Chronik eines Eklats

Chronik eines Eklats

Ges­tern, am 20. Okto­ber, wurde der ZDF-aspekte-Lite­ra­tur­preis an Sven Pfi­zen­maier ver­lie­hen. Mor­gen, am 22. Okto­ber, endet das dies­jäh­rige Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­val. Grund genug, auf den Eklat zurück­zu­bli­cken, den Pfi­zen­maier mit der Zurück­wei­sung sei­ner Nomi­nie­rung für den Kühne-Preis aus­löste. Was geschah – und was bleibt? Eine Chro­nik und Presseschau.

25./26. Juli 2022:

Acht Autor:innen (bzw. ihre Ver­lage) erhal­ten eine E‑Mail von der Redak­tion Untie­fen. Betreff: Klaus-Michael Kühne. In die­ser E‑Mail schil­dern wir den Nomi­nier­ten für den dies­jäh­ri­gen Klaus-Michael Kühne-Preis, der seit 2010 auf dem Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­val ver­ge­ben wird, die Hin­ter­gründe des Geld- und Namens­ge­bers Kühne: die tiefe Ver­stri­ckung des Unter­neh­mens Kühne+Nagel, das damals von Klaus-Michael Küh­nes Vater gelei­tet wurde, in den Natio­nal­so­zia­lis­mus sowie die beharr­li­che Wei­ge­rung Küh­nes, Ver­ant­wor­tung für diese Geschichte zu über­neh­men und sich um Auf­ar­bei­tung zu bemü­hen (siehe Kühne+Nagel, Logis­ti­ker des NS-Staats). Wir fra­gen die Autor:innen, wel­che Mög­lich­kei­ten des Umgangs mit die­ser Situa­tion sie für sich sehen, und bit­ten um Ant­wor­ten – sei’s off the record, sei’s als zur Ver­öf­fent­li­chung frei­ge­ge­be­nes Statement.

18. August 2022:

Sven Pfi­zen­maier, mit sei­nem im März erschie­ne­nen Roman Drau­ßen fei­ern die Leute für den Preis nomi­niert, zieht aus den Infor­ma­tio­nen über die Hin­ter­gründe Küh­nes seine Kon­se­quenz: Er teilt dem Lite­ra­tur­fes­ti­val intern und mit einer kur­zen schrift­li­chen Erklä­rung mit, dass er seine Teil­nahme am Fes­ti­val zurück­ziehe und auf die Nomi­nie­rung ver­zichte.1Der Zufall will es, dass am sel­ben Tag im Neuen Deutsch­land ein Bei­trag Bert­hold Selig­ers zur Kri­tik an (ver­meint­lich) Putin-nahen rus­si­schen Künstler:innen bzw. Spon­so­ren bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len erscheint. Seli­ger weist in sei­nem Bei­trag auch auf die NS-Verbrechensgeschichte von Kühne+Nagel hin und for­dert: »Wer sich über das Spon­so­ring rus­si­scher Kon­zerne echauf­fiert, sollte auch den Mut haben, näm­li­ches bei Kon­zer­nen wie Audi, der Deut­schen Bank, Sie­mens oder der Kühne-Stiftung anzuklagen.«

24. August 2022:

Das Fes­ti­val reagiert auf die Absage, indem es in der denk­bar knapps­ten Form via Twit­ter und Pres­se­aus­sendung ein »Programm-Update« verkündet:

»Nach der Absage von Sven Pfi­zen­maier wurde ein soge­nann­tes Nachrück-Verfahren ein­ge­lei­tet, so dass Prze­mek Zybow­ski nun sei­nen Debüt­ro­man ›Das pinke Hoch­zeits­buch‹ beim 2. #Debü­tan­ten­sa­lon am 10. Sep­tem­ber vor­stel­len wird.« 

Kein Wort des Bedau­erns über Pfi­zen­mai­ers Rück­zug, kein Wort dazu, warum Pfi­zen­maier absagte. Und auch kein:e Pressevertreter:in scheint sich über die kom­men­tar­lose Absage zu wun­dern und sich für ihre Gründe zu inter­es­sie­ren. Auf der Fes­ti­val­web­site wird Pfi­zen­mai­ers Name kom­men­tar­los ersetzt.

