan­nes Kahrs, Bur­schen­schaf­ter und ehe­ma­li­ger SPD-Bundestagsabgeordneter, setzte sich für eine Sanie­rung der Sta­tue ein. Seit 2020 wird das Denk­mal für fast neun Mil­lio­nen Euro saniert. Zunächst wurde die Bis­marck­sta­tue rund zwei Monate lang vom Schmutz und Dreck, der sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten abge­la­gert hatte, gerei­nigt. Nach der nun erfol­gen­den bau­li­chen Instand­set­zung soll unter ande­rem der Bun­ker unter dem Denk­mal wie­der für die Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht wer­den und »über die Geschichte und Bedeu­tung des Denk­mals infor­miert« wer­den, so ein Aus­hang an der Baustelle.

Bis hier­hin liest sich dies gera­dezu als Alle­go­rie deut­scher Geschichte und des deut­schen Umgangs mit sel­bi­ger. Das Anse­hen Bis­marcks und des Kai­ser­reichs hat Risse bekom­men, da war mal was mit Nazis; in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik folgte dann not­dürf­ti­ges Abdich­ten, Ver­drän­gen und Ver­schlie­ßen, spä­ter ein wenig Kri­tik und schließ­lich: Öff­nen, Aus­stel­len, Aus­ein­an­der­set­zen. Aber letz­te­res auch nur mit den NS-Hinterlassenschaften im Kel­ler, wäh­rend oben dar­über das Kai­ser­reich gekär­chert wird: Kul­tur­spon­so­ring im »Niederdruck-Partikelstrahlverfahren« made in Ger­many – und bereits erprobt am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta West­fa­lica. Rei­ni­gungs­ri­tuale, die sich ein­rei­hen las­sen in den neu­er­li­chen Hype um die ›heile Welt‹ des Wil­hel­mi­nis­mus, den damit ver­bun­de­nen Wie­der­auf­bau des Ber­li­ner Stadt­schlos­ses und das im Jahr 2021 began­gene 150jährige Jubi­läum des Kaiserreichs.

Bis­marck zwi­schen völ­ki­schen Vor­stel­lungs­wel­ten (Post­karte 1906) und Kärcher-Kultursponsoring. Foto: pri­vat (Januar 2021)

Bismarck und die koloniale Amnesie der Deutschen – noch mehr Verdrängtes kehrt wieder 

Nun ist das Bismarck-Denkmal nicht nur mate­ri­ell in Schief­lage gera­ten: Im Zuge der von den USA aus­ge­hen­den, sich welt­weit for­mie­ren­den Black-Lives-Matter-Pro­tes­ten im Jahr 2020 und den mit ihnen ein­her­ge­hen­den Denk­mal­stür­zen – pro­mi­nen­tes­ter Fall: die Sta­tue des Skla­ven­händ­lers Edward Col­s­ton im Bris­to­ler Hafen­be­cken – gerie­ten auch der Ham­bur­ger Bis­marck und seine Sanie­rung in den Blick der Bewe­gung. Initia­ti­ven wie Deco­lo­nize Bis­marck rie­fen im Som­mer 2020 zu einer Demons­tra­tion zu Füßen des Eiser­nen Kanz­lers auf. Die post­ko­lo­niale Kri­tik am Denk­mal, sei­ner Sanie­rung und weit über die­ses hin­aus zielt unter ande­rem auf die kolo­niale Amne­sie in der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft, die wei­ßen Nar­ra­tive in Schul­bü­chern, die Nicht­be­tei­li­gung von BIPoCs an der Debatte und im kon­kre­ten Bezug auf Bis­marck: seine Ver­stri­ckung in den euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus. Nicht zuletzt war Bis­marck trei­bende Kraft der soge­nann­ten Kongo-Konferenz 1884/1885 und damit der Auf­tei­lung des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents unter euro­päi­schen Kolo­ni­al­mäch­ten. Neben den lange Zeit im Kel­ler­ge­wölbe ver­schlos­se­nen Hin­ter­las­sen­schaf­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft wur­den auch die kolo­nia­len Ver­stri­ckun­gen Deutsch­lands in die Tie­fen des kol­lek­ti­ven Unbe­wuss­ten ver­drängt. Sie sol­len nun auf­ge­ar­bei­tet werden.

