Antisemitismus als Nebenwiderspruch?

Antisemitismus als Nebenwiderspruch?

Dem Über­le­ben­den des rechts­ter­ro­ris­ti­schen Anschlags von Mölln, İbrahim Ars­lan, wurde auf der Bühne des Zeise Kinos Anti­se­mi­tis­mus vor­ge­wor­fen, weil er ein pro­pa­läs­ti­nen­si­sches T‑Shirt trug. Ein jüdi­scher Kino­gast ergriff das Wort und ver­tei­digte ihn. Für viele ein kla­rer Fall: Über­heb­li­ches deut­sches »Aufarbeitungsweltmeister«-Gebaren at its worst. Aber ist es wirk­lich so ein­fach? Ein Gast­bei­trag der Innen­re­vi­sion Kul­tur­be­trieb.

Im Otten­ser Zeise Kino kam es am ver­gan­ge­nen Diens­tag zu einem Eklat: İbrahim Ars­lan, Opfer und Über­le­ben­der des neo­na­zis­ti­schen Brand­an­schlags von Mölln im Jahr 1992, war im Rah­men einer Son­der­vor­stel­lung des Films »Die Möll­ner Briefe« im Zeise Kino zu Gast. Als Haupt­prot­ago­nist des Films sollte er an einer Podi­ums­dis­kus­sion teil­neh­men. Er hatte sich zu die­sem Anlass ein T‑Shirt ange­zo­gen, das das ehe­ma­lige Man­dats­ge­biet Paläs­tina – also das heu­tige Gebiet Isra­els, des West­jor­dan­lands und des Gaza-Streifens – in paläs­ti­nen­si­schen Natio­nal­fah­nen zeigt. Der Zeise-Chef Mat­thias Elwardt wollte das nicht unkom­men­tiert las­sen. In einer am dar­auf­fol­gen­den Tag ver­öf­fent­lich­ten Stel­lung­nahme erklärt er: »Ich habe ihn vor dem Film zusam­men mit dem Pro­du­zen­ten des Films ange­spro­chen, dass ich das als anti­se­mi­tisch und unpas­send emp­finde. Dar­auf­hin ist İbrahim Ars­lan auf die Bühne gegan­gen und hat meine Kri­tik vor einer Begrü­ßung öffent­lich gemacht.«

Der Eklat

Ein Video der dar­auf­fol­gen­den Situa­tion wurde von der Jour­na­lis­tin und BDS-Aktivistin Alena Jaba­rine bei Insta­gram ver­öf­fent­licht. Darin ist zu sehen, wie Elwardt seine Kri­tik an dem Motiv begrün­det, beglei­tet von Joh­len und auf­ge­brach­ten Zwi­schen­ru­fen aus dem Publi­kum: »Wir sind in dem Land, in dem es den Holo­caust gab. Ich kann doch nicht jeman­den auf die Bühne stel­len, der sagt, Juden dür­fen kein Land haben. Wir sind in Deutsch­land und haben eine Ver­pflich­tung, und es [i.e. »ein Land zu haben«] ist ein Recht von jüdi­schen Men­schen.« Im Ver­lauf der Situa­tion kommt ein Mann aus dem Publi­kum nach vorne: Joram Beja­rano, der Sohn der vor vier Jah­ren gestor­be­nen Auschwitz-Überlebenden Esther Beja­rano. Ars­lan ent­reißt Elwardt das Mikro und gibt es Beja­rano, der bekun­det, er habe »über­haupt nichts gegen die­ses T‑Shirt«: »Sie kom­men daher und sagen, Juden füh­len sich dis­kri­mi­niert? Nein, ich fühle mich nicht dis­kri­mi­niert.« Jubel im Saal.