29. August 2022:

Die Branchen-Website buchmarkt.de ver­öf­fent­licht die Erklä­rung, mit der Pfi­zen­maier seine Absage begrün­det. In ihr heißt es unter anderem:

»Da sich Klaus-Michael Kühne aktiv dage­gen wehrt, die NS-Historie sei­nes Unter­neh­mens auf­zu­ar­bei­ten, möchte ich mei­nen Text nicht in einen Wett­be­werb um sein Geld und eine Aus­zeich­nung mit sei­nem Namen stellen.«

Doch auch auf diese Erklä­rung folgt zunächst keine Reak­tion. Die Stra­te­gie des Fes­ti­vals, die Absage unter den Tep­pich zu keh­ren und erst gar kei­nen Eklat auf­kom­men zu las­sen, scheint zunächst aufzugehen.

1. September 2022:

Das Kal­kül des Fes­ti­vals schei­tert mit einem Knall: Die Mopo titelt Kühne-Preis: Eklat um NS-Vergangenheit des Ham­bur­ger Unter­neh­mens und ver­öf­fent­licht einen gro­ßen dop­pel­sei­ti­gen Bei­trag. Aus Pfi­zen­mai­ers Absage wird so tat­säch­lich ein Eklat. Am Nach­mit­tag des­sel­ben Tags erscheint ein Bei­trag in der taz. Wäh­rend die Kühne-Stiftung gegen­über der Mopo noch kei­nen Kom­men­tar abge­ben wollte, demons­triert sie nun gegen­über taz-Redakteur Jean-Philipp Baeck eine stu­pende Kom­bi­na­tion aus gekränk­ter Eitel­keit, Geschichts­ver­ges­sen­heit und Aggressivität:

»Die Kühne-Stiftung fühle sich ›in die­ser Ange­le­gen­heit im höchs­ten Grade unge­recht behan­delt‹. Und: ›Sie hat mit Vor­gän­gen, die ca. 80 Jahre zurück­lie­gen, nichts zu tun und wird die tra­di­tio­nelle Ver­lei­hung des Klaus-Michael Kühne-Preises jetzt überdenken.‹ «

Am sel­ben Tag ver­öf­fent­licht Untie­fen den Bei­trag Kühne+Nagel, Logis­ti­ker des NS-Staats, der for­dert, die NS-Geschichte von Kühne+Nagel auch in Ham­burg zum Gegen­stand erin­ne­rungs­po­li­ti­scher Arbeit zu machen. 

7. September:

Das Ham­bur­ger Abend­blatt greift die Ent­wick­lung auf. Abend­blatt-Redak­teur Tho­mas Andre zitiert nun auch das Jury-Mitglied Ste­phan Lohr sowie – ohne Nen­nung eines Namens – die Ham­bur­ger Kul­tur­be­hörde; die Behörde wür­digt die Kri­tik an Kühne als »Bei­trag zur Auf­ar­bei­tung unse­rer Geschichte«, lässt aber auch ihre Abhän­gig­keit von sei­ner Stif­tung durchscheinen:

»[…] Die Kühne-Stiftung leis­tet seit vie­len Jah­ren ins­be­son­dere für die Kul­tur und Wis­sen­schaft gute und wich­tige Unter­stüt­zung, die nicht ohne Wei­te­res durch die öffent­li­che Hand ersetzt wer­den kann.«

In einem Kom­men­tar, der den Arti­kel flan­kiert, erklärt Abend­blatt-Redak­teur Andre im Ein­klang mit der Kul­tur­be­hörde, dass Kri­tik an Kühne zwar »erlaubt« sei, aber es »mehr als schade« wäre, Kühne als groß­zü­gi­gen Kul­tur­spon­sor zu vergraulen.

Auch Fran­ziska Gäns­ler erklärt nun ihren Rück­zug vom Fes­ti­val. Anders als Pfi­zen­maier, des­sen Roman im sel­ben Ver­lag erschie­nen ist wie ihr Debüt Ewig Som­mer, hatte sie sich zunächst gegen einen Rück­tritt ent­schie­den. In einer Stel­lung­nahme, die auf buchmarkt.de ver­öf­fent­licht und in der Presse viel­fach zitiert wird, erklärt sie, dass der Umgang des Fes­ti­vals und der Kühne-Stiftung mit Pfi­zen­mai­ers Absage sie zu ihrem Schritt bewo­gen haben.