Was passiert hier?
Deco­lo­nize Ham­burg! Graf­fito an der Bismarck-Baustelle
Foto: pri­vat (Januar 2021)

Diese Kri­tik und die damit ein­her­ge­hen­den For­de­run­gen, die indes schon in der Debatte um das Ber­li­ner Stadt­schloss und anderswo zu hören waren, sind mit Nach­druck zu unter­strei­chen und zu unter­stüt­zen. Und es ist das Ver­dienst die­ser Kri­tik, dass die aber­wit­zig teure Sanie­rung des Denk­mals über­haupt der­ma­ßen in Ver­ruf gera­ten ist. Frag­lich ist nur der bis­wei­len in den For­de­run­gen anmu­tende Anspruch auf Allein­ver­tre­tung einer post­ko­lo­nia­len Per­spek­tive. Das Bismarck-Denkmal, so ist es einem Arbeits­pa­pier der Initia­tive Deco­lo­nize Bis­marck zu ent­neh­men, sei »auch ein Kolo­ni­al­denk­mal« und ent­spre­chend soll­ten an der Debatte um Neu- oder Umge­stal­tung des Denk­mals die »Nach­kom­men der Kolo­ni­sier­ten, die dia­spo­ri­schen BIPoC-Communities ebenso maß­geb­lich betei­ligt wer­den wie die Opfer­ver­bände aus den ehe­ma­li­gen Kolo­nien und die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initia­ti­ven«. Jenes auch im zitier­ten Papier scheint im Hin­blick auf die ange­führte Begrün­dung bald hin­fäl­lig: Das Denk­mal erin­nere nicht an Bis­marck als Reichs­grün­der, son­dern sei »als Dank der hie­si­gen Kauf­mann­selite für die Grün­dung von Kolo­nien« zu ver­ste­hen, es sei damals nicht um Patrio­tis­mus, son­dern um Wirt­schafts­för­de­rung gegan­gen. »Erst mit einer sol­chen glo­bal­his­to­risch ver­or­te­ten Ana­lyse lässt sich die Bedeu­tung des Monu­ments ver­ste­hen, debat­tie­ren und ein wei­te­rer ange­mes­se­ner Umgang mit ihm begründen.«

Nicht in Stein gemeißelt, oder: Für eine emanzipatorische Geschichtspolitik

Worin liegt das Pro­blem? Es ist zunächst ein­mal diese in einer ansons­ten dekon­struk­ti­vis­tisch infor­mier­ten Per­spek­tive auf­schei­nende Eigent­lich­keit. So als hätte ein Denk­mal eine ihm eigen­tüm­li­che, in Stein gemei­ßelte Bedeu­tung. Könnte ein Denk­mal, und das hier betrach­tete im Beson­de­ren, nicht viel­mehr als ein glei­ten­der Signi­fi­kant begrif­fen wer­den, des­sen Bedeu­tung immer pre­kär und insta­bil ist? Würde dies nicht erklä­ren, warum es einer­seits so attrak­tiv für alte und neue Nazis war und ist und warum ande­rer­seits der Umgang mit der Sta­tue bis­wei­len von der­ar­ti­ger Unbe­küm­mert­heit gekenn­zeich­net ist? Bis­marck und das ihm zu Ehre gebaute Denk­mal waren eben immer auch Pro­jek­ti­ons­flä­chen für ver­schie­denste reak­tio­näre und natio­na­lis­ti­sche Sehn­süchte. Diese Rezep­ti­ons­ge­schichte ist nicht ohne Wei­te­res vom Denk­mal zu tren­nen und sollte auch Gegen­stand der Kri­tik bil­den. Denn mit dem Hin­weis auf die ›eigent­li­che Bedeu­tung‹ des Denk­mals ver­schiebt sich zudem die Dis­kus­sion hin zu der Frage nach des­sen ver­meint­lich fixier­ba­rem Signi­fi­kat und damit zur trü­ge­ri­schen Fak­ti­zi­tät his­to­ri­scher Debat­ten, in denen tat­säch­lich aber nor­ma­tive Geschichts­bil­der ver­han­delt wer­den. War Bis­marck nun ein Ras­sist oder hält »die Iden­ti­fi­zie­rung des Kolo­ni­al­po­li­ti­kers Bis­marck als Ras­sist einer genaue­ren Prü­fung nicht stand«? Letz­te­res schreibt der His­to­ri­ker und Geschäfts­füh­rer der Otto-von-Bismarck-Stiftung Ulrich Lap­pen­kü­per für die Kon­rad Ade­nauer Stif­tung und fügt hinzu, dass es bei den Denk­mä­lern auch weni­ger um den Kolo­ni­al­po­li­ti­ker gehe, »denn um den Reichs­kanz­ler, der Deutsch­land Ein­heit und Frei­heit gebracht hatte«.