Das Video wurde mitt­ler­weile meh­rere hun­dert­tau­send­mal ange­schaut und erhielt mehr als 11.000 Likes. In den aller­meis­ten Kom­men­ta­ren ebenso wie in einem Arti­kel, den Moha­med Amja­hid im Frei­tag ver­öf­fent­licht hat, ver­bin­den sich Empö­rung und Genug­tu­ung: Empö­rung über Elwardts Ver­hal­ten als Aus­druck von »ger­man white supre­macy« und deut­schem »Ver­söh­nungs­thea­ter«. Und Genug­tu­ung dar­über, dass sich in die­sem Fall migran­ti­sche und jüdi­sche Per­spek­ti­ven zusam­men die Deu­tungs­ho­heit wie­der erkämpft hät­ten. Oder, wie es die Thea­ter­re­gis­seu­rin und Autorin Ayşe Güvend­iren aus­drückt: »Ein Über­le­ben­der nimmt sich den Raum zurück und über­gibt ihn bewusst einer jüdi­schen Perspektive.«

Mat­thias Elwardt ver­öf­fent­lichte am Tag dar­auf eine Stel­lung­nahme. Er gesteht darin ein, von der Situa­tion über­rum­pelt wor­den zu sein und den fal­schen Ton gewählt zu haben. Und er bit­tet İbrahim Ars­lan um Ent­schul­di­gung. Die Ein­nah­men aus allen Vor­füh­run­gen von »Die Möll­ner Briefe« ver­spricht er, an Arslans Orga­ni­sa­tion »reclaim&remember« zu spen­den. Auch Ars­lan mel­dete sich noch ein­mal zu Wort. In einem auf Insta­gram ver­öf­fent­lich­ten Video bekun­det er, er sei empört, trau­rig und wütend über den Vor­fall, und deu­tet ihn als Bei­spiel für eine ras­sis­ti­sche Miss­ach­tung der Per­spek­ti­ven Betrof­fe­ner. Für die­ses Video erhält er viel Zuspruch, Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen kom­men u.a. von Amnesty Inter­na­tio­nal Deutsch­land, von Debo­rah Feld­man und Hanno Hauenstein.

Der Nahe Osten ohne Israel

Aus­lö­ser des Eklats: Der Nahe Osten ohne Israel. Quelle: Insta­gram
Die Rück­seite des Shirts zeigt Hand­ala, das Haupt­sym­bol der BDS-Kampagne.

Was aller­dings weder in Arslans Stel­lung­nahme noch in sons­ti­gen Kom­men­ta­ren noch eine Rolle spielt, ist der Aus­lö­ser des Eklats. Das ist eine fatale Ver­schie­bung. Auf Arslans T‑Shirt, das er selbst­ver­ständ­lich auch nach dem Eklat für den gesam­ten Rest des Abends trug, war das Gebiet des heu­ti­gen Israel und der paläs­ti­nen­si­schen Gebiete in den paläs­ti­nen­si­schen Natio­nal­far­ben zu sehen. Die­ses Motiv kann als bild­li­cher Aus­druck der Parole »From the river to the sea – Pal­es­tine will be free« gel­ten, des Wun­sches also, dass Israel von der Land­karte ver­schwin­den möge.1Vgl. dazu z.B. die Bro­schüre »Wel­cher Fluss und wel­ches Meer?« der Bil­dungs­stätte Anne Frank. Es ima­gi­niert einen Nahen Osten ohne jüdi­schen Staat und das heißt – solange der mör­de­ri­sche Anti­se­mi­tis­mus von Hamas, Hiz­bol­lah, ira­ni­schen Mul­lahs und Co. nicht end­gül­tig Geschichte ist – einen Nahen Osten ohne Jüdin­nen und Juden. Kurz: Die­ses T‑Shirt ist antisemitisch. 