Die Fes­ti­val­lei­tung ver­öf­fent­licht eine (inzwi­schen nur noch via Inter­net Archive auf­find­bare) Stel­lung­nahme zu der Debatte rund um die Absa­gen von Pfi­zen­maier und Gäns­ler. Sie bekundet:

»Wir fin­den diese Absa­gen sehr bedau­er­lich. Für die Beweg­gründe der Betref­fen­den haben wir Ver­ständ­nis – auch wir sehen Dis­kus­si­ons­be­darf in die­ser Angelegenheit.«

Dass der »Dis­kus­si­ons­be­darf« der Fes­ti­val­lei­tung nicht so drin­gend ist, offen­bart sich jedoch in der nach­ge­scho­be­nen Aus­sage: »Wir hof­fen, dass es trotz der gegen­wär­ti­gen Dis­kus­sion gelingt, die Lite­ra­tur für die Zeit des Fes­ti­vals in den Mit­tel­punkt zu rücken.« Zeit­gleich mit der Stel­lung­nahme stellt das Fes­ti­val auch die bei­den Stel­lung­nah­men von Gäns­ler und Pfi­zen­maier auf seine Homepage.

Am sel­ben Tag erscheint auf Zeit Online ein Bei­trag von Chris­toph Twi­ckel. In ihm kom­men auch wei­tere nomi­nierte Schriftsteller:innen zu Wort: Dome­nico Mül­len­sie­fen und Annika Büsing. Beide heben den struk­tu­rel­len Cha­rak­ter des Pro­blems her­vor, das weit über den Fall Kühne hin­aus­weise, und regen eine breite Debatte über die Mecha­nis­men der (pri­va­ten) Kul­tur­för­de­rung an. In den Sozia­len Medien zieht die Arti­kel­über­schrift »Nazi­zeit? – Lange her!«, die sich auf die Stel­lung­nahme der Kühne-Stiftung bezieht, rechte Kommentator:innen an. Das ent­spre­chende Pos­ting auf der Facebook-Seite der Zeit erhält 570 Kom­men­tare, größ­ten­teils von rechts: Den Kühne-Kritiker:innen wer­den Neid und Mora­lis­mus vor­ge­wor­fen, die Ver­bre­chen von K+N wer­den rela­ti­viert. Nahezu alle Kom­men­tare schlie­ßen sich der For­de­rung der Kühne-Stiftung nach einem Schluss­strich unter die NS-Vergangenheit an.

Dome­nico Mül­len­sie­fen ver­öf­fent­licht die Stel­lung­nahme, um die er von der Zeit gebe­ten wor­den war, in vol­ler Länge auf sei­nem Blog.

Die Redak­tion Untie­fen ver­öf­fent­licht den Bei­trag »Kühne-Preis: Kul­tur­för­de­rung als Schwei­ge­geld?«. Der Bei­trag reka­pi­tu­liert die bis­he­rige Debatte und zitiert die der Redak­tion zuge­sand­ten Stel­lung­nah­men von Dome­nico Mül­len­sie­fen (die sich zu gro­ßen Tei­len mit der Stel­lung­nahme gegen­über der Zeit deckt) und von Daniel Schulz. Junge Autor*innen seien »auf die weni­gen För­de­run­gen ange­wie­sen […], die es noch gibt«, schreibt Schulz, und sieht daher eigent­lich andere Ange­hö­rige des Kul­tur­be­triebs in der Pflicht, gegen­über pro­ble­ma­ti­schen För­de­rern wie Kühne Stel­lung zu beziehen. 

8. September 2022:

Die dpa ver­öf­fent­licht eine Mel­dung zum Eklat und zu Gäns­lers Rück­tritt, die in zahl­rei­chen (Online-)Medien auf­ge­grif­fen wird. Darin wird auch die Kühne-Stiftung zitiert, die – auf etwas weni­ger brüske Weise – ihre Stel­lung­nahme vom 1. Sep­tem­ber bekräftigt:

»Die Kühne-Stiftung stellte klar, dass ihre För­der­leis­tun­gen kei­nen Bezug zu einer Zeit haben, ›die weit zurück liegt und zu der ganz andere Ver­hält­nisse herrsch­ten‹. Das teilte sie auf Nach­frage am Don­ners­tag mit. ›Hier­bei Zusam­men­hänge zu kon­stru­ie­ren, wür­den wir als eine bewusste Schä­di­gung unse­rer rein phil­an­thro­pi­schen Unter­stüt­zung des Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­vals betrachten.‹ «