Die Eng­füh­rung des Denk­mals auf die his­to­ri­sche Figur Bis­marck und seine Rolle als Kolo­ni­al­po­li­ti­ker eröff­net erst den Raum für Kri­tik von kon­ser­va­ti­ver sowie rech­ter Seite und ermög­licht die Bewer­tung Bis­marcks als »ambi­va­lente his­to­ri­sche Figur«, wie Lap­pen­kü­per schreibt, der im sel­ben Atem­zug vor Can­cel Cul­ture warnt – schließ­lich müsse der Reichs­kanz­ler auch aus sei­ner Zeit her­aus bewer­tet wer­den. Nun ist es vor dem Hin­ter­grund von einer Kanz­ler­kul­tur der soge­nann­ten Sozia­lis­ten­ge­setze und der Ver­fol­gung von Sozialist:innen und Kommunist:innen ver­wun­der­lich, gerade mit Bis­marck gegen eine ver­meint­li­che Can­cel Cul­ture zu argu­men­tie­ren. Ver­wie­sen wer­den müsste auch auf die anti­pol­ni­sche Poli­tik Bis­marcks: etwa die ab 1885 in die Wege gelei­tete Aus­wei­sung von über 30.000 Men­schen nicht­deut­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit, was zumeist Polen und Juden betraf; oder die 1886 erfolgte Begrün­dung der soge­nann­ten Ansied­lungs­kom­mis­sion, die bis­wei­len als erste eth­nisch moti­vierte bevöl­ke­rungs­po­li­ti­sche Maß­nahme inner­halb Euro­pas gilt. Indes wer­den diese nach Osten gerich­te­ten Poli­ti­ken in jün­ge­rer Zeit auch als Aus­druck eines kon­ti­nen­ta­len, mit dem über­see­ischen ver­wo­be­nen Kolo­nia­lis­mus ver­stan­den. Von all dem will indes die Ham­bur­ger AfD nichts wis­sen und setzt sich mit einem pathe­ti­schen Video dafür ein, ein Bild Bis­marcks als »Kanz­ler der Ein­heit« zu installieren.

Für ein Verständnis von Geschichtspolitik als normatives Narrativ

Aber geht es nun um Bis­marck als his­to­ri­schen Akteur und darum, wie er denn nun eigent­lich war und warum er han­delte, wie er han­delte? Und geht es darum, zu fra­gen, wer das Denk­mal eigent­lich auf­stellte und wofür? Ginge es nicht viel­mehr darum, sich zur Nor­ma­ti­vi­tät geschichts­po­li­ti­scher Debat­ten zu beken­nen und diese aktiv zu gestal­ten? Dar­un­ter kann ver­stan­den wer­den, nicht zu ver­su­chen, die ›eigent­li­che‹ Rolle Bis­marcks zu fixie­ren, ihn nicht ›aus sei­ner Zeit her­aus‹ ver­ste­hen zu wol­len, aber eben auch nicht die ver­meint­lich eigent­li­che Bedeu­tung des Denk­mals in den Vor­der­grund zu rücken.

Es geht um die Instal­la­tion eines Nar­ra­tivs, eines not­wen­di­ger­weise nor­ma­ti­ven, idea­li­ter eman­zi­pa­to­ri­schen und auf Gegen­wart wie Zukunft gerich­te­ten Geschichts­bil­des. Einer­seits müsste genau darin die kolo­niale Amne­sie der Deut­schen und das Ver­drän­gen kolo­nia­ler Gräu­el­ta­ten sicht­bar wer­den – dem stimmt aller­dings auch Lap­pen­kü­per zu (der blinde Fleck »in der deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur [muss] besei­tigt wer­den«, bekennt er). Ande­rer­seits ginge es wohl auch darum, Sand in das Getriebe der deut­schen Wie­der­gut­ma­chungs­ma­schine zu streuen und etwa die Rezep­tion des Denk­mals zwi­schen Wei­ma­rer Repu­blik, Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bun­des­re­pu­blik zu kri­ti­sie­ren. Das (neue) Bismarck-Denkmal sollte keine Wohl­fühl­oase deut­scher Aufarbeitungsweltmeister:innen wer­den, son­dern zu dem wer­den, was es immer schon war: ein Ort der Schlech­tig­keit. Gerade als sol­cher kann aber das Denk­mal in sei­ner Nega­tion für vie­les ste­hen, was eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­tik ver­spricht. Ob das Denk­mal dann am Ende abge­ris­sen wird und etwas ande­res an sei­ner Stelle ent­steht, oder ob es in einer ande­ren Form gebro­chen wird, ist dabei zunächst zweitrangig.

Johan­nes Rad­c­zinski, Mai 2021

Der Autor stu­diert Kul­tur­wis­sen­schaf­ten in Lüne­burg, lebt aber in Ham­burg. Dort radelt er fast täg­lich am Bismarck-Denkmal vor­bei und hofft (nicht nur des­halb!) auf des­sen bal­dige Umgestaltung. 