İbrahim Ars­lan betont in sei­ner Stel­lung­nahme, dass er sich seit Jah­ren nicht nur gegen Ras­sis­mus, son­dern auch gegen Anti­se­mi­tis­mus ein­setzt, und plä­diert »für eine Erin­ne­rungs­kul­tur, die nicht spal­tet, son­dern ver­bin­det«. Mit sei­nem poli­ti­schen Enga­ge­ment und sei­ner Bil­dungs­ar­beit hat er tat­säch­lich genau das seit vie­len Jah­ren auf bewun­derns­werte Weise gemacht. Er hat maß­geb­lich dazu bei­getra­gen, dass Über­le­bende und Ange­hö­rige von Opfern ras­sis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Ter­rors wie in Halle, in Hanau oder beim Münch­ner OEZ-Anschlag sich ver­netzt haben, er hat dafür gekämpft, dass die Stim­men der Betrof­fe­nen gehört und ihre Per­spek­ti­ven berück­sich­tigt wer­den. Auch in Ham­burg hat er mit Rede­bei­trä­gen auf Kund­ge­bun­gen immer wie­der seine Soli­da­ri­tät in die­sem Sinne aus­ge­drückt, z.B. bei der Initia­tive zum Geden­ken an Châu und Lân

Selektive Solidarität

Umso bestür­zen­der ist es, dass die Per­spek­tive der Betrof­fe­nen in die­sem Fall nicht zu gel­ten scheint. Denn auch wenn es in die­sem kon­kre­ten Fall ein nicht­jü­di­scher Deut­scher war, der die Kri­tik for­mu­liert hat: Pri­mär sind es Jüdin­nen und Juden, die die Land­karte Paläs­ti­nas ohne Israel als Bedro­hung wahr­neh­men, als Aberken­nung des Exis­tenz­rechts nicht nur des israe­li­schen Staa­tes, son­dern auch der in ihm leben­den Jüdin­nen und Juden. Dass Joram Beja­rano diese Ansicht nicht teilt oder »kein Pro­blem« damit hat, wenn Jüdin­nen und Juden in Israel das Recht auf Selbst­be­stim­mung aberkannt wird, kann schlecht als Gegen­ar­gu­ment ange­führt wer­den. Es gibt Roma, die kein Pro­blem mit dem Z‑Wort haben, es gibt Schwarze Republikaner:innen, die Donald Trump von jeg­li­chem Ras­sis­mus frei­spre­chen, und es gibt Schwule und Les­ben in der AfD. Führt man sol­che Stim­men als Recht­fer­ti­gung ins Feld und igno­riert alle ande­ren, offen­bart sich darin genau der instru­men­telle und selek­tive Umgang mit Betrof­fen­heit, den Ars­lan ansons­ten zu Recht scharf kritisiert. 

Ars­lan hat sich ent­schie­den, das Gros der von Anti­se­mi­tis­mus Betrof­fe­nen (und im Übri­gen auch der Anti­se­mi­tis­mus­for­schung) zu igno­rie­ren, das in dem Motiv auf sei­nem T‑Shirt einen Aus­druck von Anti­se­mi­tis­mus sieht. Würde er sei­nem eige­nen erin­ne­rungs­po­li­ti­schen Anspruch gerecht wer­den wol­len, müsste er auch die­sen Stim­men Gehör schen­ken und nicht nur jenen, die (wie Joram Beja­rano oder die erwähnte Debo­rah Feld­man) israel­be­zo­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus nicht erken­nen kön­nen oder wollen.