Meh­rere Medien, dar­un­ter Mopo und Abend­blatt, berich­ten, dass sich das Fes­ti­val von der Kühne-Stiftung als Spon­sor trennt. Die Fes­ti­val­lei­tung bekun­det, dass die­ser Schritt jedoch nichts mit dem Eklat zu tun habe, son­dern bereits län­ger geplant gewe­sen sei. Im Mopo-Artikel heißt es dazu:

»Auf MOPO-Anfrage erklärte Heinz Leh­mann aus dem Lei­tungs­team: ›Die­ser Schritt hat über­haupt nichts mit dem aktu­el­len Wir­bel um die Ver­gan­gen­heit der Fami­lie Kühne zu tun, son­dern war seit Mona­ten geplant.‹ Die Kühne-Stiftung war für eine Stel­lung­nahme nicht zu erreichen.«

Am Abend des 8. Sep­tem­ber fin­det die Eröff­nung des Fes­ti­vals in der Elb­phil­har­mo­nie statt. Wie das Abend­blatt am 10. Sep­tem­ber berich­tet, kommt der Eklat hier von Beginn an zur Spra­che: Der Gene­ral­inten­dant der Elb­phil­har­mo­nie ver­harm­lost die Kri­tik an Kühne zu einem »Skan­däl­chen« unter ande­ren, das zudem ja den Kar­ten­ver­käu­fen zuträg­lich sei. Die Lei­te­rin des Fes­ti­vals Petra Bam­ber­ger äußert sich unver­bind­lich (»Wir dan­ken allen unse­ren För­de­rern, aber wir sind vor allem unse­ren Autorin­nen und Autoren ver­pflich­tet«). Der Mana­ger und Kühne-Vertraute Michael Beh­rendt, Mit­glied im Stif­tungs­rat der Kühne-Stiftung, hin­ge­gen zeigt sich »betrof­fen« – nicht aber von den ver­bre­che­ri­schen Geschäf­ten Kühne+Nagels oder vom Schick­sal des in Ausch­witz ermor­de­ten Ex-Teilhabers Adolf Maass, son­dern von den »kri­ti­schen Stim­men«. Schließ­lich, so Beh­rendt, sei Klaus-Michael Kühne bei Kriegs­ende erst sie­ben Jahre alt gewesen. 

14. September:

Die Fes­ti­val­lei­tung teilt mit: Der Klaus-Michael Kühne-Preis heißt ab sofort »Debüt­preis des Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­vals« – und er wird nicht in Küh­nes Luxus­ho­tel The Fon­tenay an der Außen­als­ter, son­dern im Nacht­asyl des Tha­lia Thea­ters über­reicht wer­den. Die Ände­run­gen ent­sprin­gen jedoch kei­ner sou­ve­rä­nen Ent­schei­dung des Fes­ti­vals, son­dern gesche­hen auf Anord­nung der schmol­len­den Kühne-Stiftung. In der Mit­tei­lung der Fes­ti­val­lei­tung, die unter ande­rem von der Mopo zitiert wird, heißt es:

»Nach der öffent­li­chen Debatte um die Absage der Teil­nahme zweier Autor:innen am Debü­tan­ten­sa­lon 2022 hat die Kühne-Stiftung das Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­val am 12. Sep­tem­ber 2022 dazu auf­ge­for­dert, den Namen des ›Klaus-Michael Kühne-Preises‹ und den Ort der Preis­ver­lei­hung zu ändern.«

Die Zeit kom­men­tiert die Umbe­nen­nung kri­tisch: »Sie dient bloß dazu, eine Debatte zu ver­mei­den, die über­fäl­lig ist. Das ist feige.« Von der im Bei­trag zitier­ten Spre­che­rin der Kühne-Stiftung lässt sich etwas über die Gründe für die Umbe­nen­nung erfah­ren: »For­mat und Benen­nung des mit dem Fes­ti­val ver­bun­de­nen Prei­ses sol­len von Dis­kus­sio­nen frei sein.« Das also ver­steht der Mäzen unter Frei­heit der Kunst – sie soll frei sein von Kri­tik und Diskussion.

15. September:

Über die Umbe­nen­nung des Prei­ses wird in einer dpa-Mel­dung berich­tet, die viel­fach über­nom­men wird.