Die große Welle vor Hamburg

BIld: Norika Rehfeld

Die große Welle vor Hamburg

Die Elb­phil­har­mo­nie ist nicht nur schnell zum Sym­bol für Ham­burg gewor­den, zum Tou­ris­mus­ma­gne­ten und zur Vor­lage für Hei­mat­kitsch. Sie ist auch der vor­läu­fig krö­nende Abschluss einer Stadt­ent­wick­lung nach polit-ökonomischen Erfor­der­nis­sen. Eine Ent­wick­lung, in der die Herr­schaft des Men­schen über die Natur eine wesent­li­che Rolle spielt.

Anläss­lich der Eröff­nung der Elb­phil­har­mo­nie Anfang 2017 stellte der bel­gi­sche Künst­ler Peter Bug­gen­hout eine 15 Meter hohe Skulp­tur mit dem Titel Babel Varia­tio­nen in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len aus. Die­ser Bei­trag zur Aus­stel­lung Elb­phil­har­mo­nie Revi­si­ted, bestand aus gro­ßen Polyester- und Stahl­tei­len, die anmu­te­ten, als habe der Künst­ler Sperr­müll gewagt in die Höhe gesta­pelt: ein fra­gi­ler Riese, der den Ein­druck erweckte, jeder­zeit in sich zusam­men­zu­bre­chen. Die raum­grei­fende Skulp­tur kon­tras­tierte die glit­zernde Ästhe­tik des soeben fer­tig­ge­stell­ten, mas­si­ven Kon­zert­hau­ses an der Elbe. Mit dem Titel Babel Varia­tio­nen spielt Bug­gen­hout auf die alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel (Gen 11,1–9) an und bezieht sie auf die Ham­bur­ger Elbphilharmonie.

Romantisch verklärt statt bestraft

Im 21. Jahr­hun­dert scheint die Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel obso­let: Die Kir­chen in Deutsch­land sind wie leer­ge­fegt und Got­tes­furcht taugt nicht mehr als Mit­tel der Poli­tik. Auch für den Namens­ge­ber des der­zeit höchs­ten Gebäu­des der Erde und gleich­zei­tige Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­rate, Scheich Cha­lifa bin Zayid Al Nahyan blieb eine gött­li­che Strafe bis­her aus. Dem mensch­li­chen Sprach­wirr­war kann heute bequem per Han­dyapp begeg­net wer­den. Wes­halb also ein Kon­zert­haus am Fuße der Elbe zu einem neuen Turm­bau zu Babel erklären? 

In der Selbst­be­schrei­bung der Elb­phil­har­mo­nie heißt es wenig beschei­den, dass »dem tra­di­tio­nel­len Back­stein­so­ckel neues Leben« ein­ge­haucht und dass »das Kon­zert­haus als fun­kelnde Krone oben drauf« gesetzt wor­den sei. Ein Affront, nicht gegen Gott, so doch aber gegen eine dem Men­schen wie über­mäch­tig gegen­über­ste­hende Natur. In der archi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lung der Handels- und Hafen­stadt spie­gelt sich viel­mehr das Ver­hält­nis der Men­schen zur Natur wider. Dass es sich dabei um ein durch­weg polit-ökonomisches Herr­schafts­ver­hält­nis han­delt, kann Epo­che für Epo­che nach­ge­zeich­net werden: 

In der Elb­phil­har­mo­nie wird diese Ent­wick­lung gewis­ser­ma­ßen an meh­re­ren Jah­res­rin­gen sicht­bar. Der untere Teil des Kon­zert­hau­ses besteht aus der back­stei­ner­nen Außen­mauer des 1875 errich­te­ten Kai­spei­cher A, der sei­ner­zeit auch Kai­ser­spei­cher genannt wurde. Mit Hilfe von Krä­nen konn­ten die Waren im dama­li­gen Haupt­ha­fen Ham­burgs direkt vom Schiff in das Spei­cher­ge­bäude gehievt wer­den. Das neu­go­ti­sche Spei­cher­ge­bäude wurde im 2. Welt­krieg zer­stört und in den sech­zi­ger Jah­ren in schlich­ter Form wie­der auf­ge­baut. Mit der glo­ba­len Umstel­lung des See­han­dels von Stück­gut auf den Con­tai­ner­fracht­ver­kehr fand der Schiffs­han­del zuneh­mend im rasant wach­sen­den Con­tai­ner­ha­fen statt, der der Stadt süd­west­lich vor­ge­la­gert wurde. In der Folge wurde der Lager­be­trieb im Kai­spei­cher in den neun­zi­ger Jah­ren voll­stän­dig ein­ge­stellt. Der tra­pez­för­mige Grund­riss des ers­ten Kai­spei­chers blieb erhal­ten und die schlichte Kai­mauer bil­det den Sockel des von den Hamburger:innen mitt­ler­weile Elphi genann­ten Baus. Im Ensem­ble mit der angren­zen­den denk­mal­ge­schütz­ten Spei­cher­stadt ist das Große Gras­brook genannte Gebiet, auf dem nun Elb­phil­har­mo­nie und Hafen­city ste­hen, eine roman­ti­sie­rende Remi­nis­zenz an die Geschichte der Han­se­stadt Ham­burg, die sich seit den zwan­zi­ger Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts als Tor zur Welt beschreibt und deren expan­si­ver See­han­del eine große, rei­che Ober­schicht ent­ste­hen ließ.