In sei­ner Stel­lung­nahme behaup­tet Ars­lan, er habe das T‑Shirt »als Zei­chen der Soli­da­ri­tät mit einer von Völ­ker­mord betrof­fe­nen Bevöl­ke­rung« getra­gen. An sol­chen Zei­chen gibt es nun ja aller­dings kei­nen Man­gel: Es gibt alle mög­li­chen Klei­dungs­stü­cke und Acces­soires in den paläs­ti­nen­si­schen Natio­nal­far­ben, es gibt Sym­bole wie Was­ser­me­lo­nen, Gra­nat­äp­fel und Frie­dens­tau­ben, es gibt die Handala-Figur und natür­lich die Kufiya und ihr cha­rak­te­ris­ti­sches Mus­ter. Nicht alles davon ist völ­lig unpro­ble­ma­tisch.2Zu Hand­ala etwa schreibt Sebas­tian Leber: »In des­sen Geschich­ten wer­den Israe­lis grund­sätz­lich mit Haken­nase dar­ge­stellt. Sie bege­hen jüdi­sche Ritu­al­morde, ver­füh­ren ara­bi­sche Frauen, kön­nen bloß durch Maschi­nen­ge­wehre gestoppt wer­den.« Aber wohl gegen kei­nes die­ser »Zei­chen der Soli­da­ri­tät« hätte der Geschäfts­füh­rer des Zeise Kinos etwas ein­ge­wen­det. Ars­lan jedoch hat ein Sym­bol gewählt, das die Aus­lö­schung Isra­els impliziert.

Kritik – nicht »silencing«

Dass er dafür kri­ti­siert wor­den ist, sieht er als Sym­ptom dafür, dass »man uns immer wie­der zum Schwei­gen brin­gen will, gerade dann, wenn unsere Per­spek­ti­ven unbe­quem sind«. Er stellt den Vor­fall im Zeise Kino damit in eine Reihe mit Situa­tio­nen, in denen Betrof­fene rech­ter Gewalt her­ab­las­send und empa­thie­los behan­delt wur­den, in denen sie zurecht­ge­wie­sen und ihre Per­spek­ti­ven miss­ach­tet wur­den (wie es etwa Anfang die­ses Jah­res in Hanau gesche­hen ist). Aber die Kri­tik an einem anti­se­mi­ti­schen Motiv ist kein »tone poli­cing« und auch kein »silen­cing« unbe­que­mer Per­spek­ti­ven. Viel­mehr geht es darum, dass der bild­lich aus­ge­drückte Wunsch, den Juden­staat von der Land­karte ver­schwin­den zu las­sen, eben keine akzep­ta­ble »Per­spek­tive« ist, son­dern: Anti­se­mi­tis­mus. Wer die­sen Wunsch äußert, spielt da keine Rolle. Zudem kann keine Rede davon sein, dass man Ars­lan »zum Schwei­gen brin­gen« wollte. Er selbst hat den Kon­flikt mit Elwardt auf die Bühne des Kino­saals ver­legt, weil er wusste, dass er mit laut­star­ker Zustim­mung rech­nen konnte – nicht nur von Beja­rano, mit dem er gut bekannt ist, son­dern auch von vie­len Gästen.

Man muss außer­dem davon aus­ge­hen, dass Ars­lan das Sym­bol in genauem Wis­sen sei­nes Gehalts trug. Schließ­lich wurde er schon mehr­fach mit der Kri­tik daran kon­fron­tiert. Erst vor weni­gen Wochen wurde zeit­wei­lig ein Fern­seh­bei­trag mit Ars­lan aus der Media­thek ent­fernt. Der Grund: Betrof­fene hat­ten den Sen­der dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Ars­lan in dem Bei­trag deut­lich sicht­bar eine Hals­kette mit einem Anhän­ger in den Umris­sen des ehe­ma­li­gen Man­dats­ge­biets trug. Ars­lan wusste also, dass das Motiv als anti­se­mi­ti­sche Chif­fre kri­ti­siert wird. Und trotz­dem hat er für die Ver­an­stal­tung im Zeise Kino erneut genau die­ses Sym­bol gewählt.