Das »Ham­bur­ger Tüd­del­band«, die im Rah­men des Har­bour Front Fes­ti­vals ver­lie­hene Aus­zeich­nung für her­aus­ra­gende Kinderbuchkünstler:innen, wird in der Haupt­kir­che St. Katha­ri­nen an Axel Scheff­ler und Julia Donald­son ver­lie­hen. Schirm­her­rin die­ses Prei­ses ist Chris­tine Kühne, Klaus-Michael Küh­nes Ehe­frau. Anders als in ver­gan­ge­nen Jah­ren ist sie aber nicht anwe­send. Das Abend­blatt schreibt:

»Ob es das ›Ham­bur­ger Tüd­del­band‹ im kom­men­den Jahr noch geben wird […], ließ die Fes­ti­val­lei­tung auf Nach­frage offen.«

16. September:

Die Jury gibt den Preis­trä­ger des nun umbe­nann­ten Prei­ses bekannt: Behzad Karim-Khani mit sei­nem Roman Hund, Wolf, Scha­kal. In ihrer Begrün­dung geht die Jury aus­führ­lich auf die vor­her­ge­gan­gene Debatte ein:

»In die­sem Jahr haben zwei der acht von der Vor­jury aus­ge­wähl­ten Nomi­nier­ten ihre Teil­nahme zurück­ge­zo­gen. Wir hät­ten gerne auch über ihre Bücher dis­ku­tiert. Aber wir möch­ten Sven Pfi­zen­maier und Fran­ziska Gäns­ler für ihre Ent­schei­dung unse­ren Respekt aus­spre­chen. Und wir schlie­ßen uns ihren For­de­run­gen aus­drück­lich an: Wir wür­den uns wün­schen, dass Kühne + Nagel sein unter­neh­me­ri­sches Han­deln in der NS-Zeit durch Historiker*innen unab­hän­gig unter­su­chen las­sen und die For­schungs­er­geb­nisse öffent­lich machen würde.«

18. September:

Der Debüt­preis wird im Nacht­asyl (Thalia-Theater) ver­lie­hen. Am 19. Sep­tem­ber ver­öf­fent­lich die dpa zur Preis­ver­gabe eine Mel­dung, die auch auf die Stel­lung­nahme der Jury zum Eklat ein­geht und von vie­len Medien über­nom­men wird.

20. September:

Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und Kul­tur­jour­na­list Johan­nes Fran­zen, der erst im Februar im Mer­kur über die Hete­ro­no­mie der Kunst ange­sichts der Abhän­gig­keit von ihren Geldgeber:innen schrieb, greift die Debatte in sei­nem News­let­ter Kul­tur und Kon­tro­verse auf. Er kommentiert:

»Was an der Geschichte beson­ders inter­es­sant erscheint, ist zunächst, wie ein Mil­li­ar­där einen Preis von läp­pi­schen 10.000 Euro stif­ten kann und dafür mit viel kul­tu­rel­lem Kapi­tal belohnt wird, wie dann aber die­ses kul­tu­relle Kapi­tal ihm plötz­lich in der Hand explo­die­ren kann. Man muss davon aus­ge­hen, dass über die schreck­li­che Ver­gan­gen­heit des Unter­neh­mens Kühne + Nagel aktu­ell weni­ger stark berich­tet wer­den würde, wenn nicht das Pres­tige des Lite­ra­ri­schen auf dem Spiel ste­hen würde.«

27. September:

Das Maga­zin Oper! ver­öf­fent­licht ein Inter­view mit Klaus-Michael Kühne (online nur aus­zugs­weise ver­füg­bar), über das kurz dar­auf ein Arti­kel im Abend­blatt erscheint. Kühne wirbt darin für sei­nen Vor­schlag, ein neues Opern­haus in Ham­burg zu errich­ten, und zeigt sich – vom Inter­viewer freund­lich sekun­diert – ver­ständ­nis­los über den Undank für sei­nen »gut gemein­ten Ratschlag«.