Der Kampf gegen die erste Natur

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Metro­pole der See­schiff­fahrt war kei­nes­wegs vor­ge­zeich­net, betrach­tet man die geo­gra­phi­sche Lage und die natür­li­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen der Region Ham­burg: Die Stadt lag, salopp gesagt, im Matsch tief im Bin­nen­land zwi­schen Nord- und Ost­see. Die Stadt­ge­schichte ist geprägt von die­ser und wei­te­ren für Land­wirt­schaft und Han­del ungüns­ti­gen Umwelt­be­din­gun­gen, die bis heute mas­sive Ein­griffe durch den Men­schen nach sich ziehen. 

Die Elb­re­gion bestand ursprüng­lich aus frucht­ba­ren, aber dau­er­haft nas­sen Böden, die für eine Bewirt­schaf­tung nicht geeig­net waren. Die vor­neu­zeit­li­chen Siedler:innen der Elb­land­schaft muss­ten sich gegen die Kräfte der Natur weh­ren: Im fla­chen, san­di­gen Fluss­bett der viel­fach ver­zweig­ten Elbe, mit ihren Zuflüs­sen Als­ter und Bille, kämpf­ten sie gegen hohe Grund­was­ser­spie­gel, täg­lich wech­selnde Pegel­stände und dro­hende Sturm­flu­ten. Sie wirk­ten auf die Natur ein, blie­ben ihr aber lange Zeit wei­test­ge­hend aus­ge­lie­fert. Um die Region siche­rer besie­deln und bewirt­schaf­ten zu kön­nen, ent­wi­ckel­ten sie tech­ni­sche Hilfs­mit­tel, zur Steue­rung der Was­ser­mas­sen: Im 12. Jahr­hun­dert instal­lier­ten Siedler:innen eine Unzahl von Ent­wäs­se­rungs­grä­ben und ‑müh­len, leg­ten künst­li­che Erd­hü­gel an, auf denen sie ihre Höfe errich­te­ten, und bau­ten Dei­che, die sie vor den Flu­ten schüt­zen soll­ten. Die heu­ti­gen Kanäle, ja sogar die Elb­in­seln und Flüsse wur­den in Folge der mas­si­ven Umge­stal­tung durch den Men­schen geschaf­fen – sie sind das Resul­tat jahr­hun­der­te­lan­ger Umstruk­tu­rie­run­gen. Zahl­lose Bau­ten wur­den als Wehre zum Schutz vor dem Was­ser der Elbe errich­tet, und zwar sol­cher­art, dass sich zugleich ein öko­no­mi­scher Nut­zen aus der Nähe zum Was­ser zie­hen ließ. Damit wurde der Grund­stein für das Wachs­tum der Ham­bur­ger Wirt­schaft gelegt. 

Wo ein Wille, da ein Wasserweg

Die Ent­wick­lung Ham­burgs zur Welt­han­dels­stadt ist das Ergeb­nis eines Wil­lens­ak­tes basie­rend auf einer öko­no­mi­schen Ent­schei­dung. Die Was­ser­straße Elbe führt zwar in die Nord­see, dies jedoch erst nach vie­len Fluss­ki­lo­me­tern. Gleich­zei­tig liegt Ham­burg in räum­li­cher Nähe zur Ost­see. Nicht trotz, son­dern gerade wegen die­ser Bin­nen­lage konnte die Stadt im 13. Jahr­hun­dert zum ent­schei­den­den Bin­de­glied zwi­schen Nord- und Ost­see auf­stei­gen, indem die Elbe in Rich­tung Nord­see ste­tig aus­ge­baut und in Rich­tung Ost­see eine sichere Stra­ßen­ver­bin­dung geschaf­fen wurde. Die Hanse sicherte sich hierzu Wege­rechte und das Recht, Han­dels­schiffe und Waren auf direk­tem Weg und zoll­frei bis nach Ham­burg zu trans­por­tie­ren – auch durch die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt und rechts­wid­ri­gen Mitteln. 