Das lässt sich nur als eine stra­te­gi­sche Ent­schei­dung ver­ste­hen, mit der er die­je­ni­gen, die ihn ein­la­den, bewusst vor die Wahl stellt: Ent­we­der sie tole­rie­ren kom­men­tar­los ein anti­se­mi­ti­sches Sym­bol und tra­gen damit zur Nor­ma­li­sie­rung und Baga­tel­li­sie­rung des Anti­se­mi­tis­mus bei, oder sie pro­du­zie­ren einen Eklat, der vom Thema des Films ablenkt – dem rech­ten Ter­ror der neun­zi­ger Jahre und dem unem­pa­thi­schen, struk­tu­rell ras­sis­ti­schen Umgang des deut­schen Staa­tes mit den vom Ter­ror Betrof­fe­nen – und für Ars­lan selbst zwei­fel­los auch ver­let­zend wirkt. Die Empö­rung dar­über, dass Elwardt Ars­lan die Bühne genom­men habe, greift darum ins Leere. Eher ist es so: Um ein anti­is­rae­li­sches State­ment zu set­zen, nimmt Ars­lan in Kauf, dass die­ses State­ment seine Erin­ne­rungs­ar­beit ver­drängt oder überlagert.

Unbequeme Antisemitismuskritik

Des­halb gilt: Der Zeise-Geschäftsführer ver­dient für sein Ver­hal­ten Unter­stüt­zung. Er hat Anti­se­mi­tis­mus erkannt und benannt und ihn nicht, was der beque­mere Weg gewe­sen wäre, igno­riert. In die­sem Sinne hat sich nun auch das Netz­werk jüdi­scher Hoch­schul­leh­ren­der in einer Stel­lung­nahme geäu­ßert, in der es unter ande­rem heißt: »Für uns steht fest: Zivil­cou­rage und die klare Benen­nung von Anti­se­mi­tis­mus sind keine Ver­feh­lun­gen, son­dern Aus­druck demo­kra­ti­scher Verantwortung.« 

Wie Elwardt die Situa­tion gehand­habt hat, lässt sich aller­dings im Ein­zel­nen pro­ble­ma­ti­sie­ren. Dass er etwa ein Opfer neo­na­zis­ti­schen Ter­rors daran erin­nert, dass es sich im Land der Täter der Shoah befinde, ist unan­ge­bracht und muss in Arslans Ohren zynisch klin­gen. Der Ver­weis auf die deut­sche Spe­zi­fik geht hier außer­dem am Kern des Pro­blems vor­bei. Das T‑Shirt wäre ja auch dann anti­se­mi­tisch, würde Otten­sen noch zu Däne­mark gehö­ren. Und die an Joram Beja­rano gerich­tete Frage »Wo sol­len Juden denn Ihrer Mei­nung nach leben?«, ist eine sehr unge­lenke Art, nach dem Schick­sal der jüdi­schen Israe­lis in einem ange­streb­ten, mehr­heit­lich ara­bi­schen Paläs­tina zu fra­gen. Bei allen Vor­be­hal­ten gegen­über kon­kre­ten For­mu­lie­run­gen gilt es hier aber zu berück­sich­ti­gen, dass Elwardt nicht vor­hatte, das Thema öffent­lich anzu­spre­chen, und von der Situa­tion ver­ständ­li­cher­weise über­for­dert war.

Die Reak­tio­nen auf den Eklat illus­trie­ren, wie die berech­tigte Kri­tik am deut­schen »Ver­söh­nungs­thea­ter« (Max Czol­lek), dem es mehr um die Wie­der­erlan­gung einer posi­ti­ven natio­na­len Iden­ti­tät geht als um Auf­ar­bei­tung und Ein­ge­den­ken, in Erin­ne­rungs­ab­wehr und Rela­ti­vie­rung des Anti­se­mi­tis­mus umschla­gen kann. Vor allem in Moha­med Amja­hids Frei­tag-Arti­kel mit dem Titel »Der Deut­sche zeigt, wie deut­sches Erin­nern geht« wird das deut­lich: Er bezeich­net die Epi­sode im Zeise Kino als Bei­spiel für die »Absur­di­tät deut­scher Erin­ne­rungs­kul­tur«, für eine Erin­ne­rungs­kul­tur, die »ein Kul­tur­gut gewor­den« sei und bei der das »posi­tive Fee­ling« im Zen­trum stehe. Elwardt wirft er vor, »pfau­en­haft ein Ver­söh­nungs­thea­ter auf[zu]führen«.