4. Oktober:

Im Hamburg-Teil der Zeit greift Flo­rian Zinne­cker die Debatte noch ein­mal auf. Er betont die enge Ver­zah­nung des Har­bour Front Lite­ra­tur­fes­ti­vals mit der Kühne-Stiftung und for­dert, dass die Dis­kus­sio­nen, die sich um den Kühne-Preis ent­wi­ckelt haben, wei­ter­ge­führt wer­den müssten:

»Die große Frage aber, die durch die Erup­tio­nen erst so rich­tig frei­ge­legt wurde, ist noch offen – und sie ist um ein Viel­fa­ches zu groß, als dass das Fes­ti­val sie allein abräu­men könnte. Die Kühne-Stiftung för­dert die Staats­oper und die Phil­har­mo­ni­ker; ohne Küh­nes Zuwen­dun­gen wäre Kent Nagano als Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor wohl weder nach Ham­burg zu locken noch hier zu hal­ten gewe­sen. Kühne gab 4 Mil­lio­nen Euro für die Elb­phil­har­mo­nie, die VIP-Lounge des Hau­ses ist nach ihm benannt. Das Inter­na­tio­nale Musik­fest för­dert er mit einer hal­ben Mil­lion jähr­lich. Und für den HSV (Fuß­ball ist auch Kul­tur) wen­dete Kühne schon mehr als 100 Mil­lio­nen Euro auf. All diese Insti­tu­tio­nen beglei­ten die Debatte bis­lang mit vehe­men­tem Schwei­gen. Es wäre bil­lig, von ihnen klare Kante zu for­dern, wer ver­grätzt schon gern einen Haupt­spon­sor. Aber zu reden wäre dar­über schon. Denn sonst beant­wor­tet sich die Frage, ob das Stör­ge­fühl groß genug ist für eine Neu­be­wer­tung der Lage, von allein – mit Nein. Alles egal. Haupt­sa­che, er zahlt.«

20. Oktober:

Auf der Frank­fur­ter Buch­messe wird Sven Pfi­zen­maier der mit 10.000€ dotierte ZDF-aspekte-Literaturpreis für sein Roman­de­büt verliehen.

5. November:

Im Ham­bur­ger Abend­blatt erscheint auf einer Dop­pel­seite ein lan­ges Inter­view mit Klaus-Michael Kühne. Ganz kurz kommt der Inter­viewer – der stell­ver­tre­tende Chef­re­dak­teur Mat­thias Iken – auch auf die NS-Vergangenheit von K+N und den Eklat vom Sep­tem­ber zu spre­chen und lässt Kühne dabei unwi­der­spro­chen seine Schluss­strich­for­de­rung wiederholen:

»Ihr Lite­ra­tur­preis heißt nicht mehr Klaus-Michael Kühne-Preis, junge Lite­ra­ten ver­zich­te­ten auf eine Nomi­nie­rung, weil Sie die NS-Geschichte Ihres Unter­neh­mens inten­si­ver auf­ar­bei­ten sol­len …
Das hat mich per­sön­lich getrof­fen. Wir woll­ten uns zwar aus dem Harbourfront-Literaturfestival zurück­zie­hen, das wir maß­geb­lich geför­dert hat­ten, den Nach­wuchs­preis aber wei­ter finan­zie­ren. Das machen wir jetzt nicht mehr. Den Orga­ni­sa­to­ren habe ich ver­übelt, dass sie diese ein­sei­ti­gen Vor­würfe so über­nom­men und das Thema ein­sei­tig betrach­tet haben.

Sie könn­ten ja eine Unter­su­chung durch His­to­ri­ker beauf­tra­gen …
Die Archive sind zer­stört, die Fak­ten sind bekannt. Es wird vie­les hin­ein­in­ter­pre­tiert. Warum soll­ten wir die alten Wun­den nach so lan­ger Zeit wie­der auf­rei­ßen? Das hätte man viel frü­her machen müs­sen. 2015 kam das Thema zum 125. Jubi­läum zum ers­ten Mal hoch, das beim 100. Geburts­tag kei­nen inter­es­siert hatte. Wir haben die unschö­nen Dinge in unse­rer Jubi­lä­ums­schrift dar­ge­stellt und unser Bedau­ern dar­über mehr­mals öffent­lich geäu­ßert.«

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    Der Zufall will es, dass am sel­ben Tag im Neuen Deutsch­land ein Bei­trag Bert­hold Selig­ers zur Kri­tik an (ver­meint­lich) Putin-nahen rus­si­schen Künstler:innen bzw. Spon­so­ren bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len erscheint. Seli­ger weist in sei­nem Bei­trag auch auf die NS-Verbrechensgeschichte von Kühne+Nagel hin und for­dert: »Wer sich über das Spon­so­ring rus­si­scher Kon­zerne echauf­fiert, sollte auch den Mut haben, näm­li­ches bei Kon­zer­nen wie Audi, der Deut­schen Bank, Sie­mens oder der Kühne-Stiftung anzuklagen.«

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