In dem Wirk­ge­füge zwi­schen Acker­bau, Han­del und Mili­tär wurde Natur als waren­för­mige Res­source best­mög­lich genutzt und als Wirt­schafts­grund­lage opti­miert: Dies bezeu­gen z.B. die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Ham­bur­ger Was­ser­bau­di­rek­tors Rein­hart Wolt­man aus dem Jahr 1802. Er schreibt darin: »Inso­fern schiff­bare Kanäle Kunst­werke hydrau­li­scher Archi­tek­tur sind, müs­sen ihre Dimen­sio­nen, und die Grö­ßen ihrer ver­schie­de­nen Theile, in gewis­ser Pro­por­tion zuein­an­der ste­hen, bei wel­cher diese Kanäle die größte Zweck­mä­ßig­keit, Dau­er­haf­tig­keit und Nut­zen errei­chen.«1Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]

Der Kanal gerät in der Vor­stel­lung Wolt­mans zu einem Leis­tungs­trä­ger, des­sen mess­bare Para­me­ter es im öko­no­mi­schen Sinne best­mög­lich zu nut­zen gilt. Die Dop­pel­deu­tig­keit des Begriffs ‘Kunst­werke’ ist bezeich­nend: Es weist nicht nur auf die Künst­lich­keit der Kanäle hin, son­dern unter­streicht gleich­zei­tig die krea­tive und schöp­fe­ri­sche Tätig­keit des Was­ser­bau­ers. Der Begriff ist Aus­druck eines Bestre­bens, die Kräfte der Natur erken­nen und beherr­schen zu wol­len. So wie die tech­no­kra­ti­sche Umfor­mung der Natur die Han­dels­stadt flo­rie­ren ließ, so formte der ver­mehrte Han­del die Archi­tek­tur. Im weit­läu­fi­gen Hafen­be­reich wurde die Nähe zum Was­ser bewusst gesucht: Bau­werke für Han­del und Gewerbe waren eng ver­zahnt mit einem dicht ver­äs­tel­ten Kanal­sys­tem. Den Anfor­de­run­gen ange­passt, wur­den sie z.B. durch Pfahl­grün­dun­gen, damit Mau­ern direkt im Was­ser errich­tet wer­den konn­ten. Andere Bau­werke wie­derum sind eigens zur Beherr­schung der Natur­kräfte ent­stan­den, etwa Schleu­sen und Hochwasser-Schutzanlagen.

Der Kampf gegen die innere Natur

Auch heute noch meint man sich in Ham­burg der Natur erweh­ren zu müs­sen: gegen die äußere, den Men­schen bedro­hende, ebenso wie gegen die innere. Beide gehö­ren jedoch zusam­men und haben ihre Ein­heit im Men­schen. Was sich an der inne­ren nicht beherr­schen lässt, wird auf die äußere pro­ji­ziert und mit den Mit­teln der instru­men­tel­len Ver­nunft und dem fort­schrei­ten­dem tech­ni­schen Ent­wick­lungs­stand immer effi­zi­en­ter den polit-ökonomischen Prä­mis­sen unter­wor­fen. Die teil­weise Auto­no­mie des Men­schen von der äuße­ren Natur führte bis­her nicht zu einer Neu­ge­stal­tung des Ver­hält­nis­ses, son­dern zu einer Fort­schrei­bung unter ideo­lo­gi­schen Vor­zei­chen.2Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1 

Weil die Hafen­stadt wach­sen muss, so die Ideo­lo­gie, müs­sen sich die Hamburger:innen gegen die Was­ser­mas­sen stel­len. Die Stadt­mauer aus dem 13. Jahr­hun­dert wurde der zufolge im frü­hen 17. Jahr­hun­dert erwei­tert und durch eine mas­sive stern­för­mige Fes­tungs­an­lage ersetzt, durch die der Personen- wie Waren­ver­kehr kon­trol­liert wer­den konnte. Der Hafen wurde mehr­fach aus­ge­baut und dann in Rich­tung Con­tai­ner­ter­mi­nal ver­la­gert. Das Fluss­bett der Elbe wird seit dem 19. Jahr­hun­dert fort­wäh­rend ver­tieft. All das musste gesche­hen, um den immer grö­ßer wer­den­den Schif­fen gerecht zu wer­den – um wett­be­werbs­fä­hig zu blei­ben. Nach dem gro­ßen Elb­hoch­was­ser von 1962 wur­den die Dei­che wie­der­holt erhöht. Mit die­sen Deich­er­hö­hun­gen »konnte eine hohe Sicher­heit zum Schutz der Bevöl­ke­rung und der Sach­werte erreicht wer­den« schreibt der Lan­des­be­trieb Stra­ßen, Brü­cken und Gewäs­ser (LSBG) im Rah­men sei­ner Neu­er­mitt­lung von 2012 des »Sturm­flut­be­mes­sungs­was­ser­stan­des«. Bevöl­ke­rung und Sach­werte fal­len in die­ser Beschrei­bung in eins – sind glei­cher­ma­ßen Res­source. Der LSBG prognostiziert: 