Aber das ist ein halt­lo­ser Vor­wurf: Ein »posi­ti­ves Fee­ling« wäre ja gerade dann garan­tiert gewe­sen, wenn Elwardt nichts gegen das T‑Shirt gesagt hätte; wenn er sich zusam­men mit Publi­kum und Podium einig und auf der rich­ti­gen Seite hätte wäh­nen kön­nen. Amja­hid fasst seine Kri­tik am Ver­söh­nungs­thea­ter mit den Wor­ten zusam­men: »Haupt­sa­che, der Deut­sche wird wie­der gut.« Doch die­ser Satz trifft weni­ger Elwardt als viel­mehr das joh­lende Kino­pu­bli­kum und die zahl­lo­sen empör­ten Stim­men, die nun bei­spiels­weise den Boy­kott des Zeise Kinos for­dern. Vol­ler Inbrunst »Free Pal­es­tine from Ger­man Guilt« zu rufen, den Staat Israel als kolo­nia­les oder gar geno­zi­da­les Pro­jekt zu dämo­ni­sie­ren, Anti­se­mi­tis­mus zu leug­nen oder als Lap­pa­lie abzu­tun und sich dabei zusam­men mit gro­ßen Tei­len der Welt auf der »rich­ti­gen Seite der Geschichte« zu wäh­nen – wenn das keine deut­sche »Wie­der­gut­wer­dung« ist, was dann?

Abge­se­hen vom Netz­werk jüdi­scher Hoch­schul­leh­ren­der und vom Ham­bur­ger Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ten hat bis­her nie­mand öffent­lich den Aus­lö­ser des Eklats, das T‑Shirt-Motiv, als anti­se­mi­tisch benannt. Das zeigt, wie ein­sam und leise die Anti­se­mi­tis­mus­kri­tik inzwi­schen ist. Aus­nahms­los jedes Thema scheint mitt­ler­weile dem Kampf gegen Israel unter­ge­ord­net zu wer­den. Anti­se­mi­tis­mus wird dabei ent­we­der schlicht geleug­net oder zum Neben­wi­der­spruch erklärt.

Die Innen­re­vi­sion Kul­tur­be­trieb ist ein Ham­bur­ger Zusam­men­schluss von Men­schen der Kunst- und Kul­tur­szene gegen Antisemitismus.

  • 1
    Vgl. dazu z.B. die Bro­schüre »Wel­cher Fluss und wel­ches Meer?« der Bil­dungs­stätte Anne Frank.
  • 2
    Zu Hand­ala etwa schreibt Sebas­tian Leber: »In des­sen Geschich­ten wer­den Israe­lis grund­sätz­lich mit Haken­nase dar­ge­stellt. Sie bege­hen jüdi­sche Ritu­al­morde, ver­füh­ren ara­bi­sche Frauen, kön­nen bloß durch Maschi­nen­ge­wehre gestoppt werden.« 

8 Kommentare

  1. Viel­leicht ist es unpas­send, aber ich kann beide Sicht­wei­sen (als weiße Kar­tof­fel) nachvollziehen.
    Ich wün­sche mir mehr nach­fra­gen, bevor For­de­run­gen erho­ben oder State­ments for­mu­liert werden.
    Ich wün­sche mir einen ehr­li­chen Aus­tausch über die indi­vi­du­el­len Gedan­ken und Gefühle, die mit die­sen Sym­bo­len ver­bun­den sind. Das fin­det lei­der in Eurer Stel­lung­nahme kei­nen Raum:
    Bei­spiel: Für mich gibt es einen Unter­schied zwi­schen dem Exis­tenz­recht von Men­schen und dem Exis­tenz­recht eines Staates.
    Und wer (!) das zu ent­schei­den hat, wie (!) ein Exis­tenz­recht für Men­schen in der Region aus­zu­se­hen hat, dazu haben wir zu schwei­gen. Wir soll­ten mit allem, was wir haben den Frie­dens­pro­zess unter­stüt­zen und uns nicht »soli­da­risch« auf eine Seite schla­gen. So denke ich.

    1. Es ist nicht nur unpas­send son­dern zeigt dass nicht viel ver­stan­den wurde…oder habe ich nichts verstanden…liebe Renate viel­leicht kannst du mir hel­fen, auf wel­che „Seite“ wird sich denn geschlagen?

    2. Liebe Renate,
      danke für dei­nen Kom­men­tar. Ehr­li­cher Aus­tausch ist frag­los zu befür­wor­ten. Aber ich kann nicht erken­nen, inwie­fern es für die­sen Arti­kel eine Rolle spielt, wel­che »Gedan­ken und Gefühle« bspw. Ibra­him Ars­lan mit dem Sym­bol verbindet.
      Wie die Rassismus- und Anti­se­mi­tis­mus­for­schung schon lange weiß (und wie auch Ars­lan zu Recht häu­fig betont), kön­nen auch Äuße­run­gen und Hand­lun­gen, die nicht ras­sis­tisch oder anti­se­mi­tisch inten­diert sind, trotz­dem ras­sis­tisch oder anti­se­mi­tisch sein.
      Wenn es um Ras­sis­mus geht, gibt es eine große Sen­si­bi­li­tät für diese struk­tu­relle Dimen­sion. Dass eine ras­sis­ti­sche Äuße­rung ja »gar nicht so gemeint« gewe­sen sei, wird da zu Recht nicht als Aus­rede gel­ten gelas­sen. Bei Fäl­len von Anti­se­mi­tis­mus hin­ge­gen begeg­net einem diese Form der Recht­fer­ti­gung ständig.
      Das von Ars­lan gezeigte Sym­bol gilt, wie im Arti­kel dar­ge­stellt wird, weit­hin als anti­se­mi­tisch (nicht zufäl­lig ist es in ähn­li­cher Form Teil der Fah­nen anti­se­mi­ti­scher Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Hamas, PFLP und PIJ). Der Ver­weis dar­auf, dass er es ganz anders gemeint habe, ändert daran nichts.
      /Lukas (Redak­tion Untiefen)

  2. Das Sym­bol gilt laut wem als Anti­se­mi­tisch? Es gibt genug Men­schen auf der Welt und genug Jüd*innen wel­che es nicht als Anti­se­mi­tisch sehen, da es sich auf das Exis­tenz­recht von Paläs­ti­nen­si­schem leben bezieht. Warum wird da auto­ma­tisch von aus­ge­gan­gen, man würde das Exis­tenz­recht von Jüd*innen abstreiten?
    »Führt man sol­che Stim­men als Recht­fer­ti­gung ins Feld und igno­riert alle ande­ren, offen­bart sich darin genau der instru­men­telle und selek­tive Umgang mit Betrof­fen­heit, den Ars­lan ansons­ten zu Recht scharf kri­ti­siert.« Diese Argu­men­ta­tion ist doch genauso in die andere Rich­tung anwend­bar, das ist doch gar keine hal­tende Begrün­dung. Hier wird genauso selek­ti­ver Umgang zu den Betrof­fe­nen Opfern des Israe­li­schen Regimes betrieben.

    »Ars­lan jedoch hat ein Sym­bol gewählt, das die Aus­lö­schung Isra­els impli­ziert.« Ist schlicht und ein­fach eine Unwahr­heit, wel­che man ganz klar aus den State­ments von Ars­lan raus­hö­ren kann. 

    Die­ser Bei­trag scheint mir nicht Neu­tral, ich würde emp­feh­len mehr inter­na­tio­nale Quel­len und vor allem auch den Inter­na­tio­na­len Gerichts­hof als glaub­hafte Nach­rich­ten­quelle dazu zu holen.
    Das ist jedoch nur meine Mei­nung und ich hoffe hier in den Kom­men­ta­ren gilt Meinungsfreiheit!