»Auf­grund des Kli­ma­wan­dels ist jedoch ein wei­te­res Anstei­gen der Was­ser­stände abseh­bar. Daher müs­sen die Anstren­gun­gen für den Küs­ten­schutz wei­ter fort­ge­setzt wer­den, um dro­hen­den Gefah­ren zu begegnen.«

Der Kli­ma­wan­del wird als Grund benannt, dafür, dass Dei­che erhöht, die Elbe ver­tieft und die Dove-Elbe als Aus­weich­flä­che für den Tiden­hub erschlos­sen wer­den müs­sen. In einer Stu­die der Inter­na­tio­na­len Bau­aus­stel­lung von 2009 mit dem bezeich­nen­den Titel Kli­ma­fol­gen­ma­nage­ment hin­ge­gen, wird kein Hehl dar­aus gemacht, dass die Ursa­chen nebst (men­schen­ge­mach­tem) Kli­ma­wan­del in loka­len polit-ökonomischen Ent­schei­dun­gen zu ver­or­ten sind: 

Es sind »die Ver­tie­fung von Elbe und Hafen­be­cken sowie die starre Siche­rung der Ufer, [die] zur Folge [haben], dass die Was­ser­schicht auf einen engen Fließ­raum begrenzt bleibt und sich nicht in die Flä­che, son­dern nur in die Höhe aus­deh­nen kann. Tiden­hub und Sedi­men­ta­tion wer­den auf diese Weise ver­stärkt, folg­lich nimmt auch der Auf­wand für die Aus­bag­ge­rung zu.« 

Die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels könn­ten gemäß der Stu­die nur dann aus­ge­gli­chen wer­den, wenn die dyna­mi­sche Schaf­fung von wei­te­rem Schwemm­land – wie die zur­zeit dis­ku­tierte Anbin­dung der Dove-Elbe an das Tiden­ge­wäs­ser –, eine tech­no­lo­gi­sche Regu­lie­rung der Was­ser­ströme und der Bau immer mas­si­ve­rer Hoch­was­ser­schutz­an­la­gen for­ciert wür­den. All diese Maß­nah­men sind eine Reak­tion auf stei­gende Pegel­stände. Sie stel­len nicht in Frage, wes­halb die Elbe und Hafen­be­cken ver­tieft und wes­halb Ufer starr gesi­chert wer­den müs­sen. Der Schutz vor der Natur­ge­walt Was­ser erweist sich als gutes Argu­ment bei der Expan­sion von Stadt und Hafen. Nicht die Pro­duk­ti­ons­weise des Men­schen, son­dern die ihm äußere Natur erscheint als jener Wir­kungs­be­reich, den es tech­nisch zu beherr­schen gilt – qua Klimafolgenmanagement. 

Triumph über die Natur?

Die Archi­tek­tur der Elb­phil­har­mo­nie bringt das Ver­hält­nis von Herr­schern und Beherrsch­tem mit den Mit­teln moder­ner Bau­kunst über­spitzt zum Aus­druck: Der Mensch schafft die sta­bilste und größte aller Wel­len selbst, nicht weil er es muss, son­dern weil er es kann. Vor die­sem Hin­ter­grund wird Bug­gen­houts Skulp­tur mit Ver­weis auf die bibli­sche Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel nach­voll­zieh­bar. Ein tech­nisch hoch kom­ple­xes Orches­ter­ge­bäude bedarf kei­ner Kai­mauer. Es wurde inmit­ten der Elbe erbaut, der Aus­sage fol­gend any­thing goes. »Denn nun wird ihnen nichts mehr ver­wehrt wer­den kön­nen von allem was sie sich vor­ge­nom­men haben zu tun«. Das klingt grö­ßen­wahn­sin­nig, aber immer­hin könne nun jede:r Besucher:in ein »biss­chen Fürst« sein – schwärmt Chris­tian Mar­quart in der Archi­tek­tur­zeit­schrift Bau­welt. Die gigan­ti­schen Bau­kos­ten von 866 Mil­lio­nen Euro recht­fer­tigt das nicht. Auch die Plaza, die man wäh­rend der Öff­nungs­zei­ten der Elb­phil­har­mo­nie gegen ein Ein­tritts­geld von 2,00 Euro pro Besucher:in betre­ten darf, lässt sich schwer­lich als öffent­lich bezeichnen. 