    1. Der Inter­na­tio­nale Gerichts­hof unter­sucht, ob Israel sei­nen huma­ni­tä­ren Pflich­ten als Besat­zungs­macht nach­kommt, und prüft den von Süd­afrika erho­be­nen Vor­wurf des Geno­zids. Darum geht es hier aber über­haupt nicht. Wie Sie dazu kom­men, die­ser Insti­tu­tion Kom­pe­ten­zen im Erken­nen und Ana­ly­sie­ren von Anti­se­mi­tis­mus zuzu­schrei­ben, ist uns unklar.
      Wir hal­ten uns an Begriffs­be­stim­mun­gen aus der Anti­se­mi­tis­mus­for­schung, kon­kret die IHRA und die JDA. In bei­den Defi­ni­tio­nen, auch in der deut­lich enge­ren der JDA, wird es als anti­se­mi­tisch bezeich­net, Israel das Exis­tenz­recht abzu­spre­chen. Die kon­krete For­mu­lie­rung in der JDA lau­tet: »Deny­ing the right of Jews in the State of Israel to exist and flou­rish, coll­ec­tively and indi­vi­du­ally, as Jews, in accordance with the prin­ci­ple of equality.«
      Man kann natür­lich – so wie Sie und Ars­lan – behaup­ten, das Sym­bol stehe nicht im Wider­spruch zum ›kol­lek­ti­ven und indi­vi­du­el­len Recht der israe­li­schen Jüdin­nen und Juden, als Juden zu leben‹. Aber Sym­bole haben eine Geschichte, und die kann man nicht ein­fach igno­rie­ren. Die Flagge wurde 1948, nach der Staats­grün­dung Isra­els, von der »Gesamt­pa­läs­ti­nen­si­schen Regie­rung« unter Amin al-Husseini als paläs­ti­nen­si­sche Natio­nal­flagge ange­nom­men. Der Anti­se­mit und Hit­ler­an­hän­ger al-Husseini ver­band damit das Maxi­mal­ziel eines unge­teil­ten Paläs­tina ohne Juden, einer Aus­lö­schung Isra­els und Ver­trei­bung sei­ner jüdi­schen Bevöl­ke­rung. In der­sel­ben Bedeu­tung wird das Sym­bol des Umris­ses der Region von Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Hamas, dem PIJ und der PFLP ver­wen­det. Dass Ihrer Ansicht nach »genug Men­schen auf der Welt und genug Jüd*innen« (eine inter­es­sante For­mu­lie­rung) diese Bedeu­tungs­di­men­sion nicht ken­nen oder igno­rie­ren, heißt nicht, dass sie ver­schwin­det. Und auch dass Ars­lan es ganz anders gemeint haben will, ändert nichts daran.
      Ähn­li­ches gilt übri­gens umge­kehrt, wenn die­selbe Karte voll­stän­dig in den Far­ben Isra­els gezeigt wird. Das ist ein revi­sio­nis­ti­sches Sym­bol, das zur Anne­xion des West­jor­dan­lan­des und des Gaza­strei­fens durch den Staat Israel auf­ruft. Ihrer Argu­men­ta­tion zufolge müsste aber auch das als Appell zu einem fried­li­chen Zusam­men­le­ben in einem geteil­ten Staat ver­stan­den wer­den kön­nen, oder nicht?
      Zu guter Letzt: Die Mei­nungs­frei­heit gilt, hier und anderswo. Anti­se­mi­tis­mus ist davon aber nicht gedeckt. Indem Sie rau­nend insi­nu­ie­ren, Sie dürf­ten hier womög­lich Ihre Mei­nung nicht frei sagen, zeigt, dass Ihnen der Unter­schied viel­leicht nicht aus­rei­chend klar ist.
      /Lukas (Redak­tion Untiefen)

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