Mar­quart sieht in der wel­len­för­mi­gen Krone ein Bild­zi­tat aus dem berühm­ten Werk Die große Welle vor Kana­gawa des japa­ni­schen Holz­schnei­ders Hoku­sai. Hoku­sais Werk jedoch erweckt Ehr­furcht ange­sichts der gewal­ti­gen Natur. Der 110 Meter hohe sta­ti­sche Wel­len­kamm der Elphi ist hin­ge­gen der­ma­ßen gigan­tisch, dass er die rea­len Was­ser­wo­gen, die die Phil­har­mo­nie umge­ben, ihrer Lächer­lich­keit preis­gibt. Das Bau­werk zwingt dem es umge­ben­den Was­ser ihren instru­men­tel­len Begriff von Natur und Natur­be­herr­schung auf. Eine sol­che Ver­keh­rung ist Aus­druck gesell­schaft­li­cher, und spe­zi­ell der Ham­bur­ger, Ver­hält­nisse. Die Rie­sen­welle bringt diese, wenn auch unfrei­wil­lig, so doch gelun­gen zum Aus­druck. Sie macht sich den Begriff des Was­sers zu eigen und kei­nen Hehl dar­aus, wer hier über die Natur tri­um­phiert. Sie ist eine Kampf­an­sage an die Natur. 

Erste Ent­würfe der Elb­phil­har­mo­nie ent­stan­den 2003 mit dem Ziel, ein neues Wahr­zei­chen für die Stadt zu erschaf­fen. Zu jener Zeit war Ger­hard Schrö­der Bun­des­kanz­ler, Ole von Beust Ham­burgs Ers­ter Bür­ger­meis­ter und in der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit wurde zag­haft begon­nen, über den Klimawan­del zu dis­ku­tie­ren. Das Bewusst­sein dar­über, dass es sich um eine aus­ge­wach­sene Klimakrise han­delt, folgte all­mäh­lich. So ersetzte der Guar­dian z.B. den Begriff cli­mate change durch dras­ti­sche­res Voka­bu­lar.3The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«. Damit schien sich ein neues Bewusst­sein des Ver­hält­nis­ses von Mensch und Natur zumin­dest anzu­deu­ten, das die bis­he­rige Natur­be­herr­schung irgend­wann ein­mal ablö­sen könnte. Die Elb­phil­har­mo­nie, das tech­nisch per­fekte, hoch­kul­tu­relle Wahr­zei­chen der Stadt Ham­burg, mit inte­grier­tem Park­haus, Hotel und teu­ren Eigen­tums­woh­nun­gen wirkt dage­gen wie eine Trutz­burg der in die­sem Bei­trag nach­ge­zeich­ne­ten Ära. Ihr Bau­stil kann damit als stein­ge­wor­dene Herr­schafts­ar­chi­tek­tur bezeich­net wer­den, errich­tet in einer Zeit, in der eine unbe­herrsch­bare Flut noch nicht vor­stell­bar schien. 

Norika Reh­feld, Mai 2021 

Die Autorin ist Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, arbei­tet aus Über­zeu­gung nicht im Wis­sen­schafts­be­trieb und fin­det die Kaprio­len, die in der Elb­phil­har­mo­nie zur Opti­mie­rung der Akus­tik geschla­gen wur­den, tat­säch­lich super.

  • 1
    Wolt­mann, Rein­hard (1802): Bey­träge zur Bau­kunst schiff­ba­rer Kanäle. Mit 6 Kup­fer­ta­feln. Göt­tin­gen, S.165 [online]
  • 2
    Hierzu aus­führ­lich, siehe: Dirk Leh­mann, Die Ver­ding­li­chung der Natur. Über das Ver­hält­nis von Ver­nunft und die Unmög­lich­keit der Natur­be­herr­schung, in: Phase 2, 33 (Herbst 2009), online: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/die-verdinglichung-der-natur-255/?druck=1
  • 3
    The Guar­dian, vom 19.10.2019: »We will use lan­guage that reco­g­ni­ses the seve­rity of the cri­sis we’re in. In May 2019, the Guar­dian updated its style guide to intro­duce terms that more accu­ra­tely describe the envi­ron­men­tal cri­ses facing the world, using ›cli­mate emer­gency, cri­sis or break­down‹ and ›glo­bal hea­ting‹ ins­tead of ›cli­mate change‹ and ›glo­bal warm­ing‹. We want to ensure that we are being sci­en­ti­fi­cally pre­cise, while also com­mu­ni­ca­ting cle­arly with rea­ders on the urgency of this issue